TE Vwgh Erkenntnis 1992/10/20 91/08/0110

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Veröffentlicht am 20.10.1992
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
40/01 Verwaltungsverfahren;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

ABGB §1091;
ABGB §1175;
ABGB §914;
ABGB §916 Abs1;
ASVG §410;
AVG §58 Abs2;
AVG §59 Abs1;
BPVG 1971 §2 Abs1 Z1;
BSVG §182;
BSVG §2 Abs1 Z1;
BSVG §23;
VwGG §13 Abs1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Händschke als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Werner, über die Beschwerde der Sozialversicherungsanstalt der Bauern in Wien, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 16. Juli 1991, Zl. 5-222 Mo 12/4-91, betreffend Höhe der Beitragsgrundlage (mitbeteiligte Partei: J M in G), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 10.110,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 11. Oktober 1990, Zl. 3510-290750 8B1, stellte die Beschwerdeführerin fest, daß für den Mitbeteiligten in der Betriebshilfe, Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung der Bauern ab 1. Jänner 1987 im einzelnen monatlich bezifferte Beitragsgrundlagen der Beitragsbemessung zugrunde zu legen seien. Begründet wurde diese Entscheidung damit, daß durch die Zupachtung von 11,6812 ha Weidefläche von Dipl. Ing. P eine Neuberechnung der Beitragsgrundlage vorzunehmen gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte fristgerecht Einspruch.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Einspruch Folge und stellte fest, daß für den Mitbeteiligten gemäß § 23 BSVG in der Zeit von 1. Jänner 1987 bis laufend die im Bescheid vom 1. November 1990 genannten monatlichen Beitragsgrundlagen nicht bestehen. Es werde vor allem unter Zugrundelegung des Gutachtens der Bezirkskammer für Land- und Forstwirtschaft Knittelfeld festgestellt, daß mit Übergabsvertrag vom 24. Juni 1985 der Mitbeteiligte und dessen Ehegattin M den land(forst)wirtschaftlichen Betrieb EZ 57, KG X in ihr gleichteiliges Eigentum übernommen hätten. Der Betrieb habe eine Fläche von 28,7878 ha mit einem festgestellten Einheitswert von 81.000 S. Am 29. Oktober 1986 hätten der Mitbeteiligte, seine Ehefrau und Dipl. Ing. P (erg: als Verpächter) einen Vertrag abgeschlossen, der von den Vertragsparteien als Pachtvertrag bezeichnet worden sei. Ab 1. Jänner 1987 bis September 1991 seien bzw. würden die Weideflächen der sogenannten "U S" für die vom Mitbeteiligten angeführten Rinder genutzt, wobei der Weidezins vornehmlich von der Stückzahl des Viehs - wie dies auch ausdrücklich in der schriftlichen Vereinbarung festgehalten worden sei - abhängig sei. Das Recht ein fremdes Grundstück abzuernten stelle für sich allein noch nicht eine Bewirtschaftung des Grundstückes durch den Berechtigten dar. Unter Hinweis auf Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes führte die belangte Behörde ferner aus, Weiden, die in der Form genutzt würden, daß das gewachsene Gras Nachbarn zur Fütterung fremder Rinder gegen Entgelt zur Verfügung gestellt werde, seien dem sonstigen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb nicht "zuzustellen" (gemeint offenbar: zuzurechnen). Nach Auffassung der belangten Behörde handle es sich bei dem gegenständlichen Rechtsverhältnis um keine Pachtung oder ein pachtähnliches Verhältnis, wie die etwas unglückliche "Betitelung" des Vertrages vermuten lasse, da es einerseits übereinstimmender Wille der Vertragspartner gewesen sei, lediglich ein Übereinkommen über die Nutzung des Aufwuchses, also der Fechsung, zu treffen und andererseits Dipl. Ing. P die Weiden nicht flächenmäßig gegen Entgelt überlassen habe, sondern daß ein von der Stückzahl des Viehs abhängiges Entgelt vereinbart worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend macht.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Auf dem Boden der Auffassung der belangten Behörde erweist sich der Spruch des angefochtenen Bescheides schon deshalb als rechtswidrig, weil ein Bescheid, mit dem über Beitragsgrundlagen abgesprochen wird, einen Ausspruch über die ZIFFERNMÄßIGE Höhe der in Betracht kommenden Beitragsgrundlagen zu enthalten hat (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 19. März 1987, Zl. 86/08/0103, vom 24. März 1992, Zl. 89/08/0360, und vom 20. Oktober 1992, Zl. 90/08/0024). Der Spruch des angefochtenen Bescheides (wonach der Bescheid der beschwerdeführenden Partei dahin abgeändert wird, daß festgestellt wird, "daß für Herrn J M gemäß § 23 BSVG in der Zeit vom 1. Jänner 1987 bis laufend die im Bescheid vom 11. Oktober 1990 genannten monatlichen Beitragsgrundlagen nicht bestehen", ohne die heranzuziehenden Beitragsgrundlagen zu benennen, wird diesen Anforderungen nicht gerecht.

In der Sache selbst ist auszuführen:

Gemäß § 23 Abs. 1 des Bauern-Sozialversicherungsgesetzes, BGBl. Nr. 559/1978, ist Grundlage für die Bemessung der Beiträge in der Kranken- und Pensionsversicherung für die gemäß § 2 Abs. 1 Z. 1 Pflichtversicherten, soweit im folgenden nichts anderes bestimmt wird, der Versicherungswert des land(forst)wirtschaftlichen Betriebes (monatliche Beitragsgrundlage). Nach Abs. 3 lit. d leg. cit. sind bei Bildung des Versicherungswertes gemäß Abs. 2 bei Zupachtung einer land(forst)wirtschaftlichen Fläche ein um zwei Drittel des anteilsmäßigen Ertragswertes der gepachteten Fläche erhöhter Einheitswert zugrunde zu legen.

Während die Beschwerdeführerin in ihrem Bescheid von der Zupachtung von 11,6812 ha Weidefläche von Dipl. Ing. P durch den Mitbeteiligten ausging, verneinte die belangte Behörde das Vorliegen eines Pachtverhältnisses (einer Zupachtung) ausgehend von den von ihr getroffenen (spärlichen) Feststellungen im wesentlichen auf Grund zweier Argumente, nämlich

1) der Parteiwille der Vertragsparteien sei ausschließlich auf die Überlassung der Fechsung unter Ausschluß aller weiteren rechtlichen, insbesondere sozialversicherungsrechtlichen Folgen gerichtet gewesen und

2) die Weiden seien nicht flächenmäßig gegen Entgelt überlassen, sondern es seien von der Stückzahl des Viehs abhängiges Entgelt vereinbart worden.

Zutreffend rügt die Beschwerdeführerin die Aktenwidrigkeit des zuletzt genannten, von der belangten Behörde herangezogenen Argumentes. In dem zwischen Dipl. Ing. P einerseits und dem Mitbeteiligten J M und seiner Ehegattin M M andererseits am 28. Oktober 1986 abgeschlossenen Vertrag (übertitelt als "Pachtvertrag") wurde zu diesem Punkte folgendes festgehalten:

"Der Pachtzins beträgt:

         1987                             S  8.000,-- pro Jahr

         1988                             S  8.000,--  "    "

         1989                             S  9.000,--  "    "

         1990                             S 10.000,--  "    "

         1991                             S 10.000,--  "    "

Zusätzlich leistet der Pächter einen Arbeitstag pro Jahr. Der Pachtzins ist spätestens Juli jeden Jahres fällig."

Auch in der Äußerung des Verpächters vom 8. Februar 1991 wird ausdrücklich auf den "entsprechend der geschützten Lage

... unserer Ansicht nach gerechtfertigten Weidezins pauschal"

verwiesen. Die Feststellung eines von der Stückzahl des Weideviehs abhängigen Entgeltes ist daher durch die Erhebungsergebnisse nicht gedeckt und damit aktenwidrig. Es bleibt jedoch zu prüfen, inwieweit diese der belangten Behörde unterlaufene Aktenwidrigkeit entscheidungswesentlich war. Dies wäre nur zu bejahen, wenn das von der belangten Behörde zunächst herangezogene Argument nicht tragfähig ist, wenn, nämlich der absoluten Wirkung des Parteiwillens im Sinne des § 914 ABGB jene weitreichende Bedeutung aberkannt werden muß, die ihm die belangte Behörde zugemessen hat.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt die Auffassung, daß für die Beantwortung der Frage, auf wessen Rechnung und Gefahr ein land(forst)wirtschaftlicher Betrieb geführt wird, maßgeblich ist, ob jene Person, deren Versicherungs- und/oder Beitragspflicht zu beurteilen ist, aus der Betriebsführung im Außenverhältnis (also im Verhältnis zu Dritten) berechtigt und verpflichtet wird. Wer aus der Betriebsführung in diesem Sinne berechtigt und verpflichtet wird, ist eine Rechtsfrage, die nicht bloß nach tatsächlichen Gesichtspunkten, sondern letztlich nur auf Grund rechtlicher Gegebenheiten beantwortet werden kann (vgl. u.a. die Erkenntnisse vom 27. März 1981, Zlen. 08/0558/79, vom 20. Oktober 1988, Zl. 87/08/0119, und vom 3. Juli 1990, Zl. 89/08/0164). Als solche Rechtstatsachen kommen dingliche und obligatorische Rechtsverhältnisse in Betracht. Dabei zählt auch der wirksame Abschluß eines Pachtvertrages zu jenen obligatorischen Rechtsverhältnissen, durch die eine Änderung der sich sonst aus den Eigentumsverhältnissen ergebenden Zurechnung von Rechten und Pflichten im Außenverhältnis mit der Rechtsfolge bewirkt wird, daß nicht mehr der Eigentümer, sondern der Pächter den land-(forst)wirtschaftlichen Betrieb auf seine Rechnung und Gefahr führt.

Voraussetzung ist demnach, daß überhaupt ein Pachtvertrag abgeschlossen wurde (vgl. das Erkenntnis vom 19. September 1980, Zl. 1171/77), daß der Pachtvertrag nicht nur zum Schein abgeschlossen, in Wirklichkeit aber kein oder ein anderes Rechtsverhältnis begründet werden sollte (vgl. die Erkenntnisse vom 28. Februar 1985, Zl. 84/08/0120, und vom 3. Juli 1990, Zl. 89/08/0164) und daß der als Pachtvertrag bezeichnete und als solcher von den Vertragspartnern gewollte Vertrag seinem Inhalt nach ein den gesetzlichen Bestimmungen entsprechendes Pachtverhältnis begründete. Schließlich ist erforderlich, daß der wirksam abgeschlossene und ein Pachtverhältnis im eben genannten Sinn begründende Pachtvertrag in der Folge nicht in den für den Weiterbestand eines Pachtverhältnisses wesentlichen Punkten abgeändert wurde.

Das Wesen des Pachtvertrages besteht in der entgeltlichen Überlassung des Gebrauches einer unverbrauchbaren Sache auf eine gewisse Zeit zum Zwecke der Nutzung (Fruchtziehung; vgl. Würth in Rummel, ABGB2, Rz 1 zu § 1090). Nach § 1091 ABGB wird der Bestandvertrag, wenn die in Bestand gegebene Sache nur durch "Fleiß und Mühe" benützt werden kann, ein Pachtvertrag genannt. Maßgebend für die Frage, ob Pacht vorliegt, ist die Zweckbestimmung der Sache zur Zeit des Vertragsabschlusses und die Art des Gebrauches, nicht jedoch die von den Parteien gewählte Bezeichnung. Welche Art rechtsgeschäftlicher Vereinbarung im konkreten Fall vorliegt ist daher nach der Zweckbestimmung, das heißt nach der rechtsgeschäftlich relevanten Absicht der Parteien im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses im Sinn des § 914 ABGB zu beurteilen. Aus dem Inhalt der hier vorliegenden Vereinbarung, von deren Inhalt im Tatsächlichen keine Abweichung aktenkundig ist, läßt sich jedoch eine "Bewirtschaftung" eindeutig entnehmen, übernimmt doch der Pächter (der Mitbeteiligte) hier neben der Pflicht zur Zahlung des Pachtzinses auch eine zumindest einmal im Jahr zu erbringende Arbeitsleistungspflicht und die Verpflichtung zur Durchführung diverser Erhaltungsarbeiten auf der Liegenschaft. Die insofern vom Verwaltungsgerichtshof in dem von der belangten Behörde zitierten zum LZVG ergangenen Erkenntnis vom 23. Dezember 1970, Zl. 1714/70, vertretene gegenteilige Auffassung (es werde unter solchen Voraussetzungen nur ein einem Pachtverhältnis nahekommendes Rechtsverhältnis begründet) kann daher nicht aufrechterhalten werden. Diese Entscheidung bedeutet zwar ein Abgehen von der bisherigen Rechtsprechung, nicht aber im Sinne des § 13 Abs. 1 Z. 1 VwGG mit der Konsequenz der Bildung eines verstärkten Senates nach dieser Gesetzesbestimmung, weil die Entscheidung auf Grund eines anderen Gesetzes ergeht (vgl. u.a. das Erkenntnis vom 20. Februar 1992, Zl. 89/08/0195).

Liegt jedoch auf Grund des Vertragszweckes und -inhalts ein Pachtvertrag vor, so können durch die nachträgliche Erklärung, man habe kein Pachtverhältnis bezweckt, die vom Gesetz zwingend daran geknüpften (zivil- oder sozialversicherungsrechtliche) Rechtsfolgen nicht ausgeschlossen werden.

Auf Grund der mit Rechtsirrtum belasteten Erwägungen der belangten Behörde war ihr Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Spruch und Begründung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1991080110.X00

Im RIS seit

24.10.2001

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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