TE Vwgh Erkenntnis 1992/11/26 90/06/0099

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Veröffentlicht am 26.11.1992
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Index

L37156 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Steiermark;
L82000 Bauordnung;
L82006 Bauordnung Steiermark;
001 Verwaltungsrecht allgemein;

Norm

BauO Stmk 1968 §3 Abs3;
BauO Stmk 1968 §3;
BauO Stmk 1968 §4 Abs1;
BauO Stmk 1968 §61 Abs2;
BauO Stmk 1968 §62;
BauRallg impl;
BauRallg;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde der E in G, vertreten durch Dr. J, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz vom 21. Juni 1990, Zl. A 17-K-4.904/1990-4, betreffend Nachbareinwendungen gegen eine Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: XY-GesmbH. in G, vertreten durch Dr. B, Rechtsanwalt in W, diese vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in G), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat der Landeshauptstadt Graz Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- sowie der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 11.360,-- jeweils binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte ist zunächst darauf hinzuweisen, daß die Beschwerdeführerin schon die der mitbeteiligten Partei mit Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz vom 3. November 1989 erteilte Widmungsbewilligung im Berufungsverfahren und mit Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erfolglos bekämpft hat (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Oktober 1991, Zl. 90/06/0057).

Zum nunmehrigen Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof führte ein Bescheid des Stadtsenates der Landeshauptstadt Graz vom 16. März 1990, mit dem der mitbeteiligten Partei die Baubewilligung zur Errichtung eines nicht unterkellerten, dreigeschoßigen Zubaues in Verlängerung des bestehenden Hofgebäudes mit ganz ausgebautem Dachgeschoß in massiver Ausführung auf dem Grundstück Nr. nn1, EZ 499, KG I, unter Festsetzung von Auflagen erteilt wurde. Der Erlassung dieses Bescheides war eine mündliche Verhandlung am 19. Oktober 1989 vorangegangen, zu der unter anderem die Beschwerdeführerin als Nachbarin unter Hinweis auf § 42 AVG geladen wurde. Hiebei brachte die Beschwerdeführerin vor, daß nachfolgende, von ihr bereits im Widmungsverfahren erhobene Einwendungen, auch für das Baubewilligungsverfahren aufrecht blieben: Die Steiermärkische Bauordnung kenne grundsätzlich nur zwei Bauweisen, die offene und die geschlossene. Beide Bauweisen könnten von der mitbeteiligten Partei nicht eingehalten werden. Die offene Verbauung sei im Stadtgebiet unzulässig und im übrigen schon wegen der Abstände nicht durchführbar. Die geschlossene Verbauung sei deshalb nicht realisierbar, weil sich im Falle der Verbauung zwischen dem zu errichtenden Bauwerk auf dem Grund der mitbeteiligten Partei einerseits und dem Hofgebäude auf der Liegenschaft der Beschwerdeführerin andererseits eine Reiche bilden würde. Das Hofgebäude der Beschwerdeführerin schließe nicht bündig an die Grundgrenze an, sondern reiche etwas zurück, sodaß im Falle der Bauführung durch die mitbeteiligte Partei unweigerlich eine Reiche gebildet werde, die jedoch gemäß § 4 der Steiermärkischen Bauordnung unzulässig sei. Es sei zwar richtig, daß sich zwischen den Häusern S-Straße 1 und S-Straße 2, welche im Mittelalter erbaut worden seien, eine schmale Reiche auf der Liegenschaft der Beschwerdeführerin befinde; soweit der Altbestand vorhanden sei, könne daran nichts geändert werden. Es sei aber grob gesetzwidrig, wenn nunmehr durch Errichtung eines Neubaues auf der Liegenschaft der Mitbeteiligten die zwischen dem Altbestand vorhandene Reiche fortgesetzt und somit neu gebildet werde. Zur Veranschaulichung legte die Beschwerdeführerin einen Auszug aus dem Katasterplan des Magistrates Graz-Stadtvermessungsamt bei. Die vorgebrachten Einwendungen der Beschwerdeführerin wurden als unbegründet abgewiesen.

