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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Zeizinger und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des G in D, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in N, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 21. April 1992, Zl. VII/2a-1541/0/1-92, betreffend Bestrafung wegen Übertretungen von KJBG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.600,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich (der belangten Behörde) vom 21. April 1992 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe es als handelsrechtlicher Geschäftsführer einer näher bezeichneten juristischen Person unterlassen, in Ansehung von vier namentlich genannten Lehrlingen für die Einhaltung der Bestimmungen des KJBG zu sorgen, da die genannten Jugendlichen, wie anläßlich einer Überprüfung durch das Arbeitsinspektorat am 4. Februar 1989 um 22.30 Uhr festgestellt worden sei, nach 22.00 Uhr bzw. 20.00 Uhr im Restaurant M, D, B-Straße 31, beschäftigt worden seien. Der Beschwerdeführer habe dadurch gegen § 17 Abs. 2 bzw. § 17 Abs. 1, jeweils iVm § 30 KJBG verstoßen. Es wurden deshalb über ihn gemäß § 30 leg. cit. Geldstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt.
Zur Begründung ihrer Entscheidung führte die belangte Behörde u.a. aus: Der Beschwerdeführer sei als handelsrechtlicher Geschäftsführer einer Gesellschaft m.b.H. "als Verantwortlicher im Sinne des § 9 VStG" anzusehen. Eine Übertragung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit mit strafbefreiender Wirkung für das verantwortliche Organ sehe das Gesetz zwar grundsätzlich vor; diese sei aber an strenge Voraussetzungen gebunden. Letztere bedürften keiner Wiederholung, da sie der Verwaltungsgerichtshof in "allen seinen diesbezüglichen Entscheidungen" herausgestellt und die Erstinstanz "zutreffend darauf hingewiesen hat". In den damit verwiesenen einschlägigen Begründungspassagen des Straferkenntnisses hatte die Erstbehörde auf die Vorlage der Kopie eines Schriftstückes durch den Beschwerdeführer Bezug genommen, aus dem hervorginge, daß im Bereich der Küche dem K die Verantwortlichkeit für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften übertragen worden wäre. Dieses Schriftstück hätte der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers aber erst vorgelegt, nachdem vom Arbeitsinspektorat in einer Stellungnahme darauf hingewiesen worden wäre, daß eine Übertragung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit schriftlich erfolgen müßte. Im übrigen hätte dieses Schriftstück kein Datum aufgewiesen, sodaß der Zeitpunkt der Übertragung der Verantwortlichkeit darauf nicht hervorgegangen wäre.
Das strafbare Verhalten, nämlich die Beschäftigung von Lehrlingen nach Beendigung der gesetzlich zulässigen Arbeitszeit, sei aufgrund der dienstlichen Wahrnehmungen des Organes des anzeigelegenden Arbeitsinspektorates zweifelsfrei festgestellt worden. Unbeschadet dessen sei dem Antrag des Beschwerdeführers entsprechend der Lehrling A als Zeuge vernommen worden; aus dessen Aussage habe sich ergeben, daß im Betrieb des Beschwerdeführers die Tendenz vorhanden gewesen sei, die gesetzlich geregelten Arbeitszeiten nicht ausreichend zu beachten. Die anderen vom Beschwerdeführer namhaft gemachten Zeugen hätten nicht einvernommen werden können, weil ihre Anschriften der Behörde nicht bekanntgegeben worden seien; abgesehen davon habe sich deren Einvernahme erübrigt, weil der strafbare Sachverhalt ohnedies ausreichend klargestellt worden sei.
