TE Vwgh Erkenntnis 1992/9/15 92/04/0090

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Veröffentlicht am 15.09.1992
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
19/05 Menschenrechte;
50/01 Gewerbeordnung;

Norm

GewO 1859 §131 Abs1;
GewO 1859 §132;
GewO 1973 §367 Z26;
GewO 1973 §368 Z17;
GewO 1973 §376 Z39;
MRK Art5;
MRK Art6;
MRK Art64;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Mag. Kobzina und die Hofräte Dr. Griesmacher und Dr. Gruber als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Paliege, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 6. Februar 1992, Zl. MA 63-L 18/91/Str, betreffend Übertretung der Gewerbeordnung 1973, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang seines in Beschwerde gezogenen Spruchpunktes B. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 6./7. Bezirk, vom 5. Februar 1991 wurde der Beschwerdeführer wie folgt schuldig erkannt:

"Sie haben als gewerberechtlicher Geschäftsführer der X-AG zu verantworten, daß diese Gesellschaft am 23. August 1990 bei Betrieb ihrer gewerblichen Betriebsanlage in W, G-Straße 98,

I) Auflagen von Bescheiden gemäß § 79 GewO 1973 nicht

eingehalten hat, als folgende Mängel bestanden:

1) Im Kellerlager war unter dem Förderband (Front S-Gasse) keine lichte Durchgangsmöglichkeit von 1,00 x 2,00 m gewährleistet, da der Verkehrsweg unter dem Steilförderer so verlagert vorgefunden wurde, daß der Durchgangsbereich nur mehr eine Höhe von ca. 1,70 m betrug. Der Verkehrsweg im Bereich der 2 m Durchgangshöhe war mit Getränkekisten verlagert.

2) Die elektrische Anlage war nicht gemäß § 12 ÖVE - E 5, Teil 1/1981 durch einen befugten Fachmann wenigstens alle 2 Jahre überprüft worden bzw. waren über diese Überprüfungen keine Überprüfungsbefunde auf verrechenbarer Drucksorte VD 390 oder auf inhaltlich Gleichwertigem erstellt. Die letzte nachweisliche Überprüfung der elektrischen Anlage war am 14. März 1988.

II) 3) Die Kälteanlage nicht in einem Zeitabstand von höchstens einem Jahr einer Prüfung hinsichtlich ihrer Betriebssicherheit unterzogen hat. Die letzten nachweislichen Überprüfungen der 4 Kälteanlagen waren:

a)

Kälteanlage aus 1969 mit Kühlmittel R 22/4 kg am 10. Juni 1988

b)

Kälteanlage aus 1969 mit Kühlmittel R 22/7,8 kg am 15. Feber 1989

c)

Kälteanlage aus 1976 mit Kühlmittel R 12/3 kg am 15. Feber 1989

d)

Kälteanlage aus 1969 mit Kühlmittel R 22/7 kg am 15. Feber 1989

und dadurch drei Verwaltungsübertretungen nach § 367 Z. 26 GewO 1973 im Zusammenhalt mit Punkt 2 (ad 1) des Bescheides des Magistratischen Bezirksamtes für den 6./7. Bezirk vom 28. Juli 1982, Zl. MBA 6/7 - Ba 11179/2/82, und Punkt 1 (ad 2) des Bescheides des Magistratischen Bezirksamtes für den 6./7. Bezirk vom 7. Mai 1984, Zl. MBA 6/7 - Ba 11179/1/84, sowie § 22 Abs. 1 der Kälteanlagenverordnung, BGBl. Nr. 305/1969 in der geltenden Fassung, in Verbindung mit § 368 Z. 17 und § 376 Z. 39 GewO 1973 (ad 3) begangen."

Über eine dagegen seitens des Beschwerdeführers erhobene Berufung erkannte der Landeshauptmann von Wien wie folgt:

"A. Auf Grund der dagegen rechtzeitig eingebrachten Berufung wird gemäß § 66 Abs. 4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG 1950, BGBl. Nr. 172) das angefochtene Straferkenntnis im Punkt I) 2) insoweit behoben und das Verfahren in dieser Hinsicht gemäß § 45 Abs. 1 lit. a des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG 1950, BGBl. Nr. 172) eingestellt, als dem Beschuldigten angelastet wurde, daß über die in Abständen von wenigstens zwei Jahren durch einen befugten Fachmann vorzunehmenden Überprüfungen der elektrischen Anlage keine Überprüfungsbefunde auf verrechenbarer Drucksorte VD 390 oder auf inhaltlich Gleichwertigem erstellt wurden.

