TE Vwgh Erkenntnis 1992/7/30 90/17/0403

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Veröffentlicht am 30.07.1992
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Index

L34003 Abgabenordnung Niederösterreich;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
20/02 Familienrecht;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
61/01 Familienlastenausgleich;

Norm

ABGB §140;
BAO §236 Abs1 impl;
BAO §236 Abs1;
EheG §70;
FamLAG 1967 §1;
LAO NÖ 1977 §183 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Kramer, Dr. Wetzel, Dr. Puck und Dr. Gruber als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär Mag. Wochner, über die Beschwerde der B K in U, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 22. August 1990, Zl. II/1-BE-28-8/3-90, betreffend Ablehnung eines Antrages auf Entlassung aus der Gesamtschuld (mitbeteiligte Partei: Stadtgemeinde V), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Bundesland Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Stadtgemeinde vom 12. Juli 1989 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 11. Mai 1989, sie "aus der zur Zeit aktuellen Gesamtschuld von S 64.874,21" hinsichtlich von Gemeindeabgaben (Hausbesitzabgaben betreffend die je zur Hälfte im Eigentum der Beschwerdeführerin und ihres geschiedenen Ehegatten stehende Liegenschaft EZ. nnn, KG. V, D-Straße) zu entlassen, gemäß § 184 NÖ Abgabenordnung 1977, LGBl. 3400-2, in Verbindung mit § 35 Abs. 2 Z. 18 lit. d NÖ Gemeindeordnung abgewiesen.

In ihrer dagegen erhobenen Vorstellung rügte die Beschwerdeführerin, daß die Gemeindeabgabenbehörde keinerlei Erhebungen gepflogen habe, obwohl sie in ihrem Antrag darauf hingewiesen habe, daß die Einhebung der Abgaben bei ihr nach Lage des Falles unbillig sei, zumal sie die Liegenschaft nicht bewohne und ihr keinerlei Erträgnisse aus der Liegenschaft zufielen. Auch hätte festgestellt werden sollen, daß sie für zwei Kinder sorgepflichtig sei, aber über kein Vermögen und nur über ein Einkommen verfüge, das knapp über dem Existenzminimum liege. Die "Einlösung der Schuld" würde zu einer wesentlichen Bedrohung ihrer Existenz führen.

Mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 12. Oktober 1989 wurde der Vorstellung der Beschwerdeführerin Folge gegeben, der mit Vorstellung bekämpfte Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde verwiesen; dies mit der Begründung, der mit Vorstellung bekämpfte Bescheid sei auf Grund eines mangelhaften Verfahrens erlassen worden, sei doch die Frage der Unbilligkeit der Einhebung der Abgaben bei der Beschwerdeführerin nicht Gegenstand des gemeindebehördlichen Ermittlungsverfahrens gewesen. Insbesondere sei die von der Beschwerdeführerin behauptete Möglichkeit der Existenzbedrohung abgetan worden, ohne daß dargelegt worden wäre, worauf sich die gegenteilige Sachverhaltsannahme gründe.

Im fortgesetzten gemeindebehördlichen Einhebungsverfahren machte die Beschwerdeführerin nähere Angaben über ihre wirtschaftliche Lage, so insbesondere über ihr monatliches Nettoeinkommen von S 11.445,-- einschließlich Familienbeihilfe und Unterhaltsbeitrag ihres geschiedenen Ehegatten für die gemeinsame minderjährige Tochter von monatlich S 1.450,-- bzw. S 1.696,--; ferner über verschiedene Aufwendungen, vor allem für ihre Mietwohnung (Wohnungsmiete monatlich S 4.336,--).

