Index
10 VerfassungsrechtNorm
StGG Art8 StPO §175 Abs1 Z1 SuchtgiftG §12Leitsatz
Keine Verletzung des Beschwerdeführers im Recht auf persönliche Freiheit durch seine Festnahme und Anhaltung; vertretbare Annahme einer Übertretung des SuchtgiftgesetzesSpruch
Der Beschwerdeführer ist dadurch, daß ihn Organe der Bundespolizeidirektion Schwechat am 20. September 1989 um 15,00 Uhr festnahmen und sodann bis 21. September 1989, 12,00 Uhr in Haft hielten, weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer beantragt mit der vorliegenden, auf Art144 (Abs1 zweiter Satz) B-VG gestützten Beschwerde die kostenpflichtige Feststellung, daß er durch die am 20. September 1989, 15,00 Uhr, von Organen der Bundespolizeidirektion (BPD) Schwechat vorgenommene Festnahme und die folgende, bis 21. September 1989, 12,00 Uhr währende Anhaltung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden sei.
2. Die BPD Schwechat als belangte Behörde erstattete zwar keine Gegenschrift, legte aber eine Stellungnahme des einschreitenden Kriminalbeamten vom 7. Dezember 1989 vor. Darin wird ausgeführt:
"Die Festnahme des A M" (des Beschwerdeführers) ... am 20. September 1989, 14,30 Uhr, war nach hs. Auffassung rechtmäßig; dies wird wie folgt begründet:
Am 20.9.1989, gegen 14,00 Uhr, wurde in Wien 11., E-gasse, in der Wohnung des J H eine Hausdurchsuchung vorgenommen. Die Wohnung diente, wie sich herausgestellt hatte, dem J H ... als 'Verkaufslokal' für Heroin und Kokain.
Während der Hausdurchsuchung kamen insgesamt sieben Personen in die Wohnung, die von H Suchtgift kaufen wollten. Da an Ort und Stelle nicht geklärt werden konnte, wer Abnehmer und wer Lieferant des H war und sich alle am Tatort erschienenen Personen hinsichtlich des Grundes ihres Erscheines in widersprüchliche Angaben verstrickten und da höchste Verabredungsgefahr vorlag, wurden sie gem. §175 Abs1 Z1 und 3 StPO i.V. mit §177 StPO vorläufig festgenommen, mit dem Dienstkraftwagen ins hs. Amt gebracht und zur weiteren Amtshandlung im Arrest abgegeben.
Unter den Kunden des J H befand sich auch die ebenfalls festgenommene minderjährige S S, 25.3.1971 geb., die heroinsüchtig ist. Sie wurde von dem Beschwerdeführer in einem geliehenen Pkw. zum Tatort gebracht. Wie schon oben erwähnt, konnte an Ort und Stelle nicht geklärt werden, wie hoch die Schuld jeder einzelnen hinzugekommenen Person war. Bei einer sofortigen Befragung brachte der Beschwerdeführer außerdem unglaubwürdige Erklärungen für seine Anwesenheit am Tatort vor und gab an, er kenne S S nicht.
S S hingegen gab, getrennt vom Beschwerdeführer befragt, an, sie sei von dem Beschwerdeführer zur Wohnung des H gebracht worden. Es lag somit im Falle des Beschwerdeführers der dringende Verdacht vor, daß dieser dem Heroinhändler J H als 'Kundenzubringer' diente.
Der Beschwerdeführer wurde deshalb bei Vorliegen von Gefahr im Verzuge (§177 StPO) gem. §175 Abs1 Z1 und 3 StPO wegen Verdachts gem. §12 SGG vorläufig festgenommen.
Später, in der hs. Dienststelle, konnte dann der Sachverhalt soweit geklärt werden, daß der Beschwerdeführer wegen Wegfall des Haftgrundes aus der Verwahrungshaft entlassen werden konnte.
Zeitpunkt der Entlassung aus der Verwahrungshaft: 21.9.1989, 12,00 Uhr.
Der Beschwerdeführer wurde der Staatsanwaltschaft Wien wegen Verdachts gem. §16 Suchtgiftgesetz angezeigt. Die im gegenständlichen Bericht angeführten Haftgründe sind aktenkundig.
Der Vorwurf des Beschwerdeführers, er sei weder vor, während oder nach seiner Festnahme über den Grund seiner Festnahme informiert worden und es sei ihm kein konkreter Tatvorwurf zur Last gelegt worden, ist nicht richtig. Dies geschah schon, als die Festnahme ausgesprochen wurde.
In dem Adressat des Verfassungsgerichtshofes an die Bundespolizeidirektion Schwechat wird vorgeschrieben, daß die in diesem Fall vorliegenden Verwaltungsakten vorzulegen seien.
Dazu wird berichtet, daß die gegenständliche Amtshandlung im Sinne des Suchtgiftgesetzes und der Strafprozeßordnung durchgeführt wurde. Es liegt kein Verwaltungsakt vor.
A M wurde wie oben berichtet wegen §16 SGG bei der Staatsanwaltschaft Wien (19a St. 71.164/89) zur Anzeige gebracht. Der entsprechende Akt liegt hieramts nur als Kopie vor."
II. Aufgrund des vom Verfassungsgerichtshof beigeschafften Aktes des Strafbezirksgerichtes Wien, AZ 20 U 925/89 (betreffend das gegen den Beschwerdeführer wegen Verdachtes nach §16 Abs1 Suchtgiftgesetz eingeleitete, noch nicht abgeschlossene Strafverfahren, ausgeschieden aus dem beim Landesgericht für Strafsachen Wien gegen andere Personen zu AZ 26 d Vr 9338/89, (Zl. der Staatsanwaltschaft Wien 19 a St 71.164/89) anhängigen Verfahren) ergibt sich kein Anlaß, daran zu zweifeln, daß der hier maßgebende Sachverhalt in der soeben zitierten Stellungnahme (s.o.I.2.) richtig geschildert wird. Der Verfassungsgerichtshof geht daher von diesem Sachverhalt aus.
Der Beschwerdeführer bringt hiezu lediglich vor, ihm sei der Haftgrund nicht mitgeteilt worden.
III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige (vgl. zB VfSlg. 11206/1987, 11518/1987, 11526/1987) - Beschwerde erwogen:
1.a) Das Gesetz zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, das gemäß Art8 StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, RGBl. 142/1867, zum Bestandteil dieses Gesetzes erklärt ist und gemäß Art149 Abs1 B-VG als Verfassungsgesetz gilt, bestimmt in seinem §4, daß die zur Anhaltung berechtigten Organe der öffentlichen Gewalt in den vom Gesetz bestimmten Fällen eine Person in Verwahrung nehmen dürfen. Gesetzliche Bestimmungen iS des §4 leg.cit. sind ua. die §§175 bis 177 StPO.
Der Verfassungsgerichtshof geht in rechtlicher Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes unter dem Blickwinkel der geltend gemachten Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf persönliche Freiheit davon aus, daß die Beschwerdeführer im Dienste der Strafjustiz ohne Vorliegen eines richterlichen Haftbefehls festgenommen und verwahrt wurden. Es ist daher zu prüfen, ob diese Freiheitsbeschränkung nach §177 (§10 Z1) StPO iVm §175 StPO zulässig war. Gemäß §177 Abs1 (§10 Z1) StPO darf die vorläufige Verwahrung einer Person, die eines Verbrechens oder eines - nicht den Bezirksgerichten zur Aburteilung zugewiesenen - Vergehens verdächtig ist, in den hier von den einschreitenden Kriminalbeamten ausdrücklich herangezogenen und damit allein in Betracht kommenden Fällen des §175 Abs1 Z1 und 3 StPO (s. §177 Abs1 Z1 und 2 StPO) zum Zwecke der Vorführung vor den Untersuchungsrichter ausnahmsweise auch durch Organe der Sicherheitsbehörden ohne schriftliche Anordnung vorgenommen werden, und zwar im Fall der §175 Abs1 Z3 StPO nur dann, wenn die Einholung eines richterlichen Befehls wegen Gefahr im Verzug nicht tunlich ist.
Im Falle des Betretens auf frischer Tat (§175 Abs1 Z1 StPO) ist erforderlich, daß das Organ der Sicherheitsbehörde (das ist auch ein Kriminalbeamter) nach Lage des Falles mit gutem Grund (d.i. vertretbar) der Auffassung sein durfte, daß die in Rede stehende Tat wirklich verübt worden sei (vgl. zB VfSlg. 11206/1987).
b) Diese Voraussetzung war hier erfüllt: Nach den Aktenunterlagen bestand der (keineswegs sofort widerlegbare) Verdacht, daß sich - neben anderen Personen - auch der Beschwerdeführer eines Verbrechens nach §12 SuchtgiftG, zumindest aber eines (nicht den Bezirksgerichten zur Aburteilung zugewiesenen) Vergehens nach §16 Abs2 leg.cit. schuldig gemacht habe, wobei er auf frischer Tat betreten wurde.
Da schon der Haftgrund nach der Z1 des §175 Abs1 StPO vorlag, braucht nicht erörtert zu werden, ob auch jener nach der Z3 gegeben war.
Die Festnahme erfolgte sohin dem Gesetz entsprechend.
Anhaltspunkte dafür, daß die Dauer der Anhaltung des Beschwerdeführers überlang gewesen sei, haben sich nicht ergeben (vgl. zB VfSlg. 11146/1986, 707).
c) Die Festnahme und die Anhaltung des Beschwerdeführers war sohin rechtmäßig. Er wurde also weder im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit noch in einem sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt.
Da die hier angewendeten Rechtsvorschriften verfassungsrechtlich unbedenklich sind, erfolgt auch keine Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
3. Dies konnte gemäß §19 Abs1 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschlossen werden.
Schlagworte
Festnehmung, SuchtgiftEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1990:B1261.1989Dokumentnummer
JFT_10099389_89B01261_00