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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
VwGG §26 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schubert sowie die Hofräte Dr. Hnatek und Dr. Karger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kirchmayr, in den Beschwerdesachen des Dr. N, Rechtsanwalt in G, als Masseverwalter im Konkursverfahren über die S GmbH in G, gegen die Bescheide (Berufungsentscheidungen) der Finanzlandesdirektion für Steiermark vom 25. Juli 1991, B 86-6/91, betreffend Zurückweisung des Antrages auf Aussetzung der Einhebung vom 7. März 1991, sowie vom 25. Juli 1991, B 87-6/91, betreffend Abweisung des Antrages auf Aussetzung der Einhebung vom 15. April 1991, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
Der Masseverwalter hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von 6.070 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Am 23. Oktober 1991, somit kurz vor Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der im Spruch dieses Beschlusses genannten Gemeinschuldnerin (in der Folge: GmbH) am 28. Oktober 1991, gab deren, mit einer auch gegenüber Abgabenbehörden wirkenden Vollmacht, die das Recht, Zustellungen anzunehmen umfaßt, versehene Prokurist (BL) von ihm unterfertigte Beschwerden gegen die im Spruch dieses Beschlusses genannten Bescheide zur Post. Als Zustelldatum wurde der 11. September 1991 angegeben. Da somit die im § 26 Abs 1 VwGG normierte Frist von sechs Wochen gewahrt schien, leitete der Verwaltungsgerichtshof nach Verbesserung der Beschwerden durch den Masseverwalter Vorverfahren ein. Aus den daraufhin von der belangten Behörde gleichzeitig mit den Gegenschriften vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich, daß die angefochtenen Bescheide nicht am 11. September 1991, sondern bereits durch Hinterlegung am 1. August 1991 zugestellt wurden. Unter Hinweis auf die aktenkundigen, bereits am 1. August 1991 erfolgten Zustellungen teilte der Verwaltungsgerichtshof dem Masseverwalter mit Verfügungen vom 21. Februar 1992 mit, die im § 26 Abs 1 VwGG normierte Frist zur Erhebung der Beschwerden scheine versäumt; es stehe dem Masseverwalter jedoch frei, hiezu Stellung zu nehmen.
Unter Bezugnahme auf die eben erwähnten Verfügungen gab der Masseverwalter bekannt, die Verständigungen über die Hinterlegung der angefochtenen Bescheide am 1. August 1991 seien zu Unrecht an der Zustelladresse S-gasse 4 zurückgelassen worden. Die richtige und auch von der belangten Behörde angegebene Zustelladresse wäre nämlich S-gasse 10 gewesen. Durch die Zurücklassung der Verständigungen bei einer unrichtigen Zustelladresse seien keine Fristen in Lauf gesetzt worden. Erst durch die am 11. September 1991 erfolgte eigenhändige Zustellung der angefochtenen Bescheide an den Prokuristen sei die im § 26 Abs 1 VwGG normierte Frist in Lauf gesetzt und auch eingehalten worden. Zum Beweis der Richtigkeit seines Vorbringens legte der Masseverwalter zwei eidesstättige Erklärungen vor, in denen Renate Pe und Martin Pi erklären, der Postbeamte habe fälschlicherweise immer an S-gasse 4 und nicht an S-gasse 10 zugestellt.
In Beantwortung einer Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. März 1992, in der der Vorstand des Zustellpostamtes um Auskunft über die Zustellvorgänge hinsichtlich der angefochtenen Bescheide ersucht wurde, teilte ein Organwalter des postamtlichen Erhebungsdienstes folgendes mit:
"Die Zustellung der beiden RSa-Briefe (ergänze: die Verständigungen über die Hinterlegung am 1. August 1991) erfolgte an der Anschrift S-gasse 4.
Laut Handelsregisterauszug hat ursprünglich die Adresse der GmbH S-gasse 4 gelautet. Dann erfolgte im Jahr 1989 eine Adreßänderung auf S-gasse 10, aber eine Zustellung an dieser Adresse war niemals möglich, da das Büro der GmbH immer versperrt war. Aus diesem Grund hatte Herr BL (Prokurist) von uns persönlich verlangt, sämtliche RS-Briefe an die GmbH, S-gasse 10, im Silbergeschäft des Hauses S-gasse 4 zuzustellen, da er nur dort anzutreffen war. Dieses Verlangen galt sinngemäß für alle Firmen, für die Herr
BL übernahmsberechtigt war.
Die Zustellung funktionierte dann bis zu dem Zeitpunkt ohne Beschwerden, als Herr BL im ersten Stock des Hauses S-gasse 4 sein Büro bezog. Er ließ nämlich den Zusteller nicht in die Büroräume vor. Da die Zustellung unter solchen Umständen nicht zu vollziehen war, sprach unser Erhebungsbeamter bei Herrn BL vor, und man einigte sich dahingehend, daß Herr BL in das Silbergeschäft heruntergeholt wurde, wenn Rückscheinbriefe zu übernehmen waren. War Herr BL zum Zeitpunkt eines Zustellversuches nicht anwesend, wurden die Verständigungen über die Hinterlegung eines Schriftstückes einem Angestellten übergeben, der diese wiederum Herrn BL aushändigte. Herr BL hat an der Adresse S-gasse 4, unter den Bedingungen wie vereinbart, sämtliche Rückscheinbriefe für die Firmen, für die er übernahmsberechtigt war, ohne Beschwerden übernommen, auch, wenn die Adressen nicht auf S-gasse 4 lauteten. Ebenso wurden die hinterlegten Rückscheinbriefe
anstandslos von ihm behoben.