Mit Bescheid vom 26. März 1990 wies der Gemeinderat der mitbeteiligten Stadtgemeinde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Entlassung aus der Gesamtschuld neuerlich ab. Die Summe der die Liegenschaft betreffenden Gemeindeabgabenschuldigkeiten für den Zeitraum vom 1. Jänner 1986 bis 31. März 1990 belaufe sich mittlerweile auf S 80.620,99. Auf dem Grundstück befinde sich ein Belastungs- und Veräußerungsverbot. Die Liegenschaft werde durch den geschiedenen Ehegatten der Beschwerdeführerin genutzt, weswegen bei diesem auch in erster Linie die Eintreibung der Außenstände - allerdings erfolglos - versucht worden sei. Die minderjährige Tochter der geschiedenen Ehegatten lebe im Haushalt der Beschwerdeführerin. Unter Berücksichtigung der Familienbeihilfe von S 1.450,-- und des Unterhalts für die minderjährige Tochter von S 1.696,-- wurde das der Beschwerdeführerin zur freien Verfügung stehende monatliche Einkommen mit S 7.121,19 beziffert.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung bemängelte die Beschwerdeführerin, "daß einerseits die Familienbeihilfe, andererseits aber auch die Unterhaltsleistungen für meine Tochter S meinem verfügbaren Einkommen zugerechnet werden". Würden diese ihr zugeflossenen Mittel in die Berechnung einbezogen, so müsse "auch davon ausgegangen werden, daß die zur Verfügung stehenden Beträge für zwei Personen reichen müssen und daher schon aus diesem Grunde eine Gefährdung des Unterhaltes von nunmehr zwei Personen gegeben" sei.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde die Vorstellung der Beschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen; dies im wesentlichen mit folgender Begründung:

Die Entlassung aus der Gesamtschuld setze wie die Gewährung einer Nachsicht gemäß § 183 NÖ AO 1977 voraus, daß die Einhebung der Abgabe beim Antragsteller nach der Lage des Falles unbillig sei. Die Einkommenssituation der Beschwerdeführerin sei jedoch nicht so ungünstig, um von einer solchen Unbilligkeit der Abgabeneinhebung sprechen zu können. Stelle man nämlich die die Liegenschaft betreffende durchschnittliche jährliche Belastung von S 20.000,-- dem der Beschwerdeführerin im gleichen Zeitraum zur Verfügung stehenden Einkommen gegenüber, so stelle die Einhebung der Abgabe keine unbillige Härte dar. Die Beschwerdeführerin habe es bloß verabsäumt, rechtzeitig durch entsprechende Maßnahmen für eine allfällige Entrichtung der Abgaben Vorsorge zu treffen. Im Falle einer zivilrechtlichen Vereinbarung mit ihrem geschiedenen Ehegatten, wonach dieser die "aus dem Besitzstand resultierenden Kosten" zu tragen habe, könne sie sich an diesem schadlos halten. Die Auffassung, "daß die Familienbeihilfe bzw. Unterhaltszahlungen für die im selben Haushalt wohnende minderjährige Tochter nicht bei Ermittlung des zur Verfügung stehenden Einkommens berücksichtigt werden dürfen," sei in dieser Form unzutreffend. Maßgeblich sei vielmehr das der Beschwerdeführerin "frei zur Verfügung stehende Einkommen". Auch der Umstand, daß der Beschwerdeführerin kein Nutzungsrecht an der Liegenschaft zustehe, begründe keine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung, weil der Beschwerdeführerin ein "Teil des Substanzwertes der Liegenschaft" zufalle.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid dadurch in ihren Rechten verletzt, daß "die belangte Behörde entgegen den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens nicht erkannt hat, daß die Einhebung der fälligen Abgaben nach Lage des Falles unbillig" sei.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift ebenso wie die mitbeteiligte Stadtgemeinde die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 184 Abs. 1 NÖ AO 1977 kann auf Antrag eines Gesamtschuldners dieser aus der Gesamtschuld ganz oder zum Teil entlassen werden, wenn die Einhebung der Abgabenschulden bei diesem nach der Lage des Falles unbillig wäre. Durch diese Verfügung wird der Abgabenanspruch gegen die übrigen Gesamtschuldner nicht berührt.

Gemäß § 183 Abs. 1 NÖ AO 1977 können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. ...

