TE Vfgh Beschluss 1990/6/11 B1532/89, B1533/89

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Veröffentlicht am 11.06.1990
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Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Befehls- und Zwangsausübung unmittelb V-ÜG 1929 ArtII §4 Abs2

Leitsatz

Unzulässigkeit der Beschwerdeführung gegen die Veranlassung von Pressefalschmeldungen durch das Bundesministerium für Inneres und gegen die Erlassung einer Verordnung gemäß ArtII §4 Abs2 V-ÜG 1929 (Aufforderung zum Verlassen eines Saales)

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Beschwerdeführer ist schuldig, dem Bund, zu Handen der Finanzprokuratur, die mit 12.500 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Die vorliegende, auf Art144 (Abs1 zweiter Satz) B-VG gestützte Beschwerde wendet sich gegen "die am 6.11.1989, vor 16,00 Uhr seitens des Bundesministeriums für Inneres erfolgte Veranlassung der Falschmeldung der APA, des ORF und des KURIER, der Vortrag (des Beschwerdeführers) vom 6.11.1989, 19,00 Uhr, in 1130 Wien, Parkhotel Schönbrunn, sei durch das Bundesministerium für Inneres untersagt worden" und gegen "die Anordnung vom 6.11.1989, ca. 19,00 Uhr, wonach die im Festsaal des Parkhotels Schönbrunn in Wien anwesenden Personen aufgefordert wurden, diesen Saal binnen 15 Minuten zu verlassen".

Der Beschwerdeführer behauptet, durch diese - als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gewerteten - Verwaltungsakte in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden zu sein und beantragt, diese Rechtsverletzungen kostenpflichtig festzustellen.

2. Der Bundesminister für Inneres (BMI) und die Bundespolizeidirektion (BPD) Wien, beide vertreten durch die Finanzprokuratur, erstatteten eine gemeinsame Gegenschrift, in der sie begehren, die Beschwerde kostenpflichtig zurückzuweisen, in eventu abzuweisen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1.a) In der Beschwerde wird zunächst vorgebracht, der Beschwerdeführer habe beabsichtigt, am 6. November 1989, 19,00 Uhr, in Wien 13, im Parkhotel Schönbrunn einen Vortrag über neueste zeitgeschichtliche Erkenntnisse zu halten. Dieser (nur gegen Eintrittsgeld zu besuchende) Vortrag sei als Veranstaltung nach dem Wiener Veranstaltungsgesetz zu qualifizieren gewesen und sei als solcher (von einer anderen Person) beim Magistrat der Stadt Wien angemeldet worden. Die Veranstaltung sei (zunächst) von keiner Behörde verboten worden. Dennoch hätten Mitarbeiter des Kabinetts des BMI im Laufe des 6. November 1989 dem ORF und der APA (fälschlich) die Mitteilung zukommen lassen, daß das Bundesministerium für Inneres die Veranstaltung untersagt habe, offenbar in der Absicht, möglichst viele Interessenten vom Erscheinen am Veranstaltungsort abzuhalten. Der ORF und Zeitungen hätten diese Falschmeldung dann auch tatsächlich verlautbart.

b) Der BMI bestreitet, daß eine solche Verlautbarung hinausgegeben wurde.

c) Es braucht nicht festgestellt zu werden, ob überhaupt, zutreffendenfalls, von wem, in welcher Form und mit welchem Inhalt eine solche Verlautbarung erfolgt ist.

Eine solche Verlautbarung wäre nämlich - auch wenn den Beschwerdebehauptungen gefolgt wird - keinesfalls als Bescheid iS des Art144 Abs1 erster Satz B-VG zu werten. Eine derartige Deutung nimmt auch der Beschwerdeführer nicht vor. Er macht jedoch geltend, es habe sich um eine nach Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG beim Verfassungsgerichtshof bekämpfbare Maßnahme gehandelt.

Diese Annahme ist unzutreffend: Gegen den Beschwerdeführer wurde selbst dann, wenn seiner eigenen Sachverhaltsschilderung gefolgt wird, keine Befehls- und Zwangsgewalt dadurch ausgeübt, daß die Behörde eine Pressemitteilung (oder ähnliches) erließ. Der Verfassungsgerichtshof ist daher nicht berufen, Akte der vom Beschwerdeführer geschilderten Art zu überprüfen und unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen (vgl. VfSlg. 6899/1972, 9799/1983; VfGH 6.6.1980 B103/80).

