Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hoffmann und die Hofräte Mag. Meinl, Dr. Fürnsinn, Dr. Germ und Dr. Höß als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Mag. Fritz, über die Beschwerde des H in S, vertreten durch Dr. C, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt vom 22. April 1992, Zl. GZ. 14/5-DOK/92, betreffend Schuldspruch unter Absehen von einer Strafe in einer Disziplinarsache, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer steht als Lehrer an der Höheren Technischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt S in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Er unterrichtete insbesondere im Fach Maschinenelemente und Konstruktionsübungen, so auch im Schuljahr 1990/91 in jener Klasse, in der die inkriminierte Äußerung gefallen ist.
Auf Grund einer Anzeige von Eltern eines Schülers erließ der Landesschulrat nach Schülerbefragungen gegen den Beschwerdeführer eine mit 2. September 1991 datierte Disziplinarverfügung, mit welcher über den Beschwerdeführer wegen verschiedener Äußerungen ein Verweis und eine Geldbuße in der Höhe von S 3.000,-- verhängt wurden.
Auf Grund des dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Einspruches leitete die Disziplinarkommission beim Landesschulrat gegen den Beschwerdeführer das Disziplinarverfahren ein, und zwar ausschließlich wegen des Vorwurfes, der Beschwerdeführer habe im Schuljahr 1990/91 die Schüler der 2 BA Klasse befragt, ob die zahlreich auftretenden Erkältungen in der Klasse vom vielen Onanieren im Freien herrührten. In der darüber anberaumten Verhandlung am 10. Dezember 1991, an welcher der Beschwerdeführer sowie der Disziplinaranwalt teilnahmen, schloß der Beschwerdeführer nicht aus, die ihm vorgeworfene Äußerung gemacht zu haben, und verwies dazu auf die durchgeführten Schülerbefragungen.
Hierauf wurde der Beschwerdeführer mit Bescheid der Disziplinarkommission beim Landesschulrat vom 7. Jänner 1992 schuldig erkannt, im Schuljahr 1990/91 die Schüler der 2 BA Klasse der Höheren Technischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt S befragt zu haben, ob die zahlreich auftretenden Erkältungen in der Klasse vom vielen Onanieren im Freien herrührten. Er habe dadurch gegen seinen Lehr- und Erziehungsauftrag verstoßen und eine Dienstpflichtverletzung im Sinne des § 91 BDG 1979 begangen. Gemäß § 92 Abs. 1 Z. 1 iVm § 126 Abs. 2 BDG 1979 wurde gegen den Beschwerdeführer dafür ein Verweis ausgesprochen. Daß der Beschwerdeführer diese Äußerung getätigt habe, gehe aus den durchgeführten Schülerbefragungen zweifelsfrei hervor, der Beschwerdeführer habe selbst nicht ausgeschlossen, daß solch eine Äußerung gefallen sei. Diese objektiv vorliegende und subjektiv vorwerfbare Dienstpflichtverletzung sei geeignet gewesen, dem Ansehen der Schule in der Öffentlichkeit zu schaden, sie widerspreche der Vorbildfunktion eines Lehrers. Im Hinblick auf die Erstmaligkeit der Dienstpflichtverletzung und auf den vergleichsweise minderen Unrechtsgehalt der Tat sei der Ausspruch eines Verweises gerechtfertigt.
