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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
ABGB §1324;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell, Dr. Müller, Dr. Novak und Dr. Händschke als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, über die Beschwerde der Vorarlberger Gebietskrankenkasse in Dornbirn, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 20. März 1991, Zl. IVb-69-10/1991, betreffend Rückforderung eines Erstattungsbetrages gemäß § 9 EFZG (mitbeteiligte Partei: A G.m.b.H. & Co KG in L), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Arbeit und Soziales) Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Den im Verwaltungsverfahren ergangenen Bescheiden liegt folgender, vom Landesgericht Feldkirch in seinem rechtskräftigen Urteil vom 7. Juni 1990 festgestellter, für das Beschwerdeverfahren bedeutsamer und zwischen den Parteien unstrittiger Sachverhalt zugrunde:
Am 26. Oktober 1989 spielten T und der Dienstnehmer der mitbeteiligten Partei G sowie weitere türkische Staatsangehörige in einem Cafe in L um Geld Karten. Dabei gerieten T. und G. in einen Streit, weil sich G. geprellt fühlte und glaubte, gegen T. den Anspruch auf Herausgabe eines bestimmten Geldbetrages zu haben. Er versuchte deshalb, das Geld, das zwischen ihnen offen auf dem Tisch lag, mit einer Hand wegzunehmen. T., der das Ansinnen des G. erkannt hatte, wollte dies verhindern, indem er seine rechte Hand flach auf das Geld legte und es so auf dem Tisch festhielt. G. wiederum versuchte, die auf dem Geld liegende Hand des T. hochzuheben oder wegzuschieben, wobei es ihm aber nicht gelang, des Geldes habhaft zu werden. Bei diesem Vorgang kam es zu einem direkten Kontakt der Hände der beiden, die noch auf ihren Stühlen saßen. In der Folge wurde T. auf Grund des Verhaltens des G. wütend, erhob sich von seinem Stuhl und versetzte dem G. zumindest einen heftigen Faustschlag mit der rechten Hand gegen das Gesicht. Die Schlagwirkung war derart, daß G. zu Boden stürzte. Daraufhin versetzte T. dem am Boden liegenden G. zumindest einen Fußtritt gegen den Körper. Durch die Handlungen des T. erlitt G. eine Bindehautverletzung am linken Auge und eine Nierenprellung, die eine Arbeitsunfähigkeit des G. vom 26. Oktober bis 11. November 1989 zur Folge hatte. T. erlitt bei den Auseinandersetzungen einen Abrißbruch an der Basis des Endgliedes des rechten Kleinfingers.
Mit dem schon genannten rechtskräftigen Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 7. Juni 1990 wurde zwar T. wegen des Vergehens der Körperverletzung (begangen an G.) nach § 83 Abs. 1 StGB verurteilt, G. hingegen von der gegen ihn erhobenen Anklage, das Vergehen der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB und das Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB (gegenüber T.) begangen zu haben, freigesprochen. Dieser Freispruch wurde einerseits damit begründet, daß nicht habe geklärt werden können, wie die Verletzung des T. verursacht worden sei; eine bestimmte vorsätzliche oder fahrlässige Handlung des G. als Verletzungsursache habe nicht bewiesen werden können. Andererseits habe in bezug auf den Vorwurf einer (nach seinen Verletzungen vorgenommenen) gefährlichen Drohung im Zweifel zu seinen Gunsten von gerechter Notwehr im Sinne des § 3 Abs. 1 StGB ausgegangen werden müssen.
Nachdem die Beschwerdeführerin der mitbeteiligten Partei über deren Antrag noch vor dem genannten Urteil einen Erstattungsbetrag von S 6.374,40 für die Entgeltfortzahlung an G. geleistet hatte, forderte sie diesen Betrag mit Bescheid vom 28. Jänner 1991 mit nachstehender Begründung zurück: Auf Grund des im obgenannten Strafverfahren erwiesenen Sachverhaltes stehe fest, daß die Auseinandersetzung vom Dienstnehmer der mitbeteiligten Partei G. ausgegangen sei und er darüber hinaus die erste gewaltsame Handlung vorgenommen habe. Auf Grund dessen bestehe kein Zweifel daran, daß er seine Arbeitsunfähigkeit grob fahrlässig herbeigeführt habe. Er habe daher nach § 2 Abs. 1 EFZG keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gehabt und die mitbeteiligte Partei keinen Erstattungsbetrag gemäß § 8 EFZG beanspruchen können. Demgemäß sei der ihr über ihren Antrag geleistete Erstattungsbetrag zu Unrecht gewährt worden und deshalb gemäß § 9 EFZG zurückzufordern.
In dem dagegen erhobenen Einspruch wandte die mitbeteiligte Partei ein, es sei unter Berücksichtigung der Ergebnisse des Strafverfahrens völlig unverständlich, weshalb die Beschwerdeführerin zum Schluß komme, G. habe die Arbeitsverhinderung grob fahrlässig herbeigeführt. Dieser Schluß sei völlig aktenwidrig und durch die bisherigen Beweisergebnisse in keiner Weise gedeckt. Sollte sich die belangte Behörde dieser Auffassung nicht anschließen, so ersuche die mitbeteiligte Partei um die Einvernahme näher angeführter Zeugen.
In ihrer Stellungnahme zum Einspruch replizierte die Beschwerdeführerin, der Freispruch beziehe sich auf die Verletzung des T. und die Bedrohung durch G. Dies sei für die Beurteilung des Entgeltfortzahlungs- bzw. Erstattungsanspruches irrelevant. Es sei nämlich in diesem Verfahren nur zu klären, ob G. seine Arbeitsunfähigkeit durch ein grob fahrlässiges Verhalten mitverursacht habe. Der der Entscheidung der Beschwerdeführerin zugrundegelegte Sachverhalt ergebe sich zweifelsfrei aus dem genannten Strafverfahren. Die Beschwerdeführerin gehe davon aus, daß das Verhalten des G. zur Auseinandersetzung mit T. geführt habe. G. habe zweifelsohne die erste gewaltsame Handlung dadurch vorgenommen, daß er versucht habe, T. das Geld zu entreißen. Die Auseinandersetzung sei daher durch G. verursacht und begonnen worden. Es sei für ihn auch klar voraussehbar gewesen, daß sein Verhalten von T. nicht ohne weiteres hingenommen würde. Daß er dabei verletzt werden könnte, habe G. nicht nur vorhergesehen, sondern geradezu in Kauf genommen. Die von der mitbeteiligten Partei beantragten Zeugenvernehmungen erschienen nicht sinnvoll, weil der Sachverhalt im Strafverfahren ausreichend und plausibel festgestellt worden sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Einspruch gemäß § 66 Abs. 4 AVG Folge und hob den bekämpften Bescheid auf. Begründend wird ausgeführt, es sei im genannten Strafverfahren in einem umfassenden Beweisverfahren festgestellt worden, daß G. weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt habe. Bei einem fahrlässigen Handeln wäre er vom Gericht verurteilt worden. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, daß das Verhalten des G. zu einer Auseinandersetzung mit T. geführt habe, werde auf Grund der Beweislage nicht bezweifelt. Diese Feststellung sage aber noch nichts über das Verschulden des G. aus, das zur Verletzung und der damit verbundenen Arbeitsunfähigkeit geführt habe. Es werde lediglich die Ursächlichkeit angesprochen, die jedem Schadensereignis vorangehe. Grobe Fahrlässigkeit sei anzunehmen, wenn eine auffallende und ungewöhnliche Verletzung einer Sorgfaltspflicht vorliege und der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich voraussehbar gewesen sei. Diese Form des Verschuldens habe das Strafgericht dem G. jedoch nicht nachweisen können. Es sei daher anzunehmen, daß G. zu Beginn der Auseinandersetzung die dann später eingetretenen Folgen noch nicht habe voraussehen können. Die Verletzungen des G. seien auf das rechtswidrige und schuldhafte Verhalten des T. zurückzuführen. Die Provokation des G. sei nur eine mögliche Ursache, die zum Schaden geführt habe, gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, nach der sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Rückforderung des zu Unrecht geleisteten Erstattungsbetrages