TE Vfgh Erkenntnis 1990/2/26 B656/89

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Veröffentlicht am 26.02.1990
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Bescheid StGG Art8 AVG §19 Abs3

Leitsatz

Keine Verletzung der persönlichen Freiheit bei Vorführung aufgrund eines Ladungsbescheides

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist dadurch, daß er von zwei Gendarmerieorganen am 5. Juni 1989 in Lachsfeld 16, 2113 Karnabrunn, festgenommen und anschließend der Stellungskommission beim Militärkommando Niederösterreich in St. Pölten vorgeführt wurde, weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

II. Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Mag. F G begehrte in seiner mit Berufung auf Art144 Abs1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde der Sache nach die kostenpflichtige Feststellung, am 5. Juni 1989 dadurch, daß ihn zwei Gendarmerieorgane vom Gendarmerieposten Ernstbrunn im Auftrag der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg in seiner Wohnung in Lachsfeld 16, 2113 Karnabrunn, (gegen 5 Uhr 30) festnahmen und der Stellungskommission beim Militärkommando Niederösterreich in St. Pölten vorführten, demnach durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf persönliche Freiheit (Art8 StGG iVm Art5 EMRK), verletzt worden zu sein.

Hilfsweise wurde die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt. (Die vom Einschreiter zugleich erhobenen Beschwerden gegen den "Vorführungsbefehl" des Militärkommandos Niederösterreich vom 9. Mai 1989 und gegen den Beschluß der Stellungskommission beim Militärkommando Niederösterreich vom 5. Juni 1989 bilden Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Verfahren B657 und 658/89).

1.1.2. Die Bezirkshauptmannschaft Korneuburg als belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie für die Zurückweisung der Beschwerde eintrat.

1.2. Aus den von der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg und der Stellungskommission beim Militärkommando Niederösterreich dem Verfassungsgerichtshof vorgelegten Administrativakten geht folgender - vom Beschwerdeführer im verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht in Zweifel gezogener - Sachverhalt hervor:

Mit Ladungsbescheid vom 29. März 1989, Z78-1111/91/89, forderte das Militärkommando Niederösterreich, Ergänzungsabteilung, Mag. F G auf, zur Feststellung seines Tauglichkeitsgrades am 2. Mai 1989, 7 Uhr 30, persönlich bei der Stellungskommission (beim Militärkommando Niederösterreich) in St. Pölten zu erscheinen. Dieser Bescheid, der auch die Androhung der zwangsweisen Vorführung im Fall des unentschuldigten Fernbleibens (Nichterscheinens) enthielt, wurde dem Beschwerdeführer am 3. April 1989 zu eigenen Handen zugestellt. Da Mag. G diese Ladung unbeachtet ließ, verfügte das Militärkommando Niederösterreich mit Erledigung vom 9. Mai 1989 die zwangsweise Vorführung; des weiteren ersuchte es mit Schreiben vom selben Tag die (als Vollstreckungsbehörde örtlich zuständige) Bezirkshauptmannschaft Korneuburg, den Einschreiter am 5. Juni 1989, 7 Uhr 30, der Stellungskommission vorzuführen. In Entsprechung dieses Ersuchens erteilte sodann die Bezirkshauptmannschaft Korneuburg mit Verfügung vom 1. Juni 1989 dem Gendarmeriepostenkommando Ernstbrunn einen entsprechenden (Vorführungs-)Auftrag. Daraufhin nahmen zwei Gendarmen des Postens Ernstbrunn den Beschwerdeführer am 5. Juni 1989, gegen 5 Uhr 30, in Lachsfeld 16, 2113 Karnabrunn, befehlsgemäß fest und führten ihn der Stellungskommission beim Militärkommando Niederösterreich in St. Pölten vor (07 Uhr 15), von wo er nach Untersuchung und Feststellung seiner (Dienst-)Untauglichkeit um 09 Uhr 55 desselben Tages entlassen wurde.

2.1. Die Festnahme und Vorführung des Beschwerdeführers (zur Stellungskommission) stellen sich als Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt iSd Art144 Abs1 B-VG dar, die, weil ein Instanzenzug nicht in Betracht kommt (s. §19 Abs4 AVG 1950), unmittelbar mit Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof bekämpft werden können.

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist die vorliegende Beschwerde zulässig.

2.2.1. Nach §4 des Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, dürfen die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen. Zu diesen gesetzlich bestimmten Fällen zählt auch §19 Abs3 AVG 1950 (vgl. zB VfSlg. 8323/1978, 8365/1978, 11090/1986, 11233/1987). Gemäß dieser Vorschrift hat der Geladene, wenn er nicht durch Krankheit, Gebrechlichkeit oder sonstige begründete Hindernisse vom Erscheinen abgehalten ist, die Verpflichtung, der Ladung Folge zu leisten; er kann zur Erfüllung dieser Pflicht durch Zwangsstrafen verhalten oder vorgeführt werden. Die Anwendung dieser Zwangsmittel ist nur zulässig, wenn sie in der Ladung angedroht waren und die Ladung zu eigenen Handen zugestellt wurde. Wie der Verfassungsgerichtshof in diesem Zusammenhang bereits mehrfach aussprach (s. zB VfSlg. 7872/1976, 8667/1979), beschränkt sich der normative Inhalt des Ladungsbescheides nach §19 AVG 1950 auf die Begründung der Verpflichtung für die geladene Person, der Ladung nach Maßgabe der Bestimmung des §19 Abs3 AVG 1950 Folge zu leisten; erst an deren Nichterfüllung knüpfen sich die im Ladungsbescheid angedrohten Zwangsfolgen.

2.2.2. Im vorliegenden Fall wurde der Ladungsbescheid des Militärkommandos Niederösterreich vom 29. März 1989 (mit Androhung der zwangsweisen Vorführung für den Fall des ungerechtfertigten Ausbleibens) dem Beschwerdeführer am 3. April 1989 zu eigenen Handen zugestellt. Der Einschreiter behauptet nun selbst nicht, und zwar weder ausdrücklich noch der Sache nach, daß ihn ein begründetes Hindernis iS der wiedergegebenen Gesetzesstelle davon abgehalten hätte, der Ladung termingemäß Folge zu leisten. Er bringt vielmehr einzig und allein (in einem Nachtragsschreiben vom 19. November 1989) vor, daß das Militärkommando für Niederösterreich ihn überhaupt nicht zur (neuerlichen) Feststellung seiner Tauglichkeit vor die Stellungskommission hätte vorladen dürfen, weil er gegen den Bescheid des Bundesministers für Landesverteidigung vom 3. Februar 1989 (mit dem seine neuerliche Stellung verfügt wurde) eine zu B292/89 protokollierte Verfassungsgerichtshofbeschwerde, verbunden mit einem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung, eingebracht habe.

Dieser Einwand ist jedoch unbegründet: Denn abgesehen davon, daß der Verfassungsgerichtshof der zu B292/89 protokollierten Beschwerde aufschiebende Wirkung nicht zuerkannt und die Beschwerdebehandlung in weiterer Folge abgelehnt hat (Beschluß vom 12. Juni 1989), gelten die Einreden des Einschreiters nur dem Ladungsbescheid vom 29. März 1989, dessen Überprüfung aber nicht Gegenstand dieses Beschwerdeverfahrens ist. Nach ständiger Rechtsprechung kann nämlich ein Ladungsbescheid (nach §19 Abs3 AVG 1950) selbst unmittelbar mit Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof (und/oder beim Verwaltungsgerichtshof) angefochten werden (s. zB VfSlg. 7868/1976, 8667/1979). Bloß aus Anlaß einer solchen Beschwerde könnte sich der Verfassungsgerichtshof also mit der Verfassungsmäßigkeit des Ladungsbescheides auseinandersetzen. In einer Beschwerdesache hingegen, die - wie hier - ausschließlich die (zwangsweise) Vorführung (auf Grund eines Ladungsbescheides) betrifft, hat der Verfassungsgerichtshof vielmehr davon auszugehen, daß dieser in Rechtskraft erwachsene Bescheid die seinem normativen Inhalt entsprechenden Rechtswirkungen in bezug auf den Beschwerdeführer bereits entfaltet hat (vgl. VfSlg. 8667/1979).

Daß einer der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts den Ladungsbescheid des Militärkommandos Niederösterreich vom 29. März 1989 und somit auch die Verpflichtung des Beschwerdeführers zum Erscheinen vor der Stellungskommission aufgehoben habe, wurde nicht behauptet und trifft im übrigen auch gar nicht zu.

2.2.3. Die bekämpfte Vorführung zur Stellungskommission war darum durch §19 Abs3 AVG 1950 und den in Handhabung dieser Bestimmung ergangenen Ladungsbescheid gedeckt.

Demgemäß wurde Mag. F G im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

2.3. Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde - da weder die Verletzung anderer verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hervorkam noch verfassungsrechtliche Bedenken gegen die dem bekämpften Verwaltungsakt zugrundeliegenden Rechtsvorschriften entstanden - als unbegründet abzuweisen.

2.4. Auch der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof war abzuweisen: Der Verfassungsgerichtshof hat die Gesetzmäßigkeit der Verhaftung und Vorführung schlechthin zu untersuchen und sich nicht etwa auf die Frage der Gesetzlosigkeit oder denkunmöglichen Gesetzeshandhabung zu beschränken, sodaß für eine Prüfung unter dem Gesichtspunkt der Verletzung sonstiger - einfachgesetzlich eingeräumter - Rechte kein Raum bleibt. Daraus ergibt sich aber, daß der Verfassungsgerichtshof zur Entscheidung dieser Sache allein zuständig ist, eine Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof also nicht in Betracht kommt (s. zB VfSlg. 8076/1977, 10.681/1985; VfGH 12.12.1988 B351/87).

2.5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

Schlagworte

Verwaltungsverfahren, Ladung, Vorführung, Festnehmung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:B656.1989

Dokumentnummer

JFT_10099774_89B00656_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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