TE Vfgh Erkenntnis 1990/6/15 G81/89

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Veröffentlicht am 15.06.1990
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Index

23 Insolvenzrecht, Exekutionsrecht
23/01 Konkursordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz KO §12 Abs1

Leitsatz

Verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit der Bevorrechtung von öffentlichen Gläubigern hinsichtlich ihrer Absonderungsrechte; sachliche Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung von Abgabenforderungen

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Nach dem ersten Satz des §12 Abs1 Konkursordnung erlöschen durch die Konkurseröffnung

"Absonderungsrechte, die in den letzten sechzig Tagen vor der Konkurseröffnung durch Exekution zur Befriedigung oder Sicherstellung neu erworben worden sind, mit Ausnahme der für öffentliche Abgaben erworbenen Absonderungsrechte, . . ."

Das LGZ Graz beantragt, in dieser Bestimmung die Worte "mit Ausnahme der für öffentliche Abgaben erworbenen Absonderungsrechte" als verfassungswidrig aufzuheben. Dieses Gericht hat über einen Rekurs des Masseverwalters im Konkurs über das Vermögen einer Planungs-, Bau- und Handelsgesellschaft mbH gegen einen Beschluß des Bezirksgerichtes Graz als Exekutionsgericht zu entscheiden, womit dessen Antrag auf Einstellung der Verwertungsverfahren zur Hereinbringung von Forderungen der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse, der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse und des Bundes an öffentlichen Abgaben gemäß §12 Abs2 KO mit der Begründung abgelehnt wird, Absonderungsrechte für öffentliche Abgaben würden auch dann nicht erlöschen, wenn sie in den letzten sechzig Tagen vor der Konkurseröffnung durch Exekution zur Befriedigung oder Sicherstellung erworben worden seien.

Das antragstellende Gericht erachtet im Rekursverfahren §12 KO anwenden zu müssen, hält aber die in Abs1 Satz 1 angeordnete Privilegierung öffentlicher Abgaben aus folgenden Gründen für unsachlich:

"Durch die Novellierung der Bestimmung des §50 KO und die Aufhebung der Bestimmungen der §§51 bis 53 KO durch das Insolvenzrechtsänderungsgesetz, BGBl. 1982/370, wurden die Klassen der Konkursforderungen abgeschafft. Nunmehr bildet das Konkursvermögen nach Befriedigung der Masseforderungen und der Ansprüche der Absonderungsberechtigten eine gemeinschaftliche Konkursmasse, aus der die Konkursforderungen nach dem Verhältnis ihrer Beträge zu befriedigen sind.

Die Absicht des Gesetzgebers bei Schaffung dieser Novelle war, Pivilegierungen einzelner Gläubiger insbesondere auch solcher, die Abgabenrückstände betreiben, vor anderen zu vermeiden und einen 'klassenlosen Konkurs' einzuführen (vergleiche 1147 Blg XV GP). Entgegen dieser Absicht des Gesetzgebers bei der Novellierung der Konkursordnung durch das Insolvenzrechtsänderungsgesetz 1982 sind Forderungen auf Bezahlung öffentlicher Abgaben nach wie vor insofern privilegiert, als für diese Forderungen erworbene Pfandrechte auch dann nicht erlöschen, wenn sie bei Eröffnung des Konkurses noch nicht 60 Tage alt waren.

Dadurch ist eine - nach Ansicht des erkennenden Senates sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung zwischen den Forderungen für öffentliche Abgaben und den Forderungen anderer Gläubiger, deren in den letzten 60 Tagen vor Konkurseröffnung erworbene Absonderungsrechte erlöschen, geschaffen.

Diese sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung wird noch dadurch verstärkt, daß es Gläubigern, denen öffentliche Abgaben zustehen, erleichtert ist, rasch Rückstandsausweise zu schaffen und Exekution zur Sicherstellung zu führen.

Diese Umstände führen in der Praxis dazu, daß die Konkursmasse durch Absonderungsrechte, die zugunsten von öffentlichen Abgaben in den letzten 60 Tagen vor Konkurseröffnung begründet wurden, vermindert wird und anderen Gläubigern, die unter Umständen zu früheren Zeitpunkten, jedoch nicht länger als 60 Tage vor der Konkurseröffnung, Absonderungsrechte erworben haben, wesentlich weniger Konkursvermögen zur Befriedigung ihrer Forderungen zur Verfügung steht."