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt eine Unbilligkeit der Einhebung im allgemeinen voraus, daß die Einbringung in keinem wirtschaftlich vertretbaren Verhältnis zu jenen Nachteilen stünde, die sich aus der Einziehung für den Steuerpflichtigen oder einen Steuergegenstand ergeben, daß also ein wirtschaftliches Mißverhältnis zwischen der Einhebung der Abgabe und den im subjektiven Bereich des Abgabepflichtigen entstehenden Nachteilen vorliegt. Dies wird insbesondere immer dann der Fall sein, wenn die Einhebung die Existenz des Abgabepflichtigen gefährden würde. Allerdings bedarf es zur Bewilligung einer Nachsicht nicht unbedingt der Gefährdung des Nahrungsstandes, der Existenzgefährdung, besonderer finanzieller Schwierigkeiten und Notlagen, sondern es genügt, daß die Abstattung der Abgabenschuld mit wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, die außergewöhnlich sind, so etwa, wenn die Abstattung trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Veräußerung von Vermögenschaften möglich wäre und diese Veräußerung einer Verschleuderung gleichkäme. Einbußen an vermögenswerten Interessen, die mit Abgabenleistungen allgemein verbunden sind und die jeden gleich berühren können, stellen eine Unbilligkeit dagegegen nicht dar. Jedenfalls muß es zu einer ANORMALEN Belastungswirkung und, verglichen mit ähnlichen Fällen, zu einem ATYPISCHEN Vermögenseingriff kommen. Eine Unbilligkeit der Abgabeneinhebung kann gegeben sein, wenn bei Anwendung des Gesetzes im Einzelfall ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt. Die Abgabennachsicht bzw. Entlassung aus der Gesamtschuld soll der Abgabenbehörde die Möglichkeit eröffnen, eine infolge der besonderen Umstände des Einzelfalles eingetretene besonders harte Auswirkung der Abgabenvorschriften, die der Gesetzgeber, wäre sie vorhersehbar gewesen, vermieden hätte, zu mildern (vgl. hiezu beispielsweise das hg. Erkenntnis vom 23. September 1988, Zl. 85/17/0121, und vom 21. Mai 1992, Zl. 88/17/0218, sowie die dort zitierten Belegstellen).

Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin schon im Verwaltungsverfahren ein in diese Richtung zielendes Vorbringen unter genauer Darlegung ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse und ihrer Sorgepflicht erstattet. Die belangte Behörde hat dagegen die von der Beschwerdeführerin behauptete Existenzgefährdung für den Fall der Einhebung der Abgaben bei ihr deswegen als nicht gegeben angesehen, weil sie einerseits die staatliche Familienbehilfe und andererseits die Unterhaltszahlungen des geschiedenen Ehegatten der Beschwerdeführerin für deren gemeinsames minderjähriges Kind als Teile des frei verfügbaren monatlichen Nettoeinkommens der Beschwerdeführer gewertet hat, aus dem die Abgabenabstattungen geleistet werden könnten.

Diese Rechtsansicht der belangten Behörde ist indes schon deswegen unzutreffend, weil es sich bei den genannten Geldleistungen um LEISTUNGEN handelt, AUS DENEN DER UNTERHALT

DER MINDERJÄHRIGEN TOCHTER DER BESCHWERDEFÜHRERIN BESTRITTEN

WERDEN SOLL. Diese Gelder standen und stehen daher der Beschwerdeführerin - anders als die belangte Behörde meint - nicht zur freien Verwendung für die Abgabenabstattung zur Verfügung. Läßt man diese Geldleistungen aber außer Ansatz, so beträgt das der Beschwerdeführerin frei zur Verfügung stehende monatliche Nettoeinkommen bloß S 3.975,19 (S 7.121,19 abzüglich S 1.450,-- und S 1.696,--). Bei der Höhe dieses Betrages läßt sich aber auch im Vergleich zu den im § 293 ASVG bestimmten Richtsätzen für Ausgleichszulagen zu Pensionen aus der Pensionsversicherung nicht sagen, daß die Einhebung der rückständigen Hausbesitzabgaben bei der Beschwerdeführerin nicht zu besonders harten Auswirkungen führen kann, die der Gesetzgeber, hätte er dies vorhergesehen, nicht gemildert hätte. Da die belangte Behörde auch nicht festgestellt hat, die Abgabenabstattung ließe sich ohne Verschleuderung des Vermögens durch Verwertung des der Beschwerdeführerin gehörenden Teiles des Substanzwertes der Liegenschaft bewirken, erweist sich die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende Rechtsansicht der belangten Behörde, im Beschwerdefall sei die Abgabeneinhebung bei der Beschwerdeführerin nicht - auch nicht teilweise - unbillig, als inhaltlich rechtswidrig.

Der angefochtene Bescheid mußte daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere auf deren Art. III Abs. 2. Stempelgebührenersatz war nur hinsichtlich der zur Beschwerdeführung notwendigen Urkunden zuzuerkennen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1990170403.X00

Im RIS seit

01.06.2001

Zuletzt aktualisiert am

22.09.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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