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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
VwRallg;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 92/11/0054Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Onder und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Waldner, Dr. Bernard und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerden des N in S, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in G, gegen die Bescheide 1. des BMLV vom 16. 12. 1991, Zl. 708.378/1-2.5/90, betreffend Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes, 2. den Bescheid des Militärkommandos Stmk vom 9. 1. 1992, Zl. St-61/02/04/65, betreffend Einberufung zum Grundwehrdienst, zu Recht erkannt:
Spruch
Der erstangefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Beschwerde gegen den Einberufungsbefehl des Militärkommandos Steiermark wird als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.450,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Der 1961 geborene Beschwerdeführer wurde am 15. März 1979 der Stellung unterzogen und für tauglich befunden. Das Militärkommando Steiermark gab mit Bescheid vom 20. Mai 1980 einem mit der Notwendigkeit seiner Mithilfe im elterlichen Betrieb begründeten Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 37 Abs. 6 lit. a des Wehrgesetzes 1978 statt und schob den Antritt des Grundwehrdienstes bis 15. August 1985 auf. Auf Grund eines neuerlichen Antrages des Beschwerdeführers, den er mit der weiterhin gegebenen Notwendigkeit seiner Mithilfe im elterlichen Betrieb und zusätzlich mit dem Interesse am Aufbau des im Jahre 1982 gegründeten eigenen Unternehmens begründete, wurde der Beschwerdeführer mit Bescheid des Militärkommandos Steiermark vom 14. August 1985 gemäß § 37 Abs. 2 lit. b des Wehrgesetzes 1978 wegen besonders rücksichtswürdiger wirtschaftlicher und familiärer Interessen von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes bis 15. August 1989 befristet befreit.
Mit Eingabe vom 19. September 1989 begehrte der Beschwerdeführer neuerlich mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit seiner Mithilfe im väterlichen Betrieb (die Mutter sei bereits seit längerem krankheitsbedingt in Frühpension) die Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes. Dieser Antrag wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Landesverteidigung vom 16. Dezember 1991 gemäß § 36 Abs. 2 Z. 2 des Wehrgesetzes 1990 (WG) abgewiesen. Gegen diesen Bescheid richtet sich die zu hg. Zl. 92/11/0053 protokollierte Beschwerde.
2. Mit Bescheid des Militärkommandos Steiermark vom 9. Jänner 1992 wurde der Beschwerdeführer gemäß § 35 WG zur Leistung des Grundwehrdienstes vom 1. April 1992 an einberufen. Gegen diesen Bescheid richtet sich die zu hg. Zl. 92/11/0054 protokollierte Beschwerde.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerden wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und über sie erwogen:
1. ZUR BESCHWERDE ZL. 92/11/0053:
Gemäß § 36 Abs. 2 Z. 2 WG können Wehrpflichtige auf ihren Antrag von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes befreit werden, wenn und solange es besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche oder familiäre Interessen erfordern.
Die belangte Behörde verneinte das Vorliegen besonders rücksichtswürdiger wirtschaftlicher oder familiärer Interessen des Beschwerdeführers. Sie legte ihrer Entscheidung folgenden Sachverhalt zugrunde:
Eigentümer des gegenständlichen Unternehmens ("N") ist der 1929 geborene Vater des Beschwerdeführers. Krankheitsbedingt liegt bei ihm eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 Prozent vor; laut ärztlichem Gutachten kann er nur noch leichte Arbeiten verrichten. Die Verrichtung schwerer Arbeiten, wie etwa das Tragen von Teppichen usw., obliegt dem Beschwerdeführer. Dieser hat den Vater im Krankheitsfall sowie bei sonstiger Abwesenheit zur Gänze zu vertreten. Im gemeinsamen Haushalt mit dem Beschwerdeführer leben neben seinem Vater seine 1923 geborene Mutter, bei der eine Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von 85 Prozent festgestellt wurde, die Ehefrau des Beschwerdeführers sowie ihre beiden minderjährigen Kinder, geboren 1981 und 1985. Auf Grund von Kreditaufnahmen in den Jahren zwischen 1972 und 1986 beträgt der "Gesamtschuldenstand der Familie N" per 11. April 1991 S 3,355.040,50. Die Kredite sind auf Liegenschaften des Beschwerdeführers und seines Vaters abgesichert.