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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
FrPolG 1954 §3 Abs1 idF 1987/575;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des G in N, vertreten durch Dr. L, Rechtsanwalt in O, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland X vom 24. Mai 1992, Zl. I-1279/5/91, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 11.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit Bescheid vom 19. November 1991 erließ die Bezirkshauptmannschaft O gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen der Bundesrepublik Deutschland, gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 4 Fremdenpolizeigesetz ein unbefristetes Aufenthaltsverbot für das ganze Bundesgebiet.
Begründend wurde ausgeführt, gegen den Beschwerdeführer sei am 25. April 1991 vom Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe Anklage erhoben worden, in der Zeit von 1974 bis Anfang 1990 für den Geheimdienst einer fremden Macht eine geheimdienstliche Agententätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausgeübt zu haben, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet gewesen sei. Dem Beschwerdeführer werde vorgeworfen, sich im Jahre 1974 gegenüber der "Verwaltung Aufklärung" der "Nationalen Volksarmee" der DDR aus finanziellen Gründen zur nachrichtendienstlichen Mitarbeit verpflichtet zu haben.
Offensichtlich im Hinblick auf den in Deutschland bestehenden Haftbefehl und um sich der Strafverfolgung durch die deutsche Justiz zu entziehen, sei der Beschwerdeführer am 20. August 1991 als Tourist nach Österreich eingereist und habe am 23. August 1991 bei der Bundespolizeidirektion einen Antrag auf Erteilung eines unbefristeten Sichtvermerkes gestellt.
Es laufe österreichischen Interessen zuwider, einem Fremden den Aufenthalt im Bundesgebiet zu gestatten, gegen den der dringende Tatverdacht der geheimdienstlichen Tätigkeit bestehe. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers widerspreche daher der öffentlichen Ruhe, Ordnung und der nationalen Sicherheit, weshalb die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegeben seien.
Die gemäß § 3 Abs. 3 Fremdenpolizeigesetz gebotene Interessenabwägung falle zu Ungunsten des Beschwerdeführers aus, weil er keine nähere Bindung zu Österreich habe. Im Hinblick auf die Kürze des Aufenthaltes könne von einer Integration nicht gesprochen werden. Eine Beeinträchtigung des beruflichen Fortkommens trete nicht ein, weil der Beschwerdeführer in Österreich nicht beschäftigt sei.
2. Der vom Beschwerdeführer dagegen erhobenen Berufung gab die Sicherheitsdirektion (die belangte Behörde) mit Bescheid vom 24. Mai 1992 keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid. Begründend führte die belangte Behörde aus, sie teile die Auffassung der erstinstanzlichen Behörde. Die Tatsache des aufrechten Haftbefehles gegen den Beschwerdeführer sei als Erhärtung des Tatverdachtes anzusehen. Das Aufenthaltsverbot verletze nicht die Unschuldsvermutung, da es nicht auf die Erwiesenheit der Anklage, sondern auf den durch die Anklageerhebung zutage getretenen Tatverdacht gestützt werde. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers werde durch das Aufenthaltsverbot das Verbot der Auslieferung wegen politischer Delikte nicht unterlaufen; nach Rechtskraft des Aufenthaltsverbotes stehe es dem Beschwerdeführer frei, in einen Staat seiner Wahl auszureisen.
Aus der vom Beschwerdeführer geäußerten Hoffnung, der Bundesverfassungsgerichtshof werde dem Antrag des Beschwerdeführers folgen und das gesamte Strafverfahren und damit auch den Haftbefehl aufheben, sei für den Beschwerdeführer nichts zu gewinnen, weil es bis jetzt nicht den geringsten Hinweis auf eine solche Entscheidung gebe. Die vom Beschwerdeführer behauptete Geschäftstätigkeit für eine näher bezeichnete Gesellschaft beziehe sich nach seinem Vorbringen auf den südosteuropäischen Raum; diese Tätigkeit sei auch von anderen mitteleuropäischen Staaten aus möglich. Dasselbe gelte für die Abwicklung seines in der Bundesrepublik Deutschland noch bestehenden Unternehmens.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
II.
1.1. Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des § 3 Abs. 1 und 3 Fremdenpolizeigesetz lauten:
"§ 3 (1) Gegen einen Fremden kann ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, daß sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950, BGBl. Nr. 210/1958, genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.
(3) Würde durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist seine Erlassung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 genannten Ziele dringend geboten ist. In jedem Fall ist ein Aufenthaltsverbot nur zulässig, wenn nach dem Gewicht der maßgebenden öffentlichen Interessen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen, als seine Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf folgende Umstände Bedacht zu nehmen:
1. die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen;
2.
die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen;
3.
die mögliche Beeinträchtigung des beruflichen oder persönlichen Fortkommens des Fremden oder seiner Familienangehörigen."
1.2. Art. 8 Abs. 2 der im § 3 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz genannten Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten lautet:
"(2) Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist."
2. Vorauszuschicken ist, daß das dem Beschwerdeführer in der Bundesrepublik Deutschland vorgeworfene Verhalten keine in Österreich strafbare Handlung darstellt, und zwar auch nicht das Vergehen des militärischen Nachrichtendienstes für einen fremden Staat nach § 319 des (österreichischen) StGB, weil bei diesem Delikt Tatbestandsvoraussetzung die Errichtung, der Betrieb oder die Unterstützung eines solchen Nachrichtendienstes im Inland ist, der Beschwerdeführer seine Tätigkeit jedoch nach der Aktenlage nicht in Österreich entfaltet hat.
3. Die belangte Behörde hat - durch die Übernahme der erstinstanzlichen Begründung - die Auffassung vertreten, es laufe "österreichischen Interessen" zuwider, einem Fremden den Aufenthalt im Bundesgebiet zu gestatten, gegen den der dringende Tatverdacht der geheimdienstlichen Tätigkeit bestehe. Der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet "widerspreche daher der öffentlichen Ruhe, Ordnung und der nationalen Sicherheit".
Konkrete Anhaltspunkte für die entscheidungswesentliche Annahme, der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich "widerspreche der öffentliche Ruhe, Ordnung und der nationalen Sicherheit" enthält der angefochtene Bescheid allerdings nicht. Die Tatsache allein, daß in der Bundesrepublik Deutschland wegen eines in Österreich nicht strafbaren Verhaltens Anklage erhoben wurde und diesbezüglich begründeter Verdacht besteht, rechtfertigt die im § 3 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz umschriebene Annahme nicht. Insoweit hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt.
4. Die in der Gegenschrift der belangten Behörde enthaltenen Ausführungen können schon deshalb keine taugliche Begründung für den angefochtenen Bescheid abgeben, weil solche Ausführungen fehlende Erörterungen und Feststellungen im angefochtenen Bescheid nicht zu ersetzen vermögen (siehe die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Auflage, Seite 607 zitierte hg. Rechtsprechung).
Im übrigen stellt die belangte Behörde in der Gegenschrift klar, sie habe nicht angenommen, daß der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährde, sondern daß er den im Art. 8 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten genannten öffentlichen Interessen der nationalen Sicherheit sowie der öffentlichen Ruhe und Ordnung zuwiderlaufe. Soweit die belangte Behörde in diesem Zusammenhang argumentiert, dem Begriff der nationalen Sicherheit sei auch das Vertrauen zur österreichischen Innen- und Außenpolitik "im Verhältnis zu benachbarten und anderen demokratischen Staaten westlicher Prägung" zuzuordnen, das mit Grund beeinträchtigt werden könne, wenn dem Beschwerdeführer bei der geschilderten Sachlage der Aufenthalt im Bundesgebiet behördlich gestattet und nicht mit der bekämpften Maßnahme verboten werde, so ist ihr zu entgegnen, daß es sich bei der Straftat, derentwegen der Beschwerdeführer in der Bundesrepublik Deutschland angeklagt wurde, um ein Delikt handelt, dessentwegen er nach den bestehenden Vorschriften nicht ausgeliefert werden darf. Sohin kann das Vertrauen der von der belangten Behörde genannten Staaten zur österreichischen Innen- und Außenpolitik nicht dadurch beeinträchtigt werden, daß Österreich in solchen Fällen kein Aufenthaltsverbot erläßt.
Die Richtigkeit der Behauptung, daß die durch den Ost-West-Konflikt in Mitleidenschaft gezogene österreichische Bevölkerung dem Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich kein Verständnis entgegenbringe, kann dahinstehen, weil der von der belangten Behörde daraus gezogene Schluß, der Aufenthalt des Beschwerdeführers sei "mit den Interessen der Ruhe und Ordnung nicht in Einklang zu bringen", nicht nachvollziehbar ist.
5. Abschließend sei klargestellt, daß die in diesem Erkenntnis enthaltenen Erwägungen keine Aussage darüber enthalten, in welcher Weise der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Sichtvermerkes zu erledigen ist.
6. Aus den im Punkt II. 3. genannten Gründen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil an Stempelgebühren nur S 390,-- (S 360,-- Eingabengebühr und S 30,-- Beilagengebühr für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides) zuerkannt werden konnten.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992180310.X00Im RIS seit
11.07.2001