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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
VwGG §46 Abs1;Betreff
Der VwGH hat über den Antrag der 1) Firma F GesmbH & Co KG in N, 2) Dr. M, 3) G, beide ebenda, sämtliche vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in T, ihnen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Mängelbehebung laut dem Auftrag des VwGH vom 22. 4. 1992, 92/14/0055-2, in ihrer Beschwerdesache gegen die FLD für OÖ gegen deren Bescheid vom 14. 12. 1990, Zl. 4/60/4-BK/D-1990, betreffend Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO bzw. Gewerbesteuer für die Jahre 1985 und 1986 sowie Umsatzsteuer für das Jahr 1987, zu bewilligen, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Dem Antrag wird stattgegeben.
Begründung
Den Antragstellern war als Beschwerdeführern im Mängelbehebungsauftrag vom Verwaltungsgerichtshof unter Fristsetzung auch aufgetragen worden, eine weitere Ausfertigung der ursprünglichen (an den Verfassungsgerichtshof gerichteten und von diesem dem Verwaltungsgerichtshof abgetretenen) Beschwerde für den Bundesminister für Finanzen beizubringen.
Da diesem Auftrag nicht entsprochen worden war - es wurde ein Schriftstück vorgelegt, dem sowohl die Bezeichnung des Vertreters der Beschwerdeführer als auch eine Unterschrift fehlte - wurde das Beschwerdeverfahren vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluß vom 2. Juni 1992 eingestellt. Dieser Beschluß wurde dem Vertreter der Beschwerdeführer am 24. Juni 1992 zugestellt.
In ihrem Antrag vom 1. Juli 1992, der auch an diesem Tag zur Post gegeben wurde, beantragen die ehemaligen Beschwerdeführer die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Mängelbehebungsfrist unter gleichzeitiger Vorlage einer Ausfertigung der ursprünglichen Beschwerde.
Zur Begründung tragen sie vor, der Antrag sei rechtzeitig, weil die Beschwerdeführer (ihr Vertreter) erst durch die Zustellung des Einstellungsbeschlusses von dem Hindernis, das der rechtzeitigen (vollständigen) Mängelbehebung entgegengestanden sei, Kenntnis erlangt hätten. Dieses Hindernis sei in folgenden Ereignissen gelegen gewesen:
Der Vertreter der Antragsteller und ehemaligen Beschwerdeführer habe die Mängelbehebung rechtzeitig in seine Textverarbeitung diktiert und sich die hergestellten Schriftstücke nach Rückkehr von einer Auslandsreise am letzten Tag der Mängelbehebungsfrist von seiner Kanzleiangestellten zur Unterfertigung und Anbringung der Stampiglie vorlegen lassen. Nachdem er bereits den Mängelbehebungsschriftsatz in der erforderlichen Ausfertigungszahl mit der Kanzleistampiglie und seiner Unterschrift versehen gehabt habe, sodaß es nur noch der Anbringung der Stampiglie sowie der Unterschrift auf der ursprünglichen Beschwerde bedurft hätte, sei er telefonisch dringend zu einem ständigen Klienten in dessen Geschäftsräume im selben Haus gebeten worden, um diesem Belehrungen zu erteilen, deren der Klient vor einer Unterschriftsleistung auf einer Pfandbestellungsurkunde noch bedurfte. Der Termin in der betreffenden Sache sei beim Notar bereits für 17.00 Uhr desselben Tages festgesetzt gewesen. Der Vertreter der Antragsteller habe sich daraufhin zu dem Klienten begeben und deshalb seine Tätigkeit am gegenständlichen Aktenvorgang, der auf seinem Schreibtisch liegen geblieben sei, unterbrochen. Während seiner Abwesenheit habe die Kanzleikraft in der irrigen Meinung, es seien bereits alle Exemplare unterschrieben und mit der Kanzleistampiglie versehen, die betreffenden Aktenteile vom Schreibtisch genommen und zur Postabfertigung gegeben. Der Vertreter der Antragsteller sei nach ca. 20 Minuten in seine Kanzlei zurückgekehrt und sogleich wieder durch mehrere Telefonate aufgehalten worden. In der Zwischenzeit war seinem Gedächtnis entfallen, daß er die Stampiglie und die Unterschrift auf der weiteren Ausfertigung der ursprünglichen Beschwerde noch nicht angebracht gehabt hatte, sodaß die Aktenstücke von der Kanzleikraft ohne diese Ergänzung zur Post gegeben worden waren. Hierauf wurde er erst durch den Einstellungsbeschluß aufmerksam gemacht.
