TE Vwgh Erkenntnis 1992/10/22 92/16/0059

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Veröffentlicht am 22.10.1992
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §20;
BAO §303 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Iro und die Hofräte Dr. Närr, Dr. Fellner, Dr. Höfinger und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers Kommissär Dr. Ladislav, über die Beschwerde des P in W, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der FLD für Wien, NÖ und Bgld vom 6.2.1992, Zl. GA 11-920/90, in der Fassung des Berichtigungsbescheides derselben FLD vom 22. Juni 1992, Zl. GA 11-144/5/92, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 4 BAO (ErbSt), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.360,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 28. Dezember 1989 hat das Finanzamt für Gebühren und Verkehrssteuern (FA) in der Erbschaftssteuersache des Beschwerdeführers betreffend Erwerb von Todes wegen nach S.B. das Verfahren von Amts wegen nach §§ 303 ff BAO wieder aufgenommen und den Abgabenbescheid vom 20. November 1987, BAP 87/70.866, aufgehoben. Begründet wurde diese Entscheidung damit, daß die Wiederaufnahme des Verfahrens "auf Grund des Schenkungsvertrages auf den Todesfall vom 28. Jänner 1987" erfolgt sei.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer geltend, daß der Bescheid gemäß §§ 303 ff BAO ergangen sei, jedoch keine in dieser Gesetzesstelle aufscheinenden Gründe vorlägen, sodaß die Wiederaufnahme des Verfahrens zu Unrecht erfolgt sei.

In der Begründung der abweisenden Berufungsvorenscheidung führte das Finanzamt aus, daß im Zeitpunkt der "Bemessung der Verlassenschaft" der Schenkungsvertrag auf den Todesfall vom 28. Jänner 1987 nicht aktenkundig gewesen sei. Der nachträglich hervorgekommene Erwerb von Todes wegen (Schenkungsvertrag auf den Todesfall - Anbot vom 29. November 1983 und Annahme am 28. Jänner 1987) stelle eine neu hervorgekommene Tatsache im Sinn des § 303 Abs. 4 BAO dar.

Nach Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz wies die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen, im Spruch in der einleitenden Wortfolge von "In der Grunderwerbsteuerangelegenheit" auf "In der Erbschaftssteuerangelegenheit" berichtigten Bescheid die Berufung als unbegründet ab und führte in den Entscheidungsgründen aus, daß bei der Wiederaufnahme von Amts wegen die Verschuldensfrage unmaßgeblich sei. Ob eine Tatsache neu hervorgekommen sei, sei aus dem Gesichtswinkel des entscheidenden Organs der Behörde zu beurteilen. Grundsätzlich, so habe der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 21. Oktober 1971, Zl. 910/70, ausgesprochen, würden dem Abgabenpflichtigen zwar nicht die einzelnen Dienststellen eines Finanzamtes gegenübertreten, sondern das Finanzamt sei als eine Einheit anzusehen. Dennoch sei aber bei der Frage, ob eine neue Tatsache vorliege, im einzelnen Falle, wenn eine Tatsache etwa der Betriebsprüfungsstelle eines bestimmten Finanzamtes bekannt sei, zu prüfen, ob dem veranlagenden Beamten dieses Finanzamtes zugemutet werden könne, eine solche bestimmte Tatsache zu kennen. Eine solche Zumutung könne aber nur für Tatsachen bestehen, für die sich in den Akten ein gehöriger Hinweis vorfinde. Sie müsse aber verneint werden, für Tatsachen, von denen zunächst nur die Betriebsprüfungsstelle Kenntnis erlangt habe, die diese Tatsachen aber dem Veranlagungsreferenten oder einem Organwalter, der sonst mit der Veranlagung zu tun hat, zunächst vorenthält, um etwa noch Ermittlungen zur Aufhellung des Sachverhaltes anzustellen.

Nicht anders könne im vorliegenden Fall geurteilt werden. Es sei zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung lediglich der Kapitalverkehrssteuerstelle bekannt gewesen, daß auch eine Schenkung auf den Todesfall existierte. Eine Zusammenfassung der Anfälle bei Festsetzung der Erbschaftssteuer sei sohin schlichtweg unmöglich gewesen. Ein Verstoß gegen die Bestimmungen des § 303 Abs. 4 BAO sei im gegenständlichen Fall daher nicht erkennbar. Abgesehen davon könne von einer Kenntnis von Tatsachen überhaupt erst die Rede sein, wenn die Abgabenbehörde die Tatsachen in ihrem für die abgabenrechtliche Beurteilung wesentlichen Umfang kenne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der sowohl Rechtswidrigkeit des Inhaltes als auch Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch die Tatsache der erfolgten Wiederaufnahme nach § 303 Abs. 4 BAO in seinem Recht auf Wahrung der Rechtskraft des Bescheides vom 20. November 1987 verletzt. Soweit der angefochtene Bescheid gemäß § 20 BAO eine Ermessensentscheidung getroffen hat, erachtet sich der Beschwerdeführer darüberhinaus in seinem subjektiven Recht auf Entscheidungen im Sinne des Gesetzes verletzt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Eine Wiederaufnahme eines mit Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist unter anderem nur dann ausgeschlossen, wenn der Abgabenbehörde in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, daß sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufzunehmenden Verfahren erlassenen Entscheidung gelangen hätte können (vgl. hg. Erkenntnis vom 2. April 1990, Zl. 89/15/0005, ÖStZB 1991/3, 19).

Nach übereinstimmender Ansicht von Lehre und Rechtsprechung (vgl. Stoll, Bundesabgabenordnung, Seite 726 ff und die dort zitierte hg. Judikatur) ist es für die amtswegige Wiederaufnahme unmaßgeblich, ob die neuen Tatsachen im Erstverfahren verschuldet oder unverschuldet nicht berücksichtigt worden sind. Das bedeutet, daß auch ein behördliches Verschulden an der Nichtfeststellung der maßgebenden Tatsachen bzw. Beweismittel im Erstverfahren die Wiederaufnahme von Amts wegen nicht ausschließt. Eine solche Wiederaufnahme kann jedoch nur auf Tatsachen gestützt werden, die neu hervorgekommen sind, von denen die Abgabenbehörde also bisher noch keine Kenntnis hatte (vgl. hg. Erkenntnis vom 17. Februar 1988, Zl. 87/13/0039, ÖStZB 1988/24, 557).

In der Beschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, daß dem Wohnsitzfinanzamt eine Ausfertigung des Notariatsaktes vom 28. Jänner 1987 überlassen worden sei und in diesem Notariatsakt der gesamte Erwerbsvorgang detailliert dargestellt sei. Es sei sogar ein Hinweis enthalten, daß die Verlassenschaftsabhandlung nach der Erblasserin zu einer bestimmten Zahl beim Bezirksgericht W. anhängig gewesen sei. Zwar seien nach § 133 Abs. 2 BAO Abgabenerklärungen grundsätzlich unter Verwendung der amtlichen Vordrucke abzugeben, dies bedeute jedoch nicht, daß bei Nichtverwendung der amtlichen Vordrucke der Erklärungspflicht nicht nachgekommen worden wäre. Da der Abgabenbehörde eine Ausfertigung des Notariatsaktes überlassen worden sei, aus dem sämtliche zur Festsetzung der Abgabe führenden Tatsachen erkennbar seien, sei davon auszugehen, daß eine ordnungsgemäße Anzeige des abgabenrechtlich relevanten Sachverhaltes vorgelegen habe und zwar in einem Zeitpunkt, als der Bescheid vom 20. November 1987 noch nicht erlassen gewesen war.

Diesem Vorbringen kommt Berechtigung zu.

Am 28. September 1987 langte beim Finanzamt die Todfallsaufnahme samt Durchschriften des Verlassenschaftsaktes ein. In diesem Verlassenschaftsakt befand sich auch eine Erklärung des Erbenmachthabers, die unter anderem folgenden Wortlaut hat:

"Was den erbl. Geschäftsanteil an der "...

Gesellschaft mbH." mit dem Sitz in ... betrifft, sei darauf

hingewiesen, daß Frau ... mit not. Anbot vom 29. 11. 1983,

GZ. 6863 des Herrn Dr. ..., öff. Notar, ein Anbot auf Abtretung

dieses Geschäftsanteiles ihren beiden Söhnen gestellt hat,

welches ausdrücklich bis zum Ableben beider Söhne in

Rechtskraft zu bleiben hat und auch über ihr Ableben hinaus

gültig ist. Die erbl. Söhne ... haben mit Annahmeerklärung vom

28. 1. 1987, GZ. 8166, die Annahme dieser Abtretung

ausgesprochen und angenommen und wurde die betreffende Urkunde

zu ARP. 122 des Finanzamtes ... am 13. 1. 1987 zur

Gebührenbemessung angezeigt. Dadurch fällt der Geschäftsanteil nicht in die Verlassenschaft."

Überdies war der Notariatsakt betreffend Schenkung auf den Todesfall am 9. Februar 1987 beim Finanzamt eingelangt und befand sich ab 19. Oktober 1987 in der für die Abgabenbemessung zuständigen Abteilung, in der sich auch der am 28. September 1987 eingelangte Akt befand.

Unter diesen Voraussetzungen kann daher nicht mit Recht von einer neu hervorgekommenen Tatsache gesprochen werden. Schon auf Grund der ausdrücklichen oben angeführten Erklärung des Erbenmachthabers, die sich im Verwaltungsakt befunden hat, war dem Finanzamt die Schenkung von Todes wegen bekannt. Hinzu kommt, daß der Notariatsakt betreffend Schenkung von Todes wegen bereits (am 9. Februar 1987 beim Finanzamt und) am 19. Oktober 1987 in der zuständigen Abteilung eingelangt ist.

Da die Beschwerde sich schon aus diesem Grund als berechtigt erweist, war ein weiteres Eingehen auf die übrigen Beschwerdegründe nicht mehr erforderlich.

Der Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Zuerkennung des Aufwandersatzes gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1992160059.X00

Im RIS seit

22.10.1992
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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