TE Vfgh Beschluss 1990/2/26 B212/89

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Veröffentlicht am 26.02.1990
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Index

19 Völkerrechtliche Verträge
19/05 Menschenrechte

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb MRK Art3

Leitsatz

Zurückweisung der Beschwerde mangels geeigneten Beschwerdegegenstands; keine Erbringung eines ausreichenden Nachweises für die behaupteten Mißhandlungen trotz Vorlage eines Sachverständigengutachtens

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Beschwerdeführer ist schuldig, dem Bund zu Handen der Finanzprokuratur die mit S 37.500,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Begründung:

1. Mit der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde bringt der Beschwerdeführer vor, daß er sich am 31. Dezember 1988 zwischen 1.00 und 2.00 Uhr morgens im Cafe E (... Wien) aufgehalten habe, als es zu einer Lokalkontrolle durch vier Kriminalbeamte gekommen sei, die auch ihn zur Ausweisleistung aufgefordert hätten. Nachdem er sich durch einen Fremdenpaß ausgewiesen hatte, sei er perlustriert worden und, als dabei ein Schließfachschlüssel zum Vorschein kam, auf das Bezirkspolizeikommissariat S gebracht worden. Mit der Begründung, daß dies zu seiner eigenen Sicherheit diene, habe man ihm sofort Handschellen angelegt, obwohl er keineswegs die Absicht gehabt habe, sich selbst zu verletzen. Er habe sich dann auf einen Sessel setzen müssen, wobei er die Hände hinter die Rückenlehne zu geben gehabt habe. Sodann habe er von einem Beamten mit der flachen Hand laufend Schläge, insbesondere auf die Ohren und den Hinterkopf bekommen. Außerdem sei er wiederholt mit einem Schraubenzieher auf den linken Oberschenkel und den Brustkorb geschlagen worden. Einmal sei er auch mit dem ganzen Sessel absichtlich umgestoßen worden, was ihm ebenfalls starke Schmerzen zugefügt habe. Als Folge der Mißhandlungen sei seine Hörfähigkeit ca. eine Woche gemindert gewesen. Die Handschellen seien ihm so eng angelegt worden, daß sie das Blut abgesperrt und Striemen an den Handgelenken verursacht hätten. Als Folge dieser Behandlung habe er einige Tage lang Schmerzen verspürt.

Aufgrund seiner Aussage bei der Vernehmung durch den Untersuchungsrichter, daß er bei der Polizei mißhandelt worden sei, habe dieser Strafanzeige gegen unbekannte Täter erstattet und sei der Beschwerdeführer nachfolgend vom Anstaltsarzt der Krankenabteilung des Landesgerichtes für Strafsachen Wien untersucht worden; des weiteren sei ein Sachverständigengutachten eingeholt worden.

Die Mißhandlungen seien im Kommissariat im Zuge seiner Festnahme und Anhaltung erfolgt, sodaß es sich um eine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt handle. Durch die Mißhandlungen sei er in seinem gemäß Art3 MRK gewährleisteten Recht, nicht der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen zu werden, verletzt worden. Die Fesselung ebenso wie die Mißhandlungen durch die Ohrfeigen und Schläge und das Umstoßen des Sessels, auf dem er saß, seien im Hinblick auf seinen wehrlosen und hilflosen Zustand als Verletzung dieses verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes zu werten. Der Beschwerdeführer beantrage daher festzustellen, daß er durch die angefochtenen Maßnahmen in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden sei.

2. Die Bundespolizeidirektion Wien hat - vertreten durch die Finanzprokuratur - eine Gegenschrift erstattet, in der sie insbesondere vorbringt:

Richtig sei, daß der Beschwerdeführer am 31. Dezember 1988 gegen 2.00 Uhr im Zuge einer Kontrolle durch Beamte der Bundespolizeidirektion Wien im Cafe E in Wien, ..., festgenommen worden sei, nachdem infolge einer Perlustrierung Einbruchswerkzeug bei ihm entdeckt worden war. In einem Schließfach, dessen Schlüssel ebenfalls beim Beschwerdeführer entdeckt worden war, seien weitere Gegenstände, die als Einbruchswerkzeug Verwendung finden konnten, sichergestellt worden. Bei seiner Einvernahme habe der Beschwerdeführer gegen 3.45 Uhr zugegeben, daß er das sichergestellte Werkzeug deshalb bei sich gehabt habe, "um sich im Falle der Not durch Einbrüche Geld verschaffen zu können". Seit seiner letzten Haftentlassung habe er einen Einbruchsversuch am 29. Dezember 1988 in Wien, ..., in der dortigen Trafik begangen. Diesen Einbruchsversuch habe man durch die am Tatort festgestellten Werkzeugspuren verifizieren können. Weitere Erhebungen hätten ergeben, daß der Beschwerdeführer Anfang November 1988 im Museum für Angewandte Kunst in Wien einen Video-Camcorder zum Nachteil des Prof. P W gestohlen und anschließend beim Dorotheum versetzt habe. Schließlich habe der Beschwerdeführer nach einer Gegenüberstellung mit einem Zeugen dieses Delikt auch zugegeben. Aufgrund des geschilderten Sachverhaltes sei auf Antrag des Journalstaatsanwaltes mündlich ein richterlicher Haftbefehl wegen Verdachtes der Flucht- und Wiederholungsgefahr ergangen.

Bei seiner Einvernahme sei der Beschwerdeführer durch Kriminalbeamte des Bezirkspolizeikommissariates S weder geschlagen noch mit Handschellen an einen Stuhl gefesselt, noch sonst in irgendeiner Art mißhandelt worden. Bei der Festnahme wären keine sichtbaren Verletzungen vorhanden gewesen; die einschreitenden Beamten hätten keinen Grund gehabt, einen Amtsarzt zuzuziehen, was der Beschwerdeführer im Polizeikommissariat auch gar nicht verlangt habe. Am 2. März 1989 seien aufgrund einer nachfolgenden Anzeige die Kriminalbeamten Bezirksinspektor S und Bezirksinspektor H einvernommen worden. Am 6. März 1989 habe sodann die Staatsanwaltschaft Wien die gegen die genannten Kriminalbeamten wegen §§83 und 313 StGB erstattete Anzeige gemäß §90 StPO zurückgelegt.

Die belangte Behörde beantragte "mangels Vorliegen eines Sachverhaltes, der auch nur im entferntesten die Annahme von Handlungen, die absichtlich schweres geistiges oder physisches Leid verursachen ..., zulassen würde", die Beschwerde als unbegründet ab-, in eventu als unzulässig zurückzuweisen.

3. Der Verfassungsgerichtshof hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugen Bezirksinspektor F S, Kriminalbeamter F H, Abteilungsinspektor M K, Gruppeninspektor M S sowie des Beschwerdeführers als Partei und durch Beischaffung sowie Einsichtnahme in die Akten der Bundespolizeidirektion Wien, ZD 5675-Z/88, und des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, Z22c Vr 2/89, Hv 185/89 und Z22c Vr 285/89.

4. Aufgrund dieser Beweisaufnahmen wird festgestellt:

4.1. Der Beschwerdeführer hielt sich am 31. Dezember 1988 zwischen 1.00 und 2.00 Uhr im Cafe E, ... Wien, auf, wo es zu einer Lokalkontrolle durch vier Kriminalbeamte kam. Dabei wurde auch der Beschwerdeführer perlustriert, wobei festgestellt wurde, daß er in seiner Bekleidung die Hälfte einer 33 cm langen Rohrzange bei sich trug; hierauf verbrachten die Kriminalbeamten den Beschwerdeführer zur Vernehmung in das Polizeikommissariat S, wo er längere Zeit vernommen wurde. Während der Vernehmung waren die vier Kriminalbeamten, die die Lokalkontrolle durchgeführt hatten, nicht ständig gleichzeitig anwesend, da sich infolge der Amtshandlung verschiedene Ermittlungen als erforderlich erwiesen. Insbesondere wurde der Inhalt eines Schließfaches am Westbahnhof überprüft, da beim Beschwerdeführer ein Schließfachschlüssel vorgefunden worden war. Dabei konnte ua. ein 30 cm langer Schraubenzieher, eine Taschenlampe und ein Pfandschein des Dorotheums über einen Video-Camcorder sichergestellt werden. Die Vernehmung des Beschwerdeführers im Polizeikommissariat wurde im wesentlichen vom Kriminalbeamten F H durchgeführt, die nachfolgende Protokollierung der Aussage vom Bezirksinspektor F S. In die Vernehmung griffen auch die anderen zwei Beamten verschiedentlich mit Fragen ein. Der Beschwerdeführer saß zunächst bei seiner Vernehmung auf einem Sessel, der sich eher in der Raummitte befand. Zur Protokollierung wurde er dann neben den Schreibtisch des Bezirksinspektors S gesetzt.

