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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §56;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des H in U, vertreten durch Dr. X, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 24. April 1992, Zl. 11-39 Su 5-91, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 24. April 1992 wurde dem Beschwerdeführer die Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, B, C, F und G gemäß § 73 Abs. 1 KFG 1967 für die Dauer von zwei Jahren, gerechnet von der Abnahme seines Führerscheines am 4. September 1991 an, entzogen und gemäß § 73 Abs. 2 KFG 1967 ausgesprochen, daß dem Beschwerdeführer während dieser Zeit keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes und infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides und des mit ihm bestätigten erstinstanzlichen Bescheides lenkte der Beschwerdeführer am 4. September 1991 um ca. 00.30 Uhr seinen Pkw auf der Autobahn A 9, Richtungsfahrbahn Süd, in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (Atemluftalkoholgehalt 0,59 mg/l) und entgegen der vorgesehenen Fahrtrichtung, indem er nach Übersehen der Autobahnausfahrt Wildon umkehrte und in entgegengesetzter Richtung fuhr, in der Folge, nachdem er umgekehrt und in der vorgesehenen Fahrtrichtung gefahren war, nach Übersehen der Autobahnausfahrt Vogau wiederum umkehrte und sodann auf dem Pannenstreifen neuerlich in entgegengesetzter Richtung fuhr. In diesem Verhalten erblickte die belangte Behörde bestimmte Tatsachen nach § 66 Abs. 2 lit. e und f KFG 1967. Auf Grund der außerordentlichen Verwerflichkeit dieses Verhaltens und der mit einer "Geisterfahrt" auf der Autobahn verbundenen besonderen Gefährlichkeit und Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern sei vor Ablauf der festgesetzten Zeit die Wiederherstellung der Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers nicht zu erwarten.
Der Beschwerdeführer wendet sich mit Recht nicht gegen das Vorliegen zweier bestimmter, seine Verkehrsunzuverlässigkeit indizierender Tatsachen nach § 66 Abs. 2 KFG 1967 (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. April 1992, Zl. 91/11/0116, wonach das Befahren einer Autobahn entgegen der vorgesehenen Fahrtrichtung grundsätzlich eine bestimmte Tatsache nach § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 bildet). Er hält den angefochtenen Bescheid deshalb für rechtswidrig, weil zum einen die Lenkerberechtigung unzulässigerweise rückwirkend entzogen worden sei und weil keinesfalls eine 18 Monate übersteigende Entziehungszeit hätte festgesetzt werden dürfen. Bei der Bemessung dieser Zeit sei der Behörde kein Ermessen eingeräumt. Die belangte Behörde habe nicht berücksichtigt, daß es sich bei der Tat vom 4. September 1991 um den ersten Verstoß des Beschwerdeführers gegen die Straßenverkehrsordnung handle, der Grad der Alkoholisierung relativ gering gewesen und ein Zusammenhang der "Geisterfahrt" mit der Alkoholbeeinträchtigung nicht nachgewiesen sei.
Nicht berechtigt ist die Auffassung, die Entziehung der Lenkerberechtigung bereits ab dem Tag der vorläufigen Abnahme des Führerscheines (4. September 1991) sei, weil zum Teil rückwirkend, rechtswidrig. Richtig ist, daß der Verwaltungsgerichtshof unter anderem in seinem vom Beschwerdeführer zitierten Erkenntnis vom 16. Mai 1984, Zl. 82/11/0256, ausgesprochen hat, die rückwirkende Entziehung der Lenkerberechtigung sei unzulässig. Der Beschwerdeführer läßt aber bei diesem Hinweis die Änderung der Rechtslage durch die 12. Kraftfahrgesetz-Novelle, BGBl. Nr. 375/1988, außer acht. Nach dem durch diese Novelle dem § 73 angefügten Abs. 4 ist dann, wenn der Führerschein gemäß § 76 vorläufig abgenommen und nicht wieder ausgefolgt wurde (ein solcher Fall liegt hier nach der Aktenlage vor), die im Abs. 2 oder 3 angeführte Zeit ab dem Tag der vorläufigen Abnahme zu berechnen. Aus dem Zusammenhang dieser Bestimmung mit den Absätzen 2 und 3 ergibt sich, daß das Gesetz nunmehr eine Entziehung der Lenkerberechtigung ab dem Tag der vorläufigen Abnahme des Führerscheines - und damit in Ansehung der Zeit vor Erlassung des Entziehungsbescheides rückwirkend - kennt (vgl. auch Grundtner, Verfahren zur Entziehung der Lenkerberechtigung im Lichte der 12. KFGNov, ZVR 1989, 263).
