Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
ASVG §292;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Händschke als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klebel, über die Beschwerde der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter in Wien, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 9. August 1990, Zl. SV-1417/1-1990, betreffend Wiederaufnahme einer Leistungssache (mitbeteiligte Partei: R in P, vertreten durch die Sachwalterin M), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 28. Juni 1990 sprach die beschwerdeführende Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle Linz, aus, daß das Verfahren über den Anspruch des Mitbeteiligten auf Ausgleichszulage gemäß § 69 AVG wiederaufgenommen und der Bescheid vom 1. April 1970 hinsichtlich des Anspruches auf Ausgleichszulage aufgehoben werde. Gleichzeitig wurde für die Zeit ab 1. Jänner 1970 die zur Pension gewährte Ausgleichszulage neu festgestellt und der entstandene Überbezug in der Höhe von S 208.186,80 unter Berufung auf § 107 ASVG rückgefordert.
Nach der Begründung sei aufgrund des Beschlusses des Bezirksgerichtes Frankenmarkt vom 11. August 1989 über die Bestellung eines Sachwalters für den Mitbeteiligten erstmalig bekannt geworden, daß dieser zwei Sparbücher besitze. Das Einkommen aus Zinserträgen sei weder im Pensionsantrag vom 29. Dezember 1969 noch im Ausgleichszulageerhebungsbogen vom 9. Februar 1970 angegeben worden. Auch anläßlich der Überprüfungen in den Jahren 1977, 1980, 1983, 1986 und 1989 sei dieses Einkommen nicht angegeben worden. Die beschwerdeführende Pensionsversicherungsanstalt gehe daher davon aus, daß der Mitbeteiligte die Ausgleichszulage im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. a AVG erschlichen habe.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem vom Mitbeteiligten erhobenen Einspruch Folge gegeben und die Verfügung der Wiederaufnahme gemäß § 66 Abs. 4 AVG aufgehoben.
Nach der Begründung könne dann nicht von einem Erschleichen eines Bescheides im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. a AVG gesprochen werden, wenn es die Behörde verabsäumt habe, von den ihr im Rahmen der Sachverhaltsermittlung ohne besondere Schwierigkeiten offenstehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Ein sogenanntes Erschleichen liege nur vor, wenn die Behörde durch unrichtige Angaben oder durch Verschweigen wesentlicher Umstände mit Absicht irregeführt worden sei. Wenn sich die beschwerdeführende Anstalt auf die Ausgleichszulagenerhebungsbögen berufe, so sei darauf hinzuweisen, daß die entsprechende Frage in den Bögen aus den Jahren 1977 und 1980 nach sonstigen Einkünften als Beispiele dafür "Ausgedinge, Leibrente, Vermietung, Verpachtung, Alimente usw." angeführt habe. In den Überprüfungsbögen den Jahre 1986 und 1989 scheine die Frage VII wie folgt formuliert auf:
"Sonstige Einkünfte z.B. Firmenzuschuß, Ausgedinge (freie Station), Sachbezüge etc.), Leibrente, Vermietung, Verpachtung, Alimente, Wohnrecht usw." Auf keinem der Erhebungsbögen seien jedoch Sparzinsen beispielsweise angeführt, obwohl sicherlich viele Pensionswerber und auch Ausgleichzulagenbezieher Sparbücher besäßen. Nach der Mitteilung der Raiffeisenkasse Rüstorf vom 19. Oktober 1989 habe der Mitbeteiligte im Jahre 1969 (also vor der Einbringung des Pensionsantrages) an Zinsen einen Betrag in der Höhe von S 642,23 bezogen. Die in diesem Jahr bei der Sparkasse Schwanenstadt zugeflossenen Zinsen seien nicht aktenkundig. Für das Jahr 1970 schienen jedoch Zinsen in der Höhe von S 193,89 auf. Für die Jahre 1962 bis 1973 habe die Sparkasse insgesamt einen Betrag von S 1.523,57 an Sparzinsen bekannt gegeben. Demnach habe der Mitbeteiligte, als er seinen Pensionsantrag gestellt habe, nur niedrige Sparzinsen erhalten. Die beschwerdeführende Anstalt hätte zweifellos ohne Schwierigkeiten auch ausdrücklich nach Sparzinsen fragen können. Eine entsprechende Frage wäre wohl kaum verneint worden. Die belangte Behörde sei daher der Auffassung, daß der Mitbeteiligte die Anstalt im Jahre 1970, als er seinen Pensionsantrag gestellt habe, nicht vorsätzlich irregeführt, also die Ausgleichszulage nicht erschlichen habe. Die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des mit dem Pensionsbescheid vom 1. April 1970 abgeschlossenen Verfahrens seien daher im Beschwerdefall nicht gegeben. Im übrigen werde darauf hingewiesen, daß § 107 ASVG, der die Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen regle, eine Wiederaufnahme nach § 69 AVG nicht voraussetze.