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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §10 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Stoll und Dr. Baumann als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Strohmaier, über die Beschwerde des R in N, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in M, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 3. Februar 1992, Zl. UVS-03/20/00203/92, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Angelegenheit Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat der Bundeshauptstadt (Land) Wien Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Berufung gegen das erstinstanzliche Straferkenntnis (Übertretung des § 5 Abs. 1 StVO) abgewiesen. Zugleich wurde diese Berufung als verspätet zurückgewiesen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher mit Beschluß vom 15. Juni 1992, B 366/92, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Dieser hat erwogen:
Der Beschwerdeführer machte im Verwaltungsverfahren folgenden Sachverhalt als Wiedereinsetzungsgrund geltend: Das Straferkenntnis sei seinem ehemaligen Vertreter Rechtsanwalt Dr. W am 26. Juni 1991 zugestellt worden. Damals sei Dr. W aber nicht mehr sein Vertreter gewesen, weil die Vollmacht schon am 3. Juni 1991 aufgelöst worden sei. Der Beschwerdeführer sei nämlich schon seit 16. Mai 1991 von seinem neuen Vertreter, Rechtsanwalt Dr. A, vertreten worden, dem allerdings das gegenständliche Verfahren nicht bekannt gewesen sei. Deshalb habe Dr. W seine bisherigen rechtsanwaltlichen Leistungen abgerechnet, offenbar aber die Auflösung der Bevollmächtigung der Behörde nicht mitgeteilt. Trotzdem beginne die Rechtsmittelfrist erst mit dem Zugang des angefochtenen Bescheides an den Beschwerdeführer zu laufen; dies sei am 21. Juli 1991 geschehen, weil der Beschwerdeführer von 27. Juni bis 20. Juli 1991 ortsabwesend gewesen sei. Er habe nämlich seinen Urlaub in Salzburg und Umgebung verbracht. Dr. W habe mit nicht eingeschriebenem Brief, der mit 27. Juni 1991 datiert gewesen sei, dem Beschwerdeführer eine Kopie des Straferkenntnisses übermittelt. Dieses Schreiben habe der Beschwerdeführer erst am 21. Juli 1991 erhalten.
Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG in der Fassung BGBl. Nr. 357/1990 ist gegen die Versäumung einer Frist auf Antrag einer Partei, die durch die Versäumung einen Rechtnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten, und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.
Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber (oder sein Vertreter) darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten (und Verwaltungsbehörden) und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. April 1992, Zl. 91/03/0345).
Die Ausführungen der belangten Behörde, bereits leicht fahrlässiges Verhalten wäre wiedereinsetzungsschädlich, verkennen die Änderung der Rechtslage für am 1. Jänner 1991 noch nicht anhängige Strafverfahren. Es ist im Beschwerdefall vielmehr zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer oder seinen Vertretern grobes Verschulden an der Versäumung der Berufungsfrist anzulasten ist.
Vorauszuschicken ist, daß es zur Wirksamkeit des Widerrufes einer Vollmacht nicht genügt, wenn dieser Widerruf dem Rechtsanwalt bekannt gegeben wird; vielmehr muß dies auch der Behörde gegenüber mitgeteilt werden (vgl. die Judikaturhinweise in Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, § 10 AVG, Entscheidungen 67 f). Da die Erstbehörde von der Auflösung des Vollmachtsverhältnisses mit Dr. W (nach den Angaben des Beschwerdeführers am 3. Juni 1991) keine Kenntnis hatte, war die Zustellung des Straferkenntnisses zu dessen Handen am 26. Juni 1991 rechtswirksam.
Nach den unbekämpften Feststellungen der belangten Behörde ist es zur Auflösung des Vollmachtsverhältnisses durch Kündigung des Beschwerdeführers an Dr. W, das heißt durch Widerruf der Vollmacht gekommen. Dr. W war daher gemäß § 11 Abs. 3 RAO (abgesehen vom Ablauf der Frist des § 11 Abs. 2 RAO) zu weiteren Vertretungshandlungen nicht verpflichtet. Daß er die erfolgte Auflösung des Vollmachtsverhältnisses der Behörde nicht bekannt gab und sich in der Folge auf die Weiterleitung des ihm zugestellten Straferkenntnisses an den Beschwerdeführer beschränkte, begründete jedenfalls kein dem Beschwerdeführer zuzurechnendes grobes Verschulden.
Den (neuen) Rechtsanwalt Dr. A, der den Beschwerdeführer in anderen Rechtsfällen vertrat, konnte ein (wiederum dem Beschwerdeführer zuzurechnendes) Verschulden an der Versäumung der Berufungsfrist nicht treffen, weil ihn der Beschwerdeführer über das anhängige Strafverfahren nicht informiert hatte.
Was schließlich den Beschwerdeführer selbst anlangt, so ist eine vorwerfbare Sorglosigkeit nicht schon darin gelegen, daß er Dr. A hievon keine Mitteilung machte, da er nicht verpflichtet war, sich durch diesen - oder einen anderen - Rechtsanwalt vertreten zu lassen; vielmehr konnte er seine Rechte im Strafverfahren auch selbst wahrnehmen. Allerdings war es dann seine Sache, der Behörde von der Auflösung des Vollmachtsverhältnisses mit Dr. W Mitteilung zu machen, ansonsten er mit weiteren Zustellungen zu dessen Handen und allfälligen Fristversäumnissen rechnen mußte. Auch bei rechtlicher Unerfahrenheit konnte er weder von Dr. W noch von Dr. A insoweit Vertretungshandlungen erwarten: Die Vollmacht des ersteren hatte er widerrufen, letzteren hatte er noch nicht mit seiner Vertretung im gegenständlichen Strafverfahren betraut. Warum er diesem Strafverfahren nach dem Widerruf der Vollmacht Dris. W - trotz der von ihm laut Anzeige behaupteten Existenzgefährdung durch eine Führerscheinabnahme - keine Aufmerksamkeit schenkte, hat er im Verwaltungsverfahren nicht dargetan, weshalb ihm ein minderer Grad des Versehens nicht zugute kommen kann. Vielmehr ist ihm - mögen ihm auch Rechtskenntnisse gefehlt haben - auffallende Sorglosigkeit im Verkehr mit der Verwaltungsstrafbehörde, was schließlich zur Fristversäumung führte, zur Last zu legen.
Es war daher nicht rechtswidrig, wenn die belangte Behörde seinen Wiedereinsetzungsantrag abgewiesen hat.
Die vorliegende Beschwerde erweist sich demnach als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
ProzeßvollmachtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992020208.X00Im RIS seit
11.11.1992