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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des S in L, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. Mai 1992, Zl. 4.315.622/2-III/13-91, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.420,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Nationalität, reiste am 20. Februar 1991 in das Bundesgebiet ein und stellte am 28. Februar 1991 (bereits anwaltlich vertreten) einen schriftlichen Asylantrag.
Darin behauptete er, in der Türkei auf Grund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden in allen Lebensbereichen benachteiligt und politisch verfolgt worden zu sein. Seine Situation als Kurde habe sich durch den Beginn des Golfkrieges weiter verschärft. Politisch verfolgt sei er aber insbesondere auch deshalb worden, weil er mit der PKK sympathisiert habe.
Bei seiner am 2. Mai 1991 durch die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich durchgeführten niederschriftlichen Befragung gab der Beschwerdeführer zusätzlich folgendes an:
Er sei für die PKK tätig gewesen, habe Flugblätter verteilt und die Widerstandskämpfer mit Lebensmitteln versorgt; er habe ihnen Schafe überlassen, dies nicht nur für die PKK, sondern für alle kurdischen Widerstandsorganisationen.
Im August 1988 sei er nach Verrat von Gendarmen festgenommen und sein Haus durchsucht worden, wobei eine Musikcassette mit kurdischen Liedern gefunden worden sei. Er sei für drei Tage bei der Gendarmerie in K festgehalten worden, wobei er nichts zu essen und kaum zu trinken bekommen habe. Er sei befragt worden, warum er sich kurdische Lieder anhöre und ob er den kurdischen Widerstandskämpfern helfe. Er sei auch nach den Namen von Widerstandskämpfern gefragt worden. Bei der Vernehmung sei er mit Gummi- und Holzknüppeln an Händen und Füßen geschlagen worden. Nach drei Tagen sei er, ohne daß offiziell eine Anklage erhoben worden sei, wieder entlassen worden.
Im Oktober 1990 sei er wieder von der Gendarmerie in O von seinem Haus abgeholt, 5 Stunden lang befragt und mit dem Gummiknüppel geschlagen worden. Es sei ihm wieder vorgeworfen worden, kurdische Widerstandskämpfer unterstützt zu haben. Zwei Freunde hätten jedoch bezeugt, daß er unschuldig sei, worauf er wieder freigelassen worden sei. Daraufhin sei er in die Berge geflüchtet und habe sich im Dorf N bei Freunden verborgen. Nach ca. 4 Wochen sei er wieder zu seinen Eltern zurückgekehrt, habe dort aber erfahren, daß fast jede Woche von Gendarmen nach ihm gefragt worden sei. Daraufhin habe er sich entschlossen, aus der Türkei zu flüchten.
Mit Bescheid vom 28. Juni 1991 sprach die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich aus, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes und auch nicht zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt.
Dagegen berief der Beschwerdeführer im wesentlichen mit der Begründung, es handle sich beim erstinstanzlichen Bescheid um ein vorgedrucktes Formular, das weder eine Begründung noch Tatsachenfeststellungen enthalte. Auf Grund der unwidersprochenen Behauptungen des Beschwerdeführers sei von der Berechtigung seines Asylantrages auszugehen.
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und sprach ebenfalls aus, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes.
In der Begründung stellte die belangte Behörde die Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers nicht in Frage, vermeinte aber rechtlich, von den im Falle des Beschwerdeführers in Frage kommenden Konventionsgründen habe er den der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Volksgruppe, nämlich der kurdischen, angesprochen und behauptet, allein auf Grund dieser benachteiligt und verfolgt zu werden. Er habe bei seiner Befragung keinerlei Verfolgungshandlungen genannt, die allein auf Grund seiner Abstammung gegen ihn gesetzt worden wären. Dies und die notorische Tatsache, daß in der Türkei kein Kurde allein wegen seiner Abstammung verfolgt werde, es gebe ja dort sogar kurdische Regierungsmitglieder, hätten zur Feststellung geführt, daß der Beschwerdeführer allein auf Grund seiner ethnischen Herkunft keine Verfolgung in seinem Heimatstaat zu gewärtigen habe. Es sei weiters zu prüfen gewesen, ob auf Grund der Behauptungen des Beschwerdeführers das Vorliegen wohlbegründeter Furcht, wegen seiner politischen Gesinnung Verfolgung erleiden zu müssen, angenommen werden könne. Auch dies sei zu verneinen gewesen. Gemäß seinem eigenen Vorbringen habe er die Organisation PKK, eine "notorisch mit Mord und Brandschatzung vorgehende Bande", durch Lebensmittel und Propaganda unterstützt, woraufhin ein behördliches Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer eingeleitet worden sei. Die von ihm behauptete Verfolgung sei somit wegen krimineller Handlungen und nicht wegen seiner politischen Gesinnung erfolgt.
Wörtlich führte die belangte Behörde in diesem Zusammenhang noch folgendes aus:
"Wäre doch auch jemand, der ohne oder mit anderer Gesinnung, beispielsweise gegen Entgelt, in der von Ihnen behaupteten Weise die PKK unterstützt hätte, den selben Persekutionshandlungen von seiten der türkischen Behörden ausgesetzt gewesen.
Haftet doch überhaupt dem Begriff der "Verfolgung wegen der politischen Gesinnung" ein Element des Pejorativen, Illegitimen oder schlechthin des Vorwurfs gegen ein Regime an, welcher Vorwurf aus der Perspektive des rechtsstaatlichen Standards eines entwickelten liberaldemokratischen Gemeinwesens erhoben wird; dem "politisch verfolgenden" Staat wird dadurch ein Zurückbleiben hinter den Errungenschaften einer liberal-rechtsstaatlichen Demokratie insinuiert. Setzt ein Staat Handlungen, oder verfolgt er Personen aus Motiven, die auch in der freiheitlich demokratischen Grundordnung als legitim angesehen werden, kann somit nicht die Rede davon sein, daß in diesem Falle etwa "politische Verfolgung" stattfinde.
Terrorismus und sonstiges "politisches" Bandenunwesen werden nun aber in allen westlichen Demokratien aufs Schärfste mit den Mitteln des Strafrechts bekämpft, als eine der gefährlichsten Varianten des gemeinen Verbrechens. Und zwar richtet sich diese Bekämpfung nicht nur gegen die Deliktbegehungsform der unmittelbaren Täterschaft, sondern auch gegen diese flankierende Handlungen wie Propaganda und Begünstigung (welcher Sie sich Ihren eigenen Angaben zufolge schuldig machten). Selbst bloßes Sympathisieren und öffentliches Verharmlosen des Terrorismus stehen in vielen westlichen Demokratien unter Strafe. Verwiesen sei hier nur auf den § 129a des bundesdeutschen Strafgesetzbuches.
Zusammenfassend muß daher gesagt werden, daß die von Ihnen befürchtete Verfolgung nicht aus einem der Konventionsgründe erfolgen würde, sondern sich von den staatlichen Motiven her im Rahmen eines legitimen hoheitlichen Strafanspruches bewegt. Daß möglicherweise ein Zurückbleiben der türkischen Inquisitions- und PönalisierungsPRAXIS hinter rechtsstaatlich-liberale Standards zu konstatieren sein mag, vermag auf der Ebene der VerfolgungsMOTIVE nichts am Dargelegten zu ändern. Auch Schärfen bei der Aufklärung und Bestrafung gemeiner Verbrechen halten sich im Rahmen der Verbrechensbekämpfung und können als solche nicht den Mangel des Vorliegens eines Konventionsgrundes substituieren. Ihrer in der Berufung erhobenen Verfahrensrüge ist entgegenzuhalten, daß die Verwendung eines Vordruckes für die Ausfertigung des angefochtenen Bescheides keinen Verfahrensmangel darstellt, zumal der erstinstanzliche Bescheid alle im AVG vorgeschriebenen Merkmale aufweist. Überdies wird im Berufungsverfahren auf das gesamte Vorbringen des Asylwerbers Bedacht genommen.
Der angefochtene Bescheid ist daher zur Recht ergangen, weshalb Ihre Berufung abzuweisen war."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft verletzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Rechtlich rügt der Beschwerdeführer, daß die von ihm behaupteten Verfolgungsgründe einerseits auf seiner Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe und andererseits auf seiner politischen Betätigung für die PKK beruhten. Dies sei aber als Asylgrund anzuerkennen.
Dem vermag sich der Verwaltungsgerichtshof nicht zu verschließen. Entgegen den weitwendigen Ausführungen im angefochtenen Bescheid, denen der Verwaltungsgerichtshof nicht folgt, ist der vorliegende Fall nicht wesentlich anders gelagert, als der des hg. Erkenntnisses vom 29. November 1989, Zl. 89/01/0264. Der Verwaltungsgerichtshof hat darin im Falle eines Asylwerbers, der selbst an bewaffneten Kampfhandlungen der PKK gegen die türkischen Regierungstruppen teilgenommen hat, ausdrücklich ausgesprochen, daß dies eine Anerkennung als Konventionsflüchtling nicht von vornherein hindert, sofern nicht der Ausschlußgrund nach Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegt. Dies muß umsomehr für den Fall des Beschwerdeführers gelten. Die belangte Behörde hat auch im vorliegenden Fall vom zitierten Ausschließungsgrund der Genfer Flüchtlingskonvention keinen Gebrauch gemacht. Sie hat dadurch, daß sie die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Sanktionen der türkischen Behörden gegen ihn wegen seiner Tätigkeit für die PKK nicht als Verfolgungen aus Konventionsgründen, sondern vielmehr als Maßnahmen wegen krimineller Handlungen qualifizierte ohne weitere Ermittlungen und Feststellungen über die tatsächlichen Aktivitäten der PKK anzustellen, ihren Bescheid mit einem Verfahrensmangel belastet. Es ist nicht auszuschließen, daß die belangte Behörde dann, wenn sie nach Durchführung entsprechender Ermittlungen und Vorhalt der Ergebnisse dieser Ermittlungen an den Beschwerdeführer konkrete Feststellungen über die tatsächlichen Umstände der Aktivitäten der PKK getroffen hätte, zu einem anderen Bescheid gekommen wäre; sofern sich ergibt, daß die vom Beschwerdeführer vorgenommene Unterstützung der PKK im Zusammenhang mit den von dieser Organisation gesetzten Aktivitäten und damit auch die von den türkischen Behörden deswegen gegen den Beschwerdeführer eingeleiteten Sanktionen ihre Grundlage in ethnisch-politischen Belangen haben.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben (§ 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG).
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
"zu einem anderen Bescheid"European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992010703.X00Im RIS seit
05.11.1992