TE Vwgh Erkenntnis 1992/10/8 92/18/0249

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.10.1992
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
40/01 Verwaltungsverfahren;
60/02 Arbeitnehmerschutz;

Norm

AAV §25 Abs1;
AAV §38 Abs1;
B-VG Art18 Abs2;
VStG §1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Stoll und Dr. Sauberer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des W in W, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 30. März 1992, Zl. MA 63-M 17/91/Str, betreffend Übertretung von Arbeitnehmerschutzvorschriften, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird im Spruchpunkt II.6) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Im übrigen (und sohin in Ansehung der Spruchpunkte II.1, 5, 7 und 8) wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 30. März 1992 wurde der Beschwerdeführer für schuldig befunden, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als zur Vertretung nach außen berufenes Organ im Sinne des § 9 Abs. 1 VStG 1950 der M-GmbH, welche alleinige Komplementärin der als Arbeitsgeber fungierenden A. KG. sei, zu verantworten, daß in deren örtlich näher bezeichneten Betriebsanlage am 9. August 1990 folgenden Vorschriften der AAV nicht entsprochen worden sei:

II.1) § 25 Abs. 1, wonach Hauptverkehrswege in Betriebsräumen eine Mindestbreite von 1,20 m aufweisen müssen, sei insoferne nicht eingehalten worden, als der Hauptverkehrsweg in der Funkzentrale (31,5 m2 Grundfläche) zum Notausgang bedingt durch einen vor dem Notausgang aufgestellten Tisch eine Breite von lediglich 0,8 m besessen und durch Einbauten im Gang zwischen der Funkzentrale und dem Vorraum dort nur eine Breite von 0,8 m aufgewiesen habe.

5) § 49 Abs. 5, wonach nicht fest mit dem Fußboden verbundene Sitze bei ordnungsgemäßem Gebrauch kippsicher sein müssen, sei insoferne nicht eingehalten, als

a) der Sessel des Fuhrparkleiters und ein weiterer Sessel in der Funkzentrale ohne Rücken- und Armlehne als Drehsessel auf vier Rollen nicht kippsicher gewesen seien,

b) im 10 m2 großen Aufenthaltsraum neben dem Arbeitsraum I zwei Sessel als Drehsessel auf vier Rollen nicht kippsicher ausgeführt gewesen seien.

Die ÖNORM A 1671, als anerkannte Regel der Technik, sehe vor, daß bei Rollensessel das Untergestell nicht weniger als 5 Abstützpunkte besitzen dürfe.

6) § 76 Abs. 1, wonach Feuerlöschgeräte jederzeit leicht erreichbar sein müssen, sei insofern nicht eingehalten worden, als

a) neben der Garderobe im Arbeitsraum I ein Handfeuerlöscher in einer Griffhöhe von 1,78 m

b) im Arbeitsraum II neben dem Zugang zum Hof ein Handfeuerlöscher in einer Griffhöhe von 1,7 m,

c) im Arbeitsraum II neben der Abortanlage (im Plan als Schleuse bezeichnet) ein Handfeuerlöscher in einer Griffhöhe von 1,7 m,

d) im Arbeitsraum I im Bereich der Waschanlage zwei Handfeuerlöscher in einer Griffhöhe von 1,7 m,

e) vor dem Aufenthaltsraum im Arbeitsraum I ein Handfeuerlöscher in einer Griffhöhe von 2 m montiert gewesen seien und

f) über dem unter Punkt c) genannten Handfeuerlöscher ein Preßluftschlauch geschlungen gewesen sei, und somit die genannten Feuerlöschergeräte nicht leicht erreichbar gewesen seien.

7) § 76 Abs. 7, wonach Feuerlöschgeräte mindestens alle zwei Jahre von einer fachkundigen Person auf ihren ordnungsgemäßen Zustand zu prüfen sind und auf Handfeuerlöscher eine entsprechende Prüfplakette angebracht sein muß, sei insofern nicht eingehalten worden, als der im Zählerraum - Niederspannungsraum bereitgehaltene Handfeuerlöscher Brandklasse A B C, Inhalt 6 kg, nicht mindestens alle zwei Jahre auf seinen ordnungsgemäßen Zustand von einer fachkundigen Person überprüft worden sei.