In seiner dagegen erhobenen Berufung stellte der Beschwerdeführer die gegen ihn erhobene Anzeige als Ergebnis eines Erpressungsversuches dar, mit dem der Vater eines Schülers dessen bessere Benotung durch den Beschwerdeführer erreichen habe wollen. Zum konkreten Vorwurf gestand der Beschwerdeführer einerseits zu, das Wort "Onanieren" in einem anderen Zusammenhang gebraucht zu haben (z.B. Aufklärung über Aids), wobei er wie bereits in der Verhandlung vom 10. Dezember 1991 auf die Herkunft dieses Wortes aus der Bibel verwies. Andererseits brachte der Beschwerdeführer dazu vor, in der Verhandlung seien die Schüleraussagen verlesen worden; obwohl die Schüler erklärt hätten, daß der Beschwerdeführer einmal "zum Spaß, zur Auflockerung des Unterrichtes und auch nicht wörtlich eine Andeutung bezüglich des Onanierens" gemacht habe, und die Schüler darüber nur gelacht hätten, stehe im erstinstanzlichen Bescheid, der Beschwerdeführer habe die Schüler "befragt"; unter einer Befragung aber sei sicher etwas anderes zu verstehen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 22. April 1992 gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers teilweise Folge und änderte den erstinstanzlichen Bescheid dahingehend ab, daß gemäß § 115 BDG 1979 von der Verhängung einer Disziplinarstrafe abgesehen werde. Begründend führte die belangte Behörde nach einer kurzen Darstellung des bisherigen Verfahrensablaufes aus, es werde auf Grund der Schüleraussagen als erwiesen angenommen, daß der Beschwerdeführer die ihm vorgeworfene Frage gestellt habe. Allerdings stelle dies keine "Befragung", sondern eher eine rhetorische Frage dar, an der die Schüler in der aktuellen Situation nicht Anstoß genommen, sondern die sie eher als Witz aufgefaßt hätten.
Nichtsdestotrotz stelle auch eine solche rhetorische Frage einen Eingriff in das Privatleben der Schüler dar und werde der erhöhten Verantwortung, die ein Lehrer auch bezüglich des Gebrauches der Sprache trage, nicht gerecht. Insofern habe der Beschwerdeführer damit fahrlässig gegen seinen Lehr- und Erziehungsauftrag (§ 17 Schulunterrichtsgesetz iVm § 2 Schulorganisationsgesetz) verstoßen. Nach diesen Bestimmungen habe der Lehrer in eigenständiger und verantwortlicher Unterrichts- und Erziehungsarbeit die Aufgabe der österreichischen Schule zu erfüllen, die insbesondere darin bestehe, an der Entwicklung der Anlagen der Jugend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen ihrer Entwicklungsstufe und ihrem Bildungsweg entsprechenden Unterricht mitzuwirken. Somit habe der Beschwerdeführer eine Dienstpflichtverletzung im Sinne des § 91 BDG 1979 begangen. Allerdings habe im Hinblick auf die disziplinäre Unbescholtenheit des Beschwerdeführers, den geringen Unrechtsgehalt der Tat und die übrigen Umstände ein Schuldspruch ohne Strafe gemäß § 115 BDG 1979 gefällt werden können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht. Der Beschwerdeführer erachtet sich nach dem gesamten Beschwerdevorbringen in seinem Recht verletzt, nicht einer Dienstpflichtverletzung disziplinär schuldig erkannt zu werden.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Als Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften macht der Beschwerdeführer geltend, ihm sei im Verfahren vor der belangten Behörde nicht das Parteiengehör gewährt worden. Es sei auch nicht mit den demokratischen Rechten in Einklang zu bringen, daß im Rahmen eines Disziplinarverfahrens eine Berufung in nichtöffentlicher Sitzung behandelt werde.
Mit dieser Argumentation übersieht der Beschwerdeführer, daß gemäß § 125a Abs. 1 BDG 1979 (angefügt durch die Novelle BGBl. Nr. 287/1988) von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor der Disziplinaroberkommission Abstand genommen werden kann, wenn der Sachverhalt nach der Aktenlage hinreichend geklärt ist und die Parteien nicht ausdrücklich in der Berufung die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt haben.
