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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag ZPO §289 Abs1Leitsatz
Zurückweisung eines Individualantrags auf Aufhebung von Teilen des §289 Abs1 ZPO mangels Legitimation; Wirksamkeit der angefochtenen Bestimmung nur durch prozeßleitende Verfügung des Gerichts; daher Antragslegitimation des Gerichts gegebenSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung:
I. Nach §289 Abs1 ZPO können die Parteien bei der Beweisaufnahme zugegen sein; sie
"... können an die Zeugen und Sachverständigen diejenigen Fragen durch den Vorsitzenden oder den die Beweisaufnahme leitenden Richter stellen lassen oder mit deren Zustimmung selbst stellen, welche sie zur Aufklärung oder Vervollständigung der Aussage, sowie zur Aufklärung des Streitverhältnisses oder der für die Beweiskraft der Aussagen wesentlichen Verhältnisse für dienlich erachten. Fragen, welche dem Richter unangemessen erscheinen, hat er zurückzuweisen."
Der antragstellende Rechtsanwalt vertritt seine gleichfalls antragstellende Mandantin als Beklagte in Rechtsstreitigkeiten vor dem Bezirksgericht Bregenz. Nachdem der Richter in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung am 11. März 1989 die Antragstellerin einvernommen hatte, wurde laut Protokoll "der Beklagtenvertreter vom Richter ermächtigt, über den Richter an die Beklagte Fragen stellen zu lassen", und die Bitte des Antragstellers, selbst die Fragen an seine Mandantin stellen zu dürfen, abgelehnt. Auch bei der Einvernahme mehrerer Zeugen gestattete der Richter keine direkten Fragen des Antragstellers.
Der Antragsteller lehnte hierauf den Richter wegen Befangenheit ab. Der Vorsteher des Bezirksgerichtes gab diesem Ablehnungsantrag keine Folge, das Landesgericht Feldkirch hob jedoch mit Beschluß vom 3. Juli 1989 die vom abgelehnten Richter vorgenommenen Prozeßhandlungen als nichtig auf. In der Rekursentscheidung heißt es unter anderem:
"Die Zivilprozeßordnung beruht in ihrer Stammfassung auf dem Gesetz vom 1. 8. 1895, RGBl. 113, über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. Sie stammt also aus einer Zeit, die von ihrer gesellschaftspolitischen Struktur her stark durch autoritäre Komponenten geprägt war. Diese Zivilprozeßordnung ist in zahlreichen Bestimmungen mittlerweile novelliert und auch an die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse angepaßt worden, wobei die Bestimmungen des §§289 Abs1 und 184 Abs1 ZPO offenbar in der Praxis bislang deshalb zu keinen Problemen geführt haben, weil sie, soweit dies dem Rekursgerichte bekannt ist, nicht in einer derartigen Form, wie im vorliegenden Falle, angewendet wurden. Es ist schwer vorstellbar, daß derartige Bestimmungen in der heutigen Zeit einer ernsthaften Überprüfung unter dem Gesichtspunkt des Grundrechtes auf ein faires Verfahren standhalten könnten. Dies insbesonders auch deshalb, weil die diskretionäre Gewalt des die Verhandlung leitenden Richters ja ohnehin dadurch gegeben ist, daß er ihm unangemessen scheinende Fragen zurückweisen kann.
Wendet daher ein Richter in einem Zivilprozeß derartige Bestimmungen, die nahezu dem Bereiche des 'toten Rechtes' zuzurechnen sind, an, so hat er dabei ganz besonders sorgfältig zu prüfen, ob er sich hiebei nicht dem Vorwurf aussetzt, er lasse sich hiezu nicht ausschließlich von sachlichen Gründen bestimmen. Diesen Eindruck kann der Richter dadurch vermeiden, daß er sachlich gerechtfertigte Gründe für seine Vorgangsweise angibt, die letztlich nur darin liegen können, daß eine Partei oder ein Parteienvertreter das ihm nach der Zivilprozeßordnung eingeräumte Fragerecht entweder im Einzelfall oder notorisch mißbraucht.
