TE Vfgh Erkenntnis 1990/3/1 V5/89

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Veröffentlicht am 01.03.1990
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art18 Abs2 B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität Tir RaumOG §28 Tir RaumOG §9 Abs1 "Bebauungsplan Nr 66/ag, beschlossen vom Gemeinderat der Landeshauptstadt Innsbruck am 15.12.1983"

Leitsatz

Präjudizialität nur von Teilen des angefochtenen Bebauungsplanes; Verordnung gesetzmäßig - keine Bedenken gegen Inhalt und Art des Zustandekommens

Spruch

Dem Antrag wird, soweit er sich auf die GP 1248, KG Hötting bezieht, nicht Folge gegeben.

Im übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) Der Verwaltungsgerichtshof beantragt gemäß Art139 B-VG, die Verordnung "Bebauungsplan Nr. 66/ag, beschlossen vom Gemeinderat (der Landeshauptstadt Innsbruck) am 15.12.1983" zur Gänze als gesetzwidrig aufzuheben, in eventu auszusprechen, daß diese Verordnung gesetzwidrig war.

b) Diesem Antrag liegt eine beim Verwaltungsgerichtshof gegen einen Berufungsbescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Innsbruck vom 11. März 1986 erhobene Beschwerde zugrunde. Mit dem Berufungsbescheid ist - unter anderen gestützt auf den Bebauungsplan Nr. 66/ag vom 15. Dezember 1983 - die (straßenrechtliche) Baubewilligung für den Ausbau des Knappenweges im Bereich der GP 1248, KG Hötting erteilt worden. Die beim Verwaltungsgerichtshof beschwerdeführende Partei ist Eigentümerin dieses Grundstückes, auf welchem in dem bekämpften Bebauungsplan ein Umkehrplatz vorgesehen ist.

c) Der Verwaltungsgerichtshof begründet - ausgehend davon, daß der Bebauungsplan Nr. 66/ag eine der Rechtsgrundlagen des bei ihm angefochtenen Bescheides darstelle - seine inhaltlichen Bedenken gegen den Bebauungsplan wie folgt:

"Der Verwaltungsgerichtshof geht nach der Aktenlage davon aus, daß sich die gegenständliche Verordnung als eine Änderung 'des Bebauungsplan(es) Nr. 407, genehmigt von der Tiroler Landesregierung mit Zl. Ve-782/9 vom 11. November 1953' (vgl. das Schreiben des Stadtplanungsamtes vom 11. Jänner 1982) darstellt, die der Übergangsvorschrift des §31 Abs3 des Tiroler Raumordnungsgesetzes, LGBl. für Tirol Nr. 10/1972 (im folgenden mit TROG bezeichnet), zu unterstellen ist, wonach bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes in Geltung gestandene Verbauungspläne (Wirtschaftspläne) bis zur Erlassung der Flächenwidmungs- bzw. Bebauungspläne, die den Bestimmungen dieses Gesetzes entsprechen, in Kraft bleiben. Nach §31 Abs3 letzter Satz TROG sindfür die Änderung bestehender Verbauungspläne die Bestimmungen dieses Gesetzes anzuwenden.

Im Hinblick auf die besondere Bedeutung der Vorschriften des Gesetzes über die Erarbeitung der Entscheidungsgrundlagen bei Raumordnungsplänen (vgl. die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes Slg. 8280/1978 und 8330/1978) hat der Verwaltungsgerichtshof Bedenken, ob der Verordnungsgeber die im Gesetz zur Gewinnung einer ausreichenden Entscheidungsgrundlage vorgesehene Vorgangsweise eingehalten hat.

Nach §8 Abs3 TROG ist die örtliche Raumordnung in zwei Stufen durchzuführen, nämlich durch Erstellung des Flächenwidmungsplanes und durch Erstellung des Bebauungsplanes. Die beiden Pläne sind nach §8 Abs4 TROG 'Verordnungen der Gemeinde'.

Gemäß §9 Abs1 TROG sind 'als Grundlage für die örtliche Raumordnung die hiefür bedeutsamen Gegebenheiten zu erheben und in einer Bestandsaufnahme festzuhalten'.

Daraus ergibt sich der Auftrag des Gesetzgebers, vor Erstellung und auch vor Abänderung eines Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes ausreichende Entscheidungsgrundlagen zu beschaffen, insbesondere die für eine bestimmte Widmung maßgeblichen Voraussetzungen erforschen zu lassen und die Ergebnisse dieser Forschung auch festzuhalten (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes Slg. 8330/1978).