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, in Ansehung des gegenständlichen Unternehmens seien keine wirtschaftlichen Interessen des Beschwerdeführers, sondern allein solche seines Vaters, dem das Unternehmen gehöre, gegeben. Hinsichtlich des "Gesamtschuldenstandes der Familie N" bejahte die Behörde das Vorliegen wirtschaftlicher Interessen des Beschwerdeführers, verneinte aber deren besondere Rücksichtswürdigkeit im Sinne des § 36 Abs. 2 Z. 2 WG, weil die Schulden letztlich auf mangelnde Bedachtnahme des Beschwerdeführers auf die ihn treffende Harmonisierungspflicht zurückzuführen seien. Er habe nämlich gemeinsam mit seiner Frau im Jahre 1982 unter Aufnahme von Krediten ein Unternehmen gegründet, das nach einem Zwangsausgleich im Jahre 1988 liquidiert worden sei. Die Behörde bejahte ferner mit Rücksicht auf den Gesundheitszustand seines Vaters das Vorliegen familiärer Interessen des Beschwerdeführers, verneinte aber deren besondere Rücksichtswürdigkeit im Sinne des Gesetzes. Sein Vater sei trotz der geminderten Erwerbsfähigkeit noch zur Verrichtung der in einem Teppichgeschäft anfallenden leichteren Arbeiten, wie etwa Teppichauflegen usw., in der Lage. Dabei könne er von der Ehegattin des Beschwerdeführers während ihrer dienstfreien Zeit unterstützt werden. Auch ohne deren Mithilfe sei dem Vater des Beschwerdeführers jedenfalls die Leitung des Geschäftes möglich. Bei vereinzelt anfallenden dringenden Arbeiten, welche die Anwesenheit des Beschwerdeführers erforderten, habe dieser die Möglichkeit, gemäß § 53 Abs. 8 WG beim Einheitskommandanten eine Dienstfreistellung zu erwirken. Aus diesen Gründen könne dem Vater des Beschwerdeführers die Weiterführung des Teppichhandels während der präsenzdienstbedingten Abwesenheit des Beschwerdeführers zugemutet werden; eine weitere Beeinträchtigung seiner Gesundheit sei nicht zu befürchten.
Die belangte Behörde hat im Hinblick darauf, daß das gegenständliche Unternehmen im Eigentum des Vaters des Beschwerdeführers steht und auch auf dessen Namen und Rechnung betrieben wird, zu Recht angenommen, daß wirtschaftliche Interessen des Beschwerdeführers im Sinne des § 36 Abs. 2 Z. 2 WG in Ansehung dieses Unternehmens nicht gegeben sind. Dies steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. neben dem im angefochtenen Bescheid genannten Erkenntnis vom 4. November 1987, Zl. 87/11/0094, das Erkenntnis vom 26. Juni 1990, Zl. 90/11/0046, mit weiteren Judikaturhinweisen). Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich auch durch das Beschwerdevorbringen nicht veranlaßt, von dieser Rechtsprechung abzugehen.
Im Hinblick auf den "Gesamtschuldenstand der Familie N" wendet der Beschwerdeführer gegen die Verneinung der besonderen Rücksichtswürdigkeit seiner wirtschaftlichen Interessen ein, daß im Falle seiner Einberufung zum Grundwehrdienst sowohl seine eigene als auch die wirtschaftliche Existenz seines Vaters bedroht wäre. Da in diesem Falle der Untergang des Geschäftes seines Vaters zu erwarten wäre, müßten die bisher von diesem geleisteten Rückzahlungen eingestellt werden; die Folge davon wären exekutive Schritte "gegen die Familie N", also auch gegen den Beschwerdeführer.
Insofern macht der Beschwerdeführer neben einem familiären Interesse auch ein eigenes wirtschaftliches Interesse an seiner Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes geltend. Die Verletzung der Harmonisierungspflicht könnte dem Beschwerdeführer dann nicht zum Nachteil gereichen, wenn er ohnedies infolge eines familiären Interesses von der besagten Verpflichtung zu befreien wäre, käme es in diesem Falle doch gar nicht mehr darauf an, ob eine Befreiung auch auf Grund eines wirtschaftlichen Interesses geboten wäre. Davon abgesehen hat aber die belangte Behörde außer acht gelassen, daß der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Bescheid vom 14. August 1985 gerade auch wegen des von ihm geltend gemachten wirtschaftlichen Interesses in bezug auf sein im Jahre 1982 gegründetes Unternehmen befristet befreit worden ist. Im Hinblick darauf war es den Militärbehörden in der Folge verwehrt, im Gegensatz dazu die wirtschaftlichen Interessen des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit seinem Betrieb (somit auch im Zusammenhang mit der Tilgung der für dessen Gründung aufgenommenen Kredite) unter Hinweis auf eine Verletzung der Harmonisierungspflicht bei dessen Gründung im Jahre 1982 zu verneinen (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Februar 1992, Zlen. 91/11/0108, 0114, und vom 17. März 1992, Zl. 91/11/0066). Daß die belangte Behörde im vorliegenden Fall einen Verstoß gegen die Harmonisierungspflicht in bestimmten Verhaltensweisen des Beschwerdeführers NACH Erlassung besagten Bescheides vom 14. August 1985 erblickt hätte, ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen.