Der Verwaltungsgerichtshof kann nicht finden, daß die belangte Behörde im Beschwerdefall das Vorliegen dieser Voraussetzungen für eine Abstandnahme von einer mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren zu Unrecht angenommen hätte. Beantragt wurde die Abhaltung einer solchen Verhandlung jedenfalls nicht, und die Annahme, daß der Sachverhalt nach der Aktenlage hinreichend geklärt gewesen sei, war unter Bedachtnahme auf die Ergebnisse der in erster Instanz abgehaltenen Verhandlung vom 10. Dezember 1991 und auf das Berufungsvorbringen durchaus gerechtfertigt. Der Beschwerdeführer hat nämlich die objektive Tatsache, die inkriminierte Äußerung gegenüber seinen Schülern gemacht zu haben, nie ausdrücklich bestritten. Er hat am 10. Dezember 1991 nicht ausgeschlossen, diese Äußerung gemacht zu haben, und er hat damals, aber auch in seiner Berufung hiezu auf die durchgeführten und in der Verhandlung verlesenen Schülerbefragungen verwiesen. Diese Befragungen haben völlig übereinstimmend ergeben, daß der Beschwerdeführer die ihm vorgeworfene Äußerung den Schülern gegenüber mindestens einmal gemacht hat. Ob nun seine "Andeutung bezüglich des Onanierens" ein von den Schülern belachter Spaß "zur Auflockerung des Unterrichts" gewesen ist, und ob diese in Frageform gekleidete Äußerung nun eine "Befragung" oder bloß eine "rhetorische Frage" dargestellt hat, hat für die demnach unbedenkliche Feststellung, daß eine Äußerung dieses Inhaltes seitens des Beschwerdeführers tatsächlich gemacht wurde, keine Bedeutung. Konnte aber die belangte Behörde von einem diesbezüglich hinreichend geklärten Sachverhalt ausgehen, dann hat sie durch ihr Absehen von einer mündlichen Berufungsverhandlung das Gesetz nicht verletzt.
Der Beschwerdeführer macht ferner zu Unrecht eine Verletzung des Parteiengehörs geltend. Gegenstand des Parteiengehörs ist nur der durch die Behörde als erwiesen angenommene Sachverhalt, nicht aber dessen rechtliche Beurteilung. Legt die Berufungsbehörde ihrer Entscheidung den von der Vorinstanz angenommenen Sachverhalt zugrunde, dann muß sie dem Beschwerdeführer nicht neuerlich Gelegenheit zur Stellungnahme im Sinne des § 45 Abs. 3 AVG geben.
Im Beschwerdefall sind die den Beschwerdeführer belastenden Schüleraussagen nach seinem eigenen Berufungsvorbringen in der Verhandlung am 10. Dezember 1991 verlesen und vom Beschwerdeführer auch nicht in Zweifel gezogen worden; der Beschwerdeführer war nach der Aktenlage auch nicht an einer Erörterung dieser Beweisergebnisse im Rahmen des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens sowie an der Stellung weiterer Beweisanträge gehindert. Im übrigen hat der Beschwerdeführer auch in seiner Beschwerde nicht dargetan, an welchem ihn entlastenden Vorbringen er durch die behauptete Verletzung des Parteiengehörs gehindert worden sei.
Beide Instanzen haben die Dienstpflichtverletzung des Beschwerdeführers in einem Verstoß gegen den gesetzlichen Lehr- und Erziehungsauftrag eines Lehrers erblickt. Der Umstand, daß die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides hiezu auf die im erstinstanzlichen Bescheid nicht ausdrücklich angeführten Bestimmungen des § 17 des Schulunterrichtsgesetzes und des § 2 des Schulorganisationsgesetzes hingewiesen hat, ist ausschließlich der rechtlichen Beurteilung des als erwiesen angenommenen Sachverhaltes zuzuordnen, sodaß es auch diesbezüglich keiner neuerlichen Gewährung des Parteiengehörs an den Beschwerdeführer bedurfte.
Den Ausführungen des Beschwerdeführers zur Behauptung weiterer Verfahrensmängel ist gemeinsam, daß sie nicht erkennen lassen, ob und inwieweit Rechte des Beschwerdeführers selbst im Falle einer Annahme dieser Verfahrensfehler verletzt worden sein sollen.
