Index
90/02 Kraftfahrgesetz;Norm
KFG 1967 §66 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des J in W, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 28. Jänner 1992, Zl. MA 64-8/32/92, betreffend vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.900,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Bundespolizeidirektion Wien entzog dem Beschwerdeführer mit Mandatsbescheid vom 28. März 1991 gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A und B und sprach gemäß § 73 Abs. 2 leg. cit. aus, daß ihm für die Zeit von zwölf Monaten gerechnet ab Abnahme seines Führerscheines, das sei bis einschließlich 21. März 1992, keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden dürfe.
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 16. Dezember 1991 wurde "der gegen diesen Bescheid rechtzeitig eingebrachten Vorstellung Folge gegeben und der angefochtene Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, daß die Entziehungszeit mit 21.3.1991 beginnt und am 21.12.1991 endet".
Der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 28. Jänner 1992 "keine Folge gegeben"; der erstinstanzliche Bescheid wurde dahingehend geändert, daß der zweite Absatz seines Spruches wie folgt zu lauten habe: "Der gegen diesen Bescheid rechtzeitig eingebrachten Vorstellung wird insofern teilweise Folge gegeben, als der Entziehungszeitraum auf 9 Monate herabgesetzt wird. Die Entziehungszeit beginnt daher am 21. März 1991 und endet am 21. Dezember 1991."
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:
Mit Berichterverfügung vom 30. Juli 1992 erging an die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens eine Aufforderung zur Stellungnahme gemäß § 36 Abs. 8 VwGG mit folgendem Inhalt:
"Die Vorstellung des Beschwerdeführers gegen den die Entziehung seiner Lenkerberechtigung verfügenden Mandatsbescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 28. März 1991 langte laut Eingangsstempel beim Verkehrsamt dieser Behörde am 19. April 1991 ein. Nach der Aktenlage scheint innerhalb der Zweiwochenfrist des § 57 Abs. 3 AVG ein Ermittlungsverfahren nicht eingeleitet worden zu sein, da erst am 8. Mai 1991 die Anordnung "Ermittlungsverfahren einleiten. Sachausgang anfragen" erteilt wurde. Demnach dürfte der Mandatsbescheid gemäß § 57 Abs. 3 AVG mit Ablauf des 3. Mai 1991 außer Kraft getreten sein. Mangels eines Substrates für eine Entscheidung über die Vorstellung des Beschwerdeführers hätte damit der Erstbehörde die Zuständigkeit zur Erlassung ihres Bescheides vom 16. Dezember 1991, mit dem spruchgemäß "der" gegen den Mandatsbescheid "rechtzeitig eingebrachten Vorstellung Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ... bestätigt" wurde, gefehlt (vgl. in diesem Zusammenhang das hg. Erkenntnis vom 24. Juni 1983, Zl. 83/02/0139). Träfe die dargelegte Ansicht zu, so hätte die belangte Behörde den erstinstanzlichen Bescheid aus dem genannten Grund beheben müssen. Da er statt dessen bestätigt wurde, wäre der angefochtene Bescheid schon deshalb mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes behaftet.
Zum selben Ergebnis führte auf dem Boden der obigen Prämisse auch folgende Erwägung: Mit dem Wegfall des Mandatsbescheides kraft Gesetzes wäre eine Kontrollfunktion der Erstbehörde hinsichtlich dieses Bescheides nicht mehr in Betracht gekommen (vgl. zur Kontrollfunktion der Vorstellungsbehörde im Entziehungsverfahren das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 2. Mai 1984, Zl. 82/11/0200). Vielmehr hätte die Erstbehörde bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen neu in erster Instanz eine Entziehungsmaßnahme aussprechen müssen. Dies hätte aber gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 - die Anwendung des Abs. 3 dieser Gesetzesstelle kam im Hinblick auf das angenommene Verschulden eines Verkehrsunfalles durch den Beschwerdeführer nicht in Betracht - vorausgesetzt, daß die Erstbehörde annehmen durfte, der Beschwerdeführer werde seine Verkehrszuverlässigkeit nicht vor Ablauf von drei Monaten ab Erlassung ihres Bescheides wiedererlangen (vgl. dazu das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. November 1983, Slg. 11.237/A). Tatsächlich ging die Erstbehörde (und in der Folge auch die belangte Behörde) bei Erlassung ihres Bescheides vom 16. Dezember 1991 davon aus, daß der Beschwerdeführer bereits mit Ablauf des 21. Dezember 1991 wieder verkehrszuverlässig sein werde. Unter dieser Voraussetzung war aber im Hinblick auf § 73 Abs. 2 KFG 1967 ein Entziehungsausspruch nicht (mehr) zulässig."
Der Beschwerdeführer schloß sich in seiner Stellungnahme diesen Ausführungen an. Die belangte Behörde äußerte sich in ihrer Stellungnahme vom 27. August 1992 dahin, daß mit der Einfügung des § 73 Abs. 4 in das KFG 1967 durch die 12. Kraftfahrgesetz-Novelle, BGBl. Nr. 375/1988, die rückwirkende Entziehung der Lenkerberechtigung legalisiert worden sei und die Entziehungszeit daher nunmehr ab der (faktischen) Abnahme des Führerscheines zu berechnen sei. Ginge man aber vom zitierten Erkenntnis aus dem Jahre 1983 aus (dabei ist offenbar das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 28. November 1983, Slg. 11237/A, gemeint), könnte man "nie eine Entziehungszeit von drei Monaten verhängen", da der Entziehungsbescheid in der Praxis immer eine gewisse Zeit (wenn auch meist nur wenige Tage) nach der Führerscheinabnahme erlassen werde. Das genannte Erkenntnis könne infolge der geänderten Rechtslage nicht mehr zwingend "auf derartige Fälle" angewendet werden.
Die Anhörung der Parteien hat nichts ergeben, was den Verwaltungsgerichtshof veranlassen könnte, der Beurteilung des vorliegenden Beschwerdefalles nicht die oben dargelegte Rechtsauffassung zugrunde zu legen, zumal die belangte Behörde sich in der Frage der funktionellen Unzuständigkeit der Erstbehörde als Vorstellungsbehörde zur Erlassung des Bescheides vom 16. Dezember 1991 überhaupt nicht geäußert hat. Nicht geteilt werden kann allerdings die in diesem Zusammenhang vorgetragene Ansicht des Beschwerdeführers, wenn schon für die Erstbehörde auf Grund des Außerkrafttretens des Mandatsbescheides ein ausreichendes Substrat für ihren Bescheid vom 16. Dezember 1991 gefehlt habe, so müsse dies um so mehr für den angefochtenen Bescheid gelten; die belangte Behörde habe eine ihr nach dem Gesetz niemals zukommende Zuständigkeit in Anspruch genommen. Bei diesem Vorbringen übersieht der Beschwerdeführer die der belangten Behörde nach § 66 Abs. 4 AVG zukommende Zuständigkeit, über seine Berufung gegen den Bescheid der Erstbehörde vom 16. Dezember 1991 abzusprechen und diesen nach jeder Richtung hin abzuändern bzw. gegebenenfalls ersatzlos zu beheben. Nur die letztere Entscheidung wäre im vorliegenden Fall in Betracht gekommen, fehlte doch der Erstbehörde infolge des ex-lege-Außerkrafttretens des Mandatsbescheides wegen nicht fristgerechter Einleitung des Ermittlungsverfahrens die Zuständigkeit zu dessen Bestätigung.
Mit der Frage, ob § 73 Abs. 2 zweiter Satz KFG 1967, wonach bei verkehrsunzuverlässigen Personen die nach dieser Bestimmung zu bemessende Zeit unbeschadet des Abs. 3 nicht kürzer als drei Monate sein darf, durch die 12. Kraftfahrgesetz-Novelle eine Änderung erfahren habe, hat sich der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 9. Oktober 1990, Zl. 90/11/0061, befaßt. Er hat dort ausgesprochen, daß sich die Änderung auf die Einfügung der Worte "unbeschadet des Abs. 3" in den § 73 Abs. 2 zweiter Satz KFG 1967 beschränkt, daher diese Bestimmung für den Fall des Nichtvorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 3 inhaltlich keine Änderung erfahren hat und somit in einem solchen Fall die von der Kraftfahrbehörde festzusetzende Zeit (weiterhin) nicht kürzer als drei Monate sein darf (vgl. auch die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. April 1991, Zl. 90/11/0161, und vom 14. Mai 1991, Zl. 90/11/0210). Wie der Gerichtshof im soeben genannten Erkenntnis Zl. 90/11/0161 weiters ausgesprochen hat, kann es für die Prognose nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 keinen Unterschied machen, ob dem Besitzer einer Lenkerberechtigung der Führerschein vorläufig abgenommen wurde oder nicht. Die Auslegung des § 73 Abs. 4 KFG 1967 dürfe im gegebenen Zusammenhang vor allem nicht dazu führen, daß derjenige, dem der Führerschein vorläufig abgenommen worden sei, gegenüber demjenigen, bei dem dies nicht der Fall gewesen sei, insofern bessergestellt wäre, als auf Grund der Art ihrer Berechnung die Zeit, für welche keine neue Lenkerberechtigung erteilt bzw. bei einer vorübergehenden Entziehung der Lenkerberechtigung gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 der Führerschein nicht wieder ausgefolgt werden dürfe, früher ende. Der Gerichtshof sieht sich durch die oben wiedergegebenen Ausführungen in der Stellungnahme der belangten Behörde vom 27. August 1992 nicht veranlaßt, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Auf dem Boden der dargelegten Rechtslage entsprach der erstinstanzliche Bescheid vom 16. Dezember 1991 auch wegen Nichtvorliegens der Voraussetzung des § 73 Abs. 2 zweiter Satz KFG 1967 nicht dem Gesetz.
Zur Vermeidung von Mißverständnissen ist zu betonen, daß das Erfordernis der Festsetzung einer Zeit von mindestens drei Monaten nicht in gleicher Weise bei Entscheidungen gilt, die in Ausübung der Kontrollfunktion ergehen. In diesen Fällen kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darauf an, daß dem besagten Erfordernis bei Erlassung des betreffenden unterinstanzlichen bzw. Mandatsbescheides Rechnung getragen wurde (vgl. die Erkenntnisse vom 20. Februar 1985, Zl. 84/11/0090, und vom 13. Oktober 1987, Zl. 87/11/0007). Für den vorliegenden Fall bedeutet das, daß der Bescheid der Erstbehörde vom 16. Dezember 1991 ungeachtet dessen, daß er am 20. Dezember 1991 durch Zustellung an den Beschwerdevertreter erlassen wurde und die ausgesprochene "Zeit" bereits mit 21. Dezember 1991 endete, dann nicht rechtswidrig gewesen wäre, wenn der Mandatsbescheid vom 28. März 1991 nicht gemäß § 57 Abs. 3 AVG infolge nicht fristgerechter Einleitung des Ermittlungsverfahrens außer Kraft getreten wäre. Diesfalls wäre der Bescheid vom 16. Dezember 1991 als in Ausübung der Kontrollfunktion der Erstbehörde gegenüber ihrem Mandatsbescheid ergangen anzusehen und daher nicht im Grunde des § 73 Abs. 2 zweiter Satz KFG 1967 rechtswidrig.
Dadurch, daß die belangte Behörde den Bescheid der Erstbehörde vom 16. Dezember 1991 ungeachtet der ihm anhaftenden Rechtswidrigkeiten nicht behoben, sondern bestätigt hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Dieser ist daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992110092.X00Im RIS seit
19.03.2001