Laut Prüfplakette sei die letzte Überprüfung im Juli 1983 erfolgt.

8) ÖVE-E 5/1964 § 10.7 und ÖVE-E 5 Teil 1/1981 § 10.7.2 i. V.m.d. Elektrotechnikgesetz i.V.m. § 38 AAV sei insofern nicht eingehalten worden, als der Niederspannungsraum-Zählerraum als abgeschlossener Betriebsraum, zugängig vom Arbeitsraum I, nicht versperrt gehalten worden sei. Der Schlüssel habe gesteckt und die Tür sei nicht versperrt gewesen.

Der Beschwerdeführer habe dadurch folgende Rechtsvorschriften jeweils in Verbindung mit § 31 Abs. 2 lit. p Arbeitnehmerschutzgesetz (ANSchG) verletzt:

Zu II.1) § 25 Abs. 1 AAV

5)

§ 49 Abs. 5 AAV

6)

§ 76 Abs. 1 AAV

7)

§ 76 Abs. 7 AAV

8)

ÖVE-E 5/1964 § 10.7 u. ÖVE-E 5 Teil 1/1981 § 10.7.2 i.V.m.d. Elektrotechnikgesetz i.V.m. § 38 AAV. Über

den Beschwerdeführer wurden Geldstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser hat erwogen:

ZU PUNKT II.1) DES ANGEFOCHTENEN BESCHEIDES.

Nach § 25 Abs. 1 AAV müssen Hauptverkehrswege in Betriebsräumen eine ausreichende Breite, mindestens jedoch eine solche von 1,20 m besitzen. Nebenverkehrswege in Betriebsräumen, wie Durchgänge zwischen Lagerungen, Maschinen oder sonstigen Betriebseinrichtungen, müssen ausreichend, mindestens jedoch 0,60 m breit sein...

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits im Erkenntnis vom 18. Februar 1991, Zl. 90/19/0533, auf dessen nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2, zweiter Satz, VwGG verwiesen wird, zum Ausdruck gebracht, daß unter "Nebenverkehrswegen" nur solche Verkehrswege zu verstehen sind, die "Durchgängen zwischen Lagerungen, Maschinen oder sonstigen Betriebseinrichtungen" gleichzuhalten sind, und daß ein zu einem Notausgang führender Verkehrsweg als "Hauptverkehrsweg" einzustufen ist.

Der Gerichtshof sieht sich aufgrund des Beschwerdevorbringens nicht veranlaßt, von dieser Rechtsansicht abzugehen. Welches Recht des Beschwerdeführers dadurch verletzt worden sein sollte, daß ihm im Schuldspruch eine Wegbreite von 0,8 m vorgeworfen wird, obwohl die Anzeige hier von 0,7 m spricht, ist nicht erkennbar.

ZU PUNKT II.5):

Gemäß § 5 Abs. 1 zweiter Satz ANSchG müssen Betriebseinrichtungen, sonstige mechanische Einrichtungen und Betriebsmittel hinsichtlich ihrer Bauweise den anerkannten Regeln der Technik, insoweit diese auch dem Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer dienen, entsprechen ...

Nach § 1 Z. 10 AAV sind im Sinne dieser Verordnung "anerkannte Regeln der Technik" Bestimmungen, die aus Wissenschaft oder Erfahrung auf technischem Gebiet gewonnene Grundsätze enthalten und von durch Rechtsvorschriften anerkannten fachlichen Stellen herausgegeben sind, wie ÖNormen oder ÖVE-Bestimmungen.

Wenn die belangte Behörde daher zur Auslegung der Bestimmung des § 49 Abs. 5, erster Teilsatz, AAV (wonach nicht fest mit dem Fußboden verbundene Sitze bei ordnungsgemäßem Gebrauch "kippsicher" sein müssen), die hier maßgebende ÖNOrm herangezogen hat (wenn auch die in Frage kommende ÖNORM nicht die Bezeichnung A 1671, sondern A 1675 führt), so ist dies nicht als rechtswidrig zu erkennen. Entsprechend dieser ÖNorm A 1675, Punkt 4.7. muß das Untergestell von Bürodrehsesseln aber mindestens 5 Abstützpunkte haben. Auf die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte "Breite" der Beine der von ihm den Arbeitnehmern zur Verfügung gestellten Drehsessel war schon im Hinblick auf das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot nicht einzugehen.

ZU PUNKT II.6):

Gemäß § 76 Abs. 1, dritter Satz, AAV müssen Feuerlöschmittel und Feuerlöschgeräte u.a. jederzeit leicht erreichbar sein.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag die von der belangten Behörde aus "Erfahrungen des täglichen Lebens" gewonnene Ansicht, die in Rede stehenden Feuerlöscher seien (alle) entgegen der obzitierten Vorschrift nicht "leicht erreichbar" gewesen, nicht zu teilen. Vielmehr hätte es zur Klärung dieser Frage der Einholung eines Gutachtens eines (Brand-)Sachverständigen bedurft, ob etwa bei der gebotenen Durchschnittsbetrachtung in Ansehung der in Betracht kommenden Benützer die "leichte Erreichbarkeit" der Geräte im Hinblick auf ihre Zweckbestimmung gegeben war.

Der angefochtene Bescheid war daher in diesem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

ZU PUNKT II.7):

Gemäß § 76 Abs. 7 AAV sind u.a. Feuerlöschgeräte mindestens alle zwei Jahre von geeigneten, fachkundigen Personen auf ihren ordnungsgemäßen Zustand zu prüfen. Über die Prüfungen sind Vormerke zu führen, wie in Form einer Prüfplakette für Handfeuerlöscher.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag im Rahmen der ihm zustehenden Kontrolle der Beweiswürdigung (vgl. dazu das Erkenntnis eines hg. verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) die Annahme der belangten Behörde, in Ansehung dieses Feuerlöschers sei die obzitierte Vorschrift - wie sich aus der Prüfplakette ergebe - nicht eingehalten worden, nicht als rechtswidrig zu erkennen, hat doch der Beschwerdeführer in der Berufung insoweit lediglich ausgeführt, "mag sein, daß der Feuerlöscher nicht überprüft war oder eine falsche Plakette aufwies".

ZU PUNKT II.8):

Gemäß § 38 Abs. 1 AAV sind auf elektrische Anlagen und Betriebsmittel die auf Grund des Elektrotechnikgesetzes durch Verordnung verbindlich erklärten elektrotechnischen Sicherheitsvorschriften und Vorschriften über Normalisierung und Typisierung (SNT-Vorschriften) anzuwenden, soweit Abs. 2 nicht anderes bestimmt.

Die im Spruch angeführte SNT-Vorschrift ÖVE-E 5, Teil 1/1981, wurde mit § 1 Anhang 1) der ETV 1989 (BGBl. Nr. 104) für verbindlich erklärt (durch die zusätzliche Zitierung der früheren, eine gleichartige Anordnung enthaltende ÖVE-E 5/1964 wurde der Beschwerdeführer in keinem Recht verletzt) und schreibt im Punkt 10.7.2 erster und zweiter Satz vor, daß abgeschlossene elektrische Betriebsstätten verschlossen gehalten werden müssen; die Schlüssel müssen so verwahrt werden, daß sie unbefugten Personen nicht zugänglich sind.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag die gegen die obzitierten Verweisungen vom Beschwerdeführer gehegten Bedenken nicht zu teilen. Insbesondere hat der Gerichtshof im Erkenntnis vom 29. Mai 1988, Zl. 1998/76, die Rechtsansicht vertreten - von der abzugehen kein Anlaß besteht -, daß Straftatbestände nach der österreichischen Rechtsordnung auch in Durchführungsverordnungen festgesetzt werden können.

Die vorliegende Beschwerde erweist sich sohin in Ansehung der Spruchpunkte II.1), 5), 7) und 8) als unbegründet und war insoweit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Das Mehrbegehren an Ersatz von Stempelgebühren war mangels Erforderlichkeit des Aufwandes abzuweisen; insbesondere war die Beschwerde nur in dreifacher Ausfertigung einzubringen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1992180249.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten