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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
VwGG §46 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schubert und die Hofräte Dr. Hnatek und Dr. Baumann als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Cerne, über den Antrag der N-AG in B, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen den Bescheid der FLD für OÖ vom 17. Dezember 1991, Zl. 588/5-10/F-1991, betreffend Nachsicht von Säumniszuschlägen, den Beschluß gefaßt:
Spruch
Dem Antrag wird nicht stattgegeben.
Begründung
Die am 24. Februar 1992 überreichte Beschwerde der Antragstellerin wurde mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. April 1992, 92/14/0023, zugestellt am 4. Mai 1992, wegen Versäumung der sechswöchigen Einbringungsfrist zurückgewiesen, weil der angefochtene Bescheid der Antragstellerin nicht wie in der Beschwerde angegeben am 13. Jänner 1992, sondern bereits am 9. Jänner 1992 zugestellt worden war.
In ihrem am 18. Mai 1992 (somit binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses) überreichten Wiedereinsetzungsantrag macht die Antragstellerin als Wiedereinsetzungsgrund geltend, zur Fristversäumung sei es dadurch gekommen, daß im Sekretariat ihrer Generaldirektion auf der zugestellten Ausfertigung des Bescheides vom 17. Dezember 1991 ein Eingangsstempel mit einem unrichtigen Datum angebracht worden sei.
Sie brachte im wesentlichen folgendes vor: In ihrer Generaldirektion gebe es für jeden der beiden Vorstandsdirektoren eine Sekretärin, nämlich P für Generaldirektor Dr. K und H für Dr. T. Diese beiden Damen seien seit Jahren bei ihr beschäftigt, genössen höchstes Ansehen und hätten beide Vertrauensstellungen inne. Sie hätten Postvollmacht und ihren Dienst bis dato anstandslos erfüllt. Es liege eine Dienstanweisung vor, daß jede eingehende Post sofort mit dem Eingangsstempel der Gesellschaft zu versehen sei. Die eingehende Post sei noch am selben Tag dem zuständigen, in dringenden Fällen dem vertretenden Vorstandsmitglied vorzulegen. Beide Damen, die sich auch wechselseitig vertreten, würden insoweit von den Vorstandsmitgliedern nicht nur stichprobenartig, sondern regelmäßig im Zuge der Bearbeitung der Eingangspost auf die Einhaltung dieser Vorschrift überprüft und habe es bis dato noch keine Reklamation gegeben.
Frau H habe das in Rede stehende Schriftstück übernommen, dessen Rückschein richtigerweise das Datum 9. Jänner 1992 als Zustelldatum erhalten habe. Bei der nachfolgenden Bearbeitung des geöffneten Kuverts sei sie - unmittelbar vor der geplanten Anbringung der Eingangsstampiglie auf dem angefochtenen Bescheid - durch ein Telefonat abgelenkt worden und habe das Schriftstück, als sie zum Telefonhörer geeilt sei, weggelegt. Als sie des Schriftstückes nach dem Telefonat wieder ansichtig geworden sei, habe sie übersehen, daß sie es noch nicht mit einem Eingangsstempel versehen habe, und habe es zuständigkeitshalber auf den Schreibtisch von P gelegt, da es in den Zuständigkeitsbereich des Generaldirektors Dr. K gefallen sei.
P sei am Donnerstag, dem 9., und am Freitag, dem 10. Jänner 1992, in Urlaub gewesen. Als sie am Montag, dem 13. Jänner 1992, ins Büro gekommen sei, habe sie mit der an diesem Tag eingegangenen Post unter anderem auch den angefochtenen Bescheid vorgefunden und diesen gleich der an diesem Tag eingegangenen Post mit dem Datumsstempel 13. Jänner 1992 versehen. Sie habe nicht ahnen können, daß auf ihrem Schreibtisch ein Schriftstück ohne Eingangsstempel liege, das an einem früheren Tag eingegangen sei. Auch Generaldirektor Dr. K sei am 9. und 10. Jänner 1992 nicht am Sitz der Gesellschaft gewesen.