2.a) Der Beschwerdeführer wendet sich aber auch dagegen, daß ein Beamter der BPD Wien - über Weisung des BMI - am 6. November 1989 um etwa 19,00 Uhr im Veranstaltungslokal knapp vor Beginn des Vortrages das Mikrophon ergriffen und die anwesenden Personen zum Verlassen des Gebäudes aufgefordert habe.

Gegen diese Anordnung wendet sich der zweite Teil der Beschwerde.

Der Beschwerdeführer meint, daß diese Anordnung zwar "verbal in die Form einer 'Verordnung' gekleidet war", daß es sich aber tatsächlich um eine individuelle Anordnung gehandelt habe, nämlich um einen Befehl iS des Art144 Abs1 zweiter Satz B-VG. Diese Anordnung sei völlig gesetzlos ergangen.

b) Der BMI wendet ein, daß die Anordnung nicht ihm, sondern der BPD Wien zuzurechnen gewesen sei. Die BPD Wien vertritt die Ansicht, daß die Anordnung als Verordnung zu qualifizieren und daher keine nach Art144 Abs1 B-VG anfechtbare Amtshandlung sei.

c) Damit ist die Behörde im Recht:

aa) Ein Konzeptsbeamter der BPD Wien verkündete - wie auch in der Beschwerdeschrift zutreffend ausgeführt wird - am 6. November 1989 im Veranstaltungssaal (der mit etwa 400 Personen gefüllt war) die - vom Polizeipräsidenten von Wien erlassene - Verordnung nachstehenden Inhaltes:

"Gemäß Artikel II, §4 Absatz 2 des Bundesverfassungsgesetzes vom 7. Dezember 1929, Bundesgesetzblatt Nr. 393/29 (Verfassungsübergangsgesetz 1929), erläßt die Bundespolizeidirektion Wien folgende Verordnung:

Zum Schutz der gefährdeten körperlichen Sicherheit von Menschen sowie des Eigentums, haben die im Festsaal des Hauses Hietzinger Hauptstraße 10-14 aufhältigen Personen das genannte Gebäude innerhalb von zehn Minuten zu verlassen.

Die Nichtbefolgung dieser Verordnung wird als Verwaltungsübertretung erklärt und gemäß Artikel VII Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen EGVG 1950 bestraft."

bb) Nach ArtII §4 Abs2 V-ÜG 1929 können die mit der Führung der Angelegenheiten der allgemeinen Sicherheitspolizei betrauten Behörden zum Schutz der gefährdeten körperlichen Sicherheit des Menschen oder des Eigentums innerhalb ihres Wirkungsbereiches die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Anordnungen treffen. Diese Anordnungen können sowohl generellen als auch individuellen Charakter haben (vgl. zB VfSlg. 8928/1980, 9768/1983).

Da hier das Gesetz keine besondere Kundmachungsform vorschreibt, wurde dieser Verwaltungsakt durch behördlich vollzogene öffentliche Ausrufung an Ort und Stelle angesichts der damit nach Lage des Falles verbundenen Publizitätswirkung ausreichend und infolgedessen auch gehörig kundgemacht (vgl. zB VfSlg. 4865/1965, 6843/1972, 9653/1983, 9768/1983).

cc) Die Anordnung erging unter der Bezeichnung "Verordnung". Sie richtete sich keineswegs allein an den Beschwerdeführer oder sonstige bestimmt bezeichnete Personen (etwa den Veranstalter), sondern an alle im Veranstaltungslokal Anwesenden, also nicht an individuell bezeichnete Personen; sie war daher eine generelle Norm, die nicht in Form eines Gesetzes in Erscheinung trat, mithin eine Verordnung (vgl. zB VfSlg. 11 472/1987 und die dort zitierte weitere Vorjudikatur).

dd) Eine Verordnung kann beim Verfassungsgerichtshof nicht mit Beschwerde nach Art144 B-VG, sondern nur - unter den Voraussetzungen des Art139 Abs1 B-VG - mit einem auf diese Verfassungsvorschrift gestützten Antrag angefochten werden, der den formellen Erfordernissen des Art139 Abs1 B-VG und des §57 VerfGG zu entsprechen hat. Ein solcher Antrag liegt hier nicht vor.

3. Aus dem Gesagten folgt, daß die Beschwerde insgesamt wegen Nichtzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zurückzuweisen war.

Da die Nichtzuständigkeit offenbar ist, konnte dies gemäß §19 Abs3 Z2 lita VerfGG ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG.

Schlagworte

VfGH / Zuständigkeit, Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Verordnungserlassung, Verordnung Kundmachung, Polizeirecht, Kundmachung siehe auch Verordnung Kundmachung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:B1532.1989

Dokumentnummer

JFT_10099389_89B01532_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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