Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AAV §8 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde der X-AG in Wien, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in A, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 26. Juni 1992, Zl. 61.020/12-3/92, betreffend Erteilung einer Ausnahmebewilligung gemäß § 3 Abs. 2 des Arbeitnehmerschutzgesetzes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom 19. Februar 1991 auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung gemäß § 3 Abs. 2 Arbeitnehmerschutzgesetz in Verbindung mit § 8 Abs. 3 AAV für einen im zweiten Untergeschoß des "B-Hauses" in Wien, gelegenen Betriebsraum ohne natürliche Belichtung und ohne Sichtverbindung mit dem Freien abgewiesen. In der Begründung ging die belangte Behörde im wesentlichen davon aus, daß der Beschwerdeführerin mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 7. September 1990 für die Betriebsanlage in Wien nach Maßgabe der Pläne, auf die sich dieser Bescheid beziehe, gemäß § 74 GewO 1973 unter Vorschreibungen von Auflagen gemäß § 77 leg. cit. und § 27 Abs. 2 Arbeitnehmerschutzgesetz die Genehmigung erteilt worden sei. Die Betriebsanlage sei in diesem Bescheid unter anderem wie folgt beschrieben worden:
"Die Betriebsanlage ist im Erdgeschoß, im 1. und 2. Kellergeschoß gelegen. Sie besteht im 1. Kellergeschoß aus einem Schankbereich (Anrichte), der in offener Verbindung zum
Gästebereich im Atrium steht ..... Im 2. Kellergeschoß liegen
2 Lagerräume mit Kühlschränken, einer Kühlzelle, ein elektrisch betriebener Backofen sowie die Arbeitnehmergarderobe mit Aborten. Aus dem großen Lagerraum führt ein unbenützter Durchgang in der Breite von 2,40 m zum U-Bahn
Verbindungsgang .... Im Erdgeschoß liegen die Toilettenanlagen
für die Gäste der Betriebsanlage."
Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 11. September 1990 sei der Beschwerdeführerin die Berechtigung zur Ausübung des Gastgewerbes in der Betriebsart einer Imbißstube, "beschränkt auf die in der Planskizze, die einen Bestandteil des Konzessionsdekretes bildet, bezeichneten Betriebsräume und Betriebsflächen im Standort Wien," erteilt worden. Schließlich sei mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 14. Juni 1991 gemäß § 70 der Bauordnung für Wien nachträglich die Bewilligung erteilt worden, nach dem mit dem amtlichen Sichtvermerk versehenen Plan im zweiten Untergeschoß des B-Hauses "das vorhandene Lager" in ein Geschäftslokal umzuwidmen. Dieser Raum solle als Stehcafe ohne Servierbetrieb bzw. als Geschäftslokal zum Verkauf von Backwaren verwendet werden, jedoch "nicht in der Weise als Erweiterung der im 1. UG betriebenen Imbißstube ..., daß hier für den Fall der Überfüllung der Imbißstube bzw. eines entsprechenden Gästeandranges zusätzliche Verabreichungsplätze zur Verfügung stehen, die von den in dieser Imbißstube beschäftigten Arbeitnehmerinnen gemeinsam mit den im 1. UG bestehenden Verabreichungsplätzen betreut werden." Es gehe nicht um die Hinzunahme von dringend benötigten zusätzlichen Räumen als einziges Mittel zu einer notwendigen Erweiterung der bestehenden Imbißstube, sondern um die Schaffung eines Geschäftslokales bzw. Stehcafes, das unabhängig von der bestehenden Imbißstube betrieben werden könnte. Bei dieser Sachlage könne nicht vom Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 3 Abs. 2 Arbeitnehmerschutzgesetz in Verbindung mit § 8 Abs. 3 AAV gesprochen werden. § 102 AAV sei nicht anwendbar, weil das Verfahren keinen Anhaltspunkt dafür ergeben habe, "daß zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der AAV der gegenständliche Raum im 2. UG Bestandteil eines Betriebes war, der mit dem nunmehrigen Betrieb der Berufungswerberin ident ist."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Gemäß § 3 Abs. 2 des Arbeitnehmerschutzgesetzes müssen Arbeitsräume, soweit es die Art der Arbeitsvorgänge zuläßt oder nach der Zweckbestimmung der Räume möglich ist, natürlich belichtet sein. Diese Belichtung muß nach Maßgabe der in den Arbeitsräumen ausgeführten Tätigkeiten ausreichend und möglichst gleichmäßig sein; kann dies aus zwingenden, vor allem in den örtlichen Verhältnissen gelegenen Gründen, wie infolge der Anordnung der Arbeitsräume, nicht erreicht werden, müssen diese Räume zusätzlich künstlich beleuchtet werden. Das Arbeitsinspektorat kann bei Vorliegen sonstiger wichtiger Gründe Ausnahmen von den Bestimmungen des ersten Satzes zulassen. Wichtige Gründe liegen insbesondere dann vor, wenn dringend benötigte zusätzliche Arbeitsräume nur durch eine Ausnahmeregelung gewonnen werden können.
§ 8 AAV lautet:
"(1) Arbeitsräume müssen, soweit die Art der Arbeitsvorgänge oder die Zweckbestimmung des Raumes dem nicht entgegenstehen, ins Freie führende Lichteintrittsflächen, wie Fenster, Oberlichten oder Lichtkuppeln, besitzen, deren Summe mindestens ein Zehntel der Fußbodenfläche des Raumes betragen muß; mindestens eine etwa in Augenhöhe gelegene Sichtverbindung mit dem Freien in einer Größe von mindestens einem Zwanzigstel der Fußbodenfläche des Raumes muß vorhanden sein. Arbeitsräume müssen möglichst gleichmäßig natürlich belichtet sein. Lichteintrittsflächen müssen so beschaffen oder mit Einrichtungen ausgestattet sein, daß nachteilige Einwirkungen durch direktes Sonnenlicht auf die Arbeitnehmer vermieden sind.
(2) Wenn aus zwingenden, vor allem in den örtlichen Verhältnissen gelegenen Gründen, wie bei Gebäuden in dicht verbauten Ortskernen, eine ausreichende und möglichst gleichmäßige natürliche Belichtung der Arbeitsräume nicht erreicht werden kann, müssen die Arbeitsräume zusätzlich durch eine künstliche Beleuchtung erhellt sein, die den Erfordernissen des § 9 entsprechen muß.
(3) Das Arbeitsinspektorat kann bei Vorliegen wichtiger Gründe, wie bei dringend benötigten zusätzlichen Arbeitsräumen, über Antrag zulassen, daß Räume als Arbeitsräume verwendet werden, die nicht natürlich belichtet sind. In diesen Fällen müssen die Arbeitsräume durch eine künstliche Beleuchtung erhellt sein, die den Erfordernissen des § 9 entsprechen muß; sofern dies technisch durchführbar ist, muß auch eine Sichtverbindung mit dem Freien vorhanden sein."
Im Beschwerdefall brachte die Beschwerdeführerin im Antrag vom 19. Februar 1991 vor, daß sich für sie in letzter Zeit die dringliche Notwendigkeit zusätzlicher Arbeitsräume für das im ersten Untergeschoß des "B-Hauses" betriebene "X-Cafe" ergeben habe. Das bedeute, diesen Betrieb auf das zweite Untergeschoß zu erweitern. Eine nähere Begründung für den dringenden Bedarf nach zusätzlichen Arbeitsräumen wurde nicht angegeben. Erst die Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid enthält Ausführungen, die den zusätzlichen Bedarf dahin konkretisieren, daß es seit Betriebsaufnahme im ersten Untergeschoß im Bereich der Cafe-Konditorei zu temporärer Überfüllung und dem dringenden Bedarf der Ausweitung des Gastraumes auch um den in der Konzession genehmigten, im zweiten Untergeschoß gelegenen Raum komme. Daß die Einrichtung des geplanten Stehcafes ohne Servierbetrieb (bzw. eines Verkaufslokales für Backwaren) geeignet wäre, der Überfüllung einer mit einem Servierbetrieb ausgestatteten Imbißstube (bzw. einer "Cafe-Konditorei") abzuhelfen, wurde von der Beschwerdeführerin aber nicht dargetan und ist auch nicht erkennbar, handelt es sich doch um verschiedene Betriebsformen, die jeweils einen anderen Kundenkreis ansprechen und der Befriedigung unterschiedlicher Bedürfnisse dienen. Während für eine Imbißstube die Verabreichung von (kleinen) Speisen und Getränken und für eine Cafe-Konditorei das besonders reichhaltige Anbot von Konditorwaren charakteristisch ist, wobei beiden Betriebsformen das Vorhandensein von Sitzgelegenheiten und die Bedienung der Gäste durch Servierpersonal gemeinsam ist, steht bei einem Stehcafe der Ausschank von Kaffee im Vordergrund, wobei den Gästen keine Bedienung und keine Sitzgelegenheit geboten wird. Daß der Verkauf von Backwaren die durch eine Imbißstube oder eine Cafe-Konditorei abgedeckten Bedürfnisse nicht befriedigen kann, liegt auf der Hand. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin in der Berufung reicht somit nicht hin, um schlüssig den dringenden Bedarf nach zusätzlichen Arbeitsräumen begründen zu können.
In der "Berufungsergänzung" vom 29. August 1991 finden sich noch folgende Ausführungen der Beschwerdeführerin:
"Würde die Arbeitsleistung im Wechseldienst in der angestrebten Imbißstube nicht erbracht werden, so würde das gewünschte Ergebnis aus diesem technischen Grund nicht erreicht werden können und es besteht fraglos auch Bedarf der Konsumenten nach dem Anbot der Berufungswerberin."
Auch dieses Vorbringen läßt weder einen dringenden Bedarf nach zusätzlichen Arbeitsräumen noch einen sonstigen wichtigen Grund im Sinne der §§ 3 Abs. 2 Arbeitnehmerschutzgesetz, 8 Abs. 3 AAV erkennen. Der belangten Behörde ist darin beizupflichten, daß bei der Erteilung einer Ausnahmebewilligung nach den genannten Bestimmungen ein strenger Maßstab anzulegen ist, soll doch nach dem Ausschußbericht zum Arbeitnehmerschutzgesetz, 332 BlgNR 13. GP (zitiert bei Felix-Merkl, Arbeitnehmerschutzgesetz5, 50) vom Erfordernis der natürlichen Belichtung für Arbeitsräume nur in besonderen Fällen abgewichen werden, um nicht zu rechtfertigende Härten zu vermeiden. Ein derartiger Härtefall wird mit dem oben wiedergegebenen Vorbringen der Beschwerdeführerin jedoch nicht zur Darstellung gebracht. Daran vermag auch die von der Beschwerdeführerin behauptete "optimale ergonomische Arbeitsplatzgestaltung" nichts zu ändern.
Der Verwaltungsgerichtshof vermag daher der belangten Behörde nicht entgegenzutreten, wenn sie auf dem Boden des von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren erstatteten Vorbringens das Vorliegen eines wichtigen Grundes für die Erteilung der beantragten Ausnahmebewilligung verneint und demgemäß den entsprechenden Antrag der Beschwerdeführerin abgewiesen hat. Soweit sich die Beschwerdeführerin nunmehr auch auf andere wichtige Gründe beruft, handelt es sich um Neuerungen, die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gemäß § 41 Abs. 1 VwGG nicht berücksichtigt werden können. Wenn die Beschwerdeführerin der belangten Behörde den Vorwurf macht, sie hätte "zur Notwendigkeit eines weiteren Raumes" amtswegige Erhebungen anstellen bzw. die Beschwerdeführerin zu weiterem Vorbringen auffordern müssen, übersieht sie zum einen, daß der Grundsatz der Amtswegigkeit die Partei nicht von der Verpflichtung befreit, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes beizutragen, und daß die Partei im Falle einer Verletzung der ihr obliegenden Mitwirkungspflicht eine sich daraus allenfalls ergebende unvollständige Sachverhaltsannahme im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht mehr geltend machen kann (vgl. die bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens4, 261 ff, angeführte Rechtsprechung); zum anderen ist sie darauf zu verweisen, daß die Behörde gemäß § 13a AVG eine Manuduktionspflicht nur im Hinblick auf die von der Partei zu setzenden Verfahrensschritte, nicht aber im Hinblick auf Belehrungen und Anweisungen in der Sache selbst trifft (vgl. neben vielen anderen das hg. Erkenntnis vom 21. September 1988, Zlen. 87/03/0237, 0238).
Der Hinweis der Beschwerdeführerin auf § 102 Abs. 1 AAV und ihre damit im Zusammenhang stehenden Ausführungen gehen schon deshalb ins Leere, weil die Erfüllung der für die Anwendbarkeit dieser Übergangsbestimmungen erforderlichen Voraussetzung, daß nämlich der gegenständliche Raum im zweiten Untergeschoß im Zeitpunkt seiner Errichtung den damals für einen Arbeitsraum geltenden Dienstnehmerschutzvorschriften entsprochen hat (vgl. Anmerkung 2 zu § 102 AAV in Felix-Merkl-Vogt3, 225), nicht einmal behauptet wurde und sich auch aus der Aktenlage keine Anhaltspunkte für eine derartige Annahme ergeben.
Da sich die Beschwerde somit schon aus den dargelegten Erwägungen als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen, ohne daß auf das weitere Vorbringen in der Beschwerde eingegangen werden mußte.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7Verfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung MitwirkungspflichtBegründungspflicht Manuduktionspflicht MitwirkungspflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992180364.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
09.06.2010