2. In der gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 21. April 1992 gerichteten Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und begehrt deshalb die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
3. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsstrafverfahrens vorgelegt und eine "Stellungnahme" (ohne inhaltliche Ausführungen) verbunden mit einem Kostenantrag (für Vorlageaufwand und Schriftsatzaufwand) gestellt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die belangte Behörde verweist in der Begründung des bekämpften Bescheides zur Frage der Voraussetzungen für eine rechtswirksame Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche eines Unternehmens (§ 9 Abs. 2 bis 4 VStG) - unter Bezugnahme auf die Begründung des Straferkenntnisses (in dem die Erstbehörde "zutreffend darauf hingewiesen hat") - auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
2.1. Wenngleich nicht ausdrücklich, so doch - aus dem Kontext - erkennbar, beruft sich die belangte Behörde damit auf die vom Verwaltungsgerichtshof in seinem grundlegenden Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 16. Jänner 1987, Zl. 86/18/0073 = Slg. Nr. 12.375/A, zusammenfassend zum Ausdruck gebrachte und seither in zahlreichen gleichlautenden Fällen wiederholte Rechtsanschauung. Danach ist, um von einem verantwortlichen Beauftragten i.S. des § 9 VStG sprechen zu können, gemäß Abs. 4 dessen nachweisliche Zustimmung zu seiner Bestellung erforderlich. Diese Bestellung wirkt erst ab dem Zeitpunkt, zu dem der Behörde die Zustimmung der zum verantwortlichen Beauftragten bestellten Person nachgewiesen wird. Erst mit dem Einlangen des Zustimmungsnachweises bei der Behörde tritt ihr gegenüber der namhaft gemachte verantwortliche Beauftragte in rechtswirksamer Weise als Adressat der Verwaltungsstrafnorm an die Stelle des zur Vertretung nach außen Berufenen. Die Berufung auf einen verantwortlichen Beauftragten ist daher nur dann zulässig, wenn bei der Behörde spätestens während des Verwaltungsstrafverfahrens ein - aus der Zeit vor der Begehung der dem Beschuldigten angelasteten Übertretung stammender - Zustimmungsnachweis eines derartigen verantwortlichen Beauftragten einlangt.
2.2. Die Beschwerde behauptet, daß letzteres im Beschwerdefall geschehen sei. Der Beschwerdeführer bezieht sich damit auf eine im Wege der Bezirkshauptmannschaft (dort eingelangt am 8. März 1991) zum Nachweis der Bestellung des K zum verantwortlichen Beauftragten und dessen Zustimmung hiezu vorgelegte Urkunde. Diese enthält zwar die Übertragung der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortung in bezug auf die Einhaltung der "Dienstnehmerschutzbestimmungen" für den Bereich der Küche auf K sowie dessen Zustimmung hiezu, ist allerdings undatiert. Nach der Aktenlage besteht kein Anhaltspunkt dafür, daß diese Urkunde vor den inkriminierten Übertretungen errichtet worden sei. Der Beschwerdeführer selbst hat dies im Verwaltungsstrafverfahren nicht einmal behauptet, vielmehr in dem Schriftsatz, mit dem die Urkunde vorgelegt wurde, erklärt, die "Bestätigung wurde im Anschluß an einen ähnlich gelagerten Vorfall ausgestellt". Dieser Hinweis führt in Verbindung damit, daß nach Ausweis der Akten das Arbeitsverhältnis mit K am 1. Februar 1989 begonnen hat und als Tatzeit der 4. Februar 1989 als erwiesen angenommen wurde, bei verständiger Würdigung des hiemit umschriebenen wesentlichen Sachverhaltes dazu, daß von der Errichtung der am 8. März 1991 vorgelegten Urkunde erst NACH der Zeit der Begehung der dem Beschwerdeführer mit dem bekämpften Bescheid angelasteten Taten auszugehen ist.
Soweit sich der Beschwerdeführer mit seinem einschlägigen Beschwerdevorbringen auf den bei der Bezirkshauptmannschaft Zwettl am 6. April 1990 eingelangten "Einstellschein" beruft, so ist auch dieser Hinweis nicht zielführend. Diese Urkunde weist zwar ein Datum aus der Zeit vor Begehung der angelasteten Taten auf (2. Februar 1989); ihr Inhalt (insbesondere die Umschreibung der von K im Rahmen seiner Funktion als "Küchenchef" übernommenen Pflichten) läßt indes nicht erkennen, daß dem Genannten die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortung für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften hinsichtlich des Bereiches der Küche übertragen worden sei, geschweige denn, daß K einer solchen Übertragung zugestimmt hätte. Diese Urkunde war demnach nicht geeignet, einen Nachweis für die Zustimmung zur Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten im Sinne des § 9 Abs. 4 VStG zu liefern. Die dazu durchgeführte Einvernahme des K als Zeugen konnte somit nicht der Verdeutlichung eines vorhandenen Beweisergebnisses dienen, sondern war bloß als ein - nach der dargestellten
hg. Rechtsprechung unbeachtliches - erst nach Begehung der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Taten zustandegekommenes Beweisergebnis zu werten.
3.1. In der Beschwerde wird unter mehreren Gesichtspunkten die Ansicht vertreten, daß die Nichteinvernahme der vom Beschwerdeführer als Entlastungszeugen geführten Lehrlinge H, X und W einen wesentlichen Verfahrensmangel darstelle. Die dafür von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid gegebene Begründung sei nicht geeignet, den in der Mißachtung dieses Beweisantrages gelegenen Verstoß gegen die Offizialmaxime (§ 24 VStG i.V.m. § 39 Abs. 2 AVG) sowie gegen § 25 Abs. 2 VStG zu rechtfertigen. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.
3.2. Der den Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit für das Verwaltungsstrafverfahren unterstreichende § 25 Abs. 2 VStG verpflichtet die Behörde die der Entlastung des Beschuldigten dienlichen Umstände in gleicher Weise zu berücksichtigen wie die belastenden.
Der im Sinne des Beweisantrages des Beschwerdeführers vernommene Lehrling A (dieser sowie die drei vorgenannten Lehrlinge waren laut Anzeige des Arbeitsinspektorates vom 2. März 1989 zur Tatzeit in der Küche beschäftigt) gab am 9. August 1990 vor der Bezirkshauptmannschaft als Zeuge einvernommen zu Protokoll, daß "wir um 22.30 Uhr, als die Herren vom AI gekommen sind, in der Einfahrt gestanden sind. In der Küche waren wir nicht mehr". Diese Aussage steht in klarem Widerspruch zu den Angaben in der Anzeige sowie einer Stellungnahme des Arbeitsinspektorates vom 7. November 1989, wonach die besagten vier Lehrlinge zur Tatzeit "in der Küche am Herd bzw. am Arbeitstisch angetroffen (wurden)". Abgesehen davon, daß die Aussage des A dem anzeigelegenden Arbeitsinspektorat zwecks Klärung des insoweit maßgeblichen Sachverhaltes zur Kenntnis zu bringen gewesen wäre, hätte die belangte Behörde angesichts dieser Zeugenaussage schon im Hinblick auf den Offizialgrundsatz nicht von der beantragten Einvernahme der weiteren drei Lehrlinge absehen dürfen; dies umso weniger, als auf diesen Beweisantrag in der Berufung ausdrücklich nochmals Bezug genommen wurde. Die Behörde konnte sich der Verpflichtung, diese drei Personen als Zeugen zu vernehmen, weder mit dem Argument, es seien deren Anschriften nicht bekanntgegeben worden, noch mit der Ansicht, der Sachverhalt sei ohnedies ausreichend klargestellt, entziehen. Daß letzteres nicht der Fall war, macht der aufgezeigte Widerspruch in der Darstellung des Arbeitsinspektorates einerseits und des Zeugen A anderseits deutlich. Wenn der belangten Behörde die Anschriften der drei genannten Lehrlinge nicht bekannt waren, dann wäre es ihr jedenfalls oblegen, in dieser Frage an den Beschwerdeführer heranzutreten und ihm die Gelegenheit zu bieten, im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht die Adressen zu eruieren und der Behörde mitzuteilen. Im übrigen weist der Beschwerdeführer zutreffend darauf hin, daß die Aufnahme dieses Beweises keinesfalls von vornherein ungeeignet gewesen sei, zur Klärung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen.
4. Da sich nach dem Gesagten das Verfahren in einem wesentlichen Punkt als ergänzungsbedürftig erweist, war der angefochtene Bescheid - ohne daß es eines Eingehens auf das weitere Beschwerdevorbringen bedurfte - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 Z. 1 und 2 VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht darauf, daß neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwand eine Vergütung von Umsatzsteuer im Gesetz nicht vorgesehen ist und zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung an Stempelgebühren lediglich S 480,-- (Eingabengebühr S 360,--, Beilagengebühr S 120,--) zu entrichten waren.
Schlagworte
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Zeugenbeweis Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle WahrheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992180208.X00Im RIS seit
12.11.1992