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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §66 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Mag. Meinl, Dr. Fürnsinn, Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Mag. Fritz, über die Beschwerde des NN in W, gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt vom 31. März 1992, Zl. 118/9-DOK/91, betreffend Einstellung eines Disziplinarverfahrens, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.450,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer steht als Oberrat in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund und ist als Vorstand des Büros für Asyl- und Flüchtlingsangelegenheiten in X tätig.
Anfang Oktober 1990 wurde gegen den Beschwerdeführer Strafanzeige und Dienstaufsichtsbeschwerde erstattet, weil er einem iranischen Asylwerber aus Anlaß der Ausfolgung eines erstinstanzlichen Bescheides, mit welchem dieser Asylwerber nicht als Flüchtling anerkannt worden war, die Bescheinigung über die vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach § 5 Asylgesetz abgenommen habe, obwohl das Asylverfahren mit dem ablehnenden erstinstanzlichen Bescheid noch nicht rechtskräftig abgeschlossen gewesen sei.
Wegen des Verdachtes, der Beschwerdeführer habe durch diese Vorgangsweise die in § 43 BDG 1979 verankerten Dienstpflichten verletzt, leitete die Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres mit Beschluß vom 3. April 1991 gegen den Beschwerdeführer gemäß § 123 Abs. 1 BDG 1979 ein Disziplinarverfahren ein, welches sie gleichzeitig wegen des anhängigen gerichtlichen Strafverfahrens gemäß § 114 BDG 1979 unterbrach. In der Begründung dieses Einleitungsbeschlusses wurde im wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe den gegen ihn erhobenen Vorwurf im Tatsächlichen nicht bestritten. Da das Asylverfahren mit der Erlassung des erstinstanzlichen (negativen) Bescheides noch nicht rechtskräftig abgeschlossen worden sei, sei die Abnahme der vorläufigen Bescheinigung offenkundig rechtswidrig erfolgt. Die Rechtfertigung des Beschwerdeführers, sein Vorgehen sei "praxisgerecht" gewesen, ergebe ebensowenig wie die übrigen Aktenunterlagen einen Anhaltspunkt dafür, daß sein Verschulden geringfügig sei und die Folgen der Dienstpflichtverletzung unbedeutend wären.
Nach Einstellung des gerichtlichen Strafverfahrens gemäß § 90 StPO hob die Disziplinarkommission die von ihr verfügte Unterbrechung des Disziplinarverfahrens mit Berufungsvorentscheidung vom 19. April 1991 wieder auf, worauf dieses Verfahren durch Einholung einer Stellungnahme des Bundesministeriums für Inneres über die hinsichtlich einer Abnahme der Bescheinigung über die vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz geübte Verwaltungspraxis fortgesetzt wurde.
Mit Bescheid vom 25. Oktober 1991 stellte die erstinstanzliche Disziplinarkommission das gegen den Beschwerdeführer eingeleitete Disziplinarverfahren gemäß § 118 Abs. 1 Z. 4 BDG 1979 ein. Begründend ging die Behörde davon aus, daß alle Voraussetzungen zur Einstellung nach dieser Gesetzesstelle vorlägen. Die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Vorgangsweise sei seit etwa 20 Jahren üblich, keine vorgesetzte Dienststelle habe diese - wenngleich im Gesetz nicht gedeckte, möglicherweise aber zweckmäßige - Praxis je beanstandet; das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer sei gemäß § 90 StPO eingestellt worden. Aus all dem ergebe sich, daß die Schuld des Beschwerdeführers gering sei. Anhaltspunkte dafür, daß die Abnahme der in Rede stehenden Bescheinigung bedeutende Folgen nach sich gezogen hätte, hätten sich nicht ergeben. Die disziplinäre Bestrafung des Beschwerdeführers sei auch nicht aus general- oder spezialpräventiven Gründen erforderlich, zumal in Aussicht genommen sei, die vom Beschwerdeführer gewählte Vorgangsweise in Zukunft gesetzlich zu verankern.