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof. Pensionisten würden im Rahmen der Pensionszuerkennung mittels Broschüren über die Einhaltung der Meldevorschriften sowie über die Umstände, die Auswirkungen auf eine laufende Leistung hätten, belehrt. Spätestens beim Ausfüllen des Ausgleichszulagenerhebungsbogen müsse sich ein Pensionist darüber im klaren sein, daß alle nur erdenklichen Einkommensarten angegeben werden müßten. Im Punkt VII des Erhebungsbogens würden ausdrücklich einige Beispiele eines "sonstigen Einkommens" aufgezählt; eine erschöpfende Aufzählung sei schon wegen der Vielfalt der Möglichkeiten ausgeschlossen. Da der Mitbeteiligte ein Vermögen in Form von Sparbüchern besitze, das nicht unbeträchtliche Zinsen abwerfe, und er diese in allen Erhebungsbögen nicht angegeben habe, müsse davon ausgegangen werden, daß er dieses in der Absicht verschwiegen habe, um einen Anspruch auf Ausgleichszulage zu erlangen. Das nunmehr angesammelte Vermögen betrage derzeit ca. S 600.000,-- und habe im Jahre 1986 S 42.458,79 an Zinsen abgeworfen. Der Sozialversicherungsträger sei auf die wahrheitsgemäßen und vollständigen Angaben der Pensionisten angewiesen. Er könne nicht durch weitere amtswegige Ermittlungen die Richtigkeit der gemachten Angaben in den Erhebungsbögen überprüfen. Im Beschwerdefall sei daher davon auszugehen, daß die Verschweigung von Vermögen samt Zinsenerträgnissen nur in der Absicht erfolgt sei, eine Ausgleichszulage zu erlangen bzw. einen einmal erlangten derartigen Anspruch aufrecht zu erhalten.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Der Mitbeteiligte hat sich am Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht beteiligt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 69 AVG lautet auszugsweise:
"§ 69. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und :
a) der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeiführt oder sonstwie erschlichen worden ist.
...
(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 lit. a stattfinden."
Im Beschwerdefall ist unbestritten, daß der Mitbeteiligte die Frage nach seinen "sonstigen Einkünften" stets verneint hat. Nach den Erhebungen der beschwerdeführenden Pensionsversicherungsanstalt hat er jedoch im Jahre 1969 von der Raiffeisenkasse R Zinsen in der Höhe von S 642,23 bezogen. Von der Sparkasse Schwanenstadt erhielt er im Jahre 1970 Zinsen in der Höhe von S 193,89. Die Zinsen aus den beiden Sparbüchern erreichten dabei im Jahre 1989 den Betrag von S 36.470,01 bzw. S 350,73.
Wenn die belangte Behörde den Tatbestand des Erschleichens nach § 69 Abs. 1 lit. a AVG im Beschwerdefall schon deshalb nicht als gegeben erachtet, weil die beschwerdeführende Pensionsversicherungsanstalt den Mitbeteiligten auch ausdrücklich (über das Formular hinaus) nach Sparzinsen hätte befragen können, so kann ihr dabei nicht gefolgt werden. Der Tatbestand des Erschleichens setzt auf Seiten der Behörde zumindest voraus, daß sie auf die Angaben der Partei angewiesen ist und eine solche Situation besteht, daß ihr nicht zugemutet werden kann, über die Richtigkeit der Parteiangaben noch weitere Erhebungen von Amts wegen zu pflegen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 8. April 1975, Zl. 2017/74). Daß die Beschwerdeführerin im streitgegenständlichen Fall über die Richtigkeit der Angaben des Mitbeteiligten von Amts wegen noch weitere Erhebungen hätte durchführen müssen, kann nach Auffassung des Gerichtshofes nicht gesagt werden.
Der Tatbestand des "Erschleichens" gemäß § 69 Abs. 1 lit. a AVG setzt weiters voraus, daß der Bescheid in einer Art zustande gekommen ist, daß die Partei vor der Behörde objektiv unrichtige Angaben von wesentlicher Bedeutung mit Irreführungsabsicht gemacht hat und diese unrichtigen Angaben dann dem Bescheid zugrundegelegt wurden, wobei die Verschweigung wesentlicher Umstände dem Vorbringen unrichtiger Angaben gleichzusetzen ist. Die Irreführungsabsicht wiederum setzt voraus, daß die Partei wider besseres Wissen gehandelt hat, und dies deshalb, um einen sonst vielleicht nicht erreichbaren Vorteil zu erlangen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 31. Oktober 1957, VwSlg. Nr. 4.455/A). Wesentlich für den Tatbestand des Erschleichens ist es, daß die Partei das Zustandekommen der Entscheidungsgrundlagen absichtlich durch unrichtige Angaben oder durch Verschweigung wesentlicher Tatsachen beeinflußt hat (vgl. das Erkenntnis vom 30. April 1986, Zl. 85/09/0103). Wenn der Behörde durch unrichtige und unvollständige Ausfüllung eines amtlichen Fragebogens durch die Partei die Tatsachen zunächst verborgen geblieben sind, bei deren Kenntnis ein anderer Bescheid ergangen wäre und wenn die Behörde aus der unrichtigen oder unvollständigen Ausfüllung des Fragebogens auf eine Irreführungsabsicht darum geschlossen hat, weil keine gegen eine solche Absicht sprechende Umstände hervorgekommen sind, kann diesem Schluß nur dann entgegengetreten werden, wenn die im Fragebogen enthaltenen Fragen nicht auch für einen Rechtsunkundigen unschwer zu beantworten sind und insbesondere die rechtliche Beurteilung eines Sachverhaltes fordern (vgl. etwa das Erkenntnis vom 25. Februar 1988, Zl. 88/08/0027, mit Hinweis auf die Vorjudikatur). Bei der Prüfung der Frage, ob der Tatbestand des Erschleichens gegeben sei, bildet wohl das Gesamtverhalten jener Person, der die Erschleichung vorgehalten wird, die Beurteilungsgrundlage. Doch müssen schon im wiederaufzunehmenden Verfahren (nicht also etwa nur nachher) Handlungen und Unterlassungen feststellbar gewesen sein, die eine Erschleichungsabsicht erkennen lassen (vgl. das Erkenntnis vom 17. September 1962, Zl. 492/60). Das den Tatbestand des Erschleichens erfüllende Verhalten muß denknotwendig der Erlassung des Bescheides vorangehen (vgl. das Erkenntnis vom 24. Mai 1962, Zl. 2460/60).
Wenn daher im Beschwerdefall der Mitbeteiligte vor der Erlassung des Bescheides vom 1. April 1970 die Frage nach seinen sonstigen Einkünften verneint hat, so kann dies im Hinblick darauf, daß etwa im Pensionsantrag vom 29. Dezember 1969 weder Zinsen noch diesen vergleichbare Leistungen angeführt sind, und im Hinblick darauf, daß der Mitbeteiligte zum damaligen Zeitpunkt Zinsen von weniger als S 1.000,-- bezog, nicht schon als ein Verhalten gewertet werden, das eine Erschleichungsabsicht erkennen läßt. Da das den Tatbestand des Erschleichens erfüllende Verhalten denknotwendig der Erlassung des Bescheides VORANGEHEN muß, kommt im Beschwerdefall dem Umstand, daß die Zinsen in den Folgejahren eine Größenordnung erreichten, deren Verschweigen auf eine entsprechende Absicht des Mitbeteiligten schließen lassen könnte, keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu.
Die belangte Behörde handelte daher nicht rechtswidrig, wenn sie im Beschwerdefall den Tatbestand der Erschleichung der Ausgleichszulage im Sinne des § 69 Abs. 1 lit. a AVG verneint hat. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1990080164.X00Im RIS seit
10.01.2001Zuletzt aktualisiert am
03.12.2010