TE Vwgh Erkenntnis 1992/10/29 92/10/0135

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Veröffentlicht am 29.10.1992
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
80/02 Forstrecht;
81/01 Wasserrechtsgesetz;

Norm

AVG §38;
ForstG 1975 §17;
WRG 1959 §34;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kirschner und die Hofräte Dr. Puck, Dr. Waldner, Dr. Novak und Dr. Bumberger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Kopp, über die Beschwerde des J in S, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in K, gegen den Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom 3. Juni 1992, Zl. 18.327/06-I A 8/92, betreffend Aussetzung eines Rodungsverfahrens, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer beantragte mit Eingabe vom 29. April 1988 an die Bezirkshauptmannschaft die Erteilung einer Rodungsbewilligung für näher bezeichnete Waldgrundstücke zum Zweck der Errichtung eines Steinbruchs. Das hierüber beim Landeshauptmann von Tirol anhängige Verfahren wurde durch den im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft vom 3. Juni 1992 gemäß § 38 AVG ausgesetzt. Nach der Begründung bestehe die Gefahr, daß durch den geplanten Steinbruch die in dessen Nähe gelegenen X-Quellen versiegen könnten. Beim Landeshauptmann von Tirol sei (seit 1989) ein Verfahren nach § 34 WRG 1959 anhängig, in welchem es um die Festlegung eines Schutzgebietes für diese, für die Wasserversorgung der Gemeinde T genutzten Quellen gehe. Im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 17 Abs. 2 des Forstgesetzes 1975 sei unter anderem auf die Wohlfahrtswirkung des Waldes im Sinne des § 6 Abs. 2 lit. c leg. cit. Bedacht zu nehmen. Bei der Beurteilung dieser Wirkung sei auch der Einfluß des Waldes auf den "Ausgleich des Wasserhaushaltes" zu klären. Dieser Begriff umfasse jene Interessen, die im wasserrechtlichen Verfahren zum Schutz von Wasserversorgungsanlagen zu prüfen seien, nämlich Beschaffenheit, Ergiebigkeit und Spiegellage eines Wasservorkommens. Demnach sei für die Forstbehörde bei der Beurteilung öffentlicher Interessen die durch das Ergebnis des wasserrechtlichen Verfahrens bestimmte örtliche Lage und das Ausmaß eines Quellschutzgebietes von entscheidender Bedeutung. Somit seien die Voraussetzungen des § 38 AVG für die Aussetzung des Rodungsverfahrens gegeben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Beschwerdeführer verneint das Vorliegen einer Vorfrage u.a. deshalb, weil das Vorhandensein eines Quellschutz- oder Schongebietes kein Tatbestandselement des § 17 Abs. 2 des Forstgesetzes 1975 bilde. Umso weniger sei die Schaffung eines derartigen Schutzgebietes eine präjudizielle Rechtsfrage. Dabei gehe es um eine künftige Rechtsgestaltung, weshalb sich im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch aus diesem Grund die Annahme einer Vorfrage verbiete (Hinweis auf die Erkenntnisse vom 17. Dezember 1976, Slg. 9204/A, und vom 17. Dezember 1982, Zl. 82/04/0109).

Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde erstattet und die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 38 zweiter Satz AVG kann die Behörde unter den dort normierten Voraussetzungen das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer Vorfrage aussetzen.

Unter einer Vorfrage im Sinne dieser Bestimmung ist eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren, zu entscheiden ist. Präjudiziell - und damit Vorfragenentscheidung im verfahrensrechtlich relevanten Sinn - ist nur eine Entscheidung, die 1. eine Rechtsfrage betrifft, deren Beantwortung für die Hauptfragenentscheidung unabdingbar - d.h. eine notwendige Grundlage - ist, und 2. die diese in einer die Verwaltungsbehörde bindenden Weise regelt (vgl. Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts,

5. Auflage, Rz 306, mit Hinweisen auf Schrifttum und Rechtsprechung). Eine Vorfrage liegt vor, wenn der relevante Tatbestand ein Element enthält, das für sich allein Gegenstand der bindenden Entscheidung einer anderen Behörde (derselben in einem anderen Verfahren) ist (Walter-Mayer aaO; Ringhofer, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I, Anm. 1 zu § 38 AVG). Eine Vorfrage liegt dann nicht vor, wenn es um eine (künftige) Rechtsgestaltung geht (Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Dezember 1976, Slg. 9204/A, und vom 17. Dezember 1982, Zl. 82/04/0109).

Nach § 17 Abs. 2 des Forstgesetzes 1975 kann die zuständige Behörde eine Bewilligung zur Rodung erteilen, wenn ein öffentliches Interesse an einer anderen Verwendung der zur Rodung beantragten Fläche das öffentliche Interesse an der Erhaltung dieser Fläche als Wald überwiegt. Nach Abs. 4 hat die Behörde bei Abwägung der öffentlichen Interessen im Sinne des Abs. 2 insbesondere auf eine die erforderlichen Wirkungen des Waldes gewährleistende Waldausstattung Bedacht zu nehmen. Zu den Wirkungen des Waldes zählt nach § 6 Abs. 2 lit. c des Forstgesetzes 1975 die Wohlfahrtswirkung, das ist der Einfluß auf die Umwelt, und zwar insbesondere auf den Ausgleich des Klimas und des Wasserhaushaltes, auf die Reinigung und Erneuerung von Luft und Wasser und auf die Lärmminderung.

Nach § 34 Abs. 1 des Wasserrechtsgesetzes 1959 kann die zuständige Wasserrechtsbehörde zum Schutze von Wasserversorgungsanlagen gegen Verunreinigung oder gegen eine Beeinträchtigung ihrer Ergiebigkeit durch Bescheid besondere Anordnungen über die Bewirtschaftung oder sonstige Benutzung von Grundstücken und Gewässern treffen, die Einrichtung bestimmter Anlagen untersagen, entsprechende Schutzgebiete bestimmen und darüber hinaus auch den Betrieb bestehender Anlagen und Unternehmungen im notwendigen Ausmaß einschränken. Soweit mit Anordnungen nach Abs. 1 der Schutz von Wasserversorgungen nicht hinreichend bewirkt werden kann, hat nach dem zweiten Absatz dieses Paragraphen der Landeshauptmann mit Verordnung zu bestimmen, daß in einem näher zu bezeichnenden Teil des Einzugsgebietes (Schongebiet) Maßnahmen, die die Beschaffenheit, Ergiebigkeit oder Spiegellage des Wasservorkommens zu gefährden vermögen, vor ihrer Durchführung der Wasserrechtsbehörde anzuzeigen sind oder der wasserrechtlichen Bewilligung bedürfen, oder, soweit dies zum Schutz der Wasserversorgung erforderlich ist, nicht oder nur in bestimmter Weise zulässig sind.

Im vorliegenden Fall geht es um die Erteilung einer Rodungsbewilligung. Der dafür maßgebliche Tatbestand des § 17 des Forstgesetzes 1975 enthält kein Element, welches für sich allein als Hauptfrage von der Wasserrechtsbehörde in einem Verfahren nach § 34 WRG 1959 zu entscheiden und daher bei Fehlen einer solchen Entscheidung von der Forstbehörde vorfrageweise zu beurteilen wäre. Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, daß gegebenenfalls für die Entscheidung im Rodungsverfahren eine Sachverhaltsfrage maßgeblich sein kann, der auch in einem Verfahren nach § 34 WRG 1959 entscheidende Bedeutung zukommt (im vorliegenden Fall nach Meinung der belangten Behörde der Frage nach der Bedeutung des Vorhandenseins von Wald auf der Rodungsfläche für die Unterburgquellen).

Da es sich, wie der Beschwerdeführer zu Recht ausführt, bei der Bestimmung eines derartigen Schutz- bzw. Schongebietes um einen Akt der Rechtsgestaltung handelt, ist auch aus diesem Grund eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG nicht anzunehmen. Folgerichtig führt die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift unter Bezugnahme auf die (in der Beschwerde angeführte) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aus, daß "in Fällen (künftiger) Rechtsgestaltung offensichtlich eine Beurteilung als Vorfrage gemäß § 38 AVG nicht möglich ist". Verfehlt ist allerdings der daraus gezogene Schluß, es sei in solchen Fällen das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung der zuständigen Behörde abzuwarten. Dabei übersieht die belangte Behörde zum einen, daß § 38 AVG eine solche Vorgangsweise nur für den Fall des Vorliegens einer Vorfrage vorsieht, und zum anderen, daß mangels gegenteiliger Regelung auch bei der Entscheidung über einen Rodungsantrag die Sach- und Rechtslage bei Bescheiderlassung maßgebend ist und daher hiebei mögliche künftige Änderungen der Rechtslage von vornherein ohne Belang sind.

Bereits diese Erwägungen zeigen, daß die belangte Behörde zu Unrecht angenommen hat, es gehe in dem beim Landeshauptmann von Tirol anhängigen Verfahren nach § 34 WRG 1959 um die Entscheidung einer Rechtsfrage, die im Rodungsverfahren eine Vorfrage bildet. Der angefochtene Bescheid ist daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen.

Der Zuspruch von Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1992100135.X00

Im RIS seit

12.11.2001

Zuletzt aktualisiert am

13.10.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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