Index
70/06 Schulunterricht;Norm
SchUG 1986 §17;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Puck, Dr. Waldner, Dr. Novak und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde der mj. LB in N, vertreten durch den Erziehungsberechtigten CB, dieser vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in X, gegen den Bescheid des Bundesministers für Unterricht und Kunst vom 31. Mai 1991, Zl. 1008/11-III/4/91, betreffend Berechtigung zum Aufsteigen in die nächsthöhere Schulstufe, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 2.760,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die stark hörbehinderte Beschwerdeführerin war im Schuljahr 1989/90 Schülerin der 1. Klasse einer Handelsschule in Wien, die sowohl von behinderten als auch von nicht behinderten Schülern besucht wurde.
Mit Entscheidung vom 18. Juni 1990 erklärte die Klassenkonferenz, daß die Beschwerdeführerin wegen negativer Beurteilungen in den Pflichtgegenständen Englisch einschließlich Fachsprache, Betriebswirtschaftslehre sowie Wirtschaftliches Rechnen zum Aufsteigen in die nächsthöhere Schulstufe nicht berechtigt sei.
Gegen diese Entscheidung erhob die Beschwerdeführerin Berufung, in der alle drei negativen Jahresbeurteilungen wie auch der darauf gestützte Ausspruch über die Nichtberechtigung zum Aufsteigen "als unzutreffend zurückgewiesen" wurden. Unter Hinweis auf den Lehrplan der Handelsschule für Körperbehinderte (BGBl. Nr. 387/1988, Anlage B/3) rügte die Beschwerdeführerin vor allem das Fehlen eines behindertenadäquaten Unterrichtes. Der Lehrstoff sei entgegen den Zielformulierungen dieses Lehrplanes nach den Maßstäben für Nichtbehinderte vorgetragen worden, ohne auf behinderungsbedingte Defizite der Sprachentwicklung der Beschwerdeführerin einzugehen. Ausreichende Hilfestellung zur Überwindung der sprachlichen Verunsicherung sei nicht geboten worden, sodaß die Basis zur Bewältigung sprachabhängiger Leistungen gefehlt habe. Ferner hätten es die Schulbehörden verabsäumt, rechtzeitig einen Sonderpädagogen zur Verfügung zu stellen, um so für einen Ausgleich der Behinderung zu sorgen. Auf Grund dieser Mängel sei keine adäquate Grundlage für eine positive Leistungserbringung geboten worden und daher auch keine Grundlage für eine Leistungsbeurteilung vorhanden gewesen.
Der Stadtschulrat für Wien wies die Berufung mit Bescheid vom 26. Juli 1990 ab und sprach aus, daß die Beschwerdeführerin zum Aufsteigen in die nächsthöhere Schulstufe nicht berechtigt sei. Die Beschwerdeführerin erhob auch gegen diesen Bescheid Berufung mit der bereits gegen die Entscheidung der Klassenkonferenz vorgebrachten Begründung.
Der Bundesminister für Unterricht und Kunst wies mit Bescheid vom 31. Mai 1991 die Berufung unter Bezugnahme auf die §§ 25 Abs. 1 und 71 Abs. 4 und 6 des Schulunterrichtsgesetzes - SchUG ab und sprach aus, daß die Beschwerdeführerin zum Aufsteigen in die 2. Klasse einer Handelsschule (§ 61 Abs. 2 SchOG) nicht berechtigt sei. Das Rechtsmittelverfahren nach § 71 SchUG stelle auf eine Überprüfung der von einem Berufungswerber erbrachten Leistungen ab. Dabei sei der Begriff "Leistungen" grundsätzlich in einem objektiven Sinn zu verstehen. Maßstab für die Beurteilung von Leistungen seien nicht das subjektive (= potentielle) Leistungsvermögen eines Schülers, sondern die Forderungen des Lehrplanes unter Bedachtnahme auf den jeweiligen Stand des Unterrichtes. Da in einem solchen Berufungsverfahren zu überprüfen sei, ob einem Schüler unter Zugrundelegung dieses objektiven Maßstabes bei der Leistungsbeurteilung die Berechtigung zum Aufsteigen zu Recht oder zu Unrecht verweigert worden sei, könnten Umstände, die mit diesem Maßstab nicht in unmittelbarem Zusammenhang stünden, nur so weit berücksichtigt werden, als die Bestimmungen des § 18 SchUG dies gestatteten. Organisatorische oder pädagogische Unzulänglichkeiten der Schule bzw. des Unterrichtes könnten hiebei nicht berücksichtigt werden. Derartige Mängel wären im Rahmen der Schulaufsicht abzustellen. Die Behörde legte sodann ausdrücklich dar, aus welchen Erwägungen sie die in Rede stehenden drei negativen Jahresbeurteilungen für zutreffend erachtete.
Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluß vom 25. November 1991, B 801/91, die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Die Beschwerdeführerin hat einen ergänzenden Schriftsatz erstattet, in dem sie die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde erstattet und die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Ausgehend von § 18 Abs. 1 SchUG, wonach Maßstab für die Leistungsbeurteilung die Forderungen des Lehrplanes sind, bringt die Beschwerdeführerin vor, nach dem Lehrplan der Handelsschule für Körperbehinderte sei unter anderem Bildungsziel die Integrierung von Behinderten bis zum höchsten individuell erreichbaren Grad psychischer, geistiger, sozialer, beruflicher und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Dieses Bildungsziel solle unter besonderer Berücksichtigung individueller bzw. Mehrfachbehinderung erreicht werden, um für Behinderte gleiche Startmöglichkeiten wie für Nichtbehinderte zu schaffen. Dementsprechend hätten die Klassenkonferenz und in der Folge die Berufungsinstanzen bei der Leistungsbeurteilung zunächst prüfen müssen, ob dieser erstrangigen Forderung des Lehrplanes entsprochen wurde, erst dann hätte eine Leistungsbeurteilung erfolgen dürfen. Tatsächlich sei die Behinderung der Beschwerdeführerin im Unterricht nicht berücksichtigt worden und habe ein behindertengerechter Unterricht nicht stattgefunden. Entgegen dem Gebot des § 17 Abs. 1 SchUG habe der Unterricht auf die Entwicklung der Schüler nicht Bedacht genommen und seien auch nicht die geeigneten Methoden angewendet worden. Da seitens der Schule die objektiven Voraussetzungen für eine Leistungsbeurteilung nicht erbracht worden seien, hätte eine Leistungsbeurteilung nicht erfolgen dürfen.
Diese Auffassung kann nicht geteilt werden.
Die Leistungsbeurteilung wird in den §§ 18 und 20 SchUG
geregelt.
Gemäß § 18 Abs. 1 SchUG hat der Lehrer die Beurteilung der Leistungen der Schüler in den einzelnen Unterrichtsgegenständen durch ständige Beobachtung ihrer Mitarbeit im Unterricht sowie durch in die Unterrichtsarbeit eingeordnete mündliche, schriftliche und praktische oder nach anderen Arbeitsformen ausgerichtete Leistungsfeststellungen zu gewinnen. Maßstab für die Leistungsbeurteilung sind die Forderungen des Lehrplanes unter Bedachtnahme auf den jeweiligen Stand des Unterrichtes. Die Abs. 6, 8, 9 und 12 regeln, inwiefern bei der Beurteilung der Leistungen von Schülern auf ihre körperliche Behinderung, mangelnde Anlagen, mangelnde körperliche Fähigkeiten oder mangelnde Kenntnis der Unterrichtssprache Bedacht zu nehmen ist.
Gemäß § 20 Abs. 1 SchUG hat der Lehrer der Beurteilung der Leistungen eines Schülers in einem Unterrichtsgegenstand auf einer ganzen Schulstufe alle in dem betreffenden Unterrichtssjahr erbrachten Leistungen (§ 18) zugrundezulegen, wobei dem zuletzt erreichten Leistungsstand das größere Gewicht zuzumessen ist. Dabei sind die fachliche Eigenart des Unterrichtsgegenstandes und der Aufbau des Lehrstoffes zu berücksichtigen.