B. Im übrigen wird aufgrund der rechtzeitig eingebrachten Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 das angefochtene Straferkenntnis mit der Maßgabe bestätigt, daß sein Spruch wie folgt zu lauten hat:

"Sie haben es als von der X-AG für die Ausübung des Gemischtwarenhandels bestellter und der Behörde gemäß § 39 Abs. 4 GewO 1973 angezeigter Geschäftsführer zu verantworten, daß am 23. August 1990 beim Betrieb der gewerblichen Betriebsanlage in W, G-Straße 98,

I) gemäß den Bestimmungen des § 79 GewO 1973 in Bescheiden

vorgeschriebene Auflagen nicht eingehalten wurden, als

1) entgegen Punkt 2 des Bescheides des magistratischen Bezirksamtes für den 6./7. Bezirk vom 28. Juli 1982, Zl. MBA 6/7 - Ba 11179/2/82, wonach im Kellerlager unter dem Förderband (Front - S-Gasse) eine lichte Durchgangsmöglichkeit von 1,00 x 2,00 m gewährleistet sein muß, im Kellerlager unter dem Förderband (Front - S-Gasse) keine lichte Durchgangsmöglichkeit von 1,00 x 2,00 m gewährleistet war, weil der Verkehrsweg unter dem Steilförderer durch Getränkekisten so verlagert gewesen ist, daß der Durchgangsbereich nur mehr eine Höhe von ca. 1,7 m hatte,

2) entgegen Punkt 1) des Bescheides des magistratischen Bezirksamtes für den 6./7. Bezirk vom 7. Mai 1984, Zl. MBA 6/7 - Ba 11179/1/84, wonach die elektrische Anlage gemäß § 12 ÖVE-E 5 Teil 1/1981 durch einen befugten Fachmann erstmals 1984 und sodann wenigstens alle zwei Jahre überprüfen zu lassen ist, über diese Überprüfungen Überprüfungsbefunde auf verrechenbarer Drucksorte VD 390 oder auf inhaltlich Gleichwertigem erstellen zu lassen und fortlaufend geordnet in der Betriebsanlage zur Einsichtnahme durch die Überwachungsorgane der Behörde bereits erhalten sind, die elektrische Anlage nicht gemäß § 12 ÖVE-E 5 Teil 1/1981 durch einen befugten Fachmann wenigstens alle zwei Jahre überprüft worden ist, weil die letzte nachweisliche Überprüfung der elektrischen Anlage am 14. März 1988 erfolgt ist,

II. 3) die Kälteanlage nicht in einem Zeitabstand von höchstens einem Jahr einer Prüfung hinsichtlich ihrer Betriebssicherheit unterzogen wurde, weil die letzten nachweislichen Überprüfungen der vier Kälteanlagen waren:

a)

Kälteanlage aus 1969 mit Kühlmittel R 22/4 kg am 10. Juni 1988,

b)

Kälteanlage aus 1969 mit Kühlmittel R 22/7,8 kg am 15. Feber 1989,

c)

Kälteanlage aus 1976 mit Kühlmittel R 12/3 kg am 15. Feber 1989 und

d)

Kälteanlage aus 1969 mit Kühlmittel R 22/7 kg am 15. Feber 1989

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:

Zu I) 1) und zu I) 2) gemäß § 367 Ziffer 26 GewO 1973 im Zusammenhalt mit

zu 1) Punkt 2) des Bescheides des magistratischen Bezirksamtes für den 6./7. Bezirk vom 28. Juli 1982, Zl. MBA 6/7 - Ba 11179/2/82, und zu 2) Punkt 1) des Bescheides des magistratischen Bezirksamtes für den 6./7. Bezirk vom 7. Mai 1984, Zl. MBA 6/7 - Ba 11179/1/84, und

zu II) 3) § 368 Z. 17 GewO 1973 in Verbindung mit § 22 Abs. 1 der Kälteanlagenverordnung, BGBl. Nr. 305/1969 in der geltenden Fassung."