Da den dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Materialien keine derartigen Unterlagen entnommen werden können, hat der Verwaltungsgerichtshof Bedenken, ob die für eine Änderung des Bebauungsplanes bedeutsamen Gegebenheiten erhoben und festgehalten wurden, insbesondere ob wichtige Gründe für eine Planänderung vorliegen und ob durch die Änderung wesentliche private Interessen beeinträchtigt werden; nach §28 Abs2 des TROG in der Fassung der 2. Raumordnungsgesetz-Novelle dürfen nämlich Flächenwidmungs- und Bebauungspläne nur geändert werden, soweit wichtige Gründe hiefür vorliegen und die Änderung den Zielen der örtlichen Raumplanung nicht widerspricht. Bei der Prüfung der Frage, ob ein wichtiger Grund vorliegt, ist auch in Erwägung zu ziehen, ob durch die Änderung wesentliche private Interessen beeinträchtigt werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat auch das Bedenken, daß das vom Gesetzgeber eingeräumte Planungsermessen unsachlich genützt wurde. So vermag der Verwaltungsgerichtshof - mangels Entscheidungsgrundlagen - nicht zu erkennen, daß - unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit des Vorliegens wichtiger Gründe für eine Planänderung - die Anordnung der beschwerdegegenständlichen Umkehrschleife nicht bei Beibehaltung der (vormals) bestehenden Trasse der Ringstraße entbehrlich wäre. In diesem Sinne äußerte sich der Städtische Zentralhof Reichenau im Schreiben vom 3. Jänner 1982, daß ein Umkehrplatz für das Müllauto nur dann notwendig sei, wenn der derzeit bestehende Straßen-Rundkurs unterbrochen werde. Auch das Kommando der Feuerwehr der Stadt Innsbruck erklärte im Schreiben vom 4. Februar 1982, daß der angeführte Umkehrplatz für einen Feuerwehreinsatz nicht erforderlich sei bzw. unter Berücksichtigung der derzeitigen Verbauung die vorhandenen Straßen und Zufahrten für eine Unfallhilfe der Feuerwehr ausreichten."

2. Der Gemeinderat der Landeshauptstadt Innsbruck hat in einer Äußerung die Gesetzmäßigkeit des bekämpften Bebauungsplanes verteidigt und - weitere - Aktenteile über das Zustandekommen der angefochtenen Verordnung vorgelegt. Die Tiroler Landesregierung hat von einer Äußerung in der Sache abgesehen.

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat aufgrund der Äußerung des Gemeinderates und der von diesem nunmehr vorgelegten, weiteren Aktenunterlagen mitgeteilt, daß er - ebenfalls geltend gemachte, aber oben unter Pkt. 1. nicht angeführte - Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit des Zustandekommens des Bebauungsplanes Nr. 66/ag nicht mehr aufrecht erhält.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Das dem Antrag des Verwaltungsgerichtshofes zugrundeliegende Verwaltungsverfahren bezieht sich (ausschließlich) auf das Grundstück Nr. 1248, KG Hötting. Die inhaltlichen Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes gegen den Bebauungsplan Nr. 66/ag richten sich nur gegen die im Plan bezüglich dieses Grundstückes getroffenen Festlegungen.

Der Antrag des Verwaltungsgerichtshofes ist also, soweit mit ihm die Aufhebung der nicht das Grundstück Nr. 1248 erfassenden Teile des Bebauungsplanes Nr. 66/ag begehrt wird, mangels Präjudizialität zurückzuweisen.

2.a) Bei seinen inhaltlichen Bedenken geht der Verwaltungsgerichtshof - was die Bestimmung des §28 TROG über die Änderung von Plänen betrifft - von einer unzutreffenden Grundposition aus.

Zunächst ist festzuhalten, daß der bekämpfte Bebauungsplan der erste nach den Vorschriften des am 16. Februar 1972 in Kraft getretenen TROG, LGBl. 10/1972, erlassene Bebauungsplan für das betroffene Gebiet ist; er hat - worauf auch im Antrag des Verwaltungsgerichtshofes hingewiesen wird - den Bebauungsplan Nr. 407, genehmigt von der Tiroler Landesregierung am 11. November 1953, Z Ve-782/9, abgelöst. Das bedeutet nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes, auf die der Verwaltungsgerichtshof in seinem Antrag nicht Bezug nimmt, daß die Vorschriften des §28 TROG über die Änderung von Bebauungsplänen auf den bekämpften Bebauungsplan nicht anzuwenden sind (s. die Rechtsprechung über die Verneinung der Anwendbarkeit des §28 TROG bei erstmaliger Erstellung von Flächenwidmungsplänen nach den Bestimmungen des TROG, zB VfSlg. 9951/1984 S. 157, 10277/1984 S. 627 und 10560/1985 S. 144, welche folgerichtig auch für Bebauungspläne zu gelten hat, s. hiezu VfSlg. 10711/1985 S. 786).

