TE Vfgh Erkenntnis 1990/2/26 B973/89

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Veröffentlicht am 26.02.1990
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

StGG Art8 StVO 1960 §97 Abs4 VStG §35 lita VStG §36 Abs1

Leitsatz

Keine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit durch Festnahme wegen des Verdachtes einer Verwaltungsübertretung (Nichtbefolgung einer polizeilichen Anordnung) und Anhaltung zur Feststellung der Identität

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch seine am 17. Juli 1989 in Salzburg von Organen der dortigen Bundespolizeidirektion verfügte Festnahme und anschließende Anhaltung in Haft weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

II. Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird gleichfalls abgewiesen.

III. Der Beschwerdeführer ist schuldig, dem Bund zu Handen der Finanzprokuratur die mit 25.000 S bestimmten Verfahrenskosten binnen vierzehn Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Dr. K F S begehrte in seiner unter Berufung auf Art144 Abs1 B-VG an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Beschwerde die kostenpflichtige Feststellung, daß er durch (der Bundespolizeidirektion Salzburg als belangter Behörde zuzurechnende) Amtshandlungen, nämlich seine Festnahme am 17. Juli 1989 in Salzburg und seine darauffolgende Verwahrung, demnach durch Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehlsund Zwangsgewalt, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit (Art8 StGG iVm Art5 EMRK) verletzt worden sei; hilfsweise wurde gemäß Art144 Abs3 B-VG (iVm §87 Abs3 VerfGG 1953 idF BGBl. 297/1984) die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt.

1.1.2. Die - durch die Finanzprokuratur vertretene Bundespolizeidirektion Salzburg als belangte Behörde erstattete - unter Vorlage der Administrativakten - eine Gegenschrift und beantragte darin die Abweisung der Beschwerde.

1.2. Aus den Verwaltungsakten geht hervor, daß der (damals ausweislose) Beschwerdeführer am 17. Juli 1989, 16 Uhr 48, auf dem Salzburger Domplatz von (Sicherheitswache-)Inspektor R W wegen des Verdachtes ua. der Verwaltungsübertretung der Nichtbefolgung der Anordnung eines Organs der Straßenaufsicht nach §97 Abs4 StVO 1960 (ua.) gemäß §35 lita VStG 1950 festgenommen wurde und sich in der Folge bis etwa 17 Uhr (desselben Tages) in Haft befand. Weiters ergeben die Akten, daß die Bundespolizeidirektion Salzburg über den Beschwerdeführer mit Strafverfügung vom 30. August 1989, Z 25234/89, wegen der eingangs erwähnten Verwaltungsübertretung (§97 Abs4 iVm §99 Abs4 liti StVO 1960) eine Geldstrafe von fünfhundert Schilling, im Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe von zwölf Stunden Arrest, verhängte. Gegen die Strafverfügung wurde Einspruch erhoben; das Verwaltungsstrafverfahren ist noch anhängig.

2. Über die Beschwerde wurde erwogen:

2.1.1. Gemäß Art144 Abs1 Satz 2 B-VG idF der Novelle BGBl. 302/1975 erkennt der Verfassungsgerichtshof über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Novelle 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes als sogenannte faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies für die Festnehmung und anschließende Verwahrung einer Person zutrifft (zB VfSlg. 7252/1974, 8145/1977, 11097/1986).

2.1.2. Demgemäß ist die Beschwerde, da ein Instanzenzug hier nicht in Betracht kommt und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, zulässig.

2.2.1.1. Art8 StGG gewährt - ebenso wie Art5 EMRK (s. VfSlg. 8815/1980, 11097/1986) - Schutz gegen gesetzwidrige "Verhaftung" (s. VfSlg. 11335/1987 ua.):

Das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, das gemäß Art8 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, RGBl. 142/1867, zum Bestandteil dieses Gesetzes erklärt ist und gemäß Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz gilt, bestimmt in seinem §4, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in gesetzlich bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen.

2.2.1.2. §35 VStG 1950 ist ein solches Gesetz

(VfSlg. 7252/1974, 11097/1986), doch setzt die Festnehmung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes in allen in dieser Gesetzesvorschrift angeführten Fällen (lita bis c) voraus, daß die festzunehmende Person "auf frischer Tat betreten" wird: Sie muß also eine als Verwaltungsübertretung strafbare Tat verüben und bei Begehung dieses Delikts betreten werden. Dabei ist die erste dieser beiden Voraussetzungen schon dann erfüllt, wenn das Behördenorgan die Verübung einer Verwaltungsübertretung mit gutem Grund (= vertretbarerweise) annehmen konnte (s. VfSlg. 4143/1962, 7309/1974, 11335/1987).

Die Vorschrift des §35 lita VStG 1950 läßt eine Festnehmung unter den schon umschriebenen Voraussetzungen zum Zweck der Vorführung vor die Behörde aber nur dann zu, wenn der Betretene "dem anhaltenden Organ unbekannt ist, sich nicht ausweist und seine Identität auch sonst nicht sofort feststellbar ist".

2.2.2.1. Auf dem Boden dieser Rechtslage ist also zunächst zu prüfen, ob das hier einschreitende Sicherheitsorgan R W mit gutem Grund - und damit vertretbar - zur Auffassung gelangen durfte, daß der Beschwerdeführer sich die (den Umständen nach in erster Linie in Betracht zu ziehende) Verwaltungsübertretung nach §97 Abs4 iVm §99 Abs4 liti StVO 1960 zu Schulden kommen ließ (s. Abschnitt 1.2.):

    Einer Verwaltungsübertretung nach §97 Abs4 iVm §99 Abs4

lit. i StVO 1960 macht sich (ua.) schuldig, wer " . . . Gebote

. . . nicht beachtet", so auch eine Anordnung nach der Bestimmung

des §97 Abs4 StVO 1960, die folgenden Wortlaut hat:

    "Die Organe der Straßenaufsicht sowie die nach Abs3 betrauten

Organe sind ... berechtigt, einzelnen Straßenbenützern für den

Einzelfall Anordnungen für die Benützung der Straße zu erteilen, und zwar auch solche, die von den sonstigen diesbezüglichen Bestimmungen abweichen. Diese Anordnungen dürfen

a) nur gegeben werden, wenn ihre Befolgung ohne Gefährdung von Personen und ohne Beschädigung von Sachen möglich ist,

b) nur befolgt werden, wenn dies ohne Gefährdung von Personen und ohne Beschädigung von Sachen möglich ist."

2.2.2.2. In tatsächlicher Hinsicht gelangte nun der Verfassungsgerichtshof, gestützt auf die Ergebnisse des durchgeführten Beweisverfahrens, namentlich auf die Aussagen der im Vorverfahren gerichtlich einvernommenen Zeugen B P, H B, R S und R W, den Inhalt der Administrativakten und die Parteiaussage des Beschwerdeführers, zu folgenden Feststellungen:

Am Nachmittag des 17. Juli 1989 wurde in Vorbereitung der Festspiele auf dem Salzburger Domplatz, d.i. eine öffentliche Verkehrsfläche iSd §1 StVO 1960 und eine (gemäß §§16 und 22 des Salzburger VeranstaltungsG, LGBl. 71/1987) behördlich bewilligte Veranstaltungsstätte (mündlich verkündeter Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Salzburg vom 5. Juli 1989, Zl. 05/02/4165/89/004), eine (Theater-)Probe abgehalten. Die Veranstalter hatten Ordner eingesetzt, so auch die Zeugin B P; der Zugang zur Probeaufführung war (zumindest teilweise) mit Holzplanken abgesperrt. Da der Beschwerdeführer den Probebereich zu betreten suchte, kam es zu einer Auseinandersetzung mit einem Ordner, der ihm offenbar den Zutritt verwehren wollte.

Im weiteren Verlauf schritten die von B P zu Hilfe gerufenen Sicherheitswachebeamten R S und R W ein, indem sie den (ihnen unbekannten) Beschwerdeführer ausdrücklich zum "Zurückgehen" aufforderten und diese erfolglos gebliebene Aufforderung mehrmals wiederholten, allerdings wieder ohne jeden Erfolg. Einer Aufforderung zur Ausweisleistung konnte der (keinen Ausweis bei sich tragende) Beschwerdeführer nicht nachkommen. Daraufhin wurde er von R W (ua.) wegen Nichtbefolgung einer polizeilichen Weisung (§97 Abs4 StVO 1960) gemäß §35 lita VStG 1950 festgenommen (16 Uhr 48) und in das nächstgelegene Wachzimmer eskortiert. Dort wurden seine Personaldaten - die er zunächst nicht (vollständig) mitgeteilt hatte - durch Anruf beim (Wohnsitz-)Gendarmerieposten überprüft. Nach dieser Identitätsfeststellung wurde der Beschwerdeführer sogleich - und zwar um etwa 17 Uhr - freigelassen.

2.2.2.3.1. Angesichts der gegebenen Sachlage durfte der Zeuge R W mit gutem Grund der Meinung sein, daß der Beschwerdeführer (ua.) eine Verwaltungsübertretung nach §97 Abs4 iVm §99 Abs4 lit. i StVO 1960 verübt habe. Daran ändert nichts, daß der Betroffene offenbar der Ansicht war, die Anordnung des Straßenaufsichtsorganes entspreche nicht den gesetzlichen Vorschriften; denn es stand ihm hier, wenn auch erst nach Befolgung der Weisung, frei, den Beschwerdeweg an die vorgesetzte Behörde des Wacheorgans zu beschreiten. Soll nämlich eine solche Weisung ihren vom Gesetzgeber bestimmten Zweck erfüllen, dann muß ihr auch mit möglichster Beschleunigung nachgekommen werden, zumal dann, wenn diese Anordnung der Sicherheit des Verkehrs zu dienen hat (vgl. zB VwGH 29.6.1970 Z1323/69, 25.4.1975 Z247/74).

War aber die (Tat-)Beurteilung als Verwaltungsdelikt vertretbar - in die Prüfung der Frage der Tatbestandsverwirklichung hatte der Verfassungsgerichtshof in diesem Verfahren nicht einzugehen - und lag infolge Betretung auf frischer Tat und Nichtausweisleistung (unter den näheren Voraussetzungen des §35 lita VStG 1950) - der Verdächtige war den Polizeibeamten unbekannt, seine Identität auch sonst nicht an Ort und Stelle sogleich feststellbar - der vom einschreitenden Wacheorgan herangezogene Festnehmungsgrund vor, entsprach die bekämpfte Amtshandlung dem Gesetz.

2.2.2.3.2. Unter den obwaltenden Verhältnissen gibt es auch keine zureichenden Anhaltspunkte dafür, daß die verwaltungsbehördliche Haft des Beschwerdeführers gesetzwidrig verlängert worden sei: Nach §36 Abs1 VStG 1950 ist jeder Festgenommene "unverzüglich der nächsten sachlich zuständigen Behörde zu übergeben, oder aber, wenn der Grund der Festnehmung schon vorher wegfällt, freizulassen."

Diesem Gebot wurde hier entsprochen, weil die Wachebeamten den Beschwerdeführer nach der mit der gebotenen Beschleunigung vor sich gehenden Ermittlung und Feststellung seiner Identität - gesamte Haftzeit: etwa 12 Minuten - ohne überflüssige Verzögerung auf freien Fuß setzten.

2.2.3. Demgemäß wurde der Beschwerdeführer - durch seine polizeiliche Festnahme und Anhaltung - im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nach Art8 StGG iVm Art5 EMRK nicht verletzt.

2.2.4. Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde - da die Verletzung anderer verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte weder ausdrücklich behauptet wurde noch im Verfahren hervorkam und verfassungsrechtliche Bedenken gegen die den bekämpften Verwaltungsakten zugrundeliegenden Rechtsvorschriften nicht entstanden - als unbegründet abzuweisen (Punkt I. des Spruchs).

2.3. Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof war aus folgenden Erwägungen abzuweisen (s. Punkt II. des Spruches):

Der Verfassungsgerichtshof hat die Gesetzmäßigkeit der Verhaftung und Haftanhaltung schlechthin zu untersuchen und sich nicht etwa auf die Frage der Gesetzlosigkeit oder denkunmöglichen Gesetzeshandhabung zu beschränken, sodaß für eine Prüfung unter dem Gesichtspunkt der Verletzung sonstiger - einfachgesetzlich garantierter - Rechte kein Raum bleibt. Daraus ergibt sich aber, daß der Verfassungsgerichtshof zur Entscheidung ausschließlich zuständig ist, eine Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof also nicht in Betracht kommt (vgl. zB VfSlg. 8960/1980, 9921/1984, 10974/1986).

2.4. Die Kostenentscheidung (Punkt III. des Spruches) fußt auf §88 VerfGG 1953.

2.5. Diese Entscheidung konnte - in einer der Norm des §7 Abs2 litc VerfGG 1953 genügenden Zusammensetzung - gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.

Schlagworte

Straßenpolizei, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Verwaltungsstrafrecht, Festnehmung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:B973.1989

Dokumentnummer

JFT_10099774_89B00973_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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