TE Vfgh Erkenntnis 1990/6/11 B1555/89

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Veröffentlicht am 11.06.1990
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

StGG Art8 FremdenpolizeiG §5 Abs1 GrenzkontrollG §2 Abs2 VStG §35 lita

Leitsatz

Verletzung des Bf. im Recht auf persönliche Freiheit durch Festnahme und Anhaltung ohne Rechtsgrundlage; kein Betreten auf frischer Tat beim angenommenen Grenzübertritt außerhalb eines Grenzüberganges

Spruch

Der Beschwerdeführer ist dadurch, daß ihn Gendarmeriebeamte über Auftrag der Bezirkshauptmannschaft Bregenz am 7. November 1989 um etwa 08,30 Uhr festnahmen und ihn sodann bis etwa 14,30 Uhr anhielten, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer, zu Handen des Beschwerdevertreters die mit 15.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die vorliegende, offenkundig auf Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG gestützte Beschwerde bekämpft die am 7. November 1989 um ca. 08,30 Uhr erfolgte Festnahme des Beschwerdeführers durch Beamte des Gendarmeriepostens Hörbranz/Bezirk Bregenz und die nachfolgende, bis etwa 14,30 Uhr währende Anhaltung.

Der Beschwerdeführer erachtet sich durch diese Maßnahmen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt und beantragt, diese Rechtsverletzung kostenpflichtig festzustellen.

2. Die Bezirkshauptmannschaft (BH) Bregenz als belangte Behörde legte wohl die maßgebenden Verwaltungsakten vor, verzichtete jedoch auf die Erstattung einer Gegenschrift.

II. 1. Die Anhaltemeldung des Gendarmeriepostens Hörbranz vom 7. November 1989, GZ P 3573/89, lautet:

"a) Darstellung der Tat:

Der türk StAng M D (der Beschwerdeführer) ist dringend verdächtigt, am 31.10.1989 illegal von Yugoslawien nach Österreich eingereist zu sein (genaue Tatzeit und Tatort nicht bekannt).

b) Beweismittel:

Am 06.11.1989, um 22,30 Uhr, führte RevInsp S des GendPosten Hörbranz lt Weisung der Sicherheitsdirektion für Vorarlberg und BGK-Befehl eine Fremdenpolizeikontrolle im Türkenlokal 'C' in 6912 Hörbranz durch.

Bei dieser Kontrolle wurde auch der türk StAng M D im Lokal kontrolliert.

Genannter konnte keinen Reisepaß vorzeigen.

Aus diesem Grund begab sich der Beamte mit D nach Hörbranz, Lindauerstraße Nr. 32, wo Genannter bei einem gewissen Ü Unterkunft hatte.

Dort wies D den Beamten seinen Reisepaß vor. In diesem Reisepaß befindet sich jedoch kein Sichtvermerk bzw. Einreisestempel von Österreich, sondern nur ein Ausreisestempel von Yugoslawien vom 31.10.1989. Aus diesem Grund ist Genannter verdächtigt, illegal am 31.10.1989 von Yugoslawien nach Österreich eingereist zu sein.

Aus diesem Grund wurde M der Reisepaß von RevInsp S abgenommen und Genannter wurde für den 07.11.1989, um 08,00 Uhr, auf die ho. Dienststelle vorgeladen.

Am 07.11.1989, um 08,15 Uhr, erschien D auf der ho. Dienststelle.

Am 07.11.1989, um 08,30 Uhr, wurde der og. Sachverhalt der BH-Bregenz, Fremdenpolizeiabteilung Fr. K, telefonisch mitgeteilt.

Diese ordnete die Anhaltung und Vorführung des M D an.

D wurde am 07.11.1989, um 08,40 Uhr, im Arrest des GendPosten Hörbranz angehalten und wird am 07.11.1989, gegen 14,30 Uhr, der BH-Bregenz vorgeführt.

c) Angaben des Verdächtigen:

M D gab an, er sei mit dem Zug von Istanbul nach Innsbruck gereist.

Die österr. Zollwachebeamten hätten seinen Reisepaß zwar kontrolliert, jedoch keinen Einreisestempel in diesem angebracht.

Er sei hier in Hörbranz nur auf Besuch."

2. Die BH Bregenz verhängte über den ihr vorgeführten Beschwerdeführer mit Bescheiden vom 7. November 1989 gemäß §2 Abs1 des Grenzkontrollgesetzes eine Geldstrafe und eine Ersatzfreiheitsstrafe und ordnete gegen ihn gemäß §3 Abs1 und 3 iVm §4 des Fremdenpolizeigesetzes (FrPG) ein befristetes Aufenthaltsverbot an. Diese erstinstanzlichen Bescheide wurden zwar über Berufung des Beschwerdeführers mit Bescheiden der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 15. Jänner 1990 behoben. Der Beschwerdeführer, über den am 7. November 1989 bescheidmäßig (unter Aberkennung der einer Berufung zukommenden Wirkung) auch die Schubhaft verhängt worden war (§5 Abs1 FrPG) war aber inzwischen in die Türkei abgeschoben worden.

III. Der Verfassungsgerichtshof beurteilt diesen Sachverhalt rechtlich wie folgt:

1. Die Beschwerde bekämpft die Festnahme und die Anhaltung bis 7. November 1989, 14,30 Uhr, also offenbar bis zur Erlassung des Schubhaftbescheides. Ab dem erwähnten Zeitpunkt stellte die Anhaltung die Vollstreckung des Schubhaftbescheides dar und wäre als solche beim Verfassungsgerichtshof nicht bekämpfbar (vgl. zB VfSlg. 10978/1986).

Die Festnahme und die Anhaltung bis zu diesem Zeitpunkt sind jedoch Verwaltungsakte, die in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergingen und nach Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG beim Verfassungsgerichtshof angefochten werden können (vgl. zB VfSlg. 10746/1986, 10847/1986).

Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist die Beschwerde zulässig.

2.a) Art8 StGG gewährt - ebenso wie Art5 MRK - Schutz gegen gesetzwidrige Verhaftung" (vgl. zB VfSlg. 10746/1986). Eine Verhaftung darf, dem §4 des auf Verfassungsstufe stehenden Gesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862 zufolge nur "in den vom Gesetz bestimmten Fällen" erfolgen.

b) Für die bekämpften Verwaltungsakte fehlte jede Rechtsgrundlage.

Sie konnten insbesondere nicht auf §35 VStG 1950 gestützt werden: Anders als etwa in dem mit hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, B947, 1006/89, abgeschlossenen Fall, wurde hier der Beschwerdeführer nicht des illegalen Aufenthaltes in Österreich verdächtigt, sondern ausschließlich des Grenzübertrittes außerhalb eines Grenzüberganges - §2 Abs1 GrenzkontrollG 1969. Bei diesem Verhalten wurde der Beschwerdeführer aber von den einschreitenden Beamten nicht - wie dies §35 VStG 1950 vorsieht - auf frischer Tat betreten.

Die Festnahme und die Anhaltung während des erwähnten Zeitraumes konnten auch nicht auf das FremdenpolizeiG gegründet werden; in Schubhaft genommen darf eine Person nämlich erst werden, nachdem ein Schubhaftbescheid gemäß §5 Abs1 FrPG erlassen wurde (vgl. die ständige Judikatur des VfGH, zB VfSlg. 10978/1986).

Daraus folgt, daß der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt wurde.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG.

In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 2.500 S enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Fremdenpolizei, Festnehmung, Verwaltungsstrafrecht, Grenzkontrolle

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:B1555.1989

Dokumentnummer

JFT_10099389_89B01555_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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