Die vom Verwaltungsgerichtshof geäußerten Zweifel am Vorliegen der in §28 TROG geforderten Voraussetzungen gehen daher ins Leere. Im übrigen sei darauf hingewiesen, daß nach der Aktenlage (s. den folgenden Pkt. b) durch den Bebauungsplan Nr. 66/ag - entgegen der dem Antrag des Verwaltungsgerichtshofes offenkundig zugrundeliegenden Annahme - keine Veränderung gegenüber früheren planlichen Festlegungen bewirkt wurde.

b) Der Verfassungsgerichtshof kann auch das vom Verwaltungsgerichtshof ausgesprochene Bedenken nicht teilen, daß der Verordnungsgeber bei Festlegung des Umkehrplatzes das ihm "vom Gesetzgeber eingeräumte Planungsermessen unsachlich genützt" hat. Wenngleich der Verwaltungsgerichtshof diese Bedenken unter dem - hier nicht zu beachtenden, s. oben unter Pkt. a) - "Gesichtspunkt der Notwendigkeit des Vorliegens wichtiger Gründe für eine Planänderung" geäußert hat, sei hiezu der Vollständigkeit halber festgehalten:

Den Verordnungsakten ist zu entnehmen, daß der Umkehrplatz auf der GP Nr. 1248 in dieser Form seit langer Zeit besteht. In einer Stellungnahme des Stadtbauamtes Innsbruck vom 13. Mai 1981 zu den gegen den Entwurf des Bebauungsplanes Nr. 66/ag eingelangten Einsprüchen (darunter auch von der Beschwerdeführerin des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens) heißt es, der "derzeit" bestehende Knappenweg im Bereich des Grundstückes GP 1248 weise bereits in der Natur eine Breite von 6 m auf. Die Breite im Änderungsplan Nr. 66/ag werde daher lediglich auf das in der Natur vorhandene und derzeit sowie für die künftige Erschließung unbedingt erforderliche Ausmaß (dies vor allem unter Berücksichtigung der winterlichen Verhältnisse) gebracht. Die Begründung für den bereits im Bebauungsplan Z VI-1033/1951 vom 26. Juli 1951 ausgewiesenen Umkehrplatz bleibe unter Hinweis auf die Erfordernisse der Schneeräumung, Streuung und Reinigung sowie auf das Befahren durch Einsatzfahrzeuge voll aufrecht, vor allem mit Rücksicht auf den anschließenden, lediglich 3 m breiten Fußweg bzw. Anliegerweg. Ähnliche Überlegungen sind in einem Bericht des Stadtplanungsamtes vom 11. Jänner 1982 enthalten, in dem es heißt, daß im - hier maßgeblichen - Bereich Knappenweg 18 hinsichtlich der öffentlichen Verkehrsflächen gegenüber dem bestehenden Bebauungsplan keine Änderung vorgesehen sei. Die Auflassung oder Beibehaltung des Umkehrplatzes sei mit dem städtischen Tiefbauamt eingehend besprochen worden. Es werde die Auffassung vertreten, daß die vorgesehene Erschließung infolge des Hanggeländes beibehalten werden müsse, um die Zufahrten zu den Häusern und Grundstücken sowie die Wartung und Räumung der Verkehrsfläche insbesondere im Winter zu gewährleisten.

Den Akten ist auch zu entnehmen, daß vor Erlassung des Bebauungsplanes Nr. 66/ag vom 15. Dezember 1983 am 14. Mai 1981 eine Besichtigung durch den Bauausschuß des Gemeinderates und am 16. April 1982 eine (weitere) "Begehung" stattgefunden haben.

Unter diesen Umständen kann nicht gesagt werden, daß für die Entscheidung des Verordnungsgebers keine ausreichenden Grundlagen vorhanden waren. Der Gemeinderat hat auch den ihm offenstehenden Gestaltungsspielraum (vgl. hiezu zB VfSlg. 10711/1984 S. 787) nicht überschritten, wenn er unter Bedachtnahme auf die bereits bestehenden Gegebenheiten (§9 Abs1 TROG) sowie in Abwägung der oben wiedergegebenen Argumente des Stadtbauamtes gegenüber den - im Antrag des Verwaltungsgerichtshofes hervorgehobenen - Stellungnahmen des Städtischen Zentralhofs und der Feuerwehr (wonach der Umkehrplatz nicht unbedingt erforderlich sei) sich für die Beibehaltung des Umkehrplatzes entschieden hat.

3. Dem Antrag ist daher - soweit er zulässig ist - nicht Folge zu geben.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Präjudizialität, Bebauungsplan, Raumordnung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:V5.1989

Dokumentnummer

JFT_10099699_89V00005_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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