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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlaßfallLeitsatz
Anlaßfallwirkung einer Gesetzesaufhebung durch den Verfassungsgerichtshof für die innerhalb der im Spruch des aufhebenden Erkenntnisses gesetzten Frist verwirklichten TatbeständeSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Burgenland ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden des Beschwerdevertreters die mit 15.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. §25 Abs1 des (insbesondere die dienstrechtliche Stellung der Gemeindeärzte und Kreisärzte regelnden) Gemeindesanitätsgesetzes 1971, LGBl. f. d. Burgenland 14/1972, idF der Novelle LGBl. 28/1980 hat folgenden Wortlaut:
"(1) Soweit dieses Gesetz nicht anderes bestimmt, sind die Bestimmungen des Pensionsgesetzes 1965, BGBl. Nr. 340, sowie die §§13, 14 Abs1 und 3 bis 6, 16 Abs1 Z. 1, Abs2 und 3 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979, BGBl. Nr. 333, in ihrer jeweils für Landesbeamte geltenden Fassung sinngemäß anzuwenden."
Mit dem am 15. März 1990 (ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung) gefällten Erkenntnis G10/90 sprach der Verfassungsgerichtshof aus, daß die in der wiedergegebenen Gesetzesvorschrift enthaltene Wendung "die Bestimmungen des Pensionsgesetzes 1965, BGBl. Nr. 340, sowie" bis zum Ablauf des 30. Juni 1988 verfassungswidrig war sowie daß diese Gesetzesbestimmung auf die bis zum Ablauf des 30. Juni 1988 verwirklichten Tatbestände nicht mehr anzuwenden ist. Der Gerichtshof hielt an seiner Rechtsprechung fest, daß dienstrechtliche Ruhensbestimmungen wie §40a des PensionsG 1965 und inhaltlich entsprechende Gesetzesvorschriften mit dem Gleichheitsgebot nicht vereinbar sind, und befand die erwähnte Wendung im §25 Abs1 des GemeindesanitätsG 1971 (idF der Novelle LGBl. 28/1980) deshalb als verfassungswidrig, weil sie den persönlichen Geltungsbereich des für die Landesbeamten als landesrechtliche Vorschrift geltenden (und bis einschließlich 30. Juni 1988 anzuwendenden) §40a des PensionsG 1965 auf die Gemeinde- und Kreisärzte ausdehnte.
2. Der Beschwerdeführer steht als Kreisarzt des Ruhestandes in einem öffentlich-rechtlich Dienstverhältnis zu einem burgenländischen Sanitätskreis. Mit Bescheid vom 29. Jänner 1990 sprach die Burgenländische Landesregierung im Hinblick auf ein Erwerbseinkommen des Beschwerdeführers unter Berufung auf §25 Abs1 des GemeindesanitätsG 1971 (idF der Novelle LGBl. 28/1980) sowie auf §40a des PensionsG 1965 aus, daß sein Ruhebezug ab 1. Juni bis einschließlich 31. Dezember 1987 monatlich in bestimmter, ziffernmäßig angeführter Höhe (nämlich einem Betrag im Ausmaß von 50 % des Anfangsgehaltes der Verwendungsgruppe E) zu ruhen hatte. Dieser Bescheid ist Gegenstand der am 8. März 1990 eingebrachten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
1. Wie aus Art140 Abs7 B-VG hervorgeht, ist ein vom Verfassungsgerichtshof im Gesetzesprüfungsverfahren als verfassungswidrig erkanntes Gesetz im Anlaßfall nicht mehr anzuwenden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs sind einem Anlaßfall im engeren Sinn alle jene Fälle gleichzuhalten, die im Zeitpunkt des Beginns der mündlichen Verhandlung im Prüfungsverfahren, bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in jenem des Beginns der nichtöffentlichen Beratung über eine in der Beschwerdesache präjudizielle Gesetzesstelle anhängig sind (VfSlg. 10616/1985 u.a.). Obwohl die vorliegende Beschwerde noch vor der Fällung des Gesetzesprüfungserkenntnisses G10/90 (15. März 1990) eingebracht wurde, kommt die Sache als Anlaßfall im eben beschriebenen, weiteren Sinn nicht in Betracht, weil die nichtöffentliche Beratung in der Gesetzesprüfungssache bereits am 1. März 1990 begonnen hatte.
Die Beschwerde ist jedoch im Hinblick auf den oben wiedergegebenen Ausspruch im Gesetzesprüfungsverfahren gerechtfertigt, daß die als verfassungswidrig befundene Gesetzesbestimmung auf die bis zum Ablauf des 30. Juni 1988 verwirklichten Tatbestände nicht mehr anzuwenden ist; aus der zeitlichen Lagerung des mit dem angefochtenen Bescheid verfügten Ruhendstellen eines Pensionsteils (1. Juni bis 31. Dezember 1987) folgt nämlich, daß der Bescheid nicht mehr auf §25 Abs1 des GemeindesanitätsG 1971 gestützt werden kann. Da es offenkundig ist, daß die Rechtssphäre des Beschwerdeführers durch die Anwendung der als verfassungswidrig befundenen Wendung in dieser Gesetzesbestimmung nachteilig berührt wurde, ist der angefochtene Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes aufzuheben (vgl. dazu B761/89 vom 15. März 1990).
2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VerfGG; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen 2.500 S auf die Umsatzsteuer.
III. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 Z2 VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung gefällt.
Schlagworte
VfGH / Anlaßfall, VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / FristsetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1990:B306.1990Dokumentnummer
JFT_10099382_90B00306_00