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60 ArbeitsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / Verordnung B-VG Art18 Abs2 KJBG §3 Verordnung d BMsV u d BMHGI v 2.10.1981 über die Beschäftigungs- verbote und -beschränkungen für Jugendliche, BGBl 1981/527 §9 Z10Leitsatz
Verfassungskonforme Festlegung einer Schutzgrenze bezüglich der Fortdauer bestimmter Beschäftigungsbeschränkungen bis zur Beendigung der Lehre; öffentliches Interesse an der Gleichmäßigkeit der Behandlung von LehrlingenSpruch
Der Antrag wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Nach §23 des Bundesgesetzes über die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen, BGBl. 146/1948 (KJBG), ist bei Verwendung Jugendlicher auf ihre Körperkräfte entsprechend Rücksicht zu nehmen (Abs1); durch Verordnung kann ihre Beschäftigung in bestimmten Betrieben oder mit bestimmten Arbeiten, die mit besonderen Gefahren für die Gesundheit verbunden sind, untersagt oder von Bedingungen abhängig gemacht werden (Abs2). Jugendliche im Sinne dieses Bundesgesetzes sind nach §3 idF BGBl. 229/1982 Personen (jenseits des Kindesalters) bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres (lita) oder bis zur Beendigung eines Lehr- oder sonstigen mindestens einjährigen Ausbildungsverhältnisses, längstens jedoch bis zur Vollendung des 19. Lebensjahres (litb).
Die in Ausführung dieser gesetzlichen Bestimmungen ergangene Verordnung der Bundesminister für Soziale Verwaltung und für Handel, Gewerbe und Industrie vom 2. Oktober 1981 über die Beschäftigungsverbote und -beschränkungen für Jugendliche, BGBl. 527, gilt nach ihrem §1 Abs1
". . . für alle Jugendlichen, die unter den
Geltungsbereich des §1 des Bundesgesetzes über die Beschäftigung
von Kindern und Jugendlichen . . . fallen",
und bestimmt in §2 Abs2 unter anderem, daß Jugendliche mit oder bei den in den §§4 bis 9 angeführten Arbeiten nicht beschäftigt werden dürfen.
§9 bezeichnet sodann
"10. Arbeiten an oder auf Dächern, bei denen Absturzgefahr besteht und besondere Schutzmaßnahmen dagegen nicht getroffen werden können",
als Arbeiten im Sinne des §2. Allerdings läßt §10 Abs1 Abweichungen von einem Verbot nach den §§3 bis 9 durch Bescheid des Arbeitsinspektorates zu, soweit hiedurch Belange des Schutzes der Gesundheit Jugendlicher nicht beeinträchtigt werden.
Das Bezirksgericht St. Pölten beantragt die Aufhebung der zitierten Z 10 des §9 der Verordnung. Es hat über einen Strafantrag gegen einen Zimmerermeister zu befinden, der die Überwachung eines am 1. Juli 1970 geborenen, seine Lehrzeit am 18. August 1988 beendenden Lehrlings zu verantworten hatte, welcher am 20. Juli 1988 auf dem Dach einer neu errichteten Verkaufshalle damit beschäftigt wurde, Pfostenpakete, die ein Kran hochhob, am Dach abzulegen, und dabei - nach der Sachverhaltsdarstellung des Richters: offensichtlich aus eigener Unachtsamkeit - durch einen noch offenen Teil der Dachschalung stürzte und schwer verletzt wurde.
Für den betroffenen Lehrling sei "eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegeben, weil er - gegenüber einem ungelernten Arbeiter - ein Jahr später uneingeschränkt einsetzbar" sei. Die Verordnung verstoße daher gegen den Gleichheitssatz.
II. Der Antrag ist zulässig. Es ist nichts hervorgekommen, was gegen die Annahme des antragstellenden Gerichtes spräche, es hätte die bekämpfte Verordnungsstelle anzuwenden. Seine Bedenken treffen auch die Verordnung selbst, weil sie unterstellen, der Verordnungsgeber hätte von der Ermächtigung nur in der Weise Gebrauch machen dürfen, daß er für die im §9 Z 10 genannten Arbeiten eine einheitliche Altersgrenze festsetzt.