Zur weiteren Erklärung muß noch hinzugefügt werden, daß es sich bei den Häusern S-gasse 4 bis 10 um einen großen, zusammenhängenden Gebäudekomplex handelt."
In Stellungnahmen zu den dem Masseverwalter vom Verwaltungsgerichtshof mit Verfügungen vom 24. April 1992 zur Kenntnis gebrachten Ausführungen des Organwalters des postamtlichen Erhebungsdienstes wies der Masseverwalter zunächst darauf hin, daß die Verständigungen über die Hinterlegung der angefochtenen Bescheide - wie von der Post zugegeben - an der unrichtigen Zustelladresse zurückgelassen worden seien. Es entspreche jedoch nicht den Tatsachen, daß der Prokurist einem Postbeamten verboten oder mit diesem eine Vereinbarung getroffen hätte, es sollten Rückscheinbriefe ausnahmslos an die Anschrift S-gasse 4 zugestellt werden. Eine derartige Vorgangsweise würde auch § 4 ZustG widersprechen. Habe sich nämlich eine Behörde für eine Abgabestelle entschieden, so könne das Zustellorgan von selbst an keiner anderen als an der auf dem jeweiligen Rückscheinbrief angeführten Zustelladresse eine Verständigung über die Hinterlegung zurücklassen. Die Zustellungen durch Hinterlegung der angefochtenen Bescheide am 1. August 1991 seien daher mangels zulässiger Zurücklassung der Verständigungen über die Hinterlegung an der Adresse S-gasse 4 rechtswidrig erfolgt. Der Prokurist habe zwar jederzeit und an jedem Ort, somit nicht nur in der S-gasse 4, sämtliche Rückscheinbriefe für die von ihm vertretenen Unternehmungen übernommen. Dies führe aber noch nicht dazu, daß das Zustellorgan an einer unrichtigen Abgabestelle (S-gasse 4) Verständigungen über die Hinterlegung zurücklassen dürfe. Zum Beweis der Richtigkeit seines Vorbringens legte der Masseverwalter eine eidesstättige Erklärung des Prokuristen vor, in der dieser behauptet, niemals einem Postbeamten verboten oder mit diesem vereinbart zu haben, daß er nicht an die auf den zuzustellenden Schriftstücken aufscheinenden Anschriften der GmbH zustellen solle.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerdesachen wegen ihrer Gleichartigkeit zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und hält dem Masseverwalter folgendes entgegen:
Gemäß § 4 ZustG ist Abgabestellte ua der Sitz. An dieser Abgabestelle können, falls sich der Vertreter iSd § 13 Abs 3 ZustG dort regelmäßig aufhält, Verständigungen über die Hinterlegung von Schriftstücken nach § 17 Abs 2 leg cit zurückgelassen werden.
Der mit Zustellbefugnis versehene Prokurist ist gegenüber den Abgabenbehörden als Vertreter der GmbH genannt worden und wurden die Zustellungen der angefochtenen Bescheide auch zu seinen Handen verfügt, wobei als Zustelladresse S-gasse 10 angeführt wurde.
Wie sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakten ergibt, ist auf den Geschäftspapieren der GmbH der Sitz sowohl mit S-gasse 4 als auch 10 angegeben. Im Beschluß über die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der GmbH ist als Sitz S-gasse 4 bzw 10 angegeben. Bei den Häusern S-gasse 4 bis 10 handelt es sich - was auch vom Masseverwalter nicht in Abrede gestellt wird - um einen großen, zusammenhängenden Gebäudekomplex.
Bei dieser Sachlage glaubt der Verwaltungsgerichtshof den Ausführungen des Organwalters des postamtlichen Erhebungsdienstes, daß mit dem Prokuristen - der, wie dem Verwaltungsgerichtshof bekannt ist, tatsächlich die Geschäfte der GmbH leitete - eine Vereinbarung über die Zustellung von RS-Briefen ungeachtet der von der jeweiligen Behörde verfügten Zustellung an die Adresse S-gasse 4 getroffen wurde. Den gegenteiligen Ausführungen des Masseverwalters bzw des Prokuristen glaubt der Verwaltungsgerichtshof schon deswegen nicht, weil Postbeamte nicht immer falsch zustellen (vgl die eidesstättigen Erklärungen der R Pe und des Martin Pi, von denen nicht einmal bekannt gegeben wurde, wie sie zu ihrem Wissen gelangt seien und welche Stellung sie in der GmbH innehatten) und vom Prokuristen die Annahme von Schriftstücken an der Adresse S-gasse 4 auch dann nicht verweigert wurde, wenn auf diesen als Zustelladresse S-gasse 10 vermerkt war. Dies spricht einerseits für das Bestehen einer dementsprechenden Vereinbarung, anderseits dafür, daß als Abgabestelle iSd § 4 ZustG auch S-gasse 4 anzusehen war. Es war daher sowohl die Andresse S-gasse 4 als auch die Adresse S-gasse 10 ungeachtet der jeweiligen Anschrift auf den RS-Briefen als Abgabestelle anzusehen. Vom Masseverwalter wird auch nicht behauptet, daß der Postzusteller Grund zur Annahme gehabt habe, der Prokurist habe sich am 1. August 1991 nicht regelmäßig an der Abgabestelle S-gasse 4 aufgehalten.
Die Zurücklassung der Verständigungen über die Hinterlegung der angefochtenen Bescheide an der Adresse S-gasse 4 und damit deren Zustellung am 1. August 1991 erfolgte somit zu Recht, weswegen die im § 26 Abs 1 VwGG normierte Frist versäumt ist. Die Beschwerden waren daher gemäß § 34 Abs 1 VwGG zurückzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl Nr 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1991140214.X00Im RIS seit
07.08.1992