Auf Grund des Inhaltes des hg. Aktes 92/14/0023 sowie der Aussagen der im Rechtshilfeweg vernommenen Sekretärinnen H und P nimmt der Verwaltungsgerichtshof folgenden Sachverhalt als bescheinigt an:
Der Bescheid vom 17. Dezember 1991 war an die Antragstellerin zu Handen Dris. K adressiert und wurde am 9. Jänner 1992 von der postbevollmächtigten Sekretärin H übernommen, da die für den Postempfang sonst zuständige Sekretärin P an diesem Tag wegen einer Dienstreise abwesend war. H verfügte damals daher auch über den (einzigen) Eingangsstempel. Sie ist nicht berechtigt, an Dr. K, den Generaldirektor der Antragstellerin, adressierte Post zu öffnen. Sie pflegt bei solcher Post den Eingangsstempel auf das Kuvert zu setzen und die Postmappe in Abwesenheit von P und des Generaldirektors auf den Schreibtisch von P zu legen, die als dessen Sekretärin an ihn gerichtete Post öffnen darf.
Von dem im Wiedereinsetzungsantrag geschilderten Telefonat ist H nichts bekannt. Die dort geschilderte Vorgangsweise ist für sie nicht vorstellbar.
P war auch am 10. Jänner 1992 nicht im Betrieb und kehrte erst am 13. Jänner 1992 (Montag) ins Büro zurück. Sie pflegt, wenn sie an einem Freitag frei hat und am Montag ins Büro zurückkehrt, die zu Handen Dris. K gerichtete Post zu öffnen und mit dem jeweiligen Datumsstempel des Montages zu versehen. Das gegenständliche, am 9. Jänner 1992 zugestellte Schriftstück müßte in der Postmappe vom 10. Jänner 1992 auf ihren Schreibtisch gelangt sein. P ist nichts davon bekannt, daß H ungeöffnete Post am Kuvert stempeln würde.
Eine Dienstanweisung über die Handhabung des Eingangsstempels existiert bei der Antragstellerin nicht. Eine Kontrolle der Post erfolgt durch die Vorstandsdirektoren nur insofern, daß sie die ihnen vorgelegte Post einsehen.
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehens oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Im vorliegenden Fall ist es zum Vermerk eines unrichtigen Eingangsdatums, welcher eine unrichtige Berechnung der Beschwerdefrist nach sich zog, dadurch gekommen, daß die Sekretärin P auf einem bereits am 9. Jänner 1992 eingelangten Schriftstück den Eingangsstempel 13. Jänner 1992 aufdrückte. Hiebei handelte es sich nicht etwa um eine einmalige Fehlleistung. Vielmehr entsprach es ihrer Übung, an Montagen nach vorheriger Abwesenheit vom Büro jeweils das Datum der Postöffnung aufzustempeln, obwohl sie mit einer Zustellung an Vortagen rechnen mußte. Damit hat P gegen keine Dienstanweisung verstoßen, weil es eine solche - entgegen dem Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag - nicht gab. Die Organisation der Generaldirektion der Antragstellerin bot somit keine Gewähr dafür, daß der Eingangsstempel jeweils nur mit dem Datum des tatsächlichen Einganges verwendet wurde; vielmehr war ein Vorfall wie der gegenständliche geradezu systembedingt. Auch einschlägige Kontrollen seitens des Vorstandes sind unterblieben.
Angesichts dieser Sachlage ist der Gerichtshof der Auffassung, daß der Vorstand der antragstellenden Aktiengesellschaft seiner Organisations- und Überwachungspflicht nicht nachgekommen ist. Selbst wenn die dargestellte Sekretariatsübung bisher noch zu keiner vergleichbaren Fristversäumung geführt haben sollte, würde dies nichts daran ändern, daß das der Antragstellerin zuzurechnende Verschulden ihres Organs über einen minderen Grad des Versehens im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG hinausgeht.
Dem Wiedereinsetzungsantrag war daher nicht stattzugeben.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992140086.X00Im RIS seit
20.10.1992