nach § 9 EFZG verletzt erachtet. In Ausführung dieses Beschwerdepunktes wendet die Beschwerdeführerin unter den Gesichtspunkten der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften ein, das Strafgericht habe lediglich zu prüfen gehabt, ob dem G. ein Verschulden an den Verletzungen des T. treffe. Ob er jedoch auch ein Verschulden am Zustandekommen der Auseinandersetzung und insbesondere seiner eigenen Verletzungen bzw. der daraus folgenden Arbeitsverhinderung zu vertreten gehabt habe, sei vom Strafgericht nicht beurteilt worden. Insbesondere habe dieses Gericht deshalb auch keine Qualifikation (leichte oder grobe Fahrlässigkeit bzw. Vorsatz) wegen eines allfälligen derartigen Verschuldens vorgenommen. Dennoch gehe die belangte Behörde davon aus, daß sich das Strafgericht ausführlich mit dem Verschulden des G. an seinen eigenen Verletzungen auseinandergesetzt habe. Sie begründe nämlich ihren Spruch damit, daß das Strafgericht den G. freigesprochen habe, und folgere daraus, daß ihn auch an den eigenen Verletzungen und der damit verbundenen Arbeitsverhinderung kein auch wie immer geartetes Verschulden treffe. Damit vermische die belangte Behörde das Verschulden des G., das zu seiner eigenen Arbeitsverhinderung geführt habe, mit der strafrechtlich relevanten Verschuldensfrage betreffend die Verletzungen seines Kontrahenten. Obwohl die belangte Behörde einräume, daß das Verhalten des G. zur Auseinandersetzung mit T. geführt habe, also die Ursächlichkeit ausdrücklich anerkenne, sei keine weitere rechtliche Qualifikation hinsichtlich des Verschuldens des G. vorgenommen worden. Die belangte Behörde hätte aber zu prüfen gehabt, ob die von G. vorgenommenen Handlungen hinsichtlich der Herbeiführung seiner eigenen Arbeitsverhinderung grob fahrlässig gewesen seien.
Diesbezüglich liege ein Verfahrensmangel vor, der auch wesentlich sei, weil die belangte Behörde nach Prüfung dieser Frage zum Ergebnis gelangt wäre, daß G. an der Herbeiführung seiner eigenen Arbeitsunfähigkeit grobe Fahrlässigkeit getroffen habe. Auf Grund des vorliegenden Sachverhaltes sei nach Auffassung der Beschwerdeführerin dem G. eine auffallende und ungewöhnliche Sorgfaltspflichtverletzung vorzuwerfen. Schon die Tatsache, daß T. das Geld nicht freiwillig herausgegeben habe und G. bereit gewesen sei, auch Gewalt anzuwenden, lasse erkennen, daß G. eine Auseinandersetzung mit seinem Kontrahenten in Kauf genommen habe. Daß es dabei auch zu Verletzungen habe kommen können, sei für ihn als wahrscheinlich vorhersehbar gewesen.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift. Die mitbeteiligte Partei nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 9 EFZG hat der Krankenversicherungsträger zu Unrecht geleistete Erstattungsbeträge vom Arbeitgeber zurückzufordern. Nach § 8 Abs. 1 EFZG haben die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung den Arbeitgebern u.a. das an die in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Arbeitnehmer nach diesem Bundesgesetz fortgezahlte Entgelt zu erstatten (Erstattungsbetrag). Gemäß § 2 Abs. 1 EFZG behält ein Arbeitnehmer seinen Anspruch auf das Entgelt unter weiteren Voraussetzungen dann, wenn er durch Krankheit (Unglücksfall) an der Leistung seiner Arbeit verhindert ist, ohne daß er die Verhinderung vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat.
Der Anspruch der Beschwerdeführerin auf Rückforderung des an die mitbeteiligte Partei geleisteten Erstattungsbetrages hängt davon ab, ob diese Erstattung des von der mitbeteiligten Partei dem G. während der krankheitsbedingten Arbeitsverhinderung fortgezahlten Entgeltes zu Unrecht erfolgt ist. Hiefür ist entscheidend, ob dem G. ein solcher Entgeltfortzahlungsanspruch gemäß § 2 Abs. 1 EFZG zustand, wofür wieder (fallbezogen) maßgebend ist, ob G. die Arbeitsunfähigkeit durch (zumindest) grob fahrlässiges Verhalten herbeigeführt hat, oder ob dies nicht der Fall ist.
Bei Beurteilung der Frage, ob die Arbeitsunfähigkeit grob fahrlässig herbeigeführt wurde, ist davon auszugehen, daß dieser Begriff jenem der auffallenden Sorglosigkeit im Sinne des § 1324 ABGB entspricht. Auffallende Sorglosigkeit liegt nach der Rechtsprechung dann vor, wenn unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles eine ungewöhnliche und darum auffallende Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht vorliegt und der Eintritt eines Schadens als wahrscheinlich - und nicht bloß als möglich - voraussehbar gewesen ist. Es muß sich um ein Versehen handeln, welches mit Rücksicht auf die Schwere und die Häufigkeit nur bei besonders nachlässigen und leichtsinnigen Menschen vorkommt, oder wenn einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt wurden (vgl. das Erkenntnis vom 21. November 1990, Zl. 89/08/0125, mit weiteren Judikaturhinweisen). Der objektiv besonders schwere Sorgfaltsverstoß (das objektiv extreme Abweichen von der gebotenen Sorgfalt) muß bei Würdigung aller Umstände des konkreten Falles auch subjektiv schwerstens vorwerfbar sein (vgl. Reischauer in Rummel2, Rz 3 zu § 1324 ABGB, mit Judikaturhinweisen).
Beurteilt man das (vom Strafgericht festgestellte) Verhalten des G. am 26. Oktober 1989, von dem auch nach den wiederholten Bekundungen der Beschwerdeführerin bei der rechtlichen Beurteilung auszugehen ist, nach diesen rechtlichen Grundsätzen, so erweisen sich die Beschwerdeeinwände als unbegründet. Zwar trifft es zu, daß weder der Freispruch des G. von der wider ihn erhobenen, oben wiedergegebenen Anklage noch die Begründung desselben durch das Strafgericht eine rechtliche Bewertung des festgestellten Verhaltens des G. als grob fahrlässige Herbeiführung seiner Arbeitsverhinderung auszuschließen vermögen. Deshalb ist aber der angefochtene Bescheid (dessen Begründung insofern nicht völlig zweifelsfrei ist) entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht mit relevanten Verfahrensmängeln behaftet, weil es sich, wie die Beschwerdeführerin an einer anderen Stelle ihrer Beschwerdeschrift selbst betont, bei dieser Bewertung um eine schon auf Grund der unstrittigen Feststellungen zu lösende Rechtsfrage handelt. Für eine Bejahung dieser Frage im Sinne der Beschwerdeführerin genügt es aber unter Bedachtnahme auf die obigen Grundsätze nicht, daß das Verhalten des G. zur Auseinandersetzung mit T. geführt hat, und G. hiebei auch "eine Auseinandersetzung mit seinem Kontrahenten in Kauf genommen hat". Für eine solche Bewertung wäre es vielmehr erforderlich, daß G. als wahrscheinlich voraussehen mußte, T. werde auf sein Verhalten, nämlich den festgestellten Versuch, das von ihm im Spiel verlorene Geld zurückzunehmen, mit derart massiven, seine erhebliche körperliche Verletzung und damit Arbeitsunfähigkeit bewirkenden Tätlichkeiten reagieren (vgl. dazu im ähnlichen Zusammenhang die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 19. April 1977, Arb 9580). Das aber hat die belangte Behörde mit Recht verneint, weil die dem zweifellos provokanten Verhalten des G. folgenden Tätlichkeiten des T. keinesfalls als übliche und typische Reaktion zur Abwehr eines allenfalls gegenwärtigen und unmittelbar drohenden Angriffes des G. auf das auf dem Tisch liegende Geld angesehen werden kann.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Definition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1991080073.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
30.04.2009