So meint der Beschwerdeführer, im durchgeführten Verfahren sei der Disziplinaranwalt nicht, bzw. nicht in dem vom Gesetz vorgeschriebenen Umfang beigezogen worden. Dabei ist aktenwidrig, daß der Disziplinaranwalt von der Disziplinarverfügung gegen den Beschwerdeführer nicht verständigt worden sei und daß er an der Verhandlung im erstinstanzlichen Verfahren nicht teilgenommen hätte. Abgesehen davon, daß der Beschwerdeführer nicht dartut, inwieweit eine weitere Befassung des Disziplinaranwaltes das Verfahrensergebnis zugunsten des Beschwerdeführers hätte beeinflussen sollen, ist für den Verwaltungsgerichtshof auch nicht ersichtlich, zu welchem Anlaß der Disziplinaranwalt bei der belangten Behörde hätte "anwesend" sein sollen, da diese doch gemäß § 125a Abs. 1 BDG 1979 von einer mündlichen Berufungsverhandlung Abstand genommen hat.
Der Verwaltungsgerichtshof vermag auch nicht zu erkennen, inwiefern eine Verletzung von Rechten des Beschwerdeführers dadurch erfolgt sein sollte, daß von den gegen ihn ursprünglich erhobenen Vorwürfen zuletzt nur jener übriggeblieben ist, der zu dem bekämpften Schuldspruch ohne Strafe geführt hat. Unzutreffend ist hiebei die Schlußfolgerung des Beschwerdeführers, auf diese Weise sei "vom ursprünglichen Vorwurf des Disziplinarverfahrens überhaupt nichts mehr übriggeblieben", es sei nur mehr auf rhetorische Fragen "ausgewichen" worden, um zu einem Schuldspruch zu gelangen. Hierauf wird in den Erwägungen zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit zurückzukommen sein.
Als weiteren Verfahrensmangel macht der Beschwerdeführer noch geltend, durch die Vorgangsweise der belangten Behörde (Entscheidung in nicht öffentlicher Sitzung) sei ihm die Möglichkeit genommen worden, Mitglieder der belangten Behörde als befangen abzulehnen. Es erübrigt sich indes, auf dieses Vorbringen näher einzugehen, weil der Beschwerdeführer eine Befangenheit einzelner Mitglieder der belangten Behörde und einen darin gelegenen Verfahrensmangel in seiner Beschwerde gar nicht behauptet.
Zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides bekämpft der Beschwerdeführer die Rechtsansicht der belangten Behörde, die an die Schüler gestellte und von diesen als Witz aufgefaßte rhetorische Frage stelle einen Eingriff in das Privatleben der Schüler dar und werde der erhöhten Verantwortung eines Lehrers nicht gerecht. In seinen Ausführungen dazu weicht der Beschwerdeführer allerdings insofern von den Feststellungen der belangten Behörde ab, als er meint, als Lehrer habe er zu aktuellen Fragen (insbesondere zur Krankheit Aids) Stellung zu nehmen, wobei wegen des engeren Zusammenhanges auch das Wort "onanieren" gebraucht werden müsse. Wenn ein Lehrer in seiner Erziehungsarbeit auch den Werten des Wahren, Guten und Schönen verpflichtet zu sein habe, sei es im Unterricht nicht zu vermeiden, daß auch Negatives (wie eben Aids, Kriege, Morde etc.) zur Sprache komme. Dabei übersieht der Beschwerdeführer, daß ihm die inkriminierte Äußerung durchaus nicht im Rahmen seiner Aufklärungsarbeit zum Vorwurf gemacht worden ist, sondern eben als eine seinem vom Gesetz auferlegten Unterrichts- und Erziehungsauftrag widersprechende Äußerung. Daß seine Schüler die in dieser rhetorischen Frage gelegene Anbiederung als "Witz" aufgefaßt und daran keinen Anstoß genommen haben mögen, vermag, wie die belangte Behörde daraus mit Recht gefolgert hat, ihren prinzipiellen Unrechtsgehalt nicht aufzuheben.
Die Beschwerde war deshalb gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen, ohne daß es der Abhaltung einer vom Beschwerdeführer beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof bedurfte, zumal die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen ließen, daß die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ (§ 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG).
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 2 Z. 1 und 2 VwGG in Verbindung mit Art. I B Z. 4 und 5 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Parteiengehör Rechtliche WürdigungAbstandnahme vom ParteiengehörEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992090172.X00Im RIS seit
02.07.2001Zuletzt aktualisiert am
29.07.2010