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L34009 Abgabenordnung Wien;Norm
BAO §184 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Kramer, Dr. Wetzel, Dr. Puck und Dr. Gruber als Richter, im Beisein des Schriftführers Oberkommissär Mag. Wochner, über die Beschwerde der R L in Wien, vertreten durch den Sachwalter Dr. H, Rechtsanwalt in N, gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien vom 3. Oktober 1990, Zl. MDR-L 8/90, betreffend Getränkesteuer und Nebenansprüche, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 15. Juni 1989 wurde gegenüber der Beschwerdeführerin die Getränkesteuer für den Zeitraum vom 1. Jänner 1986 bis 31. Oktober 1988 gemäß den "§§ 1 und 3 des Getränkesteuergesetzes für Wien 1971, LGBl. für Wien Nr. 2, in der geltenden Fassung und des Beschlusses des Wiener Gemeinderates vom 22. März 1985, Pr. Z. 921, über die Ausschreibung einer Abgabe auf den Verbrauch von Bier, verlautbart im Amtsblatt der Stadt Wien Nr. 17 vom 25. April 1985, sowie der §§ 145 und 149 Abs. 2 der Wiener Abgabenordnung - WAO, LGBl. für Wien Nr. 21/1962, in der geltenden Fassung" in Höhe von S 225.794,-- festgesetzt. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 104 Abs. 1 WAO "wegen unterlassener Einbringung der Getränkesteuererklärung" ein Verspätungszuschlag von S 10.183,-- und gemäß den §§ 164 und 166 WAO wegen nicht fristgerechter Entrichtung der Getränkesteuer ein Säumniszuschlag von S 1.217,-- vorgeschrieben. Dies im wesentlichen mit der Begründung, die vom Sachwalter der Beschwerdeführerin für den Streitzeitraum durchgeführte Getränkesteuerbemessung erweise sich ausgehend von den Geschäftsaufzeichnungen der Beschwerdeführerin, nämlich vom Wareneingangsbuch, vom Kassabuch und von den Einkaufsbelegen, und den bereits für einen früheren Revisionszeitraum von der Beschwerdeführerin anerkannten und im Hinblick auf die gleich gebliebenen Preise offenbar nach wie vor gültigen kalkulatorischen Aufschlagssätze je Getränkeart als zu niedrig. Unter Berücksichtigung von 5 vH Abschlag für Eigenverbrauch und Schwund ergebe sich eine Bemessungsgrundlage für die Getränkesteuer des Streitzeitraumes in der Höhe von S 2,257.938,71.
In ihrer dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin im wesentlichen vor, auf Grund ihres psychischen Zustandes (paranoid halluzinatorisches Zustandsbild mit Wahnideen und Sinnestäuschungen), der auch zur Beigebung eines Sachwalters geführt habe, sei sie bei Ausübung ihres Gewerbebetriebes so weit beeinträchtigt gewesen, "daß von einem ordnungsgemäßen Verkauf der Getränke unter tatsächlicher Einnahme einer durchschnittlichen Verdienstspanne nicht ausgegangen werden" könne, vielmehr angenommen werden müsse, "daß namhafte Mengen ohne entsprechendes Entgelt ausgeschenkt bzw. ohne Wissen" der Beschwerdeführerin entnommen worden seien. Die fehlende Kontrolle über die Getränkeentnahmen habe letztlich auch dazu geführt, daß der Betrieb mit 31. Oktober 1988 geschlossen worden sei und mit seiner Wiedereröffnung nicht gerechnet werden könne. Die vom Sachwalter abgegebenen Getränkesteuererklärungen, denen zufolge die Getränkesteuer im Streitzeitraum S 163.263,-- betragen habe, seien daher richtig. Infolgedessen seien auch die Nebenansprüche zu Unrecht festgesetzt worden.
Gegen eine in der Sache ergangene abweisliche Berufungsvorentscheidung stellte die Beschwerdeführerin, vertreten durch den Sachwalter, fristgerecht den Antrag auf Entscheidung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.
In einem weiteren, im Berufungsverfahren erstatteten Schriftsatz sprach die Beschwerdeführerin vom Vorliegen eines krankheitsbedingten Alkoholmißbrauches. Selbst unter Zugrundelegung der Prüfungsfeststellungen der MA 4-Revisionsstelle und bei Außerachtlassung der bei ihr vorgelegenen schweren Paraphrenie - mit Auftreten von Wahnideen und Sinnestäuschungen, halluzinatorischen Erlebnissen mit imperativen Charakter und Denkstörungen - seien die aufgeschlagenen Verdienstspannen und der Abschlag für Schwund zu ihrem Nachteil angenommen worden; erstere seien durchschnittlich zu hoch, letztere, da weit über das gesellschaftsübliche Ausmaß hinaus vorliegend und krankheitsmäßig bedingt, zu niedrig angesetzt worden.