Die Bundesregierung tritt den Bedenken des antragstellenden Gerichtes entgegen.

II. Der Antrag ist zulässig. Das Verfahren hat nichts ergeben, was Zweifel daran erweckt hätte, daß das antragstellende Gericht den ersten Satz des §12 Abs1 KO anzuwenden hätte.

Auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen liegen vor.

III. Der Antrag ist aber nicht begründet.

§12 Abs1 Satz 1 KO verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz.

1. Die Bundesregierung geht in ihrer Äußerung zunächst auf die Bedeutung des InsolvenzrechtsänderungsG, BGBl. 370/1982, ein und legt dar, daß die Änderung des Systems der Konkursklassen sonstige Vorzugsrechte unberührt gelassen hat und nicht gegen Abgabengläubiger, sondern vielmehr gegen den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds gerichtet war, dessen hohe Forderungen die Chancen der Konkursgläubiger III. Klasse beinahe zur Gänze zunichte gemacht hätten. Eine umfassende Gleichbehandlung der Konkursgläubiger sei nicht beabsichtigt gewesen.

Im übrigen genössen nicht nur öffentliche Abgaben eine Sonderstellung, sondern auch jene in den letzten sechzig Tagen vor der Konkurseröffnung erworbenen exekutiven Absonderungsrechte anderer Gläubiger, die auf älteren vertraglichen oder gesetzlichen Pfandrechten beruhten, wie etwa auch das gesetzliche Pfandrecht der Rechtsanwälte oder des Vermieters.

Die (amtliche) "Denkschrift zur Einführung einer Konkursordnung, einer Ausgleichsordnung und einer Anfechtungsordnung" motiviere die Bestimmung des §12 Abs1 KO damit (21f),

"daß richterliche Pfandrechte nicht den Zweck der Einräumung von Realkredit haben, daß vielmehr hier unbedeckt gewährter Kredit vorliegt, der sich durch einen einseitigen Schritt des Gläubigers in bedeckten verwandelt; der Gläubiger verschafft sich aufgrund seiner zufälligen besonderen Kenntnis der Lage des Schuldners oder besonders günstiger Umstände, die eine raschere Vollstreckbarkeit seines Anspruches zulassen, sehr häufig auch aufgrund listigen Einverständnisses mit dem Gemeinschuldner, ein Vorrecht auf Kosten der übrigen Gläubiger, für das ein wirtschaftlicher Grund nicht vorliegt. Die mehr oder minder gewisse Vermutung vom Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners führt zu einem Wettlauf der Gläubiger, der häufig damit endet, daß eine Konkurseröffnung mangels Vermögens gar nicht möglich ist, oder daß doch im Konkurs nur geringfügige Quoten auf diejenigen Gläubiger entfallen, die nicht so glücklich waren, sich eine Deckung in günstiger Rangordnung zu verschaffen. Derartigen Übelständen abzuhelfen, war bisher nur das Anfechtungsrecht bestimmt. Allein dieses hat sich hiezu als nicht völlig hinreichend erwiesen und auch ein Ausbau des Anfechtungsrechtes wird nie darüber hinwegkommen, daß auf Seite des Anfechtungsgegners, die Beweislast mag wie immer geregelt sein, die Kenntnis oder doch die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit verlangt werden muß.

Allein hier soll nicht ein zweifelhaftes Geschäft wegen seines unredlichen Charakters beseitigt werden, sondern es sollen alle Versuche, sich bei zweifelhafter Zahlungsfähigkeit eine Vorzugsstellung zu schaffen, von vorneherein dadurch abgeschnitten werden, daß von selbst . . . richterliche Pfandrechte aus jüngster Zeit wegfallen und die Gleichstellung der Gläubiger, dieser oberste Grundsatz des Konkursrechtes, aufrechterhalten wird."

Die Begünstigung der Gläubiger öffentlicher Abgaben sei darin so begründet:

"Da für Absonderungsrechte, die zur Sicherstellung öffentlicher Abgaben erwirkt worden sind, nicht die gleichen Erwägungen zutreffen, ist bestimmt, daß sie durch die Konkurseröffnung unberührt bleiben."