Derartige Hinweise enthält nun weder das Protokoll über die Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 11. 5. 1989 noch die vom abgelehnten Richter abgegebene Stellungnahme vom 18. 5. 1989 ..."
Die Antragsteller legen Ladungen zu mündlichen Streitverhandlungen in weiteren sie betreffenden Verfahren vor, worin angekündigt ist, daß Fragen nur "über den Richter" gestellt werden können. In einer Tagsatzung am 16. November 1989 habe der Richter dementsprechend direkte Fragen auch nicht zugelassen. Der Vorsteher des Bezirksgerichtes habe dem neuerlichen Ablehnungsantrag wieder keine Folge gegeben.
Beide Antragsteller begehren die Aufhebung der Wortfolge "mit deren Zustimmung" in §289 Abs1 ZPO wegen Verstoßes gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein faires Verfahren (Art6 MRK).
Die angefochtene gesetzliche Bestimmung greife ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung unmittelbar und aktuell in die Rechtssphäre beider Antragsteller ein, weil bereits in der Ladung zur Verhandlung angekündigt worden sei, daß der Richter kein unmittelbares Fragerecht gewähren werde. Auch einschlägige Verfügungen des Richters während der Verhandlung seien keine "gerichtliche Entscheidung" im Sinne des letzten Satzes des Art140 Abs1 B-VG, was insbesondere die dort vorgenommene Gleichstellung von gerichtlicher Entscheidung und Bescheid zeige. Es sei den Antragstellern nicht zuzumuten, sich gegen die unbegründete und teilweise schon in den Ladungen enthaltene gerichtliche Verfügung weiterhin nur mit Ablehnungsanträgen zur Wehr zu setzen, da ein erfolgreicher Ablehnungsantrag nur bewirke, daß das vom befangenen Richter geführte Verfahren als nichtig aufgehoben werden müsse, womit erheblicher Prozeßaufwand verlorengehe und das Prozeßrisiko beträchtlich erhöht werde.
§289 Abs1 ZPO widerspreche den in Art6 MRK festgelegten Grundsätzen eines fairen Verfahrens, da diese Bestimmung dem Richter ermögliche, den Parteien und ihren Vertretern jederzeit und ohne Angabe von Gründen zu untersagen, selbst Fragen im Prozeß zu stellen.
II. Der Antrag ist unzulässig.
Nach dem letzten Satz des Art140 Abs1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Voraussetzung für die Antragslegitimation ist damit einerseits, daß der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz - im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, daß das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist (vgl. VfSlg. 8148/1977, 8212/1977, 9170/1981 und die seither ständige Rechtsprechung).
Nun ist offenkundig, daß §289 Abs1 ZPO nur durch einen gerichtlichen Akt, regelmäßig eine prozeßleitende Verfügung (hier des die Beweisaufnahme leitenden Richters) wirksam werden kann. Ob diese Verfügung in der mündlichen Verhandlung erstmals ausgesprochen oder dieser Ausspruch bereits in der gerichtlichen Ladung angekündigt wird, ist für die Zurechnung gleichgültig. Auch eine prozeßleitende Verfügung ist aber als "Entscheidung" eines Gerichts im Sinne des letzten Satzes des Art140 Abs1 B-VG anzusehen (vgl. VfSlg. 8554/1979).
Die Bundesverfassung behält das Antragsrecht in solchen Fällen dem Gericht vor, das die in Betracht kommende Vorschrift in zweiter Instanz anzuwenden hat. Daran muß auch das Vorbringen der Antragsteller über den mit dem Bekämpfen des gerichtlichen Aktes verbundenen Prozeßaufwand scheitern.
Der Antrag ist mangels Vorliegens der Antragslegitimation gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Schlagworte
VfGH / IndividualantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1990:G12.1990Dokumentnummer
JFT_10099687_90G00012_00