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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §38;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart über die Beschwerde des G in W, vertreten durch Dr. K, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 13. Mai 1992, Zl. IIb2-K-2495/1-1992, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Mandatsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 10. Februar 1992 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, B, C, F und G vorübergehend für die Dauer von 12 Monaten entzogen. Mit Vorstellungsbescheid vom 9. April 1992 wurde diese Maßnahme bestätigt.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die dagegen erhobene Berufung "mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, als die gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 verfügte vorübergehende Suspendierung der Lenkerberechtigung in eine Entziehung gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 umgewandelt wird. Die gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 festzusetzende Entzugsdauer bleibt unverändert".
In seiner an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde macht der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die belangte Behörde ging - wie die Erstbehörde - im Wege der Beurteilung einer Vorfrage davon aus, daß der Beschwerdeführer am 2. Februar 1992 ein Alkoholdelikt durch Verweigerung der von ihm geforderten Atemluftprobe begangen habe. Trotz Abgabe von vier Atemluftproben habe kein verwertbares Ergebnis erzielt werden können. Im Zusammenhang mit einem vorangegangenen Verkehrsunfall mit Sachschaden habe er eine Übertretung nach § 4 Abs. 5 StVO 1960 begangen. Es handle sich um das dritte Alkoholdelikt des Beschwerdeführers "innerhalb kurzer Zeit". Der Beschwerdeführer sei auch zweimal gemäß § 64 Abs. 1 KFG 1967 wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges ohne Lenkerberechtigung bestraft worden; damals wäre ihm die Lenkerberechtigung entzogen gewesen. Die Umwandlung der vorübergehenden Entziehung in eine solche nach § 73 Abs. 1 KFG 1967 begründete die belangte Behörde mit den bei früheren verkehrspsychologischen Untersuchungen festgestellten problematischen "seelisch-geistigen Eignungsvoraussetzungen", die eine neuerliche Überprüfung in dieser Richtung geboten erscheinen ließen.
Der Beschwerdeführer bestreitet zunächst die Begehung eines Alkoholdeliktes und damit das Vorliegen einer bestimmten Tatsache, aus der auf eine aktuelle Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers geschlossen werden könne. Er habe nach viermaligem Blasen die Auffassung vertreten, seiner Verpflichtung zur Ablegung der Atemluftprobe nachgekommen zu sein. Das Gerät müsse schadhaft gewesen sein, sodaß weitere Versuche sinnlos gewesen wären.
Wenn eine Behörde ein Vorfrage im Sinne des § 38 AVG selbständig beurteilt, so hat sie grundsätzlich jene Ermittlungen anzustellen, die die zur Entscheidung dieser Vorfrage als Hauptfrage zuständige Behörde anzustellen gehabt hätte. Das bedeutet, daß die Behörden des administrativen Entziehungsverfahrens so vorzugehen gehabt hätten wie die Strafbehörden in einem Verwaltungsstrafverfahren nach § 99 Abs. 1 lit. b in Verbindung mit § 5 Abs. 2 StVO 1960. Sie hätten insbesondere auf die Verantwortung des Beschwerdeführers einzugehen gehabt und die von ihm begehrten sachdienlichen Beweise aufnehmen müssen.
Das einzige aktenkundige Beweismittel betreffend die Begehung des Alkoholdeliktes vom 2. Februar 1992 ist die Anzeige des Gendarmeriepostens Wattens an die Erstbehörde vom 3. Februar 1992. Danach habe der Beschwerdeführer die Atemluftprobe durch ein Verhalten, welches das Zustandekommen des Tests verhinderte, verweigert. Es sei zu zwei Fehlmessungen gekommen, da der Beschwerdeführer "immer vor der 2. Messung hyperventilierte", und zwar trotz der Aufforderung, dies zu unterlassen. Mit den Worten "nun mag i nimmer einiblas"n" habe er den Gendarmerieposten verlassen. Die Meßprotokolle, die der Anzeige angeschlossen waren, wiesen um 1.07 Uhr 2,20 mg/l und um 1.09 Uhr 1,73 mg/l sowie um 1.11 Uhr 1,47 mg/l und um
1.13 Uhr 1,28 mg/l aus.
Die Darstellung des Beschwerdeführers geht nun dahin, daß er viermal geblasen habe, Blasdauer und -volumen seien ausreichend gewesen. Nach dem vierten Blasen sei ihm nicht erklärt worden, die erzielten Meßergebnisse seien nicht verwertbar. Im Glauben, seiner Verpflichtung nachgekommen zu sein, habe er mit den Worten "so, jetzt paßt"s, jetzt geh" i" den Gendarmerieposten verlassen.
Bei dieser Sachlage hätte die Darstellung des Beschwerdeführers nur widerlegt werden können, wenn die amtshandelnden Gendarmeriebeamten über den Hergang der Amtshandlung befragt worden wären. Es wäre insbesondere zu klären gewesen, ob der Beschwerdeführer tatsächlich den Eindruck haben konnte, seiner Verpflichtung zur Ablegung der Atemluftprobe nachgekommen zu sein.
In diesem Zusammenhang ist auch bemerkenswert, daß in der Anzeige eine die jeweils zweiten Messungen beeinflußende Verhaltensweise des Beschwerdeführers ("hyperventilieren") genannt wird - was allenfalls erklären könnte, warum diese zweiten Meßergebnisse von denen der jeweils ersten Messung zu sehr (mehr als 10 v.H.) abgewichen sind. Für den Umstand, daß die beiden ersten Meßergebnisse (von 1.07 Uhr und von 1.11 Uhr) derart unterschiedlich ausgefallen sind und daß das absolute Ausmaß des bei der allerersten Messung ermittelten Alkoholgehaltes der Atemluft des Beschwerdeführers mit den übrigen Angaben in der Anzeige, der Beschwerdeführer sei "gesprächig" gewesen und habe versucht, das vorangegangene Lenken in Abrede zu stellen, nicht vereinbar zu sein scheint, findet sich ebenfalls keine Erklärung. Die Anzeige ist jedenfalls nicht geeignet, als einziges Beweismittel die Annahme der belangten Behörde zu tragen, der Beschwerdeführer habe das in Rede stehende Alkoholdelikt begangen.
Die belangte Behörde hat den Sachverhalt nicht vollständig ermittelt. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.
Für das fortzusetzende Verfahren sei angemerkt, daß die belangte Behörde im Hinblick darauf, daß auch eine Übertretung nach Art. IX Abs. 1 Z. 3 EGVG in Verbindung mit § 99 Abs. 1 StVO 1960 eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. e KFG 1967 darstellt, im Recht ist, daß eine völlige Berauschung bei der Verweigerung des Alkotests für den Beschwerdeführer nicht positiv ins Gewicht fallen könnte. Sollte die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren die Begehung eines Alkoholdeliktes am 2. Februar 1992 als erwiesen annehmen, bestünde gegen Art und Ausmaß der getroffenen Entziehungsmaßnahme kein Bedenken, ist dem Beschwerdeführer doch in den Jahren 1989 und 1990 im Zusammenhang mit Alkoholdelikten die Lenkerberechtigung bereits für vier Wochen bzw. für sechs Monate vorübergehend entzogen gewesen und wäre er diesfalls als beharrlicher Rückfallstäter anzusehen.
Der Zuspruch von Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer im Pauschalsatz für Schriftsatzaufwand nach der zitierten Verordnung bereits enthalten ist und Stempelgebührenersatz nur in der Höhe von S 390,-- (S 360,-- für drei Beschwerdeausfertigungen und S 30,-- für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides) zugesprochen werden konnte.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992110168.X00Im RIS seit
12.06.2001