TE Vwgh Erkenntnis 1992/10/20 91/08/0096

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Veröffentlicht am 20.10.1992
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

AVG §13a;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §56;
BSVG §2 Abs1 Z1;
BSVG §23;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Händschke als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Werner, über die Beschwerde des J in V, vertreten durch Dr. O, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes für Steiermark vom 21. Mai 1991, Zl. 5-230 Ta 5/5-90, betreffend Höhe der Beitragsgrundlage nach dem BSVG (mitbeteiligte Partei: Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1031 Wien, Ghegastraße 1), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid vom 18. September 1990, Zl. 3066-300338 8B1, stellte die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt der Bauern, Landesstelle Steiermark, fest, 1) daß der Beschwerdeführer gemäß § 2 Abs. 1 Z. 1 Abs. 2 und Abs. 3 sowie § 3 BSVG vom 1. Oktober 1984 bis laufend in der Kranken-, Pensions- und Unfallversicherung der Bauern pflichtversichert sei, und 2) daß gemäß dem § 23 Abs. 1 BSVG hiefür Beitragspflicht mit den im einzelnen angeführten monatlichen Beitragsgrundlagen bestehe. In der Begründung dieses Bescheides wurde festgehalten, daß sich aus den bei der Landesstelle aufliegenden Meldungen und Bestätigungen ergebe, daß der Beschwerdeführer seit 1980 3,145 ha landwirtschaftlich genutzte Flächen von W gepachtet habe. Da eine diesbezügliche Meldung von ihm unterlassen worden sei, müsse die Landesstelle nach Berücksichtigung der Verjährungsbestimmung die Beitragsgrundlage ab 1. Oktober 1984 berichtigen. Anläßlich einer Erhebung habe die Landesstelle auch Kenntnis erhalten, daß sich die Pachtfläche vom Chorherrenstift V ab 1. Oktober 1987 von bisher 3,73 ha auf 8,41 ha erhöht habe. Auch diesbezüglich sei keine Meldung erfolgt. Nach Berücksichtigung dieser beiden Änderungen erhöhe sich der für die Beitragsbemessung maßgebliche Einheitswert ab 1. Oktober 1984 von S 66.300,-- auf S 79.500,-- und ab 1. Oktober 1987 auf S 108.700,--.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Einspruch, in dem er das Vorliegen eines Pachtvertrages und die Legitimation des W zum Abschluß eines Pachtvertrages mit ihm ebenso bestritt wie die angenommene Größe der Pachtfläche unter Hinweis auf die Beschaffenheit des Geländes (äußerst steil und zum Teil versumpft).

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Einspruch des Beschwerdeführers keine Folge. Nach Wiedergabe des Verfahrensganges und der von der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt der Bauern angewendeten Rechtsvorschriften führte die belangte Behörde "auf der Grundlage der Ergebnisse des verwaltungsbehördlichen Ermittlungsverfahrens, insbesondere des Vorbringens der Sozialversicherungsanstalt der Bauern, Landesstelle Steiermark, und auf Grund der weiteren Aktenlage unter Hinweis auf die zutreffende Begründung des erstinstanzlichen Bescheides" aus:

"Der Einspruchswerber pachtete 3,145 ha an landwirtschaftlich genutzten Flächen der Liegenschaft EZ 23 KG X von Herrn W als Miteigentümer und Verwalter der gemeinschaftlichen Liegenschaft (§§ 836 f ABGB) und von drei weiteren Miteigentümern. Dieses Pachtverhältnis besteht seit 1980. Es wurde vom Einspruchswerber der Sozialversicherungsanstalt der Bauern, Landesstelle Steiermark, nicht gemeldet. Auch wurde trotz Aufforderung weder vom Pächter noch von den Verpächtern ein schriftlicher Pachtvertrag vorgelegt. Kennzeichnend für die Einstellung des Einspruchswerbers in Belangen der Bauernsozialversicherung ist auch die Tatsache, daß er die Vergrößerung der vom Chorherrenstift V gepachteten landwirtschaftlich genutzten Flächen vom 1. Oktober 1987 an die Sozialversicherungsanstalt der Bauern ebenfalls nicht meldete."

Im Rahmen der Beweiswürdigung wurde noch als unbestritten festgestellt, der Beschwerdeführer habe in den Jahren 1980 bis 1988 jährlich 1.000 S an Pachtzins bezahlt. Rechtlich gelangte die belangte Behörde zu dem Ergebnis, die Behauptung des Beschwerdeführers im Verfahren vor der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt der Bauern, Landesstelle Steiermark, er habe an den landwirtschaftlichen Nutzflächen EZ 23 KG X landwirtschaftliche Arbeiten (Mäharbeiten) nicht in eigenem Interesse, sondern im Auftrag der (vier) Eigentümer durchgeführt, sei unglaubwürdig, denn dafür hätte er jährlich nicht 1.000 S bezahlt. Der Einwand des Beschwerdeführers betreffend die fehlende Legitimation des W zum Abschluß eines Pachtvertrages sei für das Verhältnis zwischen diesem als Miteigentümer und Verwalter der gemeinschaftlichen Liegenschaft und dem Einspruchswerber unberechtigt und unwesentlich. Ein solches Fehlen der Legitimation des W, das jedoch nicht gegeben sei, hätte lediglich Auswirkungen im Innenverhältnis der vier Miteigentümer der Liegenschaft. Im sozialversicherungsrechtlichen Bereich sei vor allem die tatsächliche Bewirtschaftung relevant; dementsprechend stehe das dieser Bewirtschaftung zugrunde liegende Rechtsverhältnis im Hintergrund. Der Beschwerdeführer sei auch für seine Behauptung, daß auf den genannten landwirtschaftlichen Nutzflächen Kanalbauarbeiten durchgeführt worden seien, jeden Nachweis schuldig geblieben. Schließlich sei zum Einwand des Beschwerdeführers, daß die Liegenschaft zum Teil äußerst steiles und zum Teil versumpftes Gelände aufweise festzustellen, daß das Finanzamt gerade die Gelände- und Bodenbeschaffenheit bei der Ermittlung des Einheitswertes berücksichtigt habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und erklärt, von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand zu nehmen.

Die mitbeteiligte Partei hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erblickt der Beschwerdeführer zunächst in dem Umstand, daß die belangte Behörde von der Annahme des Bestehens eines aufrechten Pachtverhältnisses über 3,145 ha der EZ 23 und 33 je KG X zwischen ihm, dem Beschwerdeführer, und W auf Grund einer von diesem ausgestellten Bestätigung ausgegangen sei, die ihm, dem Beschwerdeführer, nicht zur Kenntnis gebracht und damit auch keine Gelegenheit gegeben worden sei, hiezu Stellung zu nehmen. Überdies sei der Grundsatz der Mündlichkeit verletzt, da sich die belangte Behörde ausschließlich auf die schriftliche Äußerung des W bezogen habe, ohne Auskunftspersonen zur Feststellung des Sachverhaltes zu vernehmen. Auf den Einwand des Beschwerdeführers, das strittige Grundstück sei infolge von Kanalbauarbeiten in den Jahren 1987 bis 1989 einer Bewirtschaftung überhaupt unzugänglich gewesen, gehe die belangte Behörde überhaupt nicht ein.

Der damit erhobene Vorwurf einer unzureichenden Auseinandersetzung mit den vom Beschwerdeführer erhobenen Einwänden erweist sich als begründet.

Nach § 37 AVG ist es Zweck des Ermittlungsverfahrens, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben. Gemäß § 45 Abs. 3 AVG ist den Parteien Gelegenheit zu geben, von dem Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen. Nach § 46 AVG kommt als Beweismittel alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist. Im Verwaltungsverfahren gelten daher unter anderem das Prinzip der Amtswegigkeit, des Parteiengehörs sowie die Grundsätze der freien Beweiswürdigung und der Unbeschränktheit der Beweismittel. Das Offizialprinzip verpflichtet die Behörde, den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu erheben und festzustellen. Es ist daher Aufgabe der Behörde, Erhebungen, die zur Klärung des Sachverhaltes benötigt werden, durchzuführen (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Jänner 1961, Slg. Nr. 5466/A). Dabei erstreckt sich die Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes auf die Ermittlung ALLER unter dem Aspekt der anzuwendenden Rechtsvorschriften im konkreten Einzelfall in Betracht kommenden Tatsachen und deren Erhärtung durch Beweise (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Setpember 1978, Zl.1158/77). Insbesondere einer rechtsunkundigen und nicht rechtsfreundlich vertretenen Partei gegenüber ist die Verwaltungsbehörde zur Manuduktion verpflichtet (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. April 1977, Zl. 2698/78).

Der Beschwerdeführer hatte bereits im Verwaltungsverfahren konkrete Einwände vorgebracht, nämlich schwerpunktartig a) die Legitimation des W zum Abschluß eines Pachtvertrages über die Liegenschaft, b) die Bearbeitung des Grundstückes auf Rechnung und Gefahr des Beschwerdeführers und c) die Bewirtschaftungsmöglichkeit infolge der über die Jahre 1987 bis 1989 auf dem Grundstück durchgeführten Kanalbauarbeiten (womit der Beschwerdeführer erkennbar die Unmöglichkeit einer landwirtschaftlichen Bewirtschaftung während dieses Zeitraums darzutun versuchte) unter Anbietung von Beweisen detailliert bestritten. Aus welchen Erwägungen aber die belangte Behörde es unterlassen hat, im Hinblick auf die divergierenden Darstellungen der Vertragsparteien, auf die Vorlage des (avisierten?) Pachtvertrages und auf die ergänzenden Einvernahmen der Beteiligten zu verzichten, ist nicht einsichtig. Im übrigen entbehrt die Behauptung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei für seine Behauptungen die Kanalbauarbeiten betreffend jeden Nachweis schuldig geblieben, insofern der Grundlage, als es im Rahmen der Amtswegigkeit des Verfahrens Aufgabe der Behörde gewesen wäre, diesem detaillierten Einwand durch das vom Beschwerdeführer selbst angeregte Beweismittel Rechnung zu tragen. Anläßlich einer persönlichen Einvernahme des Beschwerdeführers und Erörterung der von W ausgestellten Bestätigung vom 12. September 1990 hätte die belangte Behörde auch den Versuch einer nachträglichen Aufklärung unternehmen können, der sich aus der Aussage des Beschwerdeführers anläßlich seiner Vernehmung am 6. Juni 1990, in der er das Vorliegen eines Pachtvertrages vehement bestritt, und dem Aktenvermerk, demzufolge eine Bestätigung über eine eventuelle Zupachtung von W mit Unterschrift beider Vertragspartner vorgelegt werde oder worden sei, ergibt.

Da die belangte Behörde im Zusammenhang mit der Annahme des Bestehens einer Zupachtung der strittigen Grundstücke durch den Beschwerdeführer Verfahrensvorschriften verletzt hat, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Verfahrensergebnis hätte gelangen können, und andere Gründe, die auf eine Bewirtschaftung dieser Grundstücke auf Rechnung und Gefahr des Beschwerdeführers hindeuten könnten, von der belangten Behörde nicht festgestellt wurden, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung BGBl. Nr. 104/1991; die Abweisung des Kostenmehrbegehrens hatte infolge sachlicher Abgabenfreiheit gemäß § 44 BSVG zu erfolgen.

Schlagworte

Beweiswürdigung Sachverhalt angenommener geklärter Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle Wahrheit Sachverhaltsermittlung Verfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1991080096.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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