TE Vwgh Erkenntnis 1992/10/8 90/19/0486

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Veröffentlicht am 08.10.1992
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
60/02 Arbeitnehmerschutz;

Norm

AAV §48 Abs1;
AAV §62 Abs2;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
VStG §24;
VStG §44a lita;
VStG §5 Abs1 idF 1987/516;
VStG §5 Abs1;
VStG §9 idF 1983/176;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde W in D, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom 30. Juli 1990, Zl. 3/07-7153/2-1990, betreffend Bestrafung wegen Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit Schreiben vom 18. September 1989 beantragte das Arbeitsinspektorat, gegen das zur Vertretung nach außen berufene Organ einer näher bezeichneten Gesellschaft wegen der Übertretung des § 62 Abs. 2 in Verbindung mit § 48 Abs. 1 AAV gemäß § 31 in Verbindung mit § 33 Abs. 1 und § 33 Abs. 7 Arbeitnehmerschutzgesetz (ASchG) eine Geldstrafe von S 5.000,-- zu verhängen. Anläßlich einer am 10. August 1989 durchgeführten Überprüfung auf der Baustelle X-Sperre sei festgestellt worden, daß den Arbeitnehmern der Gesellschaft für den Materialtransport keine geeigneten Betriebsmittel zur Verfügung gestellt worden seien. Die an einem Seil befestigten Lasten seien über eine Umlaufrolle, die etwa in 20 m Höhe beim Siebhaus angebracht gewesen sei, mittels eines Kombiwagens hochgezogen worden. Dieser sei mehrere Meter zurückgefahren, um so die Last hochzuziehen. Diese Arbeitsweise sei unzulässig.

2. Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens stellte die Bezirkshauptmannschaft mit Bescheid vom 19. April 1990 das gegen den Beschwerdeführer als zur Vertretung nach außen Berufenen einer näher bezeichneten Kommanditgesellschaft geführte Strafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 lit. a VStG 1950 ein.

Begründend führte die erstinstanzliche Behörde unter anderem aus, drei Arbeitnehmer der Gesellschaft - die für ein bei der Sanierung der I-Sperre beschäftigtes Unternehmen Förderbänder zu montieren hatten - hätten Lasten mit einem Gewicht von ca. 40 kg in eine Höhe von 20 m bringen müssen. Ihnen seien dazu keine besonderen Betriebseinrichtungen zur Verfügung gestellt worden. Den Arbeitnehmern wäre es ohne weiteres möglich gewesen, die Lasten händisch aufzuziehen oder über die vorhandenen Treppen zu tragen. Aus der Stellungnahme des technischen Überwachungsvereines vom 2. Februar 1990 ergebe sich, daß das Hochziehen einer Last mit einem Kunststoffseil über eine Umlaufrolle durch zwei Personen ausreichend sei. Für den Arbeitsvorgang seien keine besonderen Einrichtungen erforderlich gewesen. Das Heben der Lasten hätte entsprechend den gesetzlichen Vorschriften vorgenommen werden können. Das Heben von Lasten mittels LKW ohne besondere Hebevorrichtung sei gesetzwidrig gewesen; diese Vorgangsweise sei jedoch von den Arbeitnehmern aus eigenem Ermessen und, ohne daß dazu ein Erfordernis bestanden hätte, gewählt worden. Es liege ein Verhalten der Arbeitnehmer im Sinne des § 33 Abs. 4 ASchG vor, doch ergebe sich aus der Anzeige nicht, daß eine Aufklärung und Abmahnung der Arbeitnehmer stattgefunden habe.

3. Gegen diesen Bescheid erhob das Arbeitsinspektorat Berufung mit dem Antrag, dem Strafantrag vom 18. September 1989 Rechnung zu tragen. Ohne auf die Erwägungen der erstinstanzlichen Behörde im einzelnen einzugehen, betonte das Arbeitsinspektorat, daß die Arbeitnehmer nicht mit einer besonderen Ausrüstung zum Aufziehen von Lasten ausgestattet gewesen seien und die von ihnen gewählte Vorgangsweise gesetzwidrig sei. Soweit sich der Beschwerdeführer darauf berufe, es sei nicht vorhersehbar gewesen, daß eine Hebeeinrichtung erforderlich sei, sei zu erwidern, daß es seine Aufgabe gewesen wäre, vor Montagebeginn Erkundigungen einzuziehen, wie das Material zur Arbeitsstelle transportiert werde.

4. Über diese Berufung entschied der Landeshauptmann von Salzburg (die belangte Behörde) mit Bescheid vom 30. Juli 1990.

Dieser Bescheid enthält folgenden Spruch:

"Der Berufung des Arbeitsinspektorates für den

13. Aufsichtsbezirk Klagenfurt gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft vom 19.4.1990, Zl. 4/99-156/9-1989, wird FOLGE gegeben, der angefochtene Bescheid wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben und gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 in der Sache selbst wie folgt entschieden:

Gemäß § 31 des Arbeitnehmerschutzgesetzes, BGBl. Nr. 234/1972 in der geltenden Fassung, in Verbindung mit § 33 Abs. 7 leg. cit. werden in Verbindung mit § 62 Abs. 2 im Zusammenhalt mit § 48 Abs. 1 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzvorschriften eine Geldstrafe in der Höhe von S 5.000,--, im Falle der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe eine Ersatzarreststrafe in der Dauer von 5 Tagen verhängt.

Gemäß § 64 Abs. 2 VStG 1950 hat der Beschuldigte einen Beitrag von S 500,-- zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten."

In der Begründung dieses Bescheides führte die belangte Behörde unter anderem aus, es sei unbestritten, daß durch die Verwendung einer Umlenkrolle und eines Seiles unter Zuhilfenahme eines LKWs als Zugmittel "eine Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften begangen wurde". Die Verantwortlichkeit dafür treffe grundsätzlich den Arbeitgeber. Wenn derartige Verstöße von einem Arbeitnehmer ohne Wissen und Willen des Arbeitgebers begangen werden, sei dieser trotzdem strafbar, wenn er nicht solche Maßnahmen getroffen habe, die unter vorhersehbaren Verhältnissen mit gutem Grunde die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften erwarten ließen. Die Verwaltungsstrafbehörde erster Instanz habe es unterlassen zu prüfen, ob der verwaltungsstrafrechtlich Verantwortliche diese Maßnahmen getroffen habe. Aus der Rechtfertigung des Beschwerdeführers und aus der Einstellungsbegründung sei nicht zu erkennen, daß der Beschwerdeführer eine "angemessene und zumindest eingeschränkte Kontrolle" hinsichtlich der Einhaltung der Arbeitnehmerschutzbestimmungen durchgeführt habe. Überraschen müsse, daß die Strafbehörde erster Instanz die zwingenden Bestimmungen des § 62 Abs. 2 AAV, wonach zum Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten nach Möglichkeit Betriebseinrichtungen oder Betriebsmittel, wie Fördereinrichtungen oder Transportmittel, zu verwenden seien, nicht angewendet habe. Nach der ständigen Rechtsprechung lasse diese Gesetzesbestimmung eine Prüfung der Frage der Zumutbarkeit bzw. des Alters der beschäftigten Arbeitnehmer nicht zu.

5. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

II.

1.1. Gemäß § 44a VStG hat der Spruch, wenn er nicht auf Einstellung lautet, zu enthalten:

1.

Die als erwiesen angenommene Tat;

2.

die Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist;

              3.              die verhängte Strafe und die angewendete Gesetzesbestimmung;

              4.              ...

1.2. Der oben wörtlich wiedergegebene Spruch des angefochtenen Bescheides enthält weder eine Umschreibung der als erwiesen angenommenen Tat, noch die Angabe jener Verwaltungsvorschrift, die dadurch verletzt wurde. Schon dadurch hat die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.

1.3. Den Ausführungen in der Begründung des angefochtenen Bescheides kann entnommen werden, daß die belangte Behörde die Verwirklichung einer Übertretung des § 62 Abs. 2 AAV angenommen hat. Die bei der Verhängung der Strafe anzuwendende Gesetzesbestimmung wäre demnach § 31 Abs. 2 ASchG. Aus welchen Gründen im angefochtenen Bescheid (ebenso wie in der Anzeige des Arbeitsinspektorates) als bei der Verhängung der Strafe anzuwendende Gesetzesstelle auch § 33 Abs. 7 ASchG zitiert wird, bleibt mangels jeglicher Begründung in dieser Richtung unerfindlich.

2.1. Für das fortzusetzende Verfahren sei noch auf folgendes hingewiesen:

Die in der Anzeige und im Spruch des angefochtenen Bescheides zitierten Vorschriften der §§ 62 Abs. 2 und 48 Abs. 1 AAV lauten:

"§ 62 Abs. 2

Zum Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten sind nach Möglichkeit Betriebseinrichtungen oder Betriebsmittel, wie Fördereinrichtungen oder Transportmittel, zu verwenden. Zum Heben, Tragen oder Bewegen von schweren, gefährlichen oder ähnlichen Lasten sind den Arbeitnehmern geeignete Betriebseinrichtungen oder Betriebsmittel, wie Fördereinrichtungen, Transportmittel, Gurte, Seile oder Traghaken, zur Verfügung zu stellen; diese Einrichtungen und Mittel müssen einen möglichst sicheren Transport gewährleisten.

§ 48 Abs. 1

Die Vorbereitung, Gestaltung und Durchführung von Arbeitsvorgängen und Arbeitsverfahren hat derart zu erfolgen, daß unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der technischen Möglichkeiten und der besonderen betrieblichen Verhältnisse, Arbeitsbedingungen gegeben sind, durch die bei umsichtiger Verrichtung der beruflichen Tätigkeit ein möglichst wirksamer Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer erreicht wird. Dementsprechend sind die hiefür notwendigen und geeigneten Betriebseinrichtungen, sonstigen mechanischen Einrichtungen und Betriebsmittel mit den notwendigen Schutzvorrichtungen zur Verfügung zu stellen oder Schutzmaßnahmen anderer Art zu treffen; auch ist die Arbeitsweise in diesem Sinne einzurichten."

2.2. § 62 Abs. 2 AAV enthält zwei getrennte Tatbestände. Der erste Satz bezieht sich auf das Heben, Tragen und Bewegen von Lasten im allgemeinen, während der zweite Satz hinsichtlich bestimmter Lasten die Verpflichtung des Arbeitgebers statuiert, den Arbeitnehmern geeignete Betriebseinrichtungen oder Betriebsmittel zur Verfügung zu stellen.

Die Anzeige und der angefochtene Bescheid lassen nicht erkennen, welchen der beiden Tatbestände der Beschwerdeführer verwirklicht haben soll. Die Formulierung in der Anzeige, daß den Arbeitnehmern für den Materialtransport keine geeigneten Betriebsmittel zur Verfügung gestellt worden seien, deutet auf den zweiten Tatbestand nach der genannten Verordnungsstelle hin. Die Tatsache, daß sich kein Hinweis auf das Vorhandensein von schweren, gefährlichen oder ähnlichen Lasten findet, ist ein Indiz dafür, daß die Anwendung des ersten Tatbestandes beabsichtigt gewesen sein dürfte.

Sofern mangels schwerer, gefährlicher oder ähnlicher Lasten nur die Anwendung des ersten Tatbestandes zu prüfen sein wird, wird sich die belangte Behörde mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen haben, daß es infolge des Fehlens eines Krans nicht möglich gewesen sei, Betriebseinrichtungen oder Transportmittel zu verwenden, sowie daß das Tragen der Bestandteile, von denen keiner mehr als 40 kg gewogen habe, über die Stiege den Arbeitnehmern ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen sei.

2.3. Sofern die belangte Behörde eine Übertretung des § 48 Abs. 1 (erster Satz) AAV annehmen sollte, wird sie zu begründen haben, ob durch den festgestellten Arbeitsvorgang die Verpflichtung zur Erreichung eines möglichst wirksamen Schutzes des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer verletzt wurde. Sollte dies zu bejahen sein, wird sie sich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen haben, daß das Verhalten der Arbeitnehmer unvorhersehbar gewesen sei, da das Vulkanisieren von Förderbändern üblicherweise in der Ebene und nicht in einer Höhe von 20 m erfolge und außerdem der Transport der Teile der Vulkanisierpresse durch Tragen über die Stiegen ohne weiteres möglich gewesen wäre. In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wurde im Zusammenhang mit der Verpflichtung des Arbeitgebers zur Schaffung eines geeigneten Maßnahmen- und Kontrollsystems betreffend die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzbestimmungen stets betont, daß dieses System geeignet sein müsse, die Übertretung von Arbeitnehmerschutzbestimmungen unter VORHERSEHBAREN Umständen zu verhindern (siehe unter anderem die hg. Erkenntisse vom 12. Juni 1992, Zl. 90/19/0499, und vom heutigen Tag, Zl. 90/19/0532). Wenn es sich nun um Vorschriften wie jene des § 48 Abs. 1 AAV handelt, bei denen ein Verstoß nicht nur - wie bei den meisten Arbeitnehmerschutzbestimmungen - durch ein einfach zu umschreibendes Verhalten, sondern - noch dazu durch Monteure auf Arbeitsstellen außerhalb des Betriebes - durch eine unbegrenzte Zahl von möglichen Verhaltensweisen verwirklicht werden kann, kann Verschulden des Arbeitgebers an der erfolgten Übertretung nur angenommen werden, wenn Umstände vorliegen, auf Grund welcher er die Möglichkeit des konkreten Fehlverhaltens in seine Überlegungen hätte miteinbeziehen müssen und daher in der Lage gewesen wäre, dem Fehlverhalten durch entsprechende Maßnahmen und Kontrollen zu begegnen.

3. Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Die Abweisung des Mehrbegehrens erfolgte, weil in den in der zitierten Verordnung genannten Pauschalbeträgen für Schriftsatzaufwand die Umsatzsteuer bereits enthalten ist und an Stempelgebührenersatz für Beilagen nur S 90,-- (für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides) zugesprochen werden konnten.

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht Verantwortung für Handeln anderer Personen Besondere Rechtsgebiete Arbeitsrecht Arbeiterschutz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1990190486.X00

Im RIS seit

08.10.1992
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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