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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1968 §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Großmann und die Hofräte Dr. Dorner, Dr. Kremla, Dr. Steiner und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Lammer, über die Beschwerde des P in W, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 28. April 1992, Zl. 4.316.254/2-III/13-91, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.120,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein ghanesischer Staatsangehöriger, reiste am 9. Mai 1991 in das Bundesgebiet ein, stellte am Tag danach einen Asylantrag und wurde am 16. Mai 1991 von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich niederschriftlich befragt. Dabei stellte sich - wie in der Niederschrift festgehalten ist - nach rund 1 1/2 Stunden heraus, daß der Beschwerdeführer, der (abgesehen von Angaben zu seinen Personaldaten) ständig widersprüchliche und verwirrte Angaben machte, in Ghana bei seiner Verhaftung brutal zusammengeschlagen und sowohl am Kopf als auch an der rechten Hand verletzt worden war. Angeblich war ihm dabei die rechte Hand gebrochen worden und leidet der Beschwerdeführer seit der Mißhandlung nach seinen Angaben an Gedächtnisschwund. Er sei nach den Mißhandlungen vier Monate in Spitalsbehandlung gewesen. Hinsichtlich seiner Fluchtgründe und seines Fluchtweges konnte der Beschwerdeführer bei seiner erstinstanzlichen Vernehmung keine Details angeben.
Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich stellte daraufhin mit Bescheid vom 17. Juni 1991 fest, daß auf den Beschwerdeführer die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention nicht zuträfen.
Dagegen berief der Beschwerdeführer wobei er folgendes vorbrachte.
Ende 1989 seien vier Soldaten in seine Autowerkstätte gekommen und hätten den Beschwerdeführer mit vorgehaltener Waffe zur Herausgabe von zwei Land Rover Fahrzeugen gezwungen. Kurz danach habe ein Putschversuch stattgefunden, der aber niedergeschlagen worden sei. Der Beschwerdeführer habe zu dieser Zeit vier Tage zu Hause verbracht. Als er wieder in seine Werkstätte gekommen sei, sei er von Soldaten über den Verbleib seiner beiden Autos befragt worden. Er sei verdächtigt worden, am Putschversuch beteiligt gewesen zu sein. Der Beschwerdeführer habe beteuert, weder beteiligt gewesen zu sein noch die Namen der Putschisten zu kennen. Die Soldaten hätten ihm aber nicht geglaubt, seine Werkstatt vollkommen zerstört und den Beschwerdeführer zum Hauptquartier mitgenommen. Er sei neuerlich verhört und dabei mißhandelt worden. Man habe ihm vorgehalten, Nachforschungen hätten seine Beteiligung am Putsch ergeben. Als er dies neuerlich bestritten habe, sei er bis zur Bewußtlosigkeit gefoltert worden. Er sei erst im Militärspital wieder erwacht. Von dort habe ihn seine Familie in der Nacht herausholen und außer Landes bringen können. Dazu beantragte der Beschwerdeführer seine persönliche Vernehmung und berief sich auf ein ärztliches Attest.
Mit Bescheid vom 28. April 1992 wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab und sprach aus, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes. In der Begründung lastete die belangte Behörde dem Beschwerdeführer hinsichtlich seiner Angaben in erster Instanz Unglaubwürdigkeit an, weil sein Gedächtnisverlust "ausgesprochen selektiven Charakters" sei, habe er doch zu den Fragen laut Punkt 1 bis 16 der Niederschrift schlüssige und detaillierte Angaben gemacht. Auch die Darstellung in der Berufung weise "keine hohe Glaubwürdigkeit" auf. Die belangte Behörde apostrophierte in diesem Zusammenhang eine "plötzliche Rückkehr des Gedächtnisses" des Beschwerdeführers und rügte die Berufung als "äußerst vage gehalten". Insbesondere sei der Umstand unwahrscheinlich und unglaubwürdig, daß es der Familie des Beschwerdeführers gelungen sein soll, ihn aus dem Militärkrankenhaus zu befreien. Ausdrücklich hielt die belangte Behörde dem Beschwerdeführer als Widerspruch den Umstand entgegen, er habe in erster Instanz von einem viermonatigen Spitalsaufenthalt gesprochen, hingegen in der Berufung behauptet, er sei im Militärspital aus der Bewußtlosigkeit erwacht und von seiner Familie des Nachts aus dem Spital geholt und außer Landes gebracht worden. Dazu komme, daß der Beschwerdeführer das angebotene ärztliche Attest nicht vorgelegt habe. Aus der Begründung des Berufungsantrages sei auch nicht schlüssig nachvollziehbar, warum Soldaten mit vorgehaltener Waffe zwei Autos aus der Werkstatt des Beschwerdeführers geraubt haben sollen, der Beschwerdeführer sich nur vier Tage zu Hause aufgehalten haben soll und dann wieder Soldaten zur Nachforschung gekommen sein sollen. Der Beschwerdeführer habe keine Angaben über den Ort der Vernehmung gemacht und nur die Folter "in den Raum gestellt". Auch könne nicht nachvollzogen werden, warum man gerade den Beschwerdeführer der Beteiligung am Putschversuch bezichtigt habe und woher diese Informationen gestammt haben sollten. Unzweifelhaft sei jedenfalls der Umstand, daß dem Beschwerdeführer ein Reisepaß mit Gültigkeit ab 31. Juli 1985 für die Dauer von zehn Jahren ausgestellt worden sei. Dieser Umstand sei ein Indiz dafür, daß er sich systemkonform verhalten habe. Eine Verhaltensänderung habe seinem Vorbringen nicht entnommen werden können und habe er dies ausdrücklich in der Begründung seines Berufungsantrages bestätigt. Es sei daher nicht einsichtig, warum Soldaten der Heimat des Beschwerdeführers ihn einer Beteiligung an einem Putschversuch bezichtigt haben sollen.
Insgesamt erachtete demzufolge die belangte Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers für nicht glaubhaft.
Dagegen richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Beschwerdeführer erachtet sich - aus dem Beschwerdeinhalt erkennbar - in seinem Recht auf Feststellung seiner Flüchtlingseigenschaft verletzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer rügt in Darstellung des von ihm behaupteten Beschwerdegrundes unter anderem auch die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung, wobei er betreffend sein erstinstanzliches Vorbringen ausdrücklich betont, daß er wegen seiner schweren Kopfverletzung manchmal längere Zeit brauche, um sich zu erinnern. Angesichts des Verdachtes, daß der Beschwerdeführer auf Grund schwerwiegender gesundheitlicher Probleme seine Fluchtgründe nicht ausreichend habe darstellen können, hätte eine weitere Vernehmung unter Beiziehung eines Arztes stattfinden müssen.
Diesem Argument kann sich der Verwaltungsgerichtshof nicht verschließen. Unter Berücksichtigung des Umstandes, daß laut dem von der erstinstanzlichen Behörde am 16. Mai 1991 (auf Grund des vom Beschwerdeführer unmittelbar gewonnen Eindruckes) aufgenommenen Aktenvermerk der Beschwerdeführer verwirrte Angaben machte und brutale Mißhandlungen sowie insbesondere eine Kopfverletzung behauptete, wäre die belangte Behörde in Erfüllung ihrer Ermittlungspflicht angesichts des keineswegs vagen sondern vielmehr sehr konkreten Berufungsvorbringens gehalten gewesen, den Beschwerdeführer neuerlich (und in der Sache erstmals) - und wegen der behaupteten Folterungen unter Beiziehung eines Arztes (vgl. dazu die bei Steiner, Österreichisches Asylrecht, Seite 22 Abs. 3 FN 48 referierte hg. Judikatur) bzw. Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens - zu vernehmen. Daß sie stattdessen bereits die erstinstanzlichen Behauptungen des Beschwerdeführers als unglaubwürdig abqualifizierte, weil er zu den Punkten 1 bis 16 der Niederschrift "schlüssige und detaillierte Angaben" gemacht habe, erweist sich selbst als unschlüssiges Argument. Die zitierten Punkte umfassen nämlich weitestgehend nur Personaldaten (Punkt 1, 2, 4, 5, 9 sowie 13 und 15), die überdies im wesentlichen auf Grund des vorgelegten Reisedokuments behandelt werden konnten. Sodann enthält dieser Teil der Niederschrift Belehrungen (Punkt 14) und hinsichtlich des Restes (Punkt 3, 6 sowie die Frage nach dem Militärdienst in Punkt 14) kann von detaillierten Angaben wohl keine Rede sein. Diesem Teil der Niederschrift kann jedenfalls kein solches Gewicht beigemessen werden, daß dadurch die Behauptungen des Beschwerdeführers, hinsichtlich der Fluchtgründe an verletzungsbedingtem Gedächtnisschwund zu leiden, von vornherein unglaubwürdig wären. Die belangte Behörde hätte daher in diesem besonders gelagerten Fall das Berufungsvorbringen als das erste konkrete Vorbringen des Beschwerdeführers werten und ihm zum Zwecke der Glaubhaftmachung Gelegenheit zu der von ihm beantragten Aussage geben müssen.
Auch die übrigen von der belangten Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung gebrauchten Argumente erweisen sich als unschlüssig. Insbesondere läßt sich aus dem Umstand, daß der Beschwerdeführer einen im Jahr 1985 ausgestellten Reisepaß hatte, noch keineswegs die Unglaubwürdigkeit seiner Behauptungen über die Vorfälle Ende des Jahres 1989 ableiten. Ebenso ist es nicht unschlüssig, wenn jemand, der (wenn auch gezwungen) an spätere "Putschisten" zwei geländegängige und damit auch für militärische Einsätze geeignete Fahrzeuge übergibt, nach Scheitern des Putsches von den Behörden einer Mitwirkung daran bezichtigt wird.
Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde bei Vermeidung der aufgezeigten Verfahrensfehler zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VO BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides Parteiengehör Erhebungen Ermittlungsverfahren Parteiengehör Verletzung des Parteiengehörs Verfahrensmangel Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel Sachverständigenbeweis Sachverständiger Erfordernis der Beiziehung ArztEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992010833.X00Im RIS seit
30.11.1992