In einem von der Beschwerdeführerin beigebrachten Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie heißt es unter anderem, daß bei der Beschwerdeführerin ab Ende 1985, wahrscheinlich auch schon im Laufe des Jahres 1984, eine akute psychotische Symptomatik bestanden habe, in deren Verlauf es auch zu vermehrtem Alkoholgenuß gekommen sei. Außer den "produktiven psychotischen Symptomen wie Wahnideen, Sinnestäuschungen und den daraus resultierenden krankheitsbestimmten Handlungen" sei eine Beeinträchtigung des geistigen Leistungsvermögens sowie eine Denkstörung nicht eingetreten, weshalb "außerhalb des krankheitsbedingten Sektors der Persönlichkeit" der Beschwerdeführerin ein völlig normales Agieren möglich gewesen sei, so z.B. auch das Führen einer Gastwirtschaft und aller damit verbundenen Aufgaben. Es sei aber bei ihrem Krankheitszustand sehr wahrscheinlich, daß ein unterdurchschnittliches Geschäftsergebnis (im Vergleich zu einer gesunden Person) erzielt worden sei. Eine Beeinträchtigung der routinemäßigen Angelegenheiten des Geschäftsbetriebes der Beschwerdeführerin auf Grund ihrer Krankheitssymptomatik sei mit großer Wahrscheinlichkeit nicht vorhanden gewesen. Je nach Intensität der Krankheitssymptomatik sei das Handeln der Beschwerdeführerin mehr oder weniger beeinträchtigt gewesen, es müsse aber im allgemeinen angenommen werden, daß zumindest seit 1985 ihr Handeln gehäuft durch die Krankheitssymptomatik bestimmt gewesen sei.
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde der erstinstanzliche Abgabenbescheid dahin abgeändert, daß die Getränkesteuer mit S 221.866,--, der Verspätungszuschlag nur für den Zeitraum von Jänner bis Oktober 1988 mit S 5.632,-- und der Säumniszuschlag mit S 1.138,-- festgesetzt wurde; im übrigen wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. In der Begründung heißt es nach Darstellung des Sachverhaltes und der maßgebenden Rechtsvorschriften im wesentlichen, die Vorgangsweise des Magistrates, die getränkesteuerpflichtigen Einnahmen ausgehend von den Einkäufen laut Wareneingangsbuch durch Hinzurechnung der durchschnittlichen Verdienstspanne bei den einzelnen Getränkearten zu ermitteln, sei unbedenklich. Die im Beschwerdefall zu Grunde gelegten Verdienstspannen seien schon bei der behördlichen Erhebung am 20. Juni 1986 angewendet worden. Konkrete Angaben, durch die die Richtigkeit der erstinstanzlichen Prüfungsfeststellungen in Zweifel gezogen werden könnte, habe die Beschwerdeführerin nicht erstattet. Bei der Behauptung, daß namhafte Getränkemengen ohne entsprechendes Entgelt ausgeschenkt bzw. ohne Wissen der Beschwerdeführerin aus dem Betrieb entnommen worden seien, handle es sich um bloße Vermutungen, die durch keinerlei objektive Beweise erhärtet worden seien. Daß in den Losungsaufzeichnungen erhebliche Einnahmen nicht aufschienen, vermöge die Erklärung darin zu finden, daß die Beschwerdeführerin diese Aufzeichnungen nicht ordnungsgemäß geführt und die Einnahmen Zwecken zugeführt habe, die buchmäßig keinen Niederschlag gefunden hätten. Dafür spreche, daß in der Urkunde des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien (vom 14. Oktober 1988), mit dem der Beschwerdeführerin ein Sachwalter zur Regelung der finanziellen Angelegenheiten, der steuerlichen Angelegenheiten, der Vertretung bei Gericht und Behörden sowie der Verwaltung des Einkommens und Vermögens beigegeben worden sei, davon die Rede sei, daß die Beschwerdeführerin Stimmen zu hören glaubte, die ihr die Führung einer Buchhaltung verboten hätten. Im Hinblick darauf sei von der beantragten Einvernahme der Beschwerdeführerin abgesehen worden, zumal sie nicht gehindert gewesen sei, durch ihren Sachwalter konkrete zielführende Angaben zu machen. Allerdings sei auf Grund des von ihr vorgelegten Gutachtens davon ausgegangen worden, daß der Eigenverbrauch an Alkoholika erheblich über jenem eines Normalverbrauchers gelegen gewesen sei. Der Eigenverbrauch bei alkoholischen Getränken sei daher mit 7,5 v.H. statt mit bis dahin 5 v.H. angesetzt worden. Der zusätzlich im Instanzenzug berücksichtigte Eigenverbrauch habe daher einen Wert von S 39.078,--. Die Getränkesteuererklärungen seien teils verspätet (so für das Jahr 1987), teils überhaupt nicht abgegeben worden (so für das Jahr 1988). Die wiederholte Säumnis, ihr relativ langer Zeitraum und der damit verbundene Verwaltungsaufwand rechtfertige die Festsetzung des Verspätungszuschlages in der Höhe von 10 V.H.; der Verspätungszuschlag sei aber nur für den Zeitraum Jänner bis Oktober 1988 verhängt worden, da für die Jahre 1986 und 1987 Abgabenerklärungen eingereicht worden seien. Der Säumniszuschlag sei gemäß § 164 Abs. 1 WAO mit 2 v.H. des nicht fristgerecht entrichteten Abgabenbetrages von S 56.924,--, sohin mit S 1.138,-- festzusetzen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde. Ihrem gesamten Vorbringen zufolge erachtet sich die Beschwerdeführerin in dem Recht verletzt, daß die Getränkesteuer für den Streitzeitraum nicht mit einem höheren Betrag als mit dem sich aus den Getränkesteuererklärungen ergebenden festgesetzt und der Beschwerdeführerin keine Nebenansprüche zur Getränkesteuer auferlegt werden.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Vorweg sei bemerkt, daß die Abgabenbehörden grundsätzlich berechtigt waren, den mit verschiedenen Warengruppen erzielten Umsatz der Beschwerdeführerin kalkulatorisch zu überprüfen (vgl. hiezu beispielsweise das zur BAO ergangene hg. Erkenntnis vom 8. April 1992, Zl. 90/13/0045, und das dort zitierte Vorerkenntnis). Erweisen sich danach Bücher oder Aufzeichnungen als sachlich unrichtig, so hat die Abgabenbehörde gemäß § 145 Abs. 3 WAO die Bemessungsgrundlagen der Abgabe zu schätzen.
Eine der zulässigen Methoden zur Überprüfung des Umsatzes besteht darin, daß auf den Wareneingang branchentypische oder betriebsspezifische Erfahrungssätze aufgeschlagen werden.
Im Beschwerdefall steht zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens die Höhe dieser Aufschlagssätze auf den (unbestrittenen) Wareneinkauf in Streit. Während die belangte Behörde diese Sätze unter Hinweis auf den der Beschwerdeführerin gewährten besonderen Abschlag für Eigenverbrauch und das Gleichbleiben der Preise aus der Vorprüfungsperiode für angemessen hält, ist die Beschwerdeführerin der Ansicht, diese Aufschlagssätze seien überhöht.
Die Beschwerdeführerin hat im Verwaltungsverfahren zu diesem Beweisthema eine Parteienvernehmung beantragt, die von der belangten Behörde aber nicht durchgeführt wurde. Schon auf Grund dieses Umstandes haftet dem Verwaltungsverfahren ein wesentlicher Mangel an, kann doch auf Grund der durchgeführten Erhebungen keineswegs mit Sicherheit ausgeschlossen werden, daß die belangte Behörde bei Durchführung der Parteienvernehmung nicht zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können: Aus dem Gleichbleiben der Preise aus der Vorprüfungsperiode kann nämlich nicht zwingend darauf geschlossen werden, daß sich die Kalkulation im Betrieb der Beschwerdeführerin nicht geändert hätte; denkbar ist vielmehr auch der Fall, daß die Getränkeverkaufspreise zu Lasten der Gewinnspannen gleichgehalten wurden. Die Beschwerdeführerin ist auch berechtigt, trotz Anerkennung der Aufschlagssätze für die Vorprüfungsperiode deren Unrichtigkeit geltend zu machen und zu beweisen oder zumindest glaubhaft zu machen.
Ein weiterer wesentlicher Verfahrensmangel liegt auch darin, daß die belangte Behörde nicht festgestellt hat, welche Getränkebestände zu Beginn und zum Ende des Streitzeitraumes im Betrieb der Beschwerdeführerin vorhanden gewesen sind; dies wäre im Beschwerdefall im Hinblick darauf erforderlich gewesen, daß der Betrieb der Beschwerdeführerin mit dem Ende des Streitzeitraumes geschlossen worden ist und nicht auszuschließen ist, daß die Beschwerdeführerin etwa wegen ihrer Krankheit den Getränkevorrat nicht reduziert, sondern sogar erhöht hat, worauf bei der Kalkulation Bedacht zu nehmen gewesen wäre. Überhaupt hätte die belangte Behörde erheben müssen, inwieweit die aktenkundige Krankheit der Beschwerdeführerin für die Art der Geschäftsführung und für deren Ergebnisse über das durch den Schwund berücksichtigte Ausmaß hinaus von Bedeutung war.
Auf Grund des Gesagten mußte der angefochtene Bescheid sowohl hinsichtlich der Getränkesteuer als auch hinsichtlich der Nebenansprüche hiezu, sohin also in seinem gesamten Umfang, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich - im Rahmen des gestellten Antrages - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers, BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere auf deren Art. III Abs. 2. Die Umsatzsteuer ist den Pauschalsätzen dieser Verordnung bereits berücksichtigt.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1990170446.X00Im RIS seit
30.07.1992Zuletzt aktualisiert am
20.12.2010