Dazu weist die Bundesregierung auf Petschek-Reimer-Schiemer, Das Österreichische Insolvenzrecht (1973) hin, wo es unter Berufung auf die Entstehungsgeschichte heißt (257):

"Aus dem Anwendungsbereich des §12 KO. fallen die Rechte aus der Exekution zur Eintreibung oder Sicherstellung von öffentlichen Abgaben heraus, weil hier der Entschluß zur Ergreifung von Zwangsmaßnahmen nicht aus den individuellen Verhältnissen des späteren Gemeinschuldners hergeholt ist, vielmehr generell durch die Fälligkeit öffentlicher Abgaben oder durch die Absicht ihrer Hereinbringung in bestimmten Bezirken u. dgl. bestimmt wird."

Ihre zusammenfassende These, Gläubiger öffentlicher Abgaben würden ohnehin nicht an jenem "Wettlauf der Gläubiger" teilnehmen, gegen den sich §12 Abs1 KO wende, belegt die Bundesregierung schließlich noch mit zwei Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes aus 1927, deren zweite, SZ 9/313, den Grund der Ausnahme der öffentlichen Abgaben darin sieht,

". . . daß die Vermutung, es handle sich um in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit erworbene Privatrechte, den mit der Eintreibung von Abgaben betrauten Körperschaften und Behörden gegenüber nicht ohne weiteres als zutreffend angesehen werden kann, weil diese Forderungsberechtigten über den wirtschaftlichen Stand ihrer massenhaften Schuldner nicht so gut unterrichtet sein können, wie die zumeist der Branche angehörigen Privatgläubiger, und weil sich bei ihnen der Zeitpunkt der Exekutionsführung nicht nach den Umständen des Einzelfalles, sondern wegen der Zahl und Gleichartigkeit der Forderungen nach allgemeinen Gesichtspunkten richten muß."

Schließlich läßt sich die angegriffe Vorschrift nach Ansicht der Bundesregierung aus folgenden drei Gründen rechtfertigen:

"Das Abgabenverhältnis entsteht ipso iure und ist der Disposition des Abgabengläubigers weitgehend entzogen. Dies bringt mit sich, daß die Abgabengläubiger keinen Einfluß - selbst bei drohendem Zahlungsverzug - darauf haben, wer ihr Schuldner ist und wann sowie in welcher Höhe Abgabenforderungen entstehen.

Weiters ist ins Treffen zu führen, daß von der effektiven Hereinbringung der Steuern die Finanzkraft und die Finanzierbarkeit des Staatshaushaltes entscheidend abhängt. Die Sicherung der Staatsfinanzen muß aber als ein ganz besonderes öffentliches Interesse anerkannt werden, dem durch die vorliegende Bestimmung Rechnung getragen wird (vgl. zu dieser auch vom Verfassungsgerichtshof grundsätzlich anerkannten Zielsetzung Erk. vom 11.12.1986, G119/86: 'Die vom Gesetzgeber vorzunehmende Interessenabwägung erlaubt es ihm, ein System zu schaffen, das den regelmäßigen Zufluß der Abgaben sicherstellt,... .')

Weiters sind Abgabengläubiger wie die Sozialversicherungsträger Dritten gegenüber kraft Gesetzes unabhängig von der Einbringlichkeit der Abgabenforderungen zur Erbringung von der Leistungen verpflichtet (siehe auch Bartos, Gesetzliche Mängel behindern Beitrageintreibung, SoSi 1987, 508). Die Sozialversicherung wird im Wege des Umlageverfahrens finanziert. Mit den Einnahmen einer Beitragsperiode werden die Leistungen derselben Periode finanziert. Es ist daher auch für diese zur Aufrechterhaltung ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit entscheidend, die Beiträge einzubringen bzw. deren Einbringung auch ungeachtet eines Konkursverfahrens zu erreichen. Verschärft wird diese Problematik durch §58 Abs2 ASVG, demzufolge der Dienstgeber die auf den Versicherten und den Dienstgeber entfallenden Beiträge schuldet. Der Beitragsschuldner ist bei Liquiditätsschwierigkeiten in der Regel nicht nur mit dem Dienstgeberbeitragsanteil, sondern auch mit dem Dienstnehmerbeitragsanteil in Zahlungsverzug. So ist z.B. die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse als Gläubiger gezwungen, ungeachtet der sich bereits abzeichnenden Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des Gemeinschuldners an die Arbeitnehmer des Gemeinschuldners die Urlaubsentgelte auszuzahlen, unabhängig davon, ob dieser die Zuschläge entrichtet hat oder nicht. Die Nichtentrichtung der Zuschläge durch einzelne Arbeitgeber geht aber zu Lasten der in der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse versammelten Riskengemeinschaft."

2. Der Verfassungsgerichtshof kann zwar diese letzten Ausführungen der Bundesregierung nicht teilen. Daß die öffentliche Hand Leistungen auch dann zu erbringen hat, wenn die Abgabenforderungen nicht eingebracht werden können, und daß deshalb die Riskengemeinschaft oder bestimmte Dritte belastet werden, unterscheidet sie nicht von anderen Gläubigern, die ihrerseits Verpflichtungen eingegangen sind, für deren Einhaltung vielleicht andere einzustehen haben und durch deren Nichteinhaltung Dritte geschädigt werden. Richtig ist nur, daß Abgabenpflichten dem Schuldner im öffentlichen Interesse auferlegt sind, einem Interesse also, das nicht schlechthin auf gleicher Ebene mit den privaten Interessen steht. Der Umstand, daß sich der Gesetzgeber bei Hereinbringung von Abgaben teilweise der Formen bedient, die für die Verfolgung privater Vermögensansprüche vorgesehen sind, hindert ihn nicht daran, in Einzelfragen auf jene Besonderheiten der öffentlichen Abgaben Rücksicht zu nehmen, die eine rechtzeitige Absicherung der Einbringung dieser Abgaben erschweren.

Abgabepflichten entstehen in der Regel ohne jedes Zutun des (öffentlichen) Gläubigers und ohne daß diesem die Möglichkeit offenstünde, sich - etwa durch Verweigerung der Rechtsbeziehung oder Zurückbehaltung der eigenen Leistung - gegen die allfällige Uneinbringlichkeit der Forderung rechtzeitig abzusichern. Gleichwohl liegt es ebenso im öffentlichen Interesse wie im Interesse des Betroffenen, wenn die Einhebung von Abgaben nicht vorrangig an deren Einbringlichkeit orientiert ist, sondern so gestaltet wird, daß die sorgfältige Prüfung des Bestandes und der Höhe der Abgabenforderung in einem rechtsstaatlichen Verfahren unbelastet von der Notwendigkeit raschen Zugriffs gewährleistet bleibt (was dann eben den Zeitpunkt ihrer Vorschreibung von mannigfachen Zufälligkeiten des Geschäftsganges abhängig macht). Daher pflichtet der Verfassungsgerichtshof der Bundesregierung im Ergebnis darin bei, daß es die Art der Entstehung und die Funktion öffentlicher Abgaben rechtfertigen, den die Sicherstellung der Einbringung bewirkenden Akten jene (erhöhte) Bestandskraft zu verleihen, die Forderungen zukommt, für welche ein privater Gläubiger die sofortige Sicherstellung erwirkt hat.

Unter diesen Umständen erübrigt es sich aber, auf den Hinweis der Bundesregierung einzugehen, daß (und unter welchen Umständen) nach der Rechtsprechung der Gerichte (zuletzt OGH JBl. 1986, 394) auch die für Abgabenforderungen erworbenen Absonderunsrechte gegebenenfalls der Anfechtung nach §31 Abs1 Z2 KO unterliegen. Die im ersten Satz des §12 Abs1 KO angeordnete Ausnahme vom Erlöschen der kurz vor Konkurseröffnung erworbenen richterlichen Pfandrechte ist unter dem Blickwinkel der vom antragstellenden Gericht erhobenen Bedenken von vornherein nicht zu beanstanden.

Der Antrag ist daher abzuweisen.

Da von einer mündlichen Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten war, hat der Gerichtshof von einer mündlichen Verhandlung abgesehen (§19 Abs4 VerfGG).

Schlagworte

Insolvenzrecht, öffentliches Interesse, Abgaben öffentliche Privilegierung, Bevorrechtung der öffentlichen Hand

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:G81.1989

Dokumentnummer

JFT_10099385_89G00081_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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