Im Zuge der Vernehmung im Bezirkspolizeikommissariat gab der Beschwerdeführer zunächst an, daß er den Video-Camcorder von einem Mitbewohner des H-Heimes in Wien, ..., um S 8.000,-- gekauft und zwei Wochen später um S 5.000,-- im Dorotheum versetzt habe, weil er dringend Geld benötigte. Er gab zu, gewußt zu haben, daß das Gerät einen Wert von ca. S 24.000,-- besaß. Erst nachdem im H-Heim der Mitbewohner - der Beschwerdeführer gab dessen Namen zunächst mit D D an - in der Person des D G ermittelt worden war und nachdem dieser die Darstellung des Beschwerdeführers entschieden zurückgewiesen hatte, gab der Beschwerdeführer zu, daß er das in Rede stehende Gerät einige Zeit früher im Museum für Angewandte Kunst, wo er vorübergehend gearbeitet habe, Prof. P W entwendet habe; er behauptete allerdings, über eine Schadensgutmachung bereits eine Absprache getroffen zu haben. Des weiteren gab der Beschwerdeführer zu, mit dem bei ihm gefundenen Werkzeug am 29. Dezember 1988 gegen 1.00 Uhr in einer Trafik in Wien, ..., einen Einbruchsversuch unternommen zu haben; er behauptete aber, von der weiteren Durchführung der Tat Abstand genommen zu haben, als ihm das Öffnen der Eingangstüre zur Trafik nicht sofort gelungen sei. Die folgenden Erhebungen ergaben, daß es sich um die Tabaktrafik des F S in Wien, ..., gehandelt habe, wo Kratzspuren am Türrahmen der Trafik festgestellt werden konnten. Nach der Vernehmung wurde der Beschwerdeführer in einer Haftzelle des Polizeikommissariates S verwahrt; es wurde gegen ihn Anzeige beim Journalstaatsanwalt des Landesgerichtes für Strafsachen Wien erstattet sowie die Einleitung der Voruntersuchung und die Verhängung der Untersuchungshaft angeregt.

Diese Festellungen gründen sich auf die - im wesentlichen übereinstimmenden - Aussagen der vernommenen Zeugen und der eigenen Angaben des Beschwerdeführers, welche sich auch grundsätzlich mit dem Inhalt der beigeschafften Akten decken.

Aus den Strafakten ergibt sich weiters, daß gegen den Beschwerdeführer noch am 31. Dezember 1988 wegen Flucht- und Wiederholungs-(Tatbegehungs-)gefahr ein schriftlicher Haftbefehl ausgestellt und daß der Beschwerdeführer am 1. Jänner 1989 um

8.45 Uhr in das Landesgericht für Strafsachen Wien eingeliefert wurde. Bei seiner Vernehmung vor dem Untersuchungsrichter am 2. Jänner 1989 erhob der Beschwerdeführer gegen zwei der Kriminalbeamten, die ihn vernommen hatten, die in der vorliegenden Beschwerde erhobenen Vorwürfe, worauf der Untersuchungsrichter die Staatsanwaltschaft von diesen Beschuldigungen in Kenntnis setzte. Diese stellte am 4. Jänner 1989 hierauf den "Antrag auf Ausscheidung des Verfahrens gegen UT = jene Polizeibeamte die A E nach dessen Angaben vorsätzlich verletzt ... bzw. ihm ein Geständnis abgenötigt haben sollen", nachdem der Beschwerdeführer bereits am 3. Jänner 1989 in der Krankenabteilung des Landesgerichtes für Strafsachen Wien ärztlich untersucht worden war. Der ärztliche Befund, Z21/89-13 (im Strafakt Zlen. 7b Vr 2/89, Hv 185/89), ergab: "Kinderhandtellergroßes hellbraunes Haematom li. Oberschenkel". Eine am 17. Jänner 1989 durchgeführte HNO-Untersuchung durch einen Facharzt ergab keinen pathologischen Befund.

Des weiteren wurde über Auftrag des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 19. Jänner 1989 von dem gerichtlich beeideten Sachverständigen Dr. H P am 3. Feber 1989 ein Gutachten folgenden Inhaltes eingeholt:

"Anamnese: Gibt an, nie ernsthaft krank gewesen zu sein, kann

keine Verletzungen aber auch keine chronischen Erkrankungen angeben.

Am 31.12.1988 Vernehmung im Kommissariat, dabei mit der flachen Hand auf den Kopf geschlagen worden (Ohrgegend), mit der flachen Hand auf den Hinterkopf geschlagen worden, Schlag mit dem Griff eines Schraubenziehers auf den linken Oberschenkel; überdies sei er mit dem Rücken an der Sessellehne mit nach hinten gekreuzten Armen mit Handschellen gefesselt gewesen, wobei die Fesseln sehr streng zusammengezogen waren.

Habe in beiden Ohren ein Sausen gespürt und habe die Stimmen nicht mehr so richtig vernommen. Diese Symptome haben etwa 4 bis 5 Tage gedauert. Auf Grund des Schlages am Hinterkopf habe er außer dem Schlag selber nichts verspürt, auch keine Schwellung am nächsten Tag gespürt. Durch die Schläge auf den linken Oberschenkel habe er dann blaue Flecken im Ausmaß von etwa 30 x 10 cm (etwa handbreit oberhalb des Kniegelenkes nach aufwärts ziehend) gehabt. Diese blauen Flecke habe er dann etwa 2 bis 3 Wochen gehabt (Die Anzahl der Schläge kann er nicht mehr genau angeben, man habe jedoch drei Druckstellen gezählt).

Mit fest angezogenen Handschellen am Rücken sei er etwa 10 bis 15 Min gesessen (insgesamt habe diese Prozedur über eine Stunde gedauert). Habe zunächst ein bambstiges Gefühl bekommen und danach seien die Finger eingeschlafen. Druck von Handschellen sei aber nicht gewesen, nur im Bereich des linken Daumens sei etwa 14 Tage lang ein blauer Fleck an der Handfläche auf der Seite des Daumenballens gewesen.

Insgesamt sind durch die angegebenen Verletzungen

keinerlei Bewegungseinschränkungen aufgetreten.

Rekonstruktionsversuch: Mit Hilfe eines Justizwachebeamten wird

durch diesen eine Handfessel, die vom Untersuchten als ident, wie der damals verwendeten angegeben wird, ihm so angelegt, wie sie seines Wissens nach auch zur Tatzeitpunkt angelegt war. Es findet sich bei der Zahnkontrolle nach Abnahme der Handfesseln, daß insgesamt 17 Zähne dicht geschlossen wurden (also nur mehr drei Zähne übriggeblieben sind). Die Handfessel sitzt fest am Unterarm handseitig auf, ist praktisch nicht mehr verschiebbar. Pulse seitengleich unauffällig. Die Oberarme sind in einem Winkel von etwa 30 Grad rückwärts gestreckt. Der Untersuchte gibt an, daß dies die Stellung war, die damals gewesen sei, und gibt auch an, daß im Bereich von Ober- und Unterarm nichts gefühlt habe, lediglich im Armbereich damals.

Status: ...

Beurteilung: Hier liegt die eigene eingehende körperliche

Untersuchung, sowie die Angaben des Patienten, sowie das Aktenstudium zugrunde.

Wenn die Angaben des Patienten der Wahrheit entsprechen, dann trat eine oberflächliche Verletzung im Sinne eines Blutergusses am linken Oberschenkel auf, sowie eine vorübergehende Beeinträchtigung des Hörvermögens. Zum Zeitpunkt der Untersuchung sind keinerlei Folgen mehr sichtbar oder nachweisbar. Wenn die Angaben des Patienten der Wahrheit entsprechen, dann sind die Verletzungen als an sich leicht zu geben, die Dauer der Gesundheitsschädigung wäre mit 7 Tagen anzugeben, da aller medizinischen Erfahrung nach bei einem 32-jährigen gesunden Patienten, ein Bluterguß, der lediglich oberflächlich ist, in diesem Zeitraum abzuheilen pflegt. Die Hörverschlechterung kann durch eine plötzliche Druckwelle (beim Schlagen mit der flachen Hand auf das Ohr) und damit z.T. Einbrechen von Ceroma (Ohrschmalz) erklärt werden (daher auch das Sausen im Sinne der verstärkten Schallaufnahme im Ohr).

Diese Angaben des Patienten sind glaubwürdig.

Die Hörverschlechterung und das Sausen kann vor allem durch die plötzliche Luftdruckwelle die entsteht, wenn man mit der flachen Hand auf das Ohr schlägt, und die Verlegung des Trommelfelles mit Ceromen (Ohrschmalz) erklärt werden.

Der Bluterguß im Bereich des linken Oberschenkels kann auch durch andere Aktivitäten entstanden sein, etwa Anschlagen an eine Tischplatte o.ä.

Die Dauer des Gesundheitsschadens, sowie das vom Patienten angegebene Ausmaß aufgrund von mehreren Schlägen mit dem Schraubenziehergriff, wobei lediglich drei Prellnarben vom Amtsarzt festgestellt wurden steht nicht im Übereinklang mit der allgemeinen medizinischen Erfahrung. Insbesondere ist es verwunderlich, daß dabei keinerlei Verletzung des Oberschenkelmuskels im Sinne einer Prellung und dadurch bewegungsbedingte Schmerzen aufgetreten sind. Insbesondere das Ausmaß der Verletzung weist medizinisch eher an einen breitflächigen Aufprall ohne wesentlichem Druck = Gewalteinwirkung denken. Eine, durch einen kleinflächigen und mit eher (lt. Angaben des Patienten) erfolgte Verletzung pflegt mehrere kleinere Areale zu hinterlassen und vor allem auch das unterhalb des Unterhautfettgewebes liegende Muskelgewebe zutreffen. Dies führt aber zu schmerzbedingten Kontraktionen und durchaus erinnerungsfähigen Angaben eines Patienten.

Wenn die Angaben des Patienten bezüglich der Handschellen der Wahrheit entsprechen, so ist bei ihm lediglich das subjektive Gefühl des 'Blut absperrens' eingetreten. Eine medizinisch definierte Verletzung ist dadurch nicht eingetreten. Dieses Gefühl des Bambstigwerdens und Absperrens ist auch erklärlich durch die etwa 10 bis 15 Minuten dauernde Haltung der Arme in größerer Streckung am Rücken (30 Grad). Dies entspreche der medizinischen Definition der Parestesie (vorübergehende Nervenreizung ohne Folgen). Der, vom Patienten angegebene blaue Fleck im Bereich des linken Daumenballens ist durch die demonstrierte Anlegung der Handschellen nicht medizinisch erklärbar, es dürfte eher andere Ursachen (z.B. Anschlagen des Daumenballens an einem harten Gegenstand) als Ursache haben.

Insgesamt kann festgestellt werden, daß durch das Anlegen der Handschellen (wie laut Angaben des Patienten demonstriert und rekonstruiert) keine Verletzung entstehen konnte.

Zusammenfassung: Durch das Anlegen der Handschellen, wie vom

Patienten angegeben, konnte keine Verletzung verursachen.

Die Angaben des Patienten bezüglich der vorübergehenden Hörstörung ist medizinisch glaubwürdig.

Die Angaben der Verletzungsart bezüglich des Blutergusses am linken Daumenballen sowie linken Oberschenkel ist medizinisch nicht glaubwürdig."

Nach Vernehmung der Kriminalbeamten F H und F S am 2. März 1989 durch den Untersuchungsrichter, wobei diese die ihnen vorgeworfenen Mißhandlungen des Beschwerdeführers bestritten, legte die Staatsanwaltschaft Wien am 6. März 1989 die Anzeige wegen §§83 und 313 StGB gegen die genannten Kriminalbeamten gemäß §90 StPO zurück.

In dem am 4. Jänner 1989 eingeleiteten Strafverfahren erhob die Staatsanwaltschaft Wien gegen den Beschwerdeführer Anklage wegen Diebstahls des Video-Camcorders zu Lasten des Prof. P W, wegen versuchten Trafikeinbruches sowie wegen Verleumdung des D G, da der Beschwerdeführer diesen der Gefahr einer behördlichen Verfolgung wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung aussetzte, indem er ihn zumindest des Vergehens der Hehlerei falsch verdächtigt hatte. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 8. Feber 1989, Z7b Vr 2/89, Hv 185/89, wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, die ihm in der Anklage angelasteten strafbaren Handlungen begangen zu haben, wodurch er das Verbrechen des teils versuchten, teils vollendeten schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§127, 129 Z1 und 15 StGB sowie das Verbrechen der Verleumdung nach §297 Abs1 StGB begangen habe, wofür er zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt wurde.

In der Begründung setzt sich das Gericht eingehend mit dem Vorwurf des Beschwerdeführers, daß sein Geständnis zum Faktum des Einbruchsdiebstahls erzwungen worden sei, nachdem ihn Kriminalbeamte geschlagen hätten, auseinander und stellt fest, daß diese Darstellung im Widerspruch zu eigenen Angaben des Beschwerdeführers vor dem Untersuchungsrichter stehe. Aufgrund seiner Angaben in der Hauptverhandlung hätten die zur Verurteilung führenden Feststellungen eindeutig getroffen werden können; diese seien auch durch die objektivierten Kerbspuren, die der Beschwerdeführer nach dem versuchten Trafikeinbruch hinterlassen habe, gestützt.

Mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 1. Juni 1989, Z12 Os 44/89, wurde die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verworfen und der Berufung keine Folge gegeben.

4.2. Der Gerichtshof hat zunächst zu prüfen, ob der Vorwurf des Beschwerdeführers, bei seiner Vernehmung am Bezirkspolizeikommissariat S mißhandelt worden zu sein, zutrifft. Zu diesem Zweck wurden durch den Verfassungsgerichtshof sowohl die vier Kriminalbeamten als auch der Beschwerdeführer einvernommen (s. Pkt. 3.). Bei diesen Vernehmungen ergab sich, daß sich der Vorwurf des Beschwerdeführers, mißhandelt worden zu sein, in erster Linie gegen den Kriminalbeamten F H, aber auch gegen den Gruppeninspektor M S, nicht jedoch gegen den im Strafverfahren, Z22c Vr 285/89, als Beschuldigten vernommenen Kriminalbeamten F S richtet. Der Zeuge F H bestritt weiterhin entschieden, den Beschwerdeführer mißhandelt zu haben; ebenso wies Gruppeninspektor M S die Beschuldigungen des Beschwerdeführers zurück. Dieser Zeuge bekundete insbesondere, daß der Beschwerdeführer nicht "geständnisfreudig" war. Bei der Übergabe in die Arrestzelle habe der Beschwerdeführer sich geäußert: "Ihr werdet euch noch wundern. Ich lasse mir das nicht bieten". Ein Amtsarzt sei vom Beschwerdeführer jedoch nicht verlangt worden; für ein solches Verlangen habe auch nach Meinung des Zeugen S kein Grund bestanden. Während sich der Zeuge F S bei seiner Vernehmung vor dem Verfassungsgerichtshof darauf berief, sich an die Angelegenheit nur teilweise erinnern zu können, stützte der Zeuge Abteilungsinspektor M K die Angaben der beiden vom Beschwerdeführer der Mißhandlung beschuldigten Kriminalbeamten, daß der Beschwerdeführer weder auf einem Sessel sitzend gefesselt noch geschlagen worden sei; ebensowenig sei der Sessel mit dem Beschwerdeführer umgestürzt worden. Der Beschwerdeführer blieb bei den Beschuldigungen, der Kriminalbeamte F H habe ihn wiederholt geohrfeigt und der Gruppeninspektor M S habe ihn mit einem Werkzeug auf den Oberschenkel geschlagen und ihn im gefesselten Zustand mit dem Sessel umgestürzt.