Zutreffend führt der Beschwerdeführer aus, der Behörde sei bei der Bemessung der Zeit nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 kein Ermessen eingeräumt (vgl. zur diesbezüglichen ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sein Erkenntnis vom 12. Juni 1990, Zl. 90/11/0045, mit weiteren Judikaturhinweisen. Unverständlich und unrichtig ist daher, daß die Beschwerde gleichzeitig von der "Handhabung des Ermessens gemäß Artikel 130 B-VG" spricht). Wie die Beschwerde weiters zutreffend ausführt, ist für die besagte Bemessung der Zeit eine Prognose darüber zu erstellen, innerhalb welcher Zeit die Wiederherstellung der Verkehrszuverlässigkeit erwartet werden kann, und hat diese Prognose anhand der Wertungskriterien des § 66 Abs. 3 KFG 1967 zu erfolgen. Maßgebend sind demnach die Verwerflichkeit des strafbaren Verhaltens des Beschwerdeführers, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen es gesetzt wurde, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit. In diesem Sinne hat die belangte Behörde mit Recht die Begehung eines Alkoholdeliktes als in hohem Maße verwerflich gewertet. Dazu kommt die Verwerflichkeit und die außerordentliche Gefährlichkeit des Befahrens der Autobahn entgegen der vorgesehenen Fahrtrichtung. Beide Umstände fallen schwerwiegend zum Nachteil des Beschwerdeführers ins Gewicht. Den Kriterien der "seither verstrichenen Zeit" und des "Verhaltens während dieser Zeit" kommt im Hinblick auf die Kürze dieser Zeit bis zum Beginn der Entziehungsmaßnahme (2 Monate) noch keine maßgebliche Bedeutung zu. Auf den Nachweis eines Zusammenhanges zwischen der Alkoholbeeinträchtigung des Beschwerdeführers und der Übertretung nach § 46 Abs. 4 lit. a StVO 1960 kommt es hiebei nicht an. Zugunsten des Beschwerdeführers fällt allerdings ins Gewicht, daß es sich bei der Tat vom 4. September 1991 nach seinem Vorbringen um den "ersten Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung" gehandelt hat (dies hat der Beschwerdeführer laut Niederschrift vom 11. Oktober 1991 bereits gegenüber der Erstbehörde vorgebracht; die belangte Behörde hat keine gegenteiligen Feststellungen getroffen, allerdings nach der Aktenlage insoweit auch keine Ermittlungen gepflogen). In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß es sich bei dem Geschehen vom 4. September 1991 trotz Vorliegens zweier bestimmter Tatsachen nach § 66 Abs. 2 KFG 1967 unter dem Gesichtspunkt der Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers um einen einzigen Vorfall handelt (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Jänner 1991, Zl. 90/11/0175). Unter der Annahme der bisherigen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers - welchem Umstand der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung große Bedeutung beimißt (vgl. das soeben genannte Erkenntnis sowie jenes vom 7. April 1992, Zl. 91/11/0116) - hätte die belangte Behörde mit einer nicht unerheblich kürzeren Zeit das Auslangen finden müssen. Die Gesetzwidrigkeit der Bemessung der Zeit nach § 73 Abs. 2 KFG 1967 führt mangels Trennbarkeit dieses Ausspruches vom übrigen Inhalt eines Entziehungsbescheides (vgl. die diesbezüglichen Ausführungen im Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. November 1983, Slg. 11237/A) zur gänzlichen Aufhebung des angefochtenen Bescheides nach § 42 Abs. 1 Z. 1 VwGG.
Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Schlagworte
Trennbarkeit gesonderter AbspruchMaßgebender Bescheidinhalt Inhaltliche und zeitliche Erstreckung des Abspruches und der RechtskraftIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992110155.X00Im RIS seit
11.07.2001Zuletzt aktualisiert am
24.06.2009