TE Vwgh Erkenntnis 1992/12/1 91/11/0133

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Veröffentlicht am 01.12.1992
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §18 Abs4;
AVG §58 Abs3;
BeglaubigungsV 1925 §4;
KFG 1967 §66 Abs1;
KFG 1967 §66 Abs2 litf;
KFG 1967 §66 Abs3;
KFG 1967 §73 Abs2;
KFG 1967 §74 Abs1;
StVO 1960 §16 Abs1 lita;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Waldner, Dr. Bernard, Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des D in I, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in I, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 9. August 1991, Zl. IIb2-K-2128/6-1991, betreffend vorübergehende Entziehung der Lenkerberechtigung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 21. Jänner 1991 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 74 Abs. 1 KFG 1967 die Lenkerberechtigung für die Gruppen A und B wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 vorübergehend auf die Dauer von zwölf Monaten, gerechnet ab Zustellung des Bescheides (das war der 28. Jänner 1991), entzogen. Mit dem nun angefochtenen Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 9. August 1991 wurde die Berufung des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen; gleichzeitig wurde der Spruch des Bescheides der Erstbehörde dahin präzisiert, daß sich die Entziehung der Lenkerberechtigung auf das Vorliegen der mangelnden Verkehrszuverlässigkeit nach § 66 Abs. 2 lit. f zweiter Fall KFG 1967 stützt.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig aufzuheben; in eventu in Stattgebung der Beschwerde "das bisherige für nichtig zu erklären und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die Erstinstanz zurückzuverweisen"; in eventu dem Beschwerdeführer "die Lenkerberechtigung wieder zu erteilen".

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer stützt sich vorerst darauf, daß der angefochtene Bescheid nichtig sei, weil ihm die Unterfertigung des Landeshauptmannes bzw. des entscheidenden Organes Dr. X fehle und das zugestellte Berufungserkenntnis nicht Ausdruck einer Amtshandlung sein könne.

Dem ist zu entgegnen, daß anstelle der Unterschrift des Genehmigenden auch die Beglaubigung der Kanzlei treten kann, worauf die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift zutreffend hinweist. Schriftlich ausgefertigte Bescheide haben zufolge des § 58 Abs. 3 AVG den Vorschriften des § 18 Abs. 4 AVG zu entsprechen. Nach der zuletzt genannten Bestimmung (erster und zweiter Satz) müssen alle Ausfertigungen mit der unter leserlicher Beifügung des Namens abgegebenen Unterschrift dessen versehen sein, der die Erledigung genehmigt hat. An die Stelle der Unterschrift des Genehmigenden kann die Beglaubigung der Kanzlei treten, daß die Ausfertigung mit der Erledigung des betreffenden Geschäftsstückes übereinstimmt und das Geschäftsstück die eigenhändig beigesetzte Genehmigung aufweist. Die Beglaubigung ist nach § 4 der Verordnung der Bundesregierung vom 28. Dezember 1925, BGBl. Nr. 445, in der Weise vorzunehmen, daß am Schluß der schriftlichen Ausfertigung der Name desjenigen, der die Erledigung genehmigt hat, wiedergegeben und sodann die Klausel "Für die Richtigkeit der Ausfertigung" beigesetzt und vom Angestellten mit seinem Namen eigenhändig unterschrieben wird. Diesen Anforderungen wird jedoch die Ausfertigung des angefochtenen Bescheides gerecht, weil sie neben dem Namen desjenigen, der die Erledigung genehmigt hat, auch die Klausel "F.d.R.d.A." und die Unterschrift des Angestellten der Geschäftskanzlei trägt.

Die belangte Behörde begründet die bekämpfte Entziehungsmaßnahme damit, daß der Beschwerdeführer am 6. Mai 1990 als Lenker eines Pkws (Sportwagen) einen Verkehrsunfall verschuldet habe, indem er mit erheblich überhöhter Geschwindigkeit beim Auslauf einer leichten Linkskurve gegen eine Felsenbegrenzung gefahren und in der Folge gegen einen entgegenkommenden Pkw gestoßen sei. Bei diesem Unfall sei der Beifahrer des Beschwerdeführers tödlich und seien die zwei Insassen des entgegenkommenden Fahrzeuges lebensgefährlich verletzt worden. Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 10. Dezember 1990 sei der Beschwerdeführer deshalb des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB und der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 4 erster Fall StGB schuldig erkannt worden. Auf Grund des im Gerichtsverfahren eingeholten Gutachtens sei als erwiesen angenommen worden, daß der Verkehrsunfall durch die Einhaltung einer überhöhten Fahrgeschwindigkeit von ZUMINDEST 100 km/h durch den Beschwerdeführer verursacht worden sei. Nach den Ausführungen des Sachverständigen dürfte der "wahrscheinliche Bereich seiner Annäherungsgeschwindigkeit bei etwa 145 km/h" gelegen haben. Auf Grund des von der belangten Behörde eingeholten verkehrstechnischen Amtssachverständigengutachtens habe sich ergeben, daß der Streckenabschnitt, wo sich der Unfall zugetragen habe, vom Straßenverlauf, von den vorhandenen Sichtweiten und von der Beengtheit her äußerst gefährlich sei. Insbesondere sei keinerlei Platz für ein Ausweichmanöver. Der Grundsatz "Fahren auf Sicht" hätte unter Berücksichtigung der Unfallsörtlichkeit die Einhaltung einer Fahrgeschwindigkeit von 80 bis 85 km/h erfordert. Das Gefahrenzeichen "Achtung Steinschlag" deute darauf hin, daß möglicher Rollsplitt oder Sand auf der Fahrbahn den Reibbeiwert und somit auch die maximal erreichbare Verzögerung beträchtlich reduziere. Die belangte Behörde ging daher davon aus, daß der Entziehungsgrund nach § 66 Abs. 2 lit. f zweiter Fall KFG 1967 vorliege.

Die Beschwerde stützt sich im wesentlichen darauf, daß die Entziehung der Lenkerberechtigung des Beschwerdeführers zu Unrecht erfolgt sei. Die belangte Behörde gehe von falschen Sachverhaltsvoraussetzungen aus, es ergebe sich keinerlei Grundlage für die Annahme einer vom Beschwerdeführer vor dem Unfall eingehaltenen Geschwindigkeit von etwa 145 km/h, sondern man könne "schlechtestenfalls" unter Berücksichtigung des Gutachtens des Amtssachverständigen davon ausgehen, daß der Beschwerdeführer die nicht als wesentlich überhöht anzusehende Geschwindigkeit von 98 km/h eingehalten habe, aber auch das werde bestritten. Die belangte Behörde habe darüber hinaus das Wohlverhalten des Beschwerdeführers sowohl vor dem Unfall als auch danach bis zur Erlassung des Bescheides der Erstinstanz nicht hinreichend beachtet, abgesehen davon, daß sie keine Feststellungen über eine bestimmte Tatsache nach § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 getroffen habe. Schon auf Grund des Strafverfahrens ergebe sich, daß der Beschwerdeführer weder unter besonders gefährlichen Verhältnissen noch rücksichtslos gehandelt habe. Aber auch wenn man davon ausgehe, daß die Entziehung der Lenkerberechtigung gerechtfertigt wäre, sei jedenfalls der festgesetzte Zeitraum zu lang.

Es ist zunächst zu prüfen, ob im Verhalten des Beschwerdeführers vom 6. Mai 1990 eine bestimmte Tatsache nach § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967 erblickt werden kann, die die Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers indiziert. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 19. Mai 1992, Zl. 92/11/0059, mit weiteren Judikaturhinweisen) kann von einer solchen bestimmten Tatsache grundsätzlich nicht bereits dann die Rede sein, wenn eine Übertretung einer Verkehrsvorschrift mit der für eine solche Übertretung typischen Gefährlichkeit oder Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Straßenbenützern erfolgt.