Nach dem insoweit klaren Gesetzeswortlaut sind Gegenstand der Leistungsbeurteilung ausschließlich die "Leistungen der Schüler". Das Gesetz bietet keinen Anhaltspunkt für die Annahme, daß im Rahmen der Leistungsbeurteilung zunächst zu prüfen wäre, ob seitens der Schule bzw. der Lehrer den Anforderungen, die sich für sie aus den spezifischen Bildungszielen der Lehrpläne in bezug auf die Gestaltung des Unterrichtes bzw. die optimale Förderung der Schüler unter dem Blickwinkel ihrer allfälligen Behinderung oder sonstigen Mängel ergeben, in ausreichendem Maße entsprochen worden ist und daß gegebenenfalls von einer Leistungsbeurteilung Abstand zu nehmen wäre. Im schulischen Bereich gelegene Umstände, wie insbesondere auch eine Verletzung der Bestimmungen des § 17 SchUG über die Unterrichtsarbeit, die zu einer Leistung geführt haben, die mit "Nicht genügend" beurteilt worden ist, sind im Zusammenhang mit der Entscheidung der Klassenkonferenz über die Berechtigung zum Aufsteigen und deren Überprüfung durch die Schulbehörden gemäß § 71 SchUG ohne Einfluß (Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. Februar 1980, Zl. 1272/80, und vom 9. März 1981, Zl. 3420/80).
Da die von der Beschwerdeführerin behaupteten organisatorischen und pädagogischen Mängel im schulischen Bereich der Leistungsbeurteilung nicht entgegenstanden und bei dieser außer Betracht zu bleiben hatten, ist der angefochtene Bescheid nicht mit der in der Beschwerde geltend gemachten Rechtswidrigkeit des Inhaltes behaftet.
Die im Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 4. Mai 1991 beantragte Aufnahme von Beweisen für das Vorliegen "unzureichender Grundlagen für eine positive Leistungserbringung Hörbehinderter" konnte unterbleiben, da ach dem vorhin Gesagten die zu erweisenden organisatorischen und pädagogischen Mängel bei der Leistungsbeurteilung außer Betracht zu bleiben hatten. Daher liegt auch der gerügte Verfahrensmangel nicht vor.
Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, daß sich für den vorliegenden Fall aus § 2 Abs. 4 der Leistungsbeurteilungsverordnung, BGBl. Nr. 371/1974, nichts gewinnen läßt. Nach dieser Bestimmung ist eine Leistungsfeststellung u.a. insoweit nicht durchzuführen, als feststeht, daß der Schüler wegen einer körperlichen Behinderung eine entsprechende Leistung nicht erbringen kann. Im vorliegenden Fall geht es nicht um eine LeistungsFESTSTELLUNG, sondern um eine LeistungsBEURTEILUNG, und zwar um jene nach § 20 SchUG für eine Schulstufe, als Voraussetzung für das Aufsteigen in die nächsthöhere Schulstufe. Ein "Absehen" von dieser Leistungsbeurteilung ist weder im SchUG noch in der Leistungsbeurteilungsverordnung vorgesehen. Allerdings hat sich die Beschwerdeführerin - nach dem Gesagten zu Recht - nicht auf § 2 Abs. 4 dieser Verordnung berufen.
Die Richtigkeit der gegenständlichen drei Jahresbeurteilungen - gemessen an dem durch den Lehrplan vorgegebenen objektiven Maßstab - wurde und wird von der Beschwerdeführerin nicht bestritten.
Da sich die Beschwerde als nicht begründet erwiesen hat, ist sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich - im Rahmen des gestellten Antrages - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992100023.X00Im RIS seit
02.07.2001Zuletzt aktualisiert am
19.11.2014