TE Vwgh Erkenntnis 1992/11/4 92/01/0487

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Veröffentlicht am 04.11.1992
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1;
AVG §37;
AVG §58 Abs2;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des A in A, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 11. März 1992, Zl. 4.309.028/2-III/13/91, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 505,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 16. Juli 1991 ab und sprach aus, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes sei. Die belangte Behörde ging dabei von folgendem Sachverhalt aus:

Der Beschwerdeführer, ein jugoslawischer Staatsangehöriger, sei am 27. Jänner 1991 in das Bundesgebiet eingereist. Am 28. Jänner 1991 habe er beantragt, ihm Asyl zu gewähren. Bei seiner niederschriftlichen Befragung sowie schließlich in seiner Berufung habe er folgendes angegeben: Er habe als Angehöriger der albanischen Volksgruppe im Kosovo Ende Jänner/Anfang Februar sowie im März 1990 an den damals abgehaltenen "riesigen" Demonstrationen gegen die völlige Aufhebung des vormals autonomen Status dieser Region und für die Schaffung einer eigenständigen albanischen Republik teilgenommen. Die zentralen serbischen Behörden seien gegen die Demonstrationsteilnehmer hart und brutal vorgegangen. Er selbst habe während dieser Demonstrationen Parolen auf Wände geschrieben sowie vorgedruckte Flugblätter verteilt und sei aus diesem Grund von den Sicherheitskräften besonders attackiert worden. Er sei dreimal von zu Hause abgeholt, verhört und mißhandelt worden. Es seien auch Hausdurchsuchungen vorgenommen worden. Aus Angst vor weiteren Verhören habe er sich einige Tage bei Freunden versteckt gehalten, die letzte Woche vor seiner Ausreise habe er in Zagreb verbracht. Zumal er schon mehrmals aufgefallen sei, könne man seine Angst, "einfach" eingesperrt zu werden, verstehen. Er kenne viele Fälle, in denen man Angehörige der albanischen Volksgruppe, die aus der BRD nach Jugoslawien abgeschoben worden seien, sofort eingesperrt habe. Dies würde auch ihm selbst drohen, oder man würde ihn für die Kämpfe der Zentralmacht gegen die Republiken Kroatien und Slowenien zwangsrekrutieren. Schon allein sein Asylantrag würde den Behörden als Grund dienen, ihn jahrelang ins Gefängnis zu stecken.

Nach Darlegung der Rechtslage vertrat die belangte Behörde die Auffassung, Beschränkungen des Demonstrationsrechtes würden keinen in der Konvention genannten Grund darstellen, den Bewohnern jenes Landes Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, zumal solche Beschränkungen alle Bewohner im gleichen Ausmaß träfen. Damit in Zusammenhang stehende polizeiliche Maßnahmen wie die Festnahme oder Anhaltung von Teilnehmern dieser Demonstrationen könnten nicht als Verfolgung im Sinne der Konvention qualifiziert werden. Auch damit verbundene Mißhandlungen würden, da es sich lediglich um Polizeiübergriffe handle, einen weiteren Verbleib im Heimatland nicht als unzumutbar erscheinen lassen. Das Aufsuchen durch die Miliz sowie Verhöre durch diese deuteten noch nicht auf eine Verfolgung des Beschwerdeführers hin, zumal diese behördlichen Maßnahmen als Mittel der Beweissicherung keinen pönalen Charakter hätten. Darüber hinaus stünden diese den Beschwerdeführer betreffenden Maßnahmen im Zusammenhang mit den Demonstrationen in der Zeit von Jänner bis März 1990; Verfolgungshandlungen, die im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zu seiner Ausreise im Jänner 1991 lägen, habe der Beschwerdeführer nicht vorgebracht. Auch seine Befürchtungen, sein Asylantrag sei Grund genug, ihn jahrelang ins Gefängnis zu stecken, seien nicht nachvollziehbar, da Informationen über Asylverfahren an die Behörden der Heimatländer von Asylwerbern nicht weitergegeben würden. Die Zugehörigkeit eines Asylwerbers zu einer Minderheit allein sei nicht Grund genug für seine Anerkennung als Konventionsflüchtling.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat.

Der Beschwerdeführer versucht zunächst unter Hinweis auf die hg. Erkenntnisse vom 2. März 1988, Zl. 87/01/0284, vom 8. November 1989, Zlen. 89/01/0363, 0364, und vom 18. Dezember 1991, Zl. 91/01/0154, darzutun, daß der Begriff der politischen Gesinnung bzw. der politischen Anschauung durch die hg. Judikatur nicht hinreichend klargestellt erscheine. Dazu ist festzuhalten, daß es sich bei dem in der Genfer Konvention verwendeten Begriff der "politischen Gesinnung" um ein generell geregeltes Tatbestandsmerkmal handelt, dessen Vorliegen im Einzelfall anhand des jeweiligen Sachverhaltes zu überprüfen ist. Aus den vom Beschwerdeführer angeführten hg. Erkenntnissen, denen keine - wie im Beschwerdefall behaupteten - gegen Demonstrationsteilnehmer gerichteten Polizeimaßnahmen zugrunde lagen, können keinerlei Schlüsse in Richtung der im Beschwerdefall maßgeblichen Frage, ob dem Beschwerdeführer auf Grund der von ihm vorgebrachten Polizeimaßnahmen begründete Furcht vor Verfolgung zuzubilligen ist, gezogen werden.

Die letzte Demonstration, an der der Beschwerdeführer teilnahm und bei der bzw. in deren Gefolge er seinem Vorbringen nach polizeilichen Mißhandlungen ausgesetzt gewesen ist, hat im März 1990 stattgefunden. Aus seinem Heimatland ist der Beschwerdeführer aber erst Ende Jänner 1991 ausgereist. Selbst bei Zugrundelegung der Behauptungen des Beschwerdeführers ergibt sich daraus, daß die Gelegenheiten, bei denen er seinem politischen Willen Ausdruck verliehen hat, zeitlich schon zu weit zurückliegen, um daraus noch eine objektiv begründete Furcht vor Verfolgung ableiten zu können. Da nur, wenn die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung bis zur Ausreise andauert - mit dem Vorbringen, aus Angst vor weiteren Verhören von zu Hause weggelaufen zu sein und sich bei Freunden versteckt zu haben, hat der Beschwerdeführer wohlbegründete Furcht zum Zeitpunkt der Ausreise nicht dargetan -, ein Grund im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention für die Anerkennung eines Asylwerbers als Flüchtling vorliegt (vgl. die bei Steiner, Österreichisches Asylrecht, Wien 1990, S 31, angeführte Judikatur), hat die belangte Behörde zu Recht die im Zusammenhang mit den ins Treffen geführten Demonstrationen stehenden, gegen den Beschwerdeführer gerichteten behördlichen Aktivitäten nicht als Grund für objektiv begründete Furcht vor Verfolgung gewertet.

Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, die belangte Behörde hätte die einzelnen Verfolgungshandlungen nicht isoliert betrachten dürfen und hätte von seiner psychischen Gesamtsituation ausgehen müssen, ist ihm entgegenzuhalten, daß der psychischen Situation des Asylwerbers für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nur insoweit Bedeutung zukommt, als zu prüfen ist, ob behauptete Furcht vor Verfolgung als "wohlbegründet" angesehen werden kann. Wohlbegründete Furcht kann jedoch nur dann angenommen werden, wenn die Zustände im Heimatland des Asylwerbers auch aus objektiver Sicht betrachtet so sind, daß ein weiterer Verbleib des Asylwerbers dort unerträglich wäre. Um eine objektive Sicht der Dinge zu erhalten, ist es aber notwendig, auf die einzelnen Verfolgungshandlungen des Staates bzw. auf die einzelnen Gründe, auf die die Furcht vor Verfolgung gestützt wird, isoliert einzugehen.

Zu den Darlegungen des Beschwerdeführers bezüglich eines "Gruppenverfahrens" ist auf die ständige hg. Judikatur zu verweisen, wonach es immer auf die konkrete Situation des jeweiligen Asylwerbers, nicht aber auf die allgemeinen politischen Verhältnisse ankommt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 8. November 1989, 89/01/0287, und vom 5. Juni 1991, Zl. 90/01/0198). Es liegt im Sinne des Asylgesetzes und der Genfer Konvention, daß Verfolgungshandlungen gegen den einzelnen Asylwerber vorliegen müssen. Die allgemeine Benachteiligung von bestimmten Personengruppen ist keine Verfolgung im Sinne der Konvention (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. November 1989, Zl. 89/01/0293).

Soweit der Beschwerdeführer das Schreiben von Parolen und Verteilen von Manifesten nunmehr in der Beschwerde als auch nach der Teilnahme an den Demonstrationen fortgeführte Tätigkeit geltend macht, ist ihm entgegenzuhalten, daß er diese Aktivitäten im Verwaltungsverfahren konkret nur im Zusammenhang mit den nach seinen Angaben im Jahr 1990 stattgefundenen Demonstrationen behauptet hat.

Das gilt auch für den Vorwurf, die belangte Behörde habe das Aufsuchen durch die Miliz sowie die Verhöre nicht entsprechend untersucht, weil auch diese Behauptungen im Verwaltungsverfahren nur im Zusammenhang mit den Demonstrationen im Jahr 1990 ohne weitere zeitliche Konkretisierung ausgeführt worden sind.

Das vom Beschwerdeführer in der Beschwerde ins Treffen geführte Argument, die Behörden seines Heimatlandes würden auf Grund der erforderlichen Beschaffung eines Rückreisedokumentes auf die Stellung eines Asylantrages schließen, erweist sich als nicht zwingend, weil auch der Verlust eines Reisedokumentes oder eine illegale, ohne ein solches Dokument vorgenommene Einreise nach Österreich die Beschaffung eines Rückreisedokumentes notwendig machen würden.

Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, das in seiner Heimat bestehende Demonstrationsverbot richte sich nur gegen Kosovo-Albaner, sodaß die unter Verletzung des Parteiengehörs getroffene Feststellung der belangten Behörde, es handle sich um ein generelles Verbot solcher Veranstaltungen, mit Verfahrensmängeln behaftet sei, ist ihm entgegenzuhalten, daß selbst für den Fall, daß sich dieses Verbot ausschließlich gegen die genannte Volksgruppe richten sollte, daraus eine individuelle Verfolgung des Beschwerdeführers nicht abgeleitet werden kann. Daraus folgt, daß eine allenfalls in dieser Hinsicht vorliegende Verletzung des Parteiengehörs nicht als wesentlicher Verfahrensmangel angesehen werden kann.

Da auch - wie bereits dargetan wurde - weder Aktenwidrigkeit noch Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes vorliegt, kommt der Verfahrensrüge keine Berechtigung zu.

Die somit insgesamt unbegründete Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1992010487.X00

Im RIS seit

04.11.1992
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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