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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des A in E, vertreten durch Dr. G, Rechtsanwalt in M, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 17. April 1992, Zl. 4.299.871/3-III/13/90, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.540,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein bulgarischer Staatsangehöriger, reiste am 11. August 1990 legal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 13. August 1990 einen Asylantrag. Bei seiner niederschriftlichen Befragung durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich am 17. August 1990 gab er im wesentlichen folgendes an:
Er sei als Moslem mit seiner Familie permanent in religiöser Hinsicht verfolgt worden. Bis 1971 habe er einen moslemischen Namen geführt, danach unter Zwang einen bulgarischen Namen angenommen und entsprechende Dokumente erhalten. Als der moslemische Glaube verboten worden sei, habe er seinen Glauben heimlich "geführt". Schon sein Vater sei wegen seiner "Glaubenshuldigung" in den Jahren 1965 bis 1968 im Gefängnis gewesen.
Am 22. August 1989 sei die Miliz mit mehreren Lastkraftwagen in das Dorf des Beschwerdeführers gekommen. Dort hätten 104 Moslems gelebt. In der Folge seien die Moslems (und zwar nur die Männer) mit Handschellen abgeführt und nach Slivnica in ein Gefängnis gebracht worden, wo sie ohne Verhandlung und Urteil festgehalten worden seien. Bei ihrer Freilassung habe man ihnen gesagt, die Moslems sollten aus Bulgarien verschwinden. Die Frau des Beschwerdeführers habe nicht gewußt, wo sich der Beschwerdeführer befinde. Dies habe sie erst von Reportern des Senders Radio Freies Europa erfahren. Während der Haft seien der Beschwerdeführer und seine Mitgefangenen "fast alle Tage" geschlagen worden. Die Häftlinge hätten Grabungsarbeiten durchführen müssen, wobei eine Bombe explodiert sei. Es habe unter den Moslems sehr viele Verletzte gegeben. Offensichtlich habe es sich nicht um eine Bombe aus dem Krieg gehandelt, sondern sei diese erst in der Nacht zuvor versteckt und mit etwas Erde zugedeckt worden.
Alle seine Arbeitsplätze habe der Beschwerdeführer nur deshalb verloren, weil er Moslem sei. Auch nach seiner Inhaftierung habe er seinen letzten Arbeitsplatz verloren, weil man erfahren habe, daß er in Haft gewesen sei. Da er nirgends mehr Arbeit bekommen habe und für seine Frau und zwei Kinder sorgen müsse, habe er sich entschlossen, mit seiner Familie in den Westen zu flüchten.
Auf den Vorhalt, daß seit 2. August 1990 ein Demokrat Ministerpräsident sei, meinte der Beschwerdeführer, für die Moslems habe sich nichts geändert, die Kommunisten seien nach wie vor "genauso stark an der Macht". Der Beschwerdeführer stellte der Erstbehörde in Aussicht, binnen einem Monat ein Dokument über seine Zugehörigkeit zur moslemischen Glaubensgemeinschaft vorzulegen.
Mit Bescheid vom 14. November 1990 stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich fest, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei.
Dagegen berief der Beschwerdeführer und behauptete, das Dokument über seine Glaubenszugehörigkeit am 8. November 1990 im Haus Nr. 5 Zimmer 15 des Flüchtlingslagers in Traiskirchen vorgelegt zu haben. Es handle sich um eine Bestätigung "für den Mittelschulabschluß vom Vater seiner Frau". Zusätzlich zu seinem erstinstanzlichen Vorbringen führte der Beschwerdeführer in seiner Berufung noch folgendes aus:
Den Moslems in Bulgarien sei es nicht gestattet, in die Moscheen zu gehen. Die Moscheen seien eigentlich geschlossen. Der Vater des Beschwerdeführers sei "muslimischer Pfarrer" und während der Namenswechselaktion ohne Gerichtsurteil für eineinhalb Jahre verbannt worden.
Der Beschwerdeführer habe am 15. Mai 1989 an seinem Sohn "das typische muslimische Ritual" durchgeführt. Eine Woche später seien er und seine Frau in Razlog von der Polizei festgehalten und in einem Keller "bis zu den Knien ins Wasser gestellt worden", ohne Essen zu bekommen. Sie seien ständig geschlagen worden, weil die Polizei den Namen des Arztes hätte erfahren wollen, der das islamische Ritual am Sohn des Beschwerdeführers durchgeführt hätte.
Am 10. August 1989 hätten der Beschwerdeführer und seine Frau eine Petition an die Volksversammlung geschrieben. Sie hätten geäußert, nicht mehr so unterdrückt und erniedrigt in Bulgarien leben und die bulgarische Staatsangehörigkeit verweigern zu wollen. Sie hätten auch den Wunsch nach Auswanderung und Rückerhalt ihres Namens geäußert. Deswegen sei der Beschwerdeführer wieder von der Polizei festgehalten und vom Polizisten B geschlagen und geprügelt worden.
Nach seiner Haftentlassung (22. September 1989) sei der Beschwerdeführer mit seiner Familie von der Gemeindebehörde in ein anderes Dorf geschickt worden, wo er täglich von der Polizei kontrolliert worden sei, ob er sich noch dort befinde.
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und sprach aus, er sei nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes. In der Begründung verwies die belangte Behörde darauf, daß den vom Beschwerdeführer vorgebrachten Beeinträchtigungen kein Gewicht mehr zukomme, weil sich seit dem Sturz Schiwkoffs im November 1989 die Lage der Moslems in Bulgarien entscheidend verändert habe. Den Moslems seien wieder ihre religiösen und kulturellen Rechte garantiert, der Gebrauch der türkischen Sprache ebenso wie der ungestörte Besuch der Moscheen gestattet worden; auch die Beschneidung in Spitälern sei wieder zugelassen worden. Eine Anerkennung des Beschwerdeführers als Konventionsflüchtling sei daher wegen geänderter Verhältnisse nicht gerechtfertigt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Feststellung seiner Flüchtlingseigenschaft verletzt. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer rügt sowohl bei Darstellung des Beschwerdegrundes der inhaltlichen Rechtswidrigkeit als auch unter dem Aspekt eines Verfahrensmangels, daß die belangte Behörde keine ausreichende Begründung dafür gegeben habe, daß sich die Situation der Moslems in Bulgarien tatsächlich so geändert hätte, daß für die Zukunft keine Verfolgungen mehr zu befürchten seien. Insbesondere habe die belangte Behörde in keiner Weise angeführt, woraus sie die Änderung der Lage in Bulgarien ableite. Der Beschwerdeführer behauptet dazu, daß in Bulgarien noch immer Kommunisten hohe Regierungsämter innehätten und daß auch die Geheimpolizei noch immer aktiv sei. Der Beschwerdeführer verweist in diesem Zusammenhang auf einen (nicht näher bezeichneten) Zeitungsartikel wonach am 7. April 1992 der moslemische Lehrer des Dorfes P, von Kommunisten geschlagen worden sei; die Kommunisten wollten nicht, daß Kinder den Koran in der Moschee lernten. Ebenso sei gemeldet worden, daß am 7. April 1992 ein Mordversuch gegen A, den Führer der Bewegung für Ehrlichkeit und Freiheit, unternommen worden sei. Die Kommunisten versuchten nach wie vor, ihre Machtpositionen zu behaupten und vor allem religös geführte Bewegungen zu bekämpfen. Der Beschwerdeführer rügt schließlich, daß ihm die belangte Behörde die Möglichkeit hätte geben müssen, zur behaupteten Änderung der Verhältnisse in Bulgarien Stellung zu nehmen.
Diesen Argumenten des Beschwerdeführers kann sich der Verwaltungsgerichtshof nicht verschließen. Zunächst ist festzuhalten, daß die belangte Behörde hinsichtlich der von ihr getroffenen Feststellungen über die Änderung der Verhältnisse in Bulgarien mit keinem Wort näher begründet, worauf sich diese Tatsachenfeststellungen im einzelnen stützen. Bereits dadurch ist der Verwaltungsgerichtshof an der ihn zukommenden nachprüfenden Kontrolle des Bescheides gehindert (vgl. die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des Österreichischen Verwaltungsverfahren4 unter ENr. 34 zu § 60 AVG referierte hg. Entscheidung vom 28. Jänner 1987, Zl. 86/01/0125), worin eine Verletzung von Verfahrensvorschriften gelegen ist (vgl. dazu bei Hauer-Leukauf aaO. unter ENr. 30 referierte hg. Judikatur, insbesondere das hg. Erkenntnis vom 24. September 1986, Zl. 85/01/0143). Dazu kommt, daß die belangte Behörde gehalten gewesen wäre, zu den von ihr angenommenen Änderungen der Verhältnisse in Bulgarien dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör zu verschaffen (§§ 37 AVG), welchem Umstand im vorliegenden Fall Relevanz zukommt, weil nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid gekommen wäre, wenn sie sich mit den zur Frage der Verhältnisse in Bulgarien vom Beschwerdeführer jetzt in seiner Verwaltungsgerichtshofbeschwerde vorgetragenen Argumenten auseinandergesetzt hätte.
Der angefochtenen Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, ohne daß auf die übrigen Beschwerdeausführungen einzugehen war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 4/1991; die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft Stempelgebühren für die überflüssigerweise eingebrachte dritte und vierte Ausfertigung der Beschwerdeschrift.
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Sachverhalt VerfahrensmängelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992010595.X00Im RIS seit
14.10.1992