Zur Begründung wurde unter Hinweis auf eine Anzeige des Arbeitsinspektorates für den 2. Aufsichtsbezirk vom 11. September 1990 sowie das Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers zu B. ausgeführt, der Beschwerdeführer habe während des gesamten Verfahrens "nicht bestritten", daß die nunmehr in den Punkten 1) bis 3) des Straferkenntnisses vom 5. Februar 1991 enthaltenen Feststellungen unrichtig seien, sondern sogar in seiner Berufung zugegeben, daß ihm im August 1990 Fehler unterlaufen seien. Der Beschwerdeführer sei aber der Auffassung, daß er für diese Fehler nicht zur Verantwortung gezogen werden könne, weil sein Verschulden ausgeschlossen sei. In diesem Zusammenhang rüge der Beschwerdeführer zunächst, daß die Behörde erster Instanz den Zeugen R zwar vernommen, ihm aber dessen Aussage nicht zur Kenntnis gebracht habe. Dazu sei festzuhalten, daß R bei seiner Vernehmung als Zeuge am 31. Jänner 1991 das Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Rechtfertigung vom 22. Oktober 1990 hinsichtlich der Einrichtung einer Kontrollorganisation zur Sicherstellung der Einhaltung der Verwaltungsvorschriften und Auflagen jeder Art sowie über die Geschehensabläufe innerhalb dieser Kontrollorganisation vollinhaltlich bestätigt habe. Demzufolge sei auch die Behörde erster Instanz vom Bestehen dieses Kontrollsystems ausgegangen. Bei dieser Sachlage sei es daher nicht erforderlich gewesen, dem Beschwerdeführer vor Erlassung des Straferkenntnisses die Zeugenaussage des Genannten zur Kenntnis zu bringen. Gemäß § 9 Abs. 1 VStG sei für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften durch juristische Personen oder Personengemeinschaften ohne Rechtspersönlichkeit, sofern die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen und soweit nicht verantwortliche Beauftragte bestellt seien, strafrechtlich verantwortlich, wer zur Vertretung nach außen berufen sei. Im Falle der Nichteinhaltung von Auflagen eines Bescheides über die Genehmigung von gewerblichen Betriebsanlagen sowie eines Bescheides, der gemäß § 79 GewO 1973 erlassen worden sei, und auch im Falle der Übertretung von Vorschriften gegen die Kälteanlagenverordnung bestimme eine Verwaltungsvorschrift, nämlich § 370 Abs. 2 GewO 1973 abweichend von der Bestimmung des § 9 Abs. 1 VStG, daß im Falle der Anzeige oder der Genehmigung der Bestellung eines Geschäftsführers (§ 39) Geld- und Arreststrafen gegen den Geschäftsführer zu verhängen seien. Demzufolge seien dem Beschwerdeführer im vorliegenden Fall die in den Punkten 1) bis 3) des Straferkenntnisses umschriebenen Übertretungen als von der X-AG der Behörde für die Ausübung des Gemischtwarenhandels bestellter und der Behörde angezeigter Geschäftsführer angelastet worden. Ein solcher Geschäftsführer sei jedoch durch die Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten im Sinne des § 9 Abs. 2 VStG nicht von der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortung befreit. Allerdings müsse es auch dem gewerberechtlichen Geschäftsführer zugebilligt werden, die ihn in dieser Eigenschaft treffenden Verpflichtungen anderen Personen selbstverantwortlich zu übertragen. In einem solchen Fall sei er aber von seiner strafrechtlichen Verantwortung nur dann befreit, wenn er glaubhaft machen könne, daß er solche Maßnahmen getroffen habe, von denen er die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften mit gutem Grund habe erwarten können. Dies habe in erster Linie durch ein geeignetes Tatsachenvorbringen zu erfolgen, worin aber noch keine Glaubhaftmachung gesehen werden könne. Im vorliegenden Fall habe der Beschwerdeführer sowohl im erstinstanzlichen Strafverfahren als auch in der Berufung dargetan, daß er im Hinblick darauf, daß er die Aufsicht in über 260 Filialen zu besorgen habe und daß die persönliche Einhaltung aller Verwaltungsvorschriften in jeder einzelnen Filiale nicht möglich wäre, weshalb Kontrolleinrichtungen geschaffen worden seien, von denen er mit gutem Grund habe erwarten können, daß die Verwaltungsvorschriften in allen Filialen eingehalten würden. Er habe auch dargelegt, wie diese Kontrolleinrichtungen in allen Stufen funktionierten. Hingegen habe er nicht glaubhaft gemacht, daß diese Kontrolleinrichtungen auch in der Filiale W, G-Straße 98, funktioniert hätten, weil er es unterlassen habe, hinsichtlich des Funktionierens dieser Anlage konkrete Angaben zu machen, insbesondere in der Richtung, wie oft im Rahmen der geschaffenen Kontrolleinrichtungen die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften in der betreffenden Filiale überwacht und welche konkreten Aufträge erteilt worden seien, um die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften auch in dieser Filiale sicherzustellen. Die Berufung auf eine angeblich vorhandene rote Mappe, in der Überprüfungen verzeichnet seien, genüge zur Glaubhaftmachung seines mangelnden Verschuldens nicht, da er es unterlassen habe, die Unterlagen über die angeblich durchgeführten Überprüfungen der Behörde zur Einsicht vorzulegen. Bei dieser Sachlage habe der Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht, daß ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschriften kein Verschulden treffe. Das Straferkenntnis bestehe daher, soweit es nicht von der Berufungsbehörde im Punkt 2) eingestellt worden sei, dem Grunde nach zu Recht.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, der Beschwerde keine Folge zu geben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Seinem Vorbringen zufolge erachtet sich der Beschwerdeführer wie folgt in Rechten verletzt:

"Durch den angefochtenen Berufungsbescheid werde ich in mir

in Gesetzen gewährleisteten Rechten verletzt.

Als Beschwerdepunkte mache ich geltend

a)

Rechtswidrigkeit des Bescheides wegen Verletzung des fair traile und Durchführung des gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahrens vor weisungsgebundenen Verwaltungsbehörden und nicht einem Tribunal gem. Art 5 und 6 MRK und dadurch bedingte Verfassungswidrigkeit der im gegenständlichen Berufungsbescheid angezogenen Pönalbestimmungen der §§ 367 Zi 26, 368 Zi 17 und 376 Zi 39 GewO 1973;

b)

Rechtswidrigkeit des angefochtenen Berufungsbescheides wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Verletzung der Bestimmungen der §§ 5, 9, 44a VStG, § 367 und § 368 GewO 1973 und

c)

Rechtswidrigkeit des Verfahrens wegen Mangelhaftigkeit in Verletzung der Bestimmungen der §§ 37 f, 45, 56 f AVG iVm § 24 VStG."

Er bringt hiezu unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes bzw. einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften u.a. vor, die Strafbestimmungen der Gewerbeordnung 1859 hätten auch in der Fassung der Novelle 1957, BGBl. Nr. 178/1957, in seinen §§ 132 f keinen strafbaren Tatbestand der Nichteinhaltung von Betriebsanlagenauflagen oder wegen Nichteinhaltung von Bestimmungen in Verordnungen zur Gewerbeordnung enthalten. Die Strafbarkeit des hier relevanten und in den Punkten 1) und 2) beschriebenen Verhaltens sei daher vor Inkrafttreten der Gewerbeordnung 1973 kein strafbarer Tatbestand gewesen und es sei auch die Kälteanlagenverordnung, BGBl. Nr. 305/1969, erst im Jahre 1969 erlassen worden. Der Verfassungsgerichtshof habe mit seinem Erkenntnis vom 13. Dezember 1991, G 294/91, klargestellt, daß Art. 5 und 6 MRK Verfassungsrang hätten, den in Österreich geltenden Bestimmungen entsprächen, und daß demzufolge mangels Abhandlung vor einem Tribunal durch ein Verfahren vor weisungsgebundenen Verwaltungsbehörden Art. 5 und 6 MRK durch Verwaltungsstrafverfahrensaussprüche, gestützt auf Tatbestände, die nach der Deposition des Vorbehaltes gemäß § 64 MRK am 3. September 1958 entstanden seien, verfassungswidrig seien. Dies treffe auf die gegenständlichen Bestimmungen "ex 1969 und 1973" fraglos zu. Es werde daher angeregt, es möge der Verwaltungsgerichtshof dem Verfassungsgerichtshof die Rechtssache zwecks Aufhebung der "Bestimmungen von §§ 368 f GewO" vorlegen. Des weiteren werde vorgebracht, das Arbeitsinspektorat habe die hier in Rede stehenden Verwaltungsübertretungen gemäß § 31 Arbeitnehmerschutzgesetz beurteilt und als solche zur Anzeige gebracht. Die belangte Behörde habe den gleichen Sachverhalt rechtsirrig den Strafbestimmungen der Gewerbeordnung 1973 unterworfen. Die belangte Behörde übersehe dabei, daß der Schutzbereich des § 31 Arbeitnehmerschutzgesetz die Sicherheit der Mitarbeiter in der Filiale sei. Die Arbeitsinspektion habe nach dem vorliegenden Sachverhalt richtig lediglich eine allfällige Gefährdung der Mitarbeiter angenommen, weil sowohl der Bereich unter dem Förderband im Keller wie auch alle Anschlüsse der elektrischen Anlagen und der Kälteanlage in Bereichen außerhalb der Zugänglichkeit durch Kunden lägen und daher nur eine theoretische Gefährdung der Mitarbeiter durch die vorgeworfenen Übertretungen gegeben sein könne. Die Gewerbeordnung habe hingegen zum Schutzbereich Nachbarschaftsgefährdung und -belästigungen, Kundengefährdung und auch die Mitarbeitergefährdung und gehe somit deutlich über den Schutzbereich des Arbeitnehmerschutzgesetzes hinaus. Ohne zu behaupten, zu untersuchen oder festzustellen, daß eine Gefährdung über den Mitarbeiterschutzbereich hinausreiche, habe die belangte Behörde die von der Arbeitsinspektion mit ihrer Anzeige vom 11. September 1990 vorgetragenen Beanstandungen nach der Gewerbeordnung beurteilt. Verantwortlich nach dem Arbeitnehmerschutzgesetz sei der Dienstgeber, nach der Gewerbeordnung der gewerberechtliche Geschäftsführer. Die belangte Behörde habe daher ohne erkennbare Veranlassung einen anderen Beschuldigten verfolgt, als von der Arbeitsinspektion zur Anzeige gebracht worden sei.

Hiezu ergeben sich unter Bedachtnahme auf den aus dem Beschwerdevorbringen hervorgehenden Anfechtungsumfang in Ansehung des Punktes B. des angefochtenen Bescheides folgende Erwägungen:

Gemäß § 367 Z. 26 GewO 1973 begeht eine Verwaltungsübertretung, wer u.a. die gemäß den Bestimmungen der §§ 74 bis 83 und § 359b in Bescheiden vorgeschriebenen Auflagen oder Aufträge nicht einhält.

Gemäß § 368 Z. 17 GewO 1973 begeht eine Verwaltungsübertretung, wer andere als im § 366, § 367 und in Z. 1 bis 16 genannte Gebote oder Verbote dieses Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen oder der Bescheide, die auf Grund der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes oder auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassener Verordnungen ergangen sind, nicht einhält.

Im § 376 Z. 39 GewO 1973 wird angeordnet, daß, wenn in anderen als in den in Z. 38 genannten Fällen Rechtsvorschriften auf die Strafbestimmungen der Gewerbeordnung verweisen, für Übertretungen dieser Rechtsvorschriften, sofern keine Übertretung gemäß §§ 366 bis 368 dieses Bundesgesetzes vorliegt, die im § 368 Z. 17 vorgesehenen Strafen zu verhängen sind.

Gemäß § 22 Abs. 1 der Verordnung der Bundesminister für soziale Verwaltung und für Handel, Gewerbe und Industrie vom 21. Juli 1969 über den Schutz der Dienstnehmer und der Nachbarschaft beim Betrieb von Kälteanlagen (Kälteanlagenverordnung) - ergangen nach der Einleitung auf Grund der §§ 74a und 74c der Gewerbeordnung und des § 24 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1956, BGBl. Nr. 147 - gemäß § 33 Abs. 2 Z. 12 Arbeitnehmerschutzgesetz als Bundesgesetz in Geltung - müssen Kälteanlagen nach größeren Betriebsstörungen, größeren Instandsetzungen sowie wesentlichen Änderungen der Anlage, jedenfalls aber in Zeitabständen von höchstens einem Jahr, einer Überprüfung hinsichtlich ihrer Betriebssicherheit unterzogen werden. Diese Überprüfungen sind von hiezu befugten fachkundigen Personen vorzunehmen.

Gemäß § 27 der zitierten Norm hat die Befugnisse, die nach den Vorschriften dieser Verordnung der zuständigen Behörde zustehen, bei den der Gewerbeordnung unterliegenden Betrieben die Gewerbebehörde, bei allen übrigen unter den Geltungsbereich dieser Verordnung fallenden Betrieben die nach § 24 Abs. 2 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1956 berufene Behörde auszuüben.

Gemäß § 28 der zitierten Norm werden Übertretungen ihrer Vorschriften nach Maßgabe der Vorschriften der Gewerbeordnung geahndet.

Gemäß § 33 Abs. 7 Arbeitnehmerschutzgesetz gelten bei Zuwiderhandlungen gegen die im Abs. 1 genannten Rechtsvorschriften die Bestimmungen des § 31 sinngemäß. Dies gilt auch hinsichtlich der im Abs. 2 genannten Rechtsvorschriften, soweit es sich um Angelegenheiten des Arbeitnehmerschutzes handelt. Soweit es sich nicht um Angelegenheiten des Arbeitnehmerschutzes handelt, gelten Zuwiderhandlungen gegen die im Abs. 2 genannten Rechtsvorschriften als Verwaltungsübertretung nach der Gewerbeordnung.

Was zunächst die Bestimmungen der §§ 367 Z. 26 und 368 Z. 17 (i.V.m. § 376 Z. 39) GewO 1973 anlangt, so sah bereits die Gewerbeordnung 1859 im § 131 Abs. 1 eine Blankettstrafnorm (arg.: § 132: Mit Geld- oder Arrest sind insbesondere zu strafen: ...), wobei die einzelne Auflage, gegründet auf gewerbliche Vorschriften (§ 30 Abs. 3 bzw. § 34a sowie im Beschwerdefall in Ansehung B.II.3), insbesondere auch die §§ 74a und 74c leg. cit.), den verwaltungssstrafrechtlichen Tatbestand darstellte (vgl. hiezu auch das hg. Erkenntnis vom 21. Juni 1972, Zl. 2241/71, u.a.).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes schließt der von Österreich gemäß Art. 64 MRK zu Art. 5 der Konvention erklärte Vorbehalt, der dem Sinne nach zumindest auch jene Gesetze umfaßt, die zwar nach Erklärung des Vorbehaltes erlassen wurden, aber keine nachträgliche Erweiterung jenes materiell-rechtlichen Bereiches bewirken, der durch die Abgabe des Vorbehaltes ausgeschlossen werden sollte, auch die Anwendung des Art. 6 MRK aus. Vom Vorbehalt sind somit nur Straftatbestände nicht gedeckt, die vor dem 3. September 1958 noch nicht in den Verwaltungsvorschriften enthalten waren (vgl. hiezu das auch in der Beschwerde angeführte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Dezember 1991, G 294/91-5, und die dort zitierte weitere verfassungsgerichtliche Rechtsprechung).

Ausgehend von diesen auch im Beschwerdefall nicht als unschlüssig zu erkennenden Darlegungen vermag aber der Verwaltungsgerichtshof unter Bedachtnahme auf die vordargestellte, schon nach der Gewerbeordnung 1859 gegebene Rechtslage eine Verfassungswidrigkeit der hier in Betracht zu ziehenden Strafbestimmungen unter dem in der Beschwerde vorgetragenen Blickwinkel nicht zu erkennen, die ihn zu einer entsprechenden Antragstellung veranlassen könnten.