III. Der Antrag ist aber nicht begründet. Die Übernahme der Altersgrenzen des §3 KJBG für das Verbot der Verwendung zu Arbeiten an oder auf Dächern, bei denen Absturzgefahr besteht, gegen die besondere Schutzmaßnahmen nicht getroffen werden können, ist nicht gesetzwidrig:
Personen, die zwar das 18. Lebensjahr vollendet haben, aber noch in einem Lehr- oder sonstigen (mindestens einjährigen) Ausbildungsverhältnis stehen, sind seit der Novelle BGBl. 331/1973 in den Schutzbereich des KJBG einbezogen. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (747 BlgNR, 13. GP) wird dazu allerdings nur folgendes ausgeführt:
"Bedingt durch die Verlängerung der allgemeinen Schulpflicht auf neun Jahre und den dadurch bewirkten späteren Eintritt in das Berufsleben ergibt sich insbesondere dann, wenn die Lehr(Ausbildungs)zeit mehr als drei Jahre beträgt, eine Verschiebung der Lehr(Ausbildungs)zeit über das 18. Lebensjahr hinaus. Es wurde daher dem Anliegen, für diesen Personenkreis den erforderlichen arbeitsrechtlichen Schutz über das 18. Lebensjahr hinaus zu sichern, im Wege der Gleichstellung mit den Jugendlichen entsprochen."
Es ist dem antragstellenden Gericht einzuräumen, daß es einer besonderen Begründung bedarf, wenn 18jährige, die alle schulischen und fachlichen Ausbildungsschritte soweit durchgemacht haben, daß ihnen nur noch einige Wochen oder Monate bis zur Vollendung der Ausbildung fehlen, nicht mit Arbeiten beschäftigt werden dürfen, zu denen Gleichaltrige ohne jede berufsgemäße Ausbildung ohne weiteres herangezogen werden können. Sieht man allein auf den Schutz vor der Gefahr für die Gesundheit des Arbeitsnehmers, läßt sich diese Unterscheidung nicht rechtfertigen.
§3 KJBG ist aber nicht nur unter diesem Gesichtspunkt zu sehen. Er geht davon aus, daß die Verwendung von Lehrlingen in erster Linie Zwecken der Ausbildung dient und will offenbar verhindern, daß diese Ausbildung von der kurz vor Beendigung der Lehrzeit sich allenfalls ergebenden Möglichkeit durchkreuzt wird, den 18jährigen auf gefährlichere Art zu verwenden als die übrigen Lehrlinge. Schon die starre Altersgrenze von 18 Jahren ist angesichts des Umstandes, daß die Schutzbedürftigkeit nicht schlagartig wegfällt, sondern allmählich verschwindet, nur aus dem Erfordernis einer praktisch handhabbaren Lösung erklärlich. In ähnlicher Weise darf der Gesetzgeber bei Festlegung der Schutzgrenze auch dem öffentlichen Interesse an einer möglichst gleichmäßigen, der Ausbildung untergeordneten Behandlung der Lehrlinge Rechnung tragen und deshalb zumindest für den Regelfall (solange nicht eine äußerste Obergrenze überschritten wird) die Beschäftigungsbeschränkungen bis zur Beendigung der Lehre fortdauern lassen.
Geht man aber von diesem - verfassungsrechtlich unbedenklichen - Gesetzesinhalt aus, erweist sich die angegriffene Verordnungsstelle keineswegs als gesetzwidrig. Ist nämlich das Verbot der Verwendung für die in Rede stehenden Arbeiten an sich bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gerechtfertigt - und daran hat auch das antragstellende Gericht selbst keine Zweifel -, so würde es der Absicht des Gesetzgebers geradezu entgegenlaufen, wenn die Verordnung es erlauben würde, daß ältere Lehrlinge in den letzten Monaten ihres Lehrverhältnisses auch noch mit solchen gefährlichen Arbeiten beschäftigt werden dürfen, während andere in Ausbildung stehende Arbeitnehmer dazu nicht herangezogen werden können. Ein Abstellen auf das Lebensalter wäre überhaupt nur dann zulässig, wenn das Verbot bereits mit Vollendung des 16. oder 17. Lebensjahres wegfiele (wie zB in den Fällen des §8 Abs4 und des §9 Z 2, 3 und 5 der Verordnung), sodaß die Grenze im allgemeinen Ausbildungsgang berücksichtigt werden kann.
Der Antrag auf Aufhebung der Verordnungsstelle ist daher abzuweisen.
Da von einer mündlichen Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war, hat der Gerichtshof von einer mündlichen Verhandlung abgesehen (§19 Abs4 VerfGG).
Schlagworte
Arbeitsrecht, Kinder- und Jugendlichenbeschäftigung Beschäftigungsverbot, öffentliches InteresseEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1990:V87.1989Dokumentnummer
JFT_10099691_89V00087_00