Was den Vorwurf der Mißhandlungen betrifft, stehen somit die Aussagen des Beschwerdeführers und der Kriminalbeamten in unvereinbarem Widerspruch zueinander. Die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers wird - jedenfalls zum Teil - durch das Sachverständigengutachten gestützt. Das trifft auf den Vorwurf des Beschwerdeführers zu, er habe Ohrfeigen und mit der flachen Hand Schläge auf den Hinterkopf bekommen. Im Gutachten heißt es jedenfalls "die Angaben des Patienten bezüglich der vorübergehenden Hörstörung ist medizinisch glaubwürdig". Allerdings spricht das Gutachten vom 3. Feber 1989 auch aus, daß die Angaben des Beschwerdeführers über die Verletzungsart bezüglich des Blutergusses am linken Daumenballen sowie am linken Oberschenkel medizinisch nicht glaubwürdig seien. Bei der Beweiswürdigung kann auch nicht übersehen werden, daß der Beschwerdeführer bei seiner Vernehmung am 31. Dezember 1988 im Zusammenhang mit einem Diebstahl, der ihm zur Last gelegt wird, einen ehemaligen Zimmergenossen, mit dem er gemeinsam in einem H-Heim wohnte, wider besseres Wissen falsch verdächtigte, sodaß der Beschwerdeführer deshalb wegen Verleumdung nach §297 Abs1 StGB strafrechtlich verurteilt wurde. Was seine behauptete Fesselung betrifft, legt die Darstellung des Beschwerdeführers nahe, daß er sich in einer derartigen Situation befunden haben dürfte, zumal der Rekonstruktionsversuch, der vom Sachverständigen durchgeführt wurde, jedenfalls nicht ergeben hat, daß der Beschwerdeführer Unmögliches behauptet hat. Hiezu konnten aber objektive Nachweise, so zB Verletzungen aufgrund des behaupteten Umstürzens des Sessels, auf dem er saß, im Zeitpunkte seiner Untersuchung durch den Sachverständigen nicht festgestellt werden. Daß die Vorwürfe des Beschwerdeführers, er sei mißhandelt worden, nicht jeglicher Grundlage entbehren, erweist sich andererseits aus dem Umstand, daß bei der Untersuchung des Beschwerdeführers in der Krankenabteilung des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 3. Jänner 1989 ein kinderhandtellergroßes hellbraunes Hämatom am linken Oberschenkel festgestellt wurde. Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer schon im Polizeikommissariat, als er in eine Arrestzelle abgeführt wurde, angekündigt, "Ihr werdet Euch noch wundern. Ich lasse mir das nicht bieten" (Aussage des Zeugen Gruppeninspektor M S). Die Staatsanwaltschaft Wien legte wohl die Anzeige gegen die Beamten wegen §§83 und 313 StGB am 6. März 1989 gemäß §90 StPO zurück, jedoch wurden in dem Verfahren nur zwei der vier Kriminalbeamten vernommen, die in die zum Vorwurf der Mißhandlung des Beschwerdeführers am 31. Dezember 1989 führenden Geschehnisse involviert waren. Da eine Gegenüberstellung mit dem Beschwerdeführer nicht vorgenommen wurde, ergab sich erst im verfassungsgerichtlichen Verfahren, daß einer der beiden gerichtlich vernommenen Kriminalbeamten vom Vorwurf des Beschwerdeführers gar nicht betroffen war, wohingegen der andere, vom Beschwerdeführer tatsächlich beschuldigte Kriminalbeamte im strafgerichtlichen Verfahren nicht einmal namentlich erwähnt wurde.

Unter den gegebenen Umständen ist der Verfassungsgerichtshof heute weder in der Lage, völlig auszuschließen, daß der Beschwerdeführer bei seiner Vernehmung am 31. Dezember 1988 im Polizeikommissariat S mißhandelt wurde, noch sieht er sich imstande, den Vorwürfen des Beschwerdeführers zu folgen, zumal dieser - wie seine strafgerichtliche Verurteilung erweist - bei seiner Vernehmung im Bezirkspolizeikommissariat S bewußt wahrheitswidrige Vorwürfe erhob, weshalb ihm insoferne der Straftatbestand der Verleumdung zur Last gelegt wird.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, daß es trotz eingehender Vernehmungen dem Verfassungsgerichtshof nicht mehr möglich war festzustellen, ob die behaupteten Mißhandlungen des Beschwerdeführers stattgefunden haben.

5. Da somit ein Nachweis für die behaupteten Zwangsakte nicht erbracht ist, fehlt es an einem geeigneten Beschwerdegegenstand (vgl. VfGH 12.12.1988 B351/87, 27.2.1989 B676/88, 28.2.1989 B894/87, 28.6.1989 B30/87, 26.9.1989

B 159/86). Die Beschwerde war daher als unzulässig zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:B212.1989

Dokumentnummer

JFT_10099774_89B00212_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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