Auszugehen ist davon, daß der Beschwerdeführer unter Mißachtung eines Überholverbotes nach § 16 Abs. 1 lit. a StVO 1960 unter besonders gefährlichen Verhältnissen und mit besonderer Rücksichtslosigkeit - worauf noch eingegangen wird - ein Fahrverhalten setzte, das dazu führte, daß er die Straßenbegrenzung streifte und mit einem Fahrzeug des Gegenverkehrs zusammenstieß. Die belangte Behörde hat zutreffend auch die näheren Umstände berücksichtigt, wie sie an der Unfallsörtlichkeit vorliegen: Auf Grund des Gutachtens des Amtssachverständigen ergibt sich, daß der Streckenabschnitt, in dem die Unfallsörtlichkeit gelegen ist, als äußerst gefährlich zu bezeichnen ist. Insbesondere wurde auf die aufeinanderfolgenden starken Richtungsänderungen und die ständig wechselnden Sichtweiten hingewiesen; zu berücksichtigen war ferner, daß es sich um eine enge Fahrbahn und um eine, von Felsen bzw. einer Steinbegrenzung zu beiden Seiten abgeschlossene Straße handelte, die keinerlei Platz für ein Ausweichmanöver bot. Zudem hätte vom Beschwerdeführer beachtet werden müssen, daß möglicher Rollsplitt oder Sand auf der Fahrbahn durch die beträchtliche Verminderung des Reibbeiwertes den Brems- und damit auch den Anhalteweg verlängert. Vor allem ist aber auch, wie sich aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes, insbesondere aus den angeschlossenen Zeugenaussagen ergibt, zu beachten, daß das Verhalten des Beschwerdeführers von besonderer Rücksichtslosigkeit gegenüber den Teilnehmern des Gegenverkehrs geprägt war. Wie sich aus den Angaben der Zeugen E und F ergibt, überholte der Beschwerdeführer mit seinem Kraftfahrzeug - ungeachtet des vom Amtssachverständigen dargestellten beengten und äußerst gefährlichen Straßenverlaufes - im Kurvenbereich trotz des Herannahens des Gegenverkehrs und benützte den für den Gegenverkehr bestimmten Fahrstreifen bis unmittelbar vor das stark abbremsende Fahrzeug Langers (vgl. u.a. dessen Aussage, S 119 des Strafaktes). Die aufgezeigte Verhaltensweise des Beschwerdeführers führte dazu, daß er - trotz trockener Fahrbahn und guten Sichtverhältnissen - eine Felsenbegrenzung der Straße streifte und ins Schleudern geriet. Auf die Unfallsfolgen kommt es im gegebenen Zusammenhang nicht an (vgl. hiezu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Jänner 1992, Zl. 91/11/0080). Im beschriebenen Verhalten des Beschwerdeführers liegt jedenfalls eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 66 Abs. 2 lit. f KFG 1967, welche im Sinne des § 66 Abs. 3 KFG 1967 dahin zu werten ist, daß die Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers fehlt.

Zutreffend wendet sich der Beschwerdeführer jedoch gegen die Dauer der ausgesprochenen Entziehungsmaßnahme. Gemäß § 74 Abs. 1 letzter Satz KFG 1967 finden die Bestimmungen des § 73 sinngemäß Anwendung. Bei Festlegung der Zeit nach dessen Abs. 2 ist vornehmlich von den Kriterien des § 66 Abs. 3 KFG 1967 auszugehen. Die belangte Behörde ist im Recht, daß sie die Verwerflichkeit der Handlungsweise des Beschwerdeführers hoch veranschlagt hat. Die seit dem Vorfall vom 6. Mai 1990 bis zur Erlassung des Bescheides der Erstbehörde (28. Jänner 1991) verstrichene Zeit ist im vorliegenden Zusammenhang in bezug auf die Prüfung des Wohlverhaltens des Beschwerdeführers schon im Hinblick auf das wegen des gegenständlichen Vorfalles anhängige Strafverfahren vor dem Landesgericht Innsbruck (Urteilsfällung am 10. Dezember 1990) von geringer Bedeutung.

Die Annahme, die Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers werde voraussichtlich erst nach Ablauf von zwölf Monaten ab Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides (am 28. Jänner 1991), somit nach Ablauf von nahezu 21 Monaten ab Begehung der Tat vom 6. Mai 1990 gegeben sein, entspricht jedoch nicht dem Gesetz. Die belangte Behörde hat wohl im angefochtenen Bescheid angeführt, daß sie die bisherige Unbescholtenheit des Beschwerdeführers berücksichtige, sie hat diesem Umstand jedoch nicht das gebotene Gewicht beigemessen. Der Umstand, daß der Beschwerdeführer bisher ohne Vorstrafen war, spielt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 19. Februar 1988, Zl. 87/11/0247) eine entscheidende Rolle. In Fällen wie dem vorliegenden ist eine Entziehungsdauer von insgesamt nahezu 21 Monaten ab dem Grundlage der Entziehung bildenden Vorfall zu lang. Auch wenn der Beschwerdeführer ein erhebliches Maß an Rücksichtslosigkeit bei diesem Vorfall an den Tag legte, ist im Hinblick auf sein bis dahin gezeigtes Wohlverhalten anzunehmen, daß es nicht eines derart langen Zeitraumes bedarf, um wieder seine Verkehrszuverlässigkeit annehmen zu können.

Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft Stempelgebühren für nicht erforderliche Beilagen (es waren dem Beschwerdeführer lediglich S 360,-- für die dreifach einzubringende Beschwerde und S 30,-- für den angefochtenen, aus einem Bogen bestehenden Bescheid zu ersetzen).

Schlagworte

Beglaubigung der Kanzlei Unterschrift des Genehmigenden

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1991110133.X00

Im RIS seit

12.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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