TE Vwgh Erkenntnis 1992/7/1 92/01/0489

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Veröffentlicht am 01.07.1992
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 17. Dezember 1991, Zl. 4.324.552/2-III/13/91, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein bulgarischer Staatsangehöriger, hat den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 22. Oktober 1991, mit dem festgestellt worden war, beim Beschwerdeführer lägen die Voraussetzungen für seine Anerkennung als Flüchtling nicht vor, mit Berufung bekämpft.

Mit ihrem Bescheid vom 17. Dezember 1991 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 ab und sprach aus, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei. In der Bescheidbegründung ging die belangte Behörde nach Darstellung der Rechtslage davon aus, daß es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, Umstände glaubhaft zu machen, die die Annahme rechtfertigen würden, der Beschwerdeführer befinde sich aus objektiv wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfter Flüchtlingskonvention außerhalb seines Heimatlandes und sei daher nicht gewillt, sich wieder unter dessen Schutz zu stellen. Der vom Beschwerdeführer behauptete Verlust seines Arbeitsplatzes im Jahre 1986, Probleme während seiner Anstellung in einem Theater im Jahre 1988 und die von ihm geltend gemachte Verhaftung und Mißhandlung im Oktober 1989 könnten nicht zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft führen, weil diese Vorfälle in keinem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Ausreise des Beschwerdeführers stünden. Auch scheine angesichts der derzeitigen politischen Situation im Heimatland des Beschwerdeführers eine Furcht vor weiteren im Sinne der Flüchtlingskonvention relevanten Beeinträchtigungen objektiv nicht begründet.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinen Rechten auf Feststellung seiner Flüchtlingseigenschaft und auf ein gesetzmäßiges Asylverfahren verletzt. Insbesondere habe es die belangte Behörde unterlassen, sich mit seinem Berufungsvorbringen ausreichend auseinanderzusetzen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer hat bei seiner ersten Einvernahme durch die Sicherheitsbehörde erster Instanz am 21. Oktober 1991 als Fluchtgründe angeführt, er sei im Jahre 1986 zufolge einer ihm wegen seiner Nichtzugehörigkeit zur kommunistischen Partei Bulgariens von seinem Chef verweigerten, für den beabsichtigten Besuch der Universität erforderlichen Bestätigung mit diesem in Streit geraten, entlassen und in der Folge einen Tag lang auf der Polizeistation festgehalten worden. Im Jahre 1988 sei ihm als Leiter der technischen Gruppe des Theaters in C, nachdem ein dort aufgeführtes Theaterstück von der Polizei verboten worden wäre, mit Internierung gedroht worden. Im Zusammenhang damit habe der Beschwerdeführer seinen Arbeitsplatz verloren. Im Oktober 1989 habe der Beschwerdeführer als Mitglied der illegalen Organisation "Eco Glasnost" an einer Demonstration in Sofia teilgenommen und sei, obwohl die Demonstration behördlich genehmigt gewesen sei, festgenommen und nach einem Tag Aufenthalt im Polizeiarrest in Sofia nach C überstellt und dort noch zwei Wochen festgehalten worden, wobei er sowohl in Sofia wie auch in C von Polizisten geschlagen worden sei. In Sofia habe er eine Verletzung erlitten, von der noch eine Narbe sichtbar sei. Bei Ausschreibung der ersten freien Wahlen in seinem Heimatland habe sich der Beschwerdeführer um die Gründung einer makedonischen Partei bemüht und eine Unterschriftenaktion gestartet. Diese Partei sei aber nicht zugelassen worden. Am Tag der Wahl habe der Beschwerdeführer die Wahlkommission in C darauf aufmerksam gemacht, daß im Wahllokal keine Stimmzettel einer bestimmten Oppositionspartei auflägen. Deswegen sei er sofort festgenommen, zur Polizeidienststelle gebracht, zwei Tage lang verhört und geschlagen worden. Es sei ihm auch mit einem Verfahren wegen separatistischer Betätigung gedroht worden. Nach seiner Freilassung habe er sich täglich bei der Polizeistation in C melden müssen.

Die belangte Behörde hat dieses in der Berufung nicht erweiterte Vorbringen im Hinblick auf die Ausreise des Beschwerdeführers aus seinem Heimatland am 26. Juni 1990 als zeitlich schon so weit zurückliegend gewertet, sodaß die darin dargestellten Vorfälle nicht mehr als Ursachen für eine objektiv begründete Furcht vor Verfolgung angesehen werden könnten. Diese Wertung der Angaben des Beschwerdeführers ist jedenfalls, was die geltend gemachten Vorgänge im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Abhaltung der ersten freien Wahlen in Bulgarien anbelangt, verfehlt. So wurde - wie allgemein bekannt - die Abhaltung der ersten freien Wahlen Ende März beschlossen und wurden diese am 12. Juni 1990 durchgeführt. Damit stehen die im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Durchführung der Wahlen behaupteten Vorkommnisse noch nicht in einem zeitlich so großen Abstand zur Ausreise des Beschwerdeführers, daß ihnen allein deshalb Relevanz für das Vorliegen begründeter Furcht abgesprochen werden könnte. Demgemäß wäre es Aufgabe der belangten Behörde gewesen, sich mit diesen Behauptungen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen.

Dieser Verpflichtung ist die belangte Behörde aber nicht nachgekommen, weil sie das Vorbringen des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit den ersten freien Wahlen überhaupt nicht in ihre Erwägungen einbezogen hat. Der letztangeführten Unterlassung kommt insbesondere auch deshalb Bedeutung zu, weil der Beschwerdeführer auch nach der Durchführung der Wahlen unwiderlegt behauptet hat, in unmittelbarem Zusammenhang mit der Abhaltung der Wahlen für zwei Tage inhaftiert und mißhandelt worden zu sein, während die belangte Behörde davon ausgegangen ist, der Beschwerdeführer hätte auf Grund der geänderten politischen Verhältnisse in seinem Heimatland nichts zu befürchten. Die sohin dem angefochtenen Bescheid anhaftenden Verfahrensmängel erweisen sich angesichts der Angaben des Beschwerdeführers, mit denen er politisch motivierte, durchaus schwerwiegende Eingriffe in seine persönliche Freiheit und seine körperliche Unversehrtheit geltend gemacht hat, als wesentlich, weil die belangte Behörde bei Vermeidung dieser Mängel zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.

Der angefochtene Bescheid mußte sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1992010489.X00

Im RIS seit

01.07.1992
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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