Gegen diesen Einstellungsbescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, weil darin zu Unrecht davon ausgegangen worden sei, daß eine Dienstpflichtverletzung vorliege.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 31. März 1992 hat die belangte Behörde den erstinstanzlichen Bescheid vom 25. Oktober 1991 gemäß § 66 Abs. 2 AVG in Verbindung mit § 105 BDG 1979 behoben und die Angelegenheit zur Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz verwiesen. Sie begründete den angefochtenen Bescheid damit, daß im Verfahren vor der Disziplinarkommission wesentliche Sachverhaltselemente nicht geklärt worden seien. Insbesondere sei die Dissertation des Beschwerdeführers ("Der Flüchtlingsbegriff nach dem Asylgesetz und das Verfahren zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft", Wien 1987), in der auf die Praxis der Abnahme der Bescheinigung über das vorläufige Aufenthaltsrecht Bezug genommen werde, nicht berücksichtigt worden. Darüber hinaus habe die Disziplinarkommission zwar im Einleitungsbeschluß, aber nicht im Disziplinarerkenntnis darüber abgesprochen, ob das Verhalten des Beschwerdeführers rechtswidrig gewesen sei. Es erscheine der belangten Behörde unumgänglich, daß diese Fragen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung erörtert würden und so auch dem Beschwerdeführer die Möglichkeit zum Parteiengehör gegeben werde. In Anbetracht des Umstandes, daß die Fassung des Verhandlungsbeschlusses gemäß § 124 Abs. 1 BDG 1979 der Disziplinarkommission vorbehalten sei, werde die Angelegenheit zur Ergänzung des Ermittlungsverfahrens und zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz verwiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß dem nach § 105 BDG 1979 in Verbindung mit § 125a Abs. 2 BDG 1979 (eingefügt durch BGBl. Nr. 287/1988; vgl. dazu auch das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 1989, Slg. 12.917/A) auch im Disziplinarverfahren anzuwendenden § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde dann, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, daß die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz verweisen. Außer dem im Abs. 2 erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG auch im Disziplinarverfahren, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden.
Ein letztinstanzlicher Bescheid, mit dem gemäß § 66 Abs. 2 AVG der erstinstanzliche Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur Durchführung einer Verhandlung und zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Vorinstanz zurückverwiesen wurde, kann mit Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde angefochten werden. Eine Verletzung von Rechten durch einen solchen Aufhebungsbescheid kann u.a. darin gelegen sein, daß die Berufungsbehörde von dieser Regelung mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen zu Unrecht Gebrauch gemacht und keine Sachentscheidung erlassen hat. Dies ist etwa dann der Fall, wenn es nur darum geht, den Parteien des Verwaltungsverfahrens die ihnen bisher nicht eingeräumte Gelegenheit zu geben, angesichts des festgestellten Sachverhaltes ihre Rechte und rechtlichen Interessen geltend zu machen. Bloße Begründungsmängel oder die Verletzung des Parteiengehörs berechtigen die Behörde daher nicht, eine kassatorische Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG zu fällen (siehe dazu die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, auf den S. 523 ff zusammengestellte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).
Im Beschwerdefall ist die Tatsache unbestritten, daß es - unter Mitwirkung des Beschwerdeführers - zu der in der gegen ihn erhobenen Anzeige behaupteten Abnahme der Bescheinigung über die vorläufige Aufenthaltsberechtigung eines iranischen Asylwerbers gekommen ist. Strittig ist allein, ob diese Maßnahme rechtswidrig war und eine Dienstpflichtverletzung des Beschwerdeführers dargestellt hat.
Die erstinstanzliche Disziplinarkommission ist in ihrem Einstellungsbescheid vom 25. Oktober 1991 davon ausgegangen, daß dem Beschwerdeführer ein rechtswidriges Vorgehen und damit eine Dienstpflichtverletzung vorzuwerfen ist. Gemäß dem zur Rechtsgrundlage des erstinstanzlichen Bescheides erhobenen § 118 Abs. 1 Z. 4 BDG 1979 ist das Disziplinarverfahren nämlich dann mit Bescheid einzustellen, wenn die Schuld des Beschuldigten gering ist, die Tat keine oder nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat und überdies eine Bestrafung nicht geboten ist, um den Beschuldigten von der Verletzung der Dienstpflichten abzuhalten oder der Verletzung von Dienstpflichten durch andere Beamte entgegenzuwirken. Es handelt sich dabei somit um einen Einstellungsfall besonderer Art, der die Einstellung trotz Vorliegens einer Verletzung von als erwiesen angenommenen Dienstpflichten ermöglicht. Mit einer derartigen Einstellung ist somit die Feststellung verbunden, daß der Beamte eine Dienstpflichtverletzung begangen hat, aber die Fortführung des Disziplinarverfahrens aus den im § 118 Abs. 1 Z. 4 BDG 1979 normierten Gründen nicht notwendig ist. Eine derartige Feststellung beschwert den Beamten, weshalb es ihm auch nicht verwehrt ist, die mit einer derartigen Einstellung verbundene Bejahung des Vorliegens einer Dienstpflichtverletzung mit Berufung zu bekämpfen (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. Oktober 1990, Zl. 90/09/0098).
Der Beschwerdeführer macht mit Recht geltend, daß ihm die belangte Behörde in rechtswidriger Weise eine Sachentscheidung über seine somit zulässige Berufung verweigert hat. Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides selbst ergibt sich, daß im Beschwerdefall nicht etwa der Sachverhalt mangelhaft, sondern nur seine rechtliche Beurteilung strittig ist. Wenn es die belangte Behörde schon für rechtlich erheblich hielt, zur Beurteilung dieser Rechtsfrage auch die vom Beschwerdeführer stammende Dissertation aus dem Jahre 1987 heranzuziehen, dann konnte sie dies auch ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung und sogar - da es sich nicht um die Feststellung, sondern ausschließlich um die rechtliche Würdigung des Sachverhaltes handelte - ohne Wahrung des Parteiengehörs tun. Das weitere Argument der belangten Behörde, die Disziplinarkommission hätte im "Disziplinarerkenntnis" nicht darüber abgesprochen, ob das Verhalten des Beschwerdeführers rechtswidrig gewesen sei, vermag die vorgenommene Aufhebung ebenfalls nicht zu rechtfertigen, weil es auch dabei nur um die rechtliche Würdigung des festgestellten Sachverhaltes ging. Im übrigen trifft es nicht zu, daß die Disziplinarkommission das Verhalten des Beschwerdeführers nicht als rechtswidrig qualifiziert hätte, setzte doch nach dem oben Gesagten die Einstellung des Disziplinarverfahrens nach § 118 Abs. 1 Z. 4 BDG 1979 die Bejahung des Vorliegens einer Dienstpflichtverletzung voraus.
Verfehlt ist auch der Hinweis der belangten Behörde auf einen Verhandlungsbeschluß gemäß § 124 Abs. 1 BDG 1979, weil ein solcher im gegebenen Verfahrensstadium überhaupt nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens vor der belangten Behörde gewesen ist. Die belangte Behörde hatte vielmehr ausschließlich zu beurteilen, ob die erstinstanzliche - zulässigerweise nach Einleitung des Verfahrens, aber noch VOR Erlassung eines Verhandlungsbeschlusses (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. November 1990, Zl. 90/09/0122) verfügte - Verfahrenseinstellung der Rechtslage entsprochen hat.
Die belangte Behörde hat somit bei der gegebenen Sach- und Rechtslage zu Unrecht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, den erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG aufzuheben und der Behörde erster Instanz eine neuerliche Sachentscheidung aufzutragen, zu welcher die belangte Behörde, worauf der Beschwerdeführer zutreffend verweist, nach dem Gesetz selbst verhalten war.
Der angefochtene Bescheid war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I A Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Offenbare Unzuständigkeit des VwGH Nichterschöpfung des Instanzenzuges Allgemein Allgemeine VerwaltungsverfahrensgesetzeHeilung von Verfahrensmängeln der Vorinstanz im BerufungsverfahrenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992090154.X00Im RIS seit
29.09.1992Zuletzt aktualisiert am
14.07.2009