TE Vfgh Erkenntnis 1990/2/27 B976/89

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Veröffentlicht am 27.02.1990
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Index

19 Völkerrechtliche Verträge
19/05 Menschenrechte

Norm

MRK Art3

Leitsatz

Verletzung des Beschwerdeführers im Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, durch Fesselung mit Handschellen während einer ca. einstündigen Einvernahme

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch seine von einem Organ der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vorgenommene Fesselung in einem Raum des Gendarmeriepostens Lustenau am 14. Juli 1989 in der Zeit von etwa 6.00 Uhr bis 7.00 Uhr im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, verletzt worden.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Vertreters die mit S 12.000,-- bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. In der auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird vorgebracht, Beamte des Gendarmeriepostens Lustenau hätten in den frühen Morgenstunden des 14. Juli 1989 im Zusammenhang mit einem vom Beschwerdeführer verursachten Verkehrsunfall eine Amtshandlung gegen den Beschwerdeführer durchgeführt. Im Zuge dieser Amtshandlung sei, als sich der Beschwerdeführer bereits am Gendarmerieposten Lustenau befunden habe, ein - namentlich genannter - Gendarmeriebeamter gegen den Beschwerdeführer tätlich geworden.

In der Folge sei der Kommandant des Gendarmeriepostens Lustenau erschienen und habe sich erkundigt, was vorgefallen sei. Der Beschwerdeführer sei dabei völlig ruhig gestanden bzw. gesessen. Der Postenkommandant habe daraufhin gefragt, warum der Beschwerdeführer ohne Handschellen sei, worauf dem Beschwerdeführer "plötzlich" Handschellen angelegt und mit dem Beschwerdeführer, während er die Handschellen angehabt habe, ein Protokoll aufgenommen worden sei. Der Beschwerdeführer sei dabei beim Schreibtisch gesessen. Die Vernehmung in Handschellen hätte etwa von 6.10 Uhr bis 7.00 Uhr früh gedauert. Die Handschellen seien dabei so fest angezogen gewesen, daß der Beschwerdeführer Schmerzen in den Händen gehabt und der Arzt nachher noch Hautabschürfungen und Rötungen habe feststellen können. Nach Beendigung der Vernehmung um ca. 7.00 Uhr seien die Handschellen abgenommen und der Beschwerdeführer "aus der Wachstube hinausgeworfen" worden. In der Beschwerde wird betont, daß der Beschwerdeführer schon vor dem Anlegen der Handschellen völlig ruhig gewesen sei und keinerlei Anlaß dafür bestanden habe.

Der Beschwerdeführer beantragt, der Verfassungsgerichtshof wolle erkennen, daß er durch das Anlegen von Handschellen und deren Belassung durch beinahe eine Stunde im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, sowie in anderen - näher bezeichneten - verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden sei.

2. Die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn hat als belangte Behörde in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt und zur Vorgeschichte der inkriminierten Fesselung hervorgehoben, der Beschwerdeführer sei am Gendarmerieposten Lustenau im Zuge der gegen ihn durchgeführten Amtshandlung gegen einen Gendarmeriebeamten tätlich geworden. Der Gendarmeriebeamte habe hiedurch - näher bezeichnete - leichte Verletzungen erlitten. Dem Beamten sei es schließlich möglich gewesen, den Beschwerdeführer "in einem Festhaltegriff zu fixieren", sodaß der Beschwerdeführer zu weiteren Angriffen nicht mehr in der Lage gewesen sei und sich schließlich beruhigt habe.

Um 5.15 Uhr des 14. Juli 1989 sei der Postenkommandant am Gendarmerieposten Lustenau eingetroffen. Der Beschwerdeführer habe zu diesem Zeitpunkt "noch ein erregtes Verhalten" gezeigt. Der Postenkommandant habe ihn daraufhin, um eine "gesicherte Einvernahme" durchführen zu können, "mit Handschellen am Rücken geschlossen". Während der Einvernahme habe sich der Beschwerdeführer nie wegen eventuell zu eng angelegter Handschellen beklagt. Der Beschwerdeführer sei nach erfolgter Einvernahme um etwa 7.10 Uhr auf freien Fuß gesetzt worden. Der Grund für das Anlegen der Handschellen sei darin gelegen, daß sich der Beschwerdeführer beim Eintreffen des Postenkommandanten um 5.15 Uhr immer noch erregt gezeigt habe und aufgrund seines vorherigen Verhaltens "mit weiteren Ausschreitungen" zu rechnen gewesen wäre.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Aufgrund des übereinstimmenden Parteienvorbringens sowie der vom Gendarmerieposten Lustenau gegen den Beschwerdeführer erstatteten Strafanzeige steht fest, daß dem Beschwerdeführer vor seiner Einvernahme vom Kommandanten des Gendarmeriepostens Lustenau Handschellen angelegt und nach der - mindestens eine Stunde dauernden - Protokollaufnahme wieder abgenommen wurden.

2. Die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. 210/1958 (EMRK), die gemäß dem Bundesverfassungsgesetz BGBl. 59/1964 Verfassungsrang hat, bestimmt in ihrem Art3, daß niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf.

Aus dem WaffengebrauchsG 1969 ist abzuleiten, daß auch die als weniger gefährliche Maßregel eingestufte Anwendung von Körperkraft im Rahmen exekutiver Zwangsbefugnisse, die sich als Mittel zur Überwindung eines auf die Vereitelung einer rechtmäßigen Amtshandlung gerichteten Widerstandes und zur Erzwingung einer Festnahme vom Waffengebrauch selbst nur graduell unterscheidet, denselben grundsätzlichen Einschränkungen wie die Waffenverwendung unterliegt, also zur Erreichung der vom Gesetz vorgesehenen Zwecke nur dann Platz greifen darf, wenn sie notwendig ist und maßhaltend vor sich geht, dann aber, d.h. unter diesen Voraussetzungen, wie der Waffengebrauch an sich nicht gegen Art3 EMRK verstößt. So stellt eine notwendige Fesselung (mit Handschellen), wie der VfGH ua. bereits in seinen Erkenntnissen VfSlg. 7081/1973, 8146/1977, 10018/1984 und 11327/1987 aussprach, keine hier allein in Betracht kommende "unmenschliche oder erniedrigende Behandlung" iS des Art3 EMRK dar.

3. Nach dem Vorbringen der belangten Behörde wurde der Beschwerdeführer deshalb gefesselt, weil er immer noch erregt gewesen sei und weil aufgrund seines vorherigen Verhaltens "mit weiteren Ausschreitungen" zu rechnen gewesen wäre. Der Beschwerdeführer stellt für den Zeitpunkt der Fesselung jede hiezu Anlaß gebende Gewalttätigkeit in Abrede. Dies stimmt mit den Angaben jenes Gendarmeriebeamten überein, gegen welchen der Beschwerdeführer vorher tätlich gewesen sein soll. Dieser Gendarmeriebeamte gab in einer vor dem Gendarmerieposten Lustenau mit ihm aufgenommenen Niederschrift an, der Beschwerdeführer habe, nach dem er (der Beamte) ihn schließlich losgelassen habe, sich beruhigt; der Beschwerdeführer sei zwar im Journaldienstraum auf- und abgegangen und habe immer wieder lautstark nach einem Anwalt verlangt, er habe aber keine Anstalten mehr gemacht, einen neuerlichen tätlichen Angriff zu starten. In der vom Gendarmerieposten Lustenau an die Staatsanwaltschaft Feldkirch gegen den Beschwerdeführer erstatteten Anzeige heißt es hiezu ausdrücklich: "Nachdem er dann vom Gendarmeriebeamten losgelassen worden war, verhielt sich S ruhig, das heißt, er startete keine neuerlichen Angriffe".

Angesichts dieser Umstände war die bekämpfte Fesselung also nicht etwa deshalb notwendig und geboten, um eine Gefährdung der körperlichen Sicherheit der einschreitenden Gendarmeriebeamten hintanzuhalten. Der Beschwerdeführer war nach den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten zu dem Zeitpunkt, als dieser Beamte (der Postenkommandant) erschien, zwar (immer noch) etwas erregt; irgendwelche konkreten Anhaltspunkte dafür, der Beschwerdeführer werde seine Tätlichkeiten wieder aufnehmen, werden aber von der belangten Behörde nicht vorgebracht; die für die Zulässigkeit einer Fesselung vorausgesetzte Möglichkeit einer Gefährdung der körperlichen Sicherheit war somit zu diesem Zeitpunkt (längst) entfallen.

Die bekämpfte Fesselung mit Handschellen war daher von Anfang an nicht notwendig, sodaß nicht untersucht zu werden braucht, ob die Notwendigkeit einer Fesselung nicht zumindest während der - nicht unbeträchtlichen - Dauer der Einvernahme weggefallen ist.

4. Es war daher der Beschwerde stattzugeben und spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen - lediglich in dieser Höhe begehrten - Kosten ist Umsatzsteuer von S 2.000,-- enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Fesselung, Mißhandlung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:B976.1989

Dokumentnummer

JFT_10099773_89B00976_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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