Die Beschwerde ist aber auf Grund folgender Überlegungen

begründet:

Zum Spruchpunkt B.I) 1) und 2):

Gemäß § 27 Abs. 5 Arbeitnehmerschutzgesetz sind, wenn sich in einem Betrieb nach rechtskräftig erteilter Betriebsbewilligung zeigt, daß den Erfordernissen des Schutzes des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer unter den vorgeschriebenen Bedingungen und Auflagen nicht in ausreichendem Maße entsprochen wird, die hiezu unbedingt notwendigen Maßnahmen von der Behörde aufzutragen. Dies gilt sinngemäß auch für Betriebe, für die eine Bewilligung nach einer anderen bundesgesetzlichen Vorschrift vorliegt, soweit diese Rechtsvorschrift eine entsprechende Regelung nicht enthält.

Gemäß § 31 Abs. 2 lit. p begehen Arbeitgeber und deren Bevollmächtigte, die den Vorschriften der auf Grund des § 24 dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen oder den auf Grund des § 27 dieses Bundesgesetzes vorgeschriebenen Bedingungen und Auflagen oder den erteilten Aufträgen zuwiderhandeln, eine Verwaltungsübertretung und sind, sofern die Tat nicht nach anderen Gesetzen strenger zu bestrafen ist, von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafen bis zu S 50.000,-- zu bestrafen.

Aus den im vorgegelegten Verwaltungsakt erliegenden Kopien der im Spruch des angefochtenen Bescheides unter B. I) 1) und 2) bezeichneten Bescheide geht einleitend hervor, daß die jeweils dort bezogenen Auflagen "auf Grund des § 79 GewO sowie des § 27 Abs. 5 Arbeitnehmerschutzgesetz" vorgeschrieben worden seien, wobei die Begründung jeweils dahin lautet, die Vorschreibung zusätzlicher Auflagen und Bedingungen bei der Einrichtung der Betriebsanlage zum Schutz der im Betrieb Beschäftigten, der Nachbarschaft und der Kunden beruhe auf dem Ergebnis der Überprüfung der Betriebsanlage und sei im § 79 GewO 1973 sowie im Arbeitnehmerschutzgesetz begründet.

Ausgehend davon ergibt sich auch unter Berücksichtigung des Inhaltes der hier in Rede stehenden Auflagen nicht in eindeutiger und schlüssiger Weise, daß diese etwa - gemessen am Regelungsinhalt des § 24 Abs. 1 bis 3 im Zusammenhalt mit § 27 Abs. 5 Arbeitnehmerschutzgesetz - in bezug auf die hievon betroffene Betriebsanlage außer dem Arbeitnehmerschutz auch dem Schutz der nach § 79 Abs. 1 GewO 1973 gemäß § 74 Abs. 2 leg. cit. durch die Gewerbebehörde wahrzunehmenden Interessen dienen. Im Hinblick darauf wäre daher die belangte Behörde verhalten gewesen, sich im angefochtenen Bescheid in sachverhaltsmäßiger und rechtlicher Hinsicht mit diesen für eine Bestrafung durch sie wesentlichen Tatbestandselementen auseinanderzusetzen, um dem Verwaltungsgerichtshof eine ausreichende Beurteilungsgrundlage für seine nachprüfende Kontrolle zu geben.

Zu B. II) 3):

Gemäß § 44a Z. 2 VStG hat der Spruch eines Straferkenntnisses die Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist, zu enthalten. Danach ergäbe sich aber im Beschwerdezusammenhang - bei Zutreffen der sonstigen Voraussetzungen - die Strafbarkeit des von der Behörde inkriminierten Verhaltens aus § 368 Z. 17 GewO 1973 i.V.m.

§ 376 Z. 39 leg. cit., den §§ 31 Abs. 2 lit. p und 33 Abs. 7 Arbeitnehmerschutzgesetz - diese als nach der bestehenden Gesetzeslage maßgeblichen Bestimmungen anstelle der §§ 27 und 28 Kälteanlagenverordnung - und § 22 Abs. 1 Kälteanlagenverordnung.

Da die belangte Behörde die für die vorangeführten Erwägungen maßgebliche Rechtslage verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid schon in Hinsicht darauf mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne daß es einer Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringes bedurft hätte.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG im Zusammenhalt mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft den angesprochenen, nicht erforderlichen Stempelgebührenmehraufwand.

W i e n , am 15. September 1992

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1992040090.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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