Bei der Beurteilung der familiären Interessen des Beschwerdeführers ist die belangte Behörde zutreffend von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ausgegangen, wonach von solchen Interessen nur dann die Rede sein kann, wenn ein Familienangehöriger in seinen eigenen Belangen der Unterstützung durch den Wehrpflichtigen bedarf, und solche Interessen nur dann als besonders rücksichtswürdig zu werten sind, wenn durch das Ausbleiben der Unterstützung des Angehörigen durch den Wehrpflichtigen eine Gefährdung der Gesundheit oder sonstiger lebenswichtiger Interessen des Angehörigen zu befürchten ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 9. Oktober 1990, Zl. 90/11/0083, und vom 19. Februar 1991, Zl. 90/11/0120). Die belangte Behörde nahm im angefochtenen Bescheid an, daß es dem Vater des Beschwerdeführers während dessen präsenzdienstbedingter Abwesenheit möglich und zumutbar wäre, den Betrieb mit Unterstützung der Ehefrau des Beschwerdeführers weiterzuführen.
Für eine derartige Schlußfolgerung mangelt es allerdings an entsprechenden Sachverhaltsfeststellungen. Die belangte Behörde ging von der Möglichkeit der Mithilfe der Ehegattin des Beschwerdeführers in ihrer dienstfreien Zeit, insbesondere vor Beginn und nach Ende ihres Dienstes, aus. Ob aber diese Mithilfe ausreicht, um eine Gesundheitsgefährdung des Vaters des Beschwerdeführers während dessen präsenzdienstbedingten Abwesenheit hintanzuhalten, kann mangels Feststellungen über den Umfang und die Häufigkeit von Tätigkeiten, bei denen der Vater des Beschwerdeführers zur Vermeidung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung auf die Mithilfe einer anderen Person angewiesen ist, derzeit nicht beurteilt werden. Offen ist auch, ob die Ehegattin des Beschwerdeführers überhaupt in der Lage ist, in ihrer dienstfreien Zeit alle jene Tätigkeiten auszuüben, die eine besondere Körperkraft erfordern. Der Hinweis der belangten Behörde auf die Möglichkeit einer Dienstfreistellung nach § 53 Abs. 8 WG ist von geringem argumentativem Wert, weil damit dem Beschwerdeführer eine Mitarbeit nur in besonderen Ausnahmsfällen ermöglicht würde und weil ihm auf die Gewährung einer solchen Dienstfreistellung kein Rechtsanspruch zusteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Februar 1991, Zl. 90/11/0120).
Auf die Möglichkeit der Einstellung einer Aushilfskraft für die Dauer der präsenzdienstbedingten Abwesenheit des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht abgestellt. Daher ist auf diese erstmals in ihrer Gegenschrift ins Treffen geführte Möglichkeit bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nicht einzugehen. Bereits jetzt sei allerdings festgehalten, daß eine solche Argumentation Ausführungen über die Zumutbarkeit der Einstellung einer Hilfskraft unter Bedachtnahme auf die wirtschaftliche Situation des Betriebes erfordert. Derartige Ausführungen fehlen auch in der Gegenschrift.
Da somit der Sachverhalt in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf, war der erstangefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
2. ZUR BESCHWERDE ZL. 92/11/0054:
Die Begründung dieser Beschwerde entspricht inhaltlich der Begründung der (zur hg. Zl. 92/11/0053 protokollierten, unter Punkt 1. erledigten) Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Landesverteidigung vom 16. Dezember 1991. Sie läßt eine Rechtswidrigkeit des Einberufungsbefehles nicht erkennen. Der Beschwerdeführer war bei dessen Erlassung von der Verpflichtung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes nicht befreit. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hätte erst ein seine Befreiung von dieser Verpflichtung aussprechender Bescheid die Erlassung eines Einberufungsbefehles zum Grundwehrdienst unzulässig gemacht (vgl. das Erkenntnis vom 10. Dezember 1991, Zl. 91/11/0103). Daß der Beschwerdeführer gegen den sein Befreiungsbegehren abweisenden Bescheid des Bundesministers für Landesverteidigung vom 16. Dezember 1991 (im übrigen erst nach der Erlassung des Einberufungsbefehls) Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben hat, ist im gegebenen Zusammenhang ohne Belang. Desgleichen hat die Aufhebung dieses Bescheides (unter Punkt 1.) nicht die Rechtswidrigkeit des Einberufungsbefehles zur Folge (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. Februar 1992, Zlen. 91/11/0108, 0114).
Da bereits der Inhalt dieser Beschwerde erkennen läßt, daß die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war diese Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.
3. Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992110053.X00Im RIS seit
11.07.2001