Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AsylG 1991 §12;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Stoll, Dr. Zeizinger, Dr. Sauberer und Dr. Graf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Wildmann, über die Beschwerde des G in V, vertreten durch Dr. H, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 23. September 1992, Zl. St-110/2/92, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 23. September 1992 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, ein auf § 3 Abs. 2 Z. 6 iVm § 4 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. Nr. 75/1954 idF BGBl. Nr. 575/1987, (FrPolG) gestütztes unbefristetes Aufenthaltsverbot für das ganze Bundesgebiet erlassen.
Zur Begründung führte die belangte Behörde im wesentlichen folgendes aus: Der Beschwerdeführer sei am 13. September 1991, von Jugoslawien her kommend, legal mit einem ihm von der österreichischen Botschaft in Ankara am 10. September 1991 ausgestellten, bis 10. Oktober 1991 gültigen Sichtvermerk (für "LKW-Fahrer") nach Österreich eingereist. Am 18. September 1991 habe er einen Antrag auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gestellt; über diesen Antrag sei noch keine rechtskräftige Entscheidung getroffen worden. Vor der genannten Botschaft habe der Beschwerdeführer erklärt, nur zum Zweck des Transportes einer LKW-Ladung mit Textilerzeugnissen von Adana nach Wien in Österreich einreisen zu wollen. Tatsächlich sei er aber mit einem Reisebus eingereist. Nach anfänglichen Ausflüchten habe der Beschwerdeführer nunmehr in einer Stellungnahme vom 14. September 1992 zugegeben, zum Zweck der Stellung eines Asylantrages nach Österreich gekommen zu sein. Der Beschwerdeführer habe damit durch falsche Angaben über den Zweck und die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes in Österreich, um sich die Einreise oder die Aufenthaltsberechtigung gemäß § 2 Abs. 1 FrPolG zu verschaffen, den Tatbestand des § 3 Abs. 2 Z. 6 FrPolG erfüllt. Daß er die unrichtigen Angaben gemacht habe, um in Österreich Asyl zu beantragen, ändere daran nichts.
Im Rahmen der Interessenabwägung (§ 3 Abs. 3 FrPolG) wies die belangte Behörde darauf hin, daß sich der Beschwerdeführer erst seit ca. einem Jahr in Österreich aufhalte, somit kaum von einer Integration gesprochen werden könne. Die Gattin und die beiden Kinder des Beschwerdeführers lebten in der Türkei, lediglich ein Bruder des Beschwerdeführers halte sich in Österreich auf. Der Beschwerdeführer stehe zwar derzeit in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis, doch sei anzunehmen, daß er seinen in der Türkei zuletzt ausgeübten Beruf als Kellner auch außerhalb Österreichs ausüben könne. In Anbetracht des Gewichtes der maßgeblichen öffentlichen Interessen würden die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unverhältnismäßig schwerer wiegen als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers. Zur Verteidigung der öffentlichen Ordnung erscheine ein Aufenthaltsverbot, das im übrigen bei der gegebenen Sachlage nur auf unbestimmte Zeit habe erlassen werden können, nicht nur gerechtfertigt, sondern auch dringend geboten.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Nach Ansicht des Beschwerdeführers hätte die belangte Behörde zu dem Ergebnis gelangen müssen, daß in seinem Fall der Aufenthaltsverbotsgrund des § 3 Abs. 2 Z. 6 FrPolG nicht gegeben sei, da die Beschaffung des Sichtvermerkes bei der österreichischen Botschaft in Ankara lediglich der Vorbereitung und Durchführung seiner Flucht nach Österreich gedient habe. Im Hinblick auf den Geist der Genfer Flüchtlingskonvention (Art. 31) und des Asylgesetzes (§ 6), welche etwa die Strafbarkeit von anläßlich der Flucht begangenen Verwaltungsübertretungen ausschließen, könne in bezug auf Erklärungen, die anläßlich der Erlangung des Sichtvermerkes zum Zweck der Vorbereitung und Durchführung der Flucht aus einem Verfolgungsland abgegeben würden, ein Aufenthaltsverbot nicht auf § 3 Abs. 2 Z. 6 FrPolG gestützt werden. Es sei auch nicht einsichtig, weshalb eine Person, die illegal und ohne gültiges Reisedokument unter Benützung einer Schlepperorganisation in Österreich eingereist sei, um hier einen Asylantrag zu stellen, gegenüber einer Person begünstigt werden solle, die legal mit einem gültigen Reisepaß und aufgrund eines erteilten Sichtvermerkes in Österreich einreise, um hier einen Asylantrag zu stellen. Schon im Sinne einer gleichheitskonformen Interpretation des § 3 Abs. 2 Z. 6 FrPolG sei daher vorliegend von der Unanwendbarkeit dieser Bestimmung auszugehen.
1.2.1. Der Beschwerdeführer übersieht mit seiner Bezugnahme auf Art. 31 Z. 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, daß diese Bestimmung ausschließlich die Aufforderung an die vertragschließenden Staaten enthält, unter den dort genannten Voraussetzungen über Flüchtlinge keine Strafen zu verhängen, es sich bei der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes aber nicht um eine Strafe, sondern eine Administrativmaßnahme handelt. Eine analoge Anwendung unter Berufung auf den "Geist" der Konvention kommt nicht in Betracht. Entsprechendes gilt für die Bezugnahme auf § 6 (Abs. 1) des Asylgesetzes 1991 (BGBl. Nr. 8/1992).
Im übrigen ist eine Anwendung des Art. 31 Z. 1 der Konvention ebenso wie des § 6 Abs. 1 des Asylgesetzes 1991 im Fall des Beschwerdeführers auch deshalb ausgeschlossen, weil er nach den von ihm unbekämpft gebliebenen Feststellungen der belangten Behörde aus Jugoslawien (richtig: Slowenien) kommend in Österreich ist, also nicht "direkt" aus einem Gebiet, wo sein Leben oder seine Freiheit im Sinne des Art. 1 der Konvention bedroht war, bzw. aus dem Staat kam, in dem er behauptete, Verfolgung befürchten zu müssen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 25. November 1991, Zl. 91/19/0187). Ferner liegt auch kein Anhaltspunkt für die Annahme vor, der Beschwerdeführer habe gemäß § 13a FrPolG wegen Vorliegens der dort genannten Gründe nicht nach Slowenien zurückgewiesen werden dürfen (vgl. § 6 Abs. 2 zweiter Fall Asylgesetz 1991). Im Grunde des § 7 Abs. 1 des Asylgesetzes 1991 folgt daraus, daß die Stellung eines Asylantrages dem Beschwerdeführer nicht zu einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung im Bundesgebiet verhalf, sohin § 9 Abs. 1 leg. cit. der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes über ihn nicht entgegenstand.
1.2.2. Wesentlich für die Anwendbarkeit des § 3 Abs. 2 Z. 6 FrPolG ist, daß die dort umschriebenen Angaben gegenüber einer österreichischen Behörde oder ihren Organen gemacht werden, "um sich die Einreise oder die Aufenthaltsberechtigung gemäß § 2 Abs. 1 zu verschaffen". Wenn der Beschwerdeführer mit seinem (mehrfachen) Hinweis, er habe die falschen Angaben vor der österreichischen Botschaft in Ankara gemacht, um nach Erteilung des Sichtvermerkes und erfolgter Einreise in Österreich einen Asylantrag zu stellen, versucht, in seinem Fall das Fehlen des vorzitierten Tatbestandselementes zu begründen, so läßt er außer acht, daß die unrichtigen Angaben über den Zweck und die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes dazu dienten, sich mit dem aufgrund dieser Angaben erlangten Sichtvermerk die Einreise und die Aufenthaltsberechtigung in Österreich zu verschaffen. Daß der Beschwerdeführer in der Folge einen Asylantrag gestellt hat, unterstreicht zwar die von ihm eingestandene, bereits bei der Stellung des Antrages auf Erteilung eines Sichtvermerkes vorhanden gewesene diesbezügliche Absicht und damit die Unrichtigkeit der bei dieser Antragstellung gemachten Angabe über den Zweck und die beabsichtigte Dauer des Aufenthaltes im Bundesgebiet, ändert aber nichts daran, daß diese Falschangaben dazu dienten, sich mit Hilfe eines Sichtvermerkes die Einreise und die Aufenthaltsberechtigung gemäß § 2 Abs. 1 FrPolG zu verschaffen.
Von da her gesehen hat die belangte Behörde im Beschwerdefall sachverhaltsbezogen zu Recht die Verwirklichung des Tatbestandