TE Vwgh Erkenntnis 1992/7/9 90/19/0579

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Veröffentlicht am 09.07.1992
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
24/01 Strafgesetzbuch;
40/01 Verwaltungsverfahren;
60/02 Arbeitnehmerschutz;

Norm

AAV §13 Abs1;
AAV §13 Abs2;
AAV §13;
AAV §8 Abs1;
AAV §8;
AAV §97;
ABGB §1096;
ArbIG 1974 §6 Abs2;
ASchG 1972 §31 Abs2;
StGB §34;
VStG §19;
VStG §20;
VStG §5 Abs1;
VStG §51 Abs4;
VStG §9 Abs1;
VStG §9 Abs2;
VwGG §26 Abs1 Z4;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 8. Oktober 1990, Zl. MA 63-L 3/90/Str., betreffend Übertretungen der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (mitbeteiligte Partei: V L in S), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

I.

1. Am 28. Juli 1989 erstattete das zuständige Arbeitsinspektorat Strafanzeige gemäß § 6 Abs. 2 ArbIG 1974, weil bei einer am 13. Juli 1989 durchgeführten Überprüfung eines näher bestimmten Geschäftslokales in W, das von der

K. Ges.m.b.H. betrieben werde, festgestellt worden sei, daß dort Arbeitnehmer beschäftigt worden seien, obwohl 1. dieser Raum nicht das in § 8 Abs. 1 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV) vorgeschriebene Ausmaß an Lichteintrittsflächen und 2. keine dem § 13 Abs. 1 und 2 AAV entsprechende Lüftung besitze. Das Arbeitsinspektorat beantragte für diese Übertretungen die Verhängung von Geldstrafen von S 10.000,-- und S 4.000,--. In der Anzeige wurde auf eine Bestrafung vom 2. Jänner 1989 unter Angabe einer Aktenzahl hingewiesen.

2. Bei der am 19. Oktober 1989 durchgeführten Vernehmung als Beschuldigte gab die mitbeteiligte Partei (mP), die Geschäftsführerin der K. Ges.m.b.H., an, bezüglich der fehlenden Lichteintrittsflächen sei in erster Instanz eine Ausnahmegenehmigung erteilt worden. Im übrigen sei die Vermieterin des Geschäftslokales dafür verantwortlich. Auch hinsichtlich der nicht ausreichenden Belüftung sei die Vermieterin zur Herstellung der notwendigen Änderung aufgefordert worden.

3. In der zu den Angaben der mP eingeholten Stellungnahme vom 6. November 1989 führte das Arbeitsinspektorat aus, es gebe bisher "weder einen rechtskräftigen Betriebsanlagenbescheid noch einen Ausnahmebescheid für die betreffende Betriebsanlage".

4. Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom 15. November 1989 wurden gegen die mP als zur Vertretung nach außen berufene Geschäftsführerin der K. Ges.m.b.H. unter anderem wegen der Übertretungen des § 8 Abs. 1 und des § 13 Abs. 2 AAV Geldstrafen von S 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe ein Tag) und S 2.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe zwei Tage) verhängt. Begründend führte die erstinstanzliche Behörde aus, an der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Arbeitgebers (seiner vertretungsbefugten Organe) für die angeführten Übertretungen ändere sich nichts, auch wenn er selbst nicht zur Vornahme von Änderungen baulicher Natur berechtigt sei.

Vom Strafantrag des Arbeitsinspektorates sei abgewichen worden, weil die Beschuldigte keine einschlägigen Vorstrafen aufweise und durch ihre Angaben bei der Beschuldigtenvernehmung zur Wahrheitsfindung wesentlich beigetragen habe. Außerdem sei die besondere Situation in dem betreffenden Einkaufszentrum (Mitverantwortlichkeit des Vermieters, anhängiges Verfahren zur Erteilung einer Ausnahmegenehmigung in dritter Instanz) bei der Beurteilung des Verschuldensgrades zu berücksichtigen gewesen.

5. Dagegen erhob das Arbeitsinspektorat Berufung mit dem Antrag, die Strafen in der beantragten Höhe zu verhängen. Es wurde gerügt, daß die erstinstanzliche Behörde vor der Verhängung einer niedrigeren Strafe, als vom Arbeitsinspektorat beantragt wurde, gemäß § 6 Abs. 3 ArbIG 1974 eine Stellungnahme des Arbeitsinspektorates hätte einholen müssen. Weiters sei in der Strafanzeige auf eine rechtskräftige Bestrafung hingewiesen worden.

6. Mit Bescheid vom 8. Oktober 1990 gab der Landeshauptmann von Wien (die belangte Behörde) der Berufung des Arbeitsinspektorates keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid.

Begründend führte die belangte Behörde aus, das Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten habe den Antrag der K. Ges.m.b.H. auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zurückgewiesen. Nach der Begründung dieses Bescheides sei die Firma XY-Ges.m.b.H. Betreiberin der gesamten Betriebsanlage und auch Adressatin des Genehmigungsbescheides.

In rechtlicher Hinsicht vertrat die belangte Behörde den Standpunkt, die Betreiberin der gesamten Betriebsanlage, deren unselbständiger Bestandteil das betreffende Geschäftslokal sei, sei für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften, die von den Gewerbebehörden zu vollziehen seien, verantwortlich. Da die von der mP geleitete Ges.m.b.H. nicht Betreiberin der Betriebsanlage sei, fehle ihr die Legitimation, Ausnahmegenehmigungen betreffend Arbeitnehmerschutzvorschriften, zu deren Erteilung die Gewerbebehörde zuständig sei, zu beantragen. Daraus ergebe sich, daß die mP als Geschäftsführerin der K. Ges.m.b.H. für die ihr angelasteten Verwaltungsübertretungen nicht verantwortlich sei. Der Berufung des Arbeitsinspektorates wegen der zu geringen Strafhöhe sei daher nicht Folge zu geben gewesen. Der Schuldspruch habe nicht aufgehoben werden können, weil die mP keine Berufung erhoben habe.

7. Gegen diesen Bescheid richtet sich die am 11. Dezember 1990 zur Post gegebene, auf § 9 Abs. 2 ArbIG 1974 gestützte Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

II.

1. Vorweg sei festgehalten, daß die von der belangten Behörde im Hinblick auf die Zustellung des angefochtenen Bescheides am 22. Oktober 1990 geäußerten Zweifel an der Rechtzeitigkeit der vorliegenden Beschwerde unbegründet sind.

Gemäß dem in Ausführung des Art. 131 Abs. 2 B-VG ergangenen § 9 Abs. 2 ArbIG 1974 ist der Bundesminister für soziale Verwaltung (nunmehr: Bundesminister für Arbeit und Soziales) berechtigt, (in Wahrnehmung des gesetzlichen Schutzes der Arbeitnehmer bei ihrer beruflichen Tätigkeit) gegen Bescheide von Verwaltungsbehörden, die in letzter Instanz ergangen sind, wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben. Nach § 26 Abs. 1 erster Satz VwGG beträgt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde gemäß Art. 131 B-VG sechs Wochen. Diese Frist beginnt zufolge § 26 Abs. 1 Z. 4 VwGG in den Fällen des Art. 131 Abs. 2 B-VG dann, wenn der Bescheid auf Grund der Verwaltungsvorschriften dem zur Erhebung der Beschwerde befugten Organ zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung, sonst mit dem Zeitpunkt, zu dem dieses Organ von dem Bescheid Kenntnis erlangt hat.

Nach den Angaben in der Beschwerde wurde der bekämpfte Bescheid dem Beschwerdeführer nicht zugestellt (was der Rechtslage entspricht, da weder im ArbIG 1974 noch in den den Arbeitnehmerschutz regelnden Vorschriften eine Zustellung von in diesen Angelegenheiten ergangenen letztinstanzlichen Bescheiden an den Bundesminister für Arbeit und Soziales vorgesehen ist); er wurde ihm vielmehr vom Arbeitsinspektorat für den zweiten Aufsichtsbezirk zur Kenntnis gebracht, und zwar am 30. Oktober 1990. Die Beschwerdefrist des § 26 Abs. 1 VwGG hat demnach im Grunde der Z. 4 dieser Gesetzesstelle mit 11. Dezember 1990 geendet. Die an diesem Tag zur Post gegebene Beschwerde ist somit rechtzeitig erhoben worden.

2. § 8 AAV enthält Vorschriften über die Belichtung der Arbeitsräume, § 13 AAV solche über die Lüftung von Arbeitsräumen. Dabei handelt es sich um auf Grund des § 24 Arbeitnehmerschutzgesetz 1972 erlassene Verordnungsbestimmungen.

Gemäß § 31 Abs. 2 lit. p Arbeitnehmerschutzgesetz 1972 begehen Arbeitgeber und deren Bevollmächtigte, die den Vorschriften der auf Grund des § 24 dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen oder den auf Grund des § 27 dieses Bundesgesetzes vorgeschriebenen Bedingungen und Auflagen oder den erteilten Aufträgen zuwiderhandeln, eine Verwaltungsübertretung. Unmittelbare Täter der in § 31 Abs. 2 Arbeitnehmerschutzgesetz 1972 genannten Verwaltungsübertretungen können somit nur der Arbeitgeber und dessen Bevollmächtigte sein, nicht aber Dritte, wie etwa der Vermieter, der dem Arbeitgeber Räume vermietet, die den im Interesse des Arbeitnehmerschutzes bestehenden rechtlichen Anforderungen an Arbeitsräume nicht entsprechen.

Arbeitgeber der im Geschäftslokal der K. Ges.m.b.H. eingesetzten Arbeitnehmer ist diese Ges.m.b.H. und nicht der Vermieter. Die mP ist daher als Geschäftsführer dieser Ges.m.b.H. im Sinne des § 9 Abs. 1 VStG verantwortlich, wenn - ohne Zulassung durch das Arbeitsinspektorat im Sinne des § 8 Abs. 3 AAV - Arbeitnehmer in Arbeitsräumen, die den in Gesetz und Verordnung enthaltenen Anforderungen nicht entsprechen, beschäftigt werden.

Für die Strafbarkeit des Verhaltens der mP ist es ohne Bedeutung, daß ein Antrag der K. Ges.m.b.H. auf Zulassung einer Abweichung im Sinne des § 97 AAV vom Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten mit der Begründung zurückgewiesen wurde, sie sei nicht Inhaberin der Betriebsanlage. Entgegen der in der Gegenschrift der belangten Behörde vertretenen Auffassung entfaltete dieser Bescheid insbesondere keine bindende Wirkung im Sinne der fehlenden Strafbarkeit des Verhaltens der mP. Es ergibt sich vielmehr auch aus diesem Bescheid, daß eine Abweichung im Sinne des § 97 Abs. 2 AAV im Zeitpunkt der Tat (und auch zur Zeit der Erlassung des angefochtenen Bescheides) nicht rechtskräftig zugelassen war.

Da die belangte Behörde insoweit die Rechtslage verkannt hat und daher auf die Berufung des Arbeitsinspektorates nicht eingegangen ist, hat sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.

3. Für das fortzusetzende Verfahren sei im Hinblick auf diesbezügliche Ausführungen in der Gegenschrift der belangten Behörde darauf hingewiesen, daß die relative Unbescholtenheit, d. h. die Tatsache, daß der Beschuldigte nicht einschlägig vorbestraft ist, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keinen Milderungsgrund darstellt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Mai 1992, Zl. 90/19/0513, mit weiterem Judikaturhinweis). Im übrigen ist es aktenkundig (siehe die mit der Berufung des Arbeitsinspektorates vorgelegte Strafverfügung vom 2. Jänner 1989), daß die Vorstrafe einschlägig ist, liegt ihr doch eine Übertretung des § 8 Abs. 1 AAV in Ansehung desselben Geschäftslokales wie im Beschwerdefall zugrunde.

4. Aus den in II. 2. genannten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Schlagworte

Erschwerende und mildernde Umstände Allgemein Erschwerende und mildernde Umstände Diverses Erschwerende und mildernde Umstände Vorstrafen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1990190579.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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