Diesen Bescheid bekämpfte die Beschwerdeführerin mit Berufung, in der sie im wesentlichen geltend machte, durch Errichtung des gegenständlichen Zubaues in seiner gesamten Länge würde zwischen demselben und dem auf der Liegenschaft der Beschwerdeführerin auf den Grundstücken nn2 und nn3 KG I gelegenen Hofgebäude eine Reiche entstehen, die gemäß § 4 der Steiermärkischen Bauordnung verboten sei, weil die dort angeführte Mindestbreite wesentlich unterschritten würde. Eine Bauführung durch die mitbeteiligte Partei auf dem Grundstück nn4 mit Abstand von den Grundgrenzen würde aber nicht der für dieses Stadtgebiet vorgesehenen geschlossenen Verbauung entsprechen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 21. Juni 1990 wurde die Berufung der Beschwerdeführerin abgewiesen. In der Begründung wurde sie nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und der hier maßgeblichen Rechtslage im wesentlichen ausgeführt, das durch die Steiermärkische Bauordnung eingeräumte Wahlrecht, Gebäude an der Grundgrenze aneinander zu bauen oder einen ausreichenden Abstand einzuhalten, sei in vorliegender Beschwerdesache durch den rechtskräftigen Widmungsbewilligungsbescheid vom 3. November 1989, in welchem einem geschlossene Bebauung festgesetzt worden sei, verbraucht worden. Der Bauwerber sei infolge dessen dazu verpflichtet, mit 0,00 m Abstand zu den Nachbargrundgrenzen zu bauen und dürfe keine anderen Abstandsmöglichkeiten in Betracht ziehen. Sinn eines Widmungsbescheides sei es, gewisse Bebauungsgrundlagen, wie z.B. Dichte, Bebauungsgrad, Abstände, Gebäudehöhe oder dgl. festzusetzen und damit Maßstäbe zu schaffen, die über die Ausnützbarkeit eines Bauplatzes Aufschluß gäben. In der Widmungsbewilligung werde von der Baubehörde jener Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen sich eine künftige Bauführung auf dem Bauplatz bewegen müsse. Die Baubehörde habe bei einem konkreten Bauvorhaben in der Folge zu überprüfen, ob der geplante Bau innerhalb dieses Rahmens durchgeführt werde. Da im konkreten Fall aus beiliegenden Plänen hervorgehe, daß das geplante Bauvorhaben der festgelegten Widmung entsprechend ausgeführt werde, sei das Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach durch die Bauführung eine Reiche entstehe, im Bauverfahren nicht mehr zu berücksichtigen gewesen. Derjenige, auf dessen Liegenschaft ein Gebäude stehe, welches von der Grundgrenze nur durch eine Reiche getrennt sei, könne anläßlich einer Bauführung auf dem anrainenden Grundstück vom Nachbarn nicht die Einhaltung eines Abstandes zur Grundgrenze verlangen; vielmehr müsse im Falle einer Bauführung auf diesem Grundstück wegen des Verbotes der Reichenbildung ebenfalls unmittelbar an der Grundgrenze gebaut werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung desselben wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes.

Die belangte Behörde und die mitbeteiligte Partei beantragten in ihren Gegenschriften die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat hierüber erwogen:

Gemäß § 3 Abs. 3 der Steiermärkischen Bauordnung 1968, LGBl. Nr. 149 in der Fassung LGBl. Nr. 12/1985, (BO), sind in der Widmungsbewilligung u.a. die Abstände von anderen Gebäuden und von den Grundgrenzen festzusetzen.

Nach § 4 Abs. 1 erster Satz BO müssen Gebäude entweder unmittelbar aneinander gebaut werden oder von einander einen ausreichenden Abstand haben.

Gemäß § 4 Abs. 2 letzter Satz BO in der Fassung LGBl. Nr. 12/1985 sind Reichen, das sind Gebäudeabstände von weniger als 2 m, verboten.

Laut § 61 Abs. 2 BO in der Fassung LGBl. Nr. 14/1989 kann der Nachbar gegen die Erteilung der Baubewilligung Einwendungen erheben, wenn diese sich auf Bauvorschriften beziehen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarn dienen.

Diese Einwendungen sind in der Folge unter den lit. a bis k taxativ aufgezählt. Lit. d normiert ein subjektiv-öffentliches Recht des Nachbarn auf Einhaltung der Bestimmungen über die Abstände (u.a. § 4 BO).

Unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit des Inhaltes macht die Beschwerdeführerin geltend, zwischen ihrem Hofgebäude und dem unverbauten Nachbargrund nn4 bestehe vor Realisierung der geplanten Bauführung keine Reiche, sondern lediglich ein Abstand, der geringer als 2 m sei. Erst wenn die mitbeteiligte Partei auf Grund vorliegender Baubewilligung entlang der Grundgrenze bauen würde, entstünde eine Reiche, welche gegen das Verbot des § 4 Abs. 2 letzter Satz BO verstoße.

Zum Vorbringen der Beschwerdeführerin ist zunächst festzuhalten, daß die Prüfungsbefugnis der Berufungsbehörde und der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts nach ständiger Rechtsprechung seit dem Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Dezember 1980, Slg. N.F. Nr. 10.317/A, im Falle eines Rechtsmittels einer Partei des Verwaltungsverfahrens mit beschränktem Mitspracherecht, wie dies auf die Nachbarn nach § 61 Abs. 2 BO zutrifft, auf jene Fragen beschränkt ist, hinsichtlich deren dieses Mitspracherecht als ein subjektiv-öffentliches Recht besteht (vgl. hiezu z.B. das hg. Erkenntnis vom 26. September 1991, Zl. 90/06/0125). Ein derartiges beschränktes Mitspracherecht gewähren § 61 Abs. 2 lit. d in Verbindung mit § 4 Abs. 1 und § 4 Abs. 2 BO. Auch die prozessualen Rechte eines Nachbarn reichen nicht weiter als die ihm durch Rechtsnormen gewährleistete Sphäre materieller Rechte (vgl. in diesem Zusammenhang die hg. Erkenntnisse vom 27. September 1971, Zl. 167/71, vom 12. April 1984, Zl. 83/06/0246, BauSlg. 244, und vom 26. September 1991, Zl. 89/06/0035).

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 6. Dezember 1990, Zl. 89/06/0058, dargelegt hat, wird das im § 4 Abs. 1 BO eingeräumte Wahlrecht, entweder an der gemeinsamen Grundgrenze zu kuppeln oder von dieser einen entsprechenden Abstand einzuhalten, durch die zunächst erteilte Widmungsbewilligung, nicht aber erst durch eine Baubewilligung verbraucht. Im Verfahren über die Erteilung der Baubewilligung ist lediglich zu prüfen, ob die bewilligten Bauten in der Widmung gedeckt sind und ob alle Bauvorschriften eingehalten wurden. Eine neuerliche Bekämpfung der Widmung ist auf diesem Weg nicht zulässig (vgl. in diesem Zusammenhang das hg. Erkenntnis vom 8. Mai 1980, Zl. 199/79). Der Nachbar hat - in diesem Zusammenhang - im Baubewilligungsverfahren nur mehr die Möglichkeit, einzuwenden, daß das geplante Bauvorhaben gegen den Widmungsbescheid verstoße (Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. September 1990, Zl. 89/06/0100).

In gegenständlicher Beschwerdesache wurde durch den Widmungsbewilligungsbescheid vom 3. November 1989 eine geschlossene Bebauung vorgesehen. Da diese Festlegung für das Baubewilligungsverfahren bindende Wirkung entfaltet, ist die mitbeteiligte Partei nicht nur berechtigt, sondern sogar dazu verpflichtet, ohne Abstand zu den Nachbargrundgrenzen zu bauen. Insoweit ist auch auf die Frage der Reichenbildung nicht mehr einzugehen.

Wie aus den vorgelegten Planunterlagen ersichtlich ist, entspricht die von der mitbeteiligten Partei beabsichtigte Bautätigkeit durchaus der im angeführten Bescheid festgesetzten Widmung.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991, insbesondere auf deren Art. III Abs. 2; der Ersatz von Bundesstempeln war nur im erforderlichen Ausmaß zuzuerkennen.

Schlagworte

Planung Widmung BauRallg3Bauverfahren (siehe auch Behörden Vorstellung Nachbarrecht Diverses) Parteien BauRallg11/1Ermessen VwRallg8Bewilligungspflicht Bauwerk BauRallg4Baubewilligung BauRallg6Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv öffentliche Rechte BauRallg5/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1990060099.X00

Im RIS seit

03.05.2001

Zuletzt aktualisiert am

30.09.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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