Nach Ansicht der Antragsteller liege höchstens ein minderer Grad des Versehens vor.
Zur Bescheinigung des Vorbringens legten die Antragsteller eidesstättige Erklärungen ihres Vertreters, seiner erwähnten Kanzleikraft und des genannten Klienten ebenso vor wie Ablichtungen von Urkunden dieses Klienten, die mit dem erwähnten dringenden Geschäft in Zusammenhang gestanden seien.
Der belangten Behörde wurde Gelegenheit gegeben, sich zu dem Antrag binnen einer Woche zu äußern. Hievon wurde kein Gebrauch gemacht.
Der Verwaltungsgerichtshof hält den im Antrag geschilderten Sachverhalt auf Grund der vorgelegten eidesstättigen Erklärungen, die ihm unbedenklich erscheinen, für glaubhaft gemacht.
Ausgehend von diesem Sachverhalt ist der Antrag gemäß § 46 Abs 3 VwGG rechtzeitig erhoben.
Die Abberufung des Vertreters der Antragsteller vor der abschließenden Erledigung des Mängelbehebungsauftrages durch den geschilderten Vorgang, das irrtümliche Abtragen des Aktens und dessen Abgabe zur Post durch die Kanzleikraft und das Vergessen des Vertreters der Antragsteller im Drange der Geschäfte auf den unterbrochenen Arbeitsvorgang nach Rückkehr in die Kanzlei bilden als Gesamtheit ein unvorhergesehenes Ereignis im Sinne des § 46 Abs 1 VwGG, durch das die Frist versäumt wurde.
Zwar kann von einer Schuldlosigkeit an den für die Säumnis wesentlichen Elementen dieses Sachverhaltskomplexes, nämlich dem Liegenlassen des nur zum Teil unterfertigten Aktes am Schreibtisch ohne Rücksprache mit der Kanzleikraft und dem Vergessen auf diesen Vorgang nach der Rückkehr in die Kanzlei nicht gesprochen werden. Die notwendige Sorgfalt hätte es geboten, durch entsprechende Maßnahmen etwa einen Hinweis gegenüber der Kanzleikraft, ein irrtümliches Abtragen hintanzuhalten. Dafür, daß das Vergessen auf Grund besonderer Umstände (etwa Krankheit) nicht zum Verschulden gereiche, fehlt es an einem entsprechenden Vortrag.
Den Antragstellern ist aber darin beizupflichten, daß auf Grund des Zusammentreffens zahlreicher widriger Umstände eine Situation entstanden ist, die den Fehler als einen solchen kennzeichnet, der auf Grund einer leichten Fahrlässigkeit begangen wurde, weil er gelegentlich auch einem sorgfältigen Menschen unterlaufen kann (vgl. Koziol-Welser, Grundriß des Bürgerlichen Rechts, 9. Auflage, Band I., 451). Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist nämlich als leichte Fahrlässigkeit zu verstehen (vgl. die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Auflage, auf Seite 663 zitierte Judikatur).
Da es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt, das zur Säumnis geführt hat, steht das Verschulden des Vertreters der Antragsteller, das diesen als Beschwerdeführern zuzurechnen ist, der Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht im Weg.
Dem Antrag war daher stattzugeben.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992140127.X00Im RIS seit
07.08.1992