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32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
ASVG §35 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Händschke als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Werner, über die Beschwerde des K in H, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 28. August 1991, Zl. MA 14-K 32/91, betreffend Sicherstellungsauftrag (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse, Wienerbergstraße 15-19, 1101 Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist folgender Sachverhalt unbestritten:
Mit Sicherstellungsauftrag gemäß § 66 ASVG der mitbeteiligten Wiener Gebietskrankenkasse vom 30. April 1991, Zl. Be 877 161 8, wurde für die Zeit vom März bis Juni 1991 inklusive einer Sonderzahlung ein Betrag von S 50.000,-- geltend gemacht und ausgesprochen, daß sich der Sicherstellungsschuldner (Beschwerdeführer) durch Hinterlegung dieses Betrages von den zur Vollziehung der Sicherstellung vorgenommenen Maßnahmen befreien könne. Als Sicherstellungsschuldner wurde in diesem Bescheid der Beschwerdeführer als persönlich haftender Gesellschafter der protokollierten Firma NN GesmbH KG bezeichnet. Als Begründung wurde ausgeführt, der Tatbestand für die voraussichtlich erwachsenden Sozialversicherungsbeiträge sei verwirklicht durch die Weiterführung des Betriebes und die Beschäftigung von Dienstnehmern. Die Einbringung der Sozialversicherungsbeiträge sei gefährdet bzw. wesentlich erschwert, weil sich der Dienstgeber in Zahlungsschwierigkeiten befände. Er sei nicht in der Lage, die in der letzten Zeit aufgelaufenen Sozialversicherungsbeiträge termingerecht zu bezahlen, sodaß Exekution geführt hätte werden müssen. Es sei daher anzunehmen, daß auch die neu auflaufenden Sozialversicherungsbeiträge nicht rechtzeitig bezahlt werden könnten. Es bestehe die Gefahr, daß die oben angeführten Beiträge keine pfandrechtliche Deckung finden werden, weil allenfalls andere Gläubiger Vorpfandrechte erwerben könnten. Eine Vollstreckung zur Hereinbringung sei noch nicht möglich. Es sei daher zu besorgen, daß bei nicht sofortigem Zugriff das Vermögen des Sicherstellungsschuldners sich erheblich vermindere und die Einbringung der Sozialversicherungsbeiträge vereitelt oder wesentlich erschwert werden würden. Die Anordnung der Sicherstellung, die sofort in Vollzug gesetzt werden könne, gründe sich auf § 66 ASVG in Verbindung mit §§ 232 f BAO.
Fristgerecht erhob der Beschwerdeführer gegen den Sicherstellungsauftrag vom 30. April 1991 Einspruch im wesentlichen mit der Begründung, die NN GesmbH Kommanditgesellschaft befinde sich seit 7. Mai 1990 in Konkurs; bis zu diesem Datum habe diese Gesellschaft jedoch die vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträge bezahlt. Im Mai 1990 sei der Betrieb der genannten Gesellschaft eingestellt worden, sodaß auch keinerlei Sozialversicherungsbeiträge anfallen hätten können. Woraus die mitbeteiligte Wiener Gebietskrankenkasse eine Sicherstellung März bis Juni 1991 ableiten wolle, sei unerklärlich, da die NN GesmbH KG keinerlei Dienstnehmer mehr beschäftige.
In der daraufhin erstatteten Stellungnahme, dem Beschwerdeführer mit der Aufforderung zur Äußerung hiezu binnen drei Wochen zugestellt, präzisierte die mitbeteiligte Wiener Gebietskrankenkasse die Begründung des Sicherstellungsauftrages dahingehend, daß die darin enthaltenen Sozialversicherungsbeiträge für den Dienstnehmer X vorgeschrieben würden. Dieser habe am 6. Juni 1990 seinen vorzeitigen Austritt aus der Firma NN GesmbH KG erklärt, habe aber auf Grund eines Sondervertrages Anspruch auf den Bezug von Kündigungsentschädigung in der Dauer von zwölf Monaten, d.h. bis Juni 1991. X sei während des Bezuges von Kündigungsentschädigung sozialversichert. Es würden daher auch bis Juni 1991 Sozialversicherungsbeiträge für ihn vorgeschrieben. Diesbezüglich sei am 18. Juni 1990 eine Beitragsprüfung in der Kanzlei des Masseverwalters im Konkurs der Beitragsschuldnerin, Dr. S, durchgeführt worden. Die aufgelaufenen Sozialversicherungsbeiträge seien auch im Konkurs der Firma NN GesmbH KG angemeldet worden, doch könne diese Forderung im Konkursverfahren nicht befriedigt werden, da bereits feststehe, daß eine Quote von 5 % jedenfalls nicht erreicht werden könne. Da die Beiträge bei der Beitragsschuldnerin uneinbringlich seien, sei der persönlich haftende Gesellschafter (der Beschwerdeführer) zur Haftung herangezogen worden. Gegen diesen seien bereits mehrfach, allerdings ohne den gewünschten Erfolg Exekutionsmaßnahmen eingeleitet worden, insbesondere zu E 6872/90, E 5400/91 je des Bezirksgerichtes A und E 3073/91 des Bezirksgerichtes B. Da der aufgelaufene Beitragsrückstand in der Vergangenheit trotz all dieser Exekutionsmaßnahmen vom Beschwerdeführer nicht hereingebracht hätte werden können, sei zu erwarten, daß auch die Einbringung der künftig bis Juni 1991 auflaufenden Sozialversicherungsbeiträge gefährdet sein werde. Für März und April 1991 seien bereits Beiträge in Höhe von jeweils S 10.560,-- vorgeschrieben worden. Der Gesamtrückstand betrage bereits S 370.000,--.
Der Beschwerdeführer äußerte sich hiezu binnen der gesetzten Frist nicht.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Einspruch des Beschwerdeführers gegen den Sicherstellungsauftrag der Wiener Gebietskrankenkasse vom 30. April 1991 nicht Folge. Nach der Begründung sei der bekämpfte Sicherstellungsauftrag verfügt worden, weil die Beitragsschuldnerin mit der Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge schon seit einiger Zeit immer wieder in erheblichen Verzug geraten sei und zur Hereinbringung der Beiträge laufend Exekutionen hätten geführt werden müssen. Nach Zitierung der angewendeten Rechtsvorschriften führte die belangte Behörde weiters aus, der Gesetzgeber habe ausdrücklich zwischen zwei Tatbeständen unterschieden, von denen jeder für sich die Erlassung eines Sicherstellungsauftrages rechtfertige; nämlich eine Gefährdung einerseits und eine wesentliche Erschwerung der Einbringung andererseits. Während unter den Tatbestand der Gefährdung begriffsnotwendig alle jene Fälle zu subsumieren seien, in denen die Gefahr einer Uneinbringlichkeit der Beiträge bestehe, beziehe sich der Ausdruck "Erschwerung" nur auf das Ausmaß, nicht aber auch auf mangelnden Erfolg von Einbringungsmaßnahmen, weil letzterer ja schon unter den Begriff der Gefährdung fiele. Seien daher zur Einbringung der Beiträge Exekutionsmaßnahmen nicht nur fallweise, sondern in einem wesentlich vermehrten Umfange notwendig, so sei allein damit bereits die Voraussetzung einer wesentlichen Erschwerung der Einbringung der Beiträge erfüllt und die Rechtfertigung der Sicherstellung gegeben, ohne daß es in einem solchen Fall noch einer Gefährdung der Einbringlichkeit bedürfe. Berücksichtige man nun im gegenständlichen Falle die Vielzahl der zuletzt zur Einbringung der Beiträge notwendig gewordenen Eekutionsführungen, so läge ungeachtet der Frage der Einbringlichkeit der Beiträge zumindest der Tatbestand einer wesentlichen Erschwerung der Einbringung vor. Die Zahl der in der Vergangenheit notwendig gewordenen Zwangsmaßnahmen seien dem Beschwerdeführer bekanntgegeben bzw. vorgehalten und gleichzeitig mitgeteilt worden, daß die Sicherstellung für die aus den noch zu erwartenden Gehaltsforderungen des X resultierenden Beiträge verfügt worden sei. Er habe sich dazu nicht geäußert. Es bestehe aber auch keine Veranlassung, die diesbezüglichen Feststellungen der mitbeteiligten Wiener Gebietskrankenkasse in Zweifel zu ziehen. Was schließlich noch den Umstand betreffe, daß sich die angefochtene Sicherstellung über mehrere Beitragszeiträume im voraus erstrecke, sei zu bemerken, daß der die Abgabe bzw. Beitragspflicht begründende Tatbestand für künftige Zeiträume nicht erst durch den Ablauf des jeweiligen Beitragszeitraumes, sondern bereits durch den aufrechten Bestand der die Beitragspflicht begründenden versicherungspflichtigen Dienstverhältnisse der Dienstnehmer verwirklicht sei. Die Richtigkeit der Höhe des Sicherstellungsbetrages ergebe sich daraus, daß er für die Monate März bis Juni 1991 einschließlich Sonderzahlung erlassen worden sei. Allfällige nach der Erlassung des Sicherstellungsauftrages erfolgte Bezahlungen seien ohne Einfluß darauf, daß der Sicherstellungsauftrag rechtmäßig erlassen worden sei, weil die erkennende Behörde lediglich berechtigt sei, den angefochtenen Sicherstellungsauftrag darauf zu überprüfen, ob er im Zeitpunkt seiner Erlassung den erforderlichen sachlichen Voraussetzungen entsprochen habe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend macht.
Die belangte Behörde hat ebenso wie auch die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse eine Gegenschrift erstattet, in denen die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 66 ASVG sind die Bestimmungen der §§ 232 und 233 der Bundesabgabenordnung BGBl. Nr. 194/1961 auf Beitragsforderungen nach "diesem" Bundesgesetz mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, daß anstelle der Abgabenbehörde der Versicherungsträger tritt, der nach § 58 Abs. 5 berufen ist, die Beitragsforderung rechtlich geltend zu machen.
Nach § 232 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den die Abgabenvorschriften die Abgabenpflicht knüpfen, selbst bevor die Abgabenschuld dem Ausmaß nach feststeht, bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit (§ 226) an den ABGABEPFLICHTIGEN einen Sicherstellungsauftrag erlassen, um einer Gefährdung oder wesentlichen Erschwerung der Einbringung der Abgabe zu begegnen. Der Abgabepflichtige kann durch Erlag eines von der Abgabenbehörde zu bestimmenden Betrages erwirken, daß Maßnahmen zur Vollziehung des Sicherstellungsauftrages unterbleiben und bereits vollzogene Maßnahmen aufgehoben werden.
Im Bereich des § 66 ASVG ist unter dem Abgabenpflichtigen primär derjenige zu verstehen, der Beitragsschuldner ist. Beitragsschuldnerin der hier in Rede stehenden erst künftig fällig werdenden Sozialversicherungsbeiträge ist die in Konkurs befindliche NN GesmbH KG als Dienstgeberin im Sinn des § 35 ASVG. Da sich der vorliegende Sicherstellungsauftrag - ebenso wie die von der mitbeteiligte Wiener Gebietskrankenkasse in ihrer Stellungnahme zitierten Exekutionsmaßnahmen - nicht gegen die Gesellschaft, sondern gegen den Beschwerdeführer als deren Komplementär persönlich richtet, war demgemäß zu prüfen, inwieweit ihm Dienstgebereigenschaft zukommt, aus welcher ihn selbst Beitragspflichten träfen (§ 58 ASVG). Ausgehend von der im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 10. Dezember 1986, Zl. 83/08/0200, Slg. 12325/A, ausgesprochenen Rechtsansicht ist dann, wenn eine Person für eine OHG oder KG in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit tätig ist, die Gesellschaft selbst und es sind nicht die Gesellschafter (Komplementäre) Dienstgeber; ein "Durchgriff" auf die Gesellschafter in Hinsicht auf ihre Dienstgebereigenschaft ist daher abzulehnen.
Aber selbst wenn sich § 66 ASVG auch auf einen Haftpflichtigen nach § 67 ASVG beziehen und der Beschwerdführer als Komplementär der Beitragsschuldnerin überhaupt als Beitragsmithaftender nach § 67 Abs. 3 ASVG in Betracht kommen könnte, wäre der gegenständliche Sicherstellungsauftrag gesetzlich nicht begründet. Denn ein Sicherstellungsauftrag nach § 66 ASVG setzt bei sinngemäßer Anwendung der §§ 232 und 233 BAO voraus, daß der Tatbestand verwirklicht ist, an den die sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen die grundsätzliche Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen knüpfen. Das bedeutet, daß diese Verpflichtung bereits entstanden sein muß. Bei einem potentiell Haftpflichtigen entsteht sie jedoch nicht - wie beim Beitragsschuldner - kraft Gesetzes; die Rechtswirksamkeit einer Haftung nach § 67 ASVG setzt vielmehr deren bescheidmäßigen Ausspruch gegenüber dem Haftpflichtigen voraus (vgl. die Erkenntnisse vom 22. Setpember 1988, Zl. 87/08/0262, und vom 15. Dezember 1988, Zl. 88/08/0252, zur Rechtslage nach der BAO u. a. das Erkenntnis vom 3. Oktober 1990, Zl. 86/13/0103).
Daß im Beschwerdefall gegen den Beschwerdeführer vor Erlassung des Sicherstellungsauftrages bereits ein Haftungsbescheid erlassen worden wäre, hat die belangte Behörde aber nicht festgestellt und ergibt sich auch nicht aus der Aktenlage.
Inwieweit die Möglichkeit der Erlassung eines Sicherstellungsauftrages auch gegen den (bloß) Haftungspflichtigen besteht, kann jedoch hier dahingestellt bleiben, da die belangte Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides Feststellungen über die Grundlagen der Haftung des Beschwerdeführers als Komplementär der in Konkurs geratenen KG im oben aufgezeigten Sinne, aus denen sich die Berechtigung (oder deren Mangel) der gegen IHN geltend gemachten Beitragsnachforderungen ergäbe, weder in positiver noch in negativer Hinsicht getroffen hat.
Dieser sekundäre Verfahrensmangel unterlief der belangten Behörde wegen ihres Rechtsirrtums, weshalb sie den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastete. Daher erübrigt es sich auch, auf die weiteren Argumente in der Beschwerde, sofern sie nicht ohnedies als gegen das Neuerungsverbot verstoßend unbeachtlich sind, näher einzugehen.
Der angefochtene Bescheid war aus den dargelegten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben .
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung BGBl. Nr. 104/1991. Die Abweisung des Kostenmehrgehrens ist in der Gebührenfreiheit des § 110 ASVG begründet.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1991080135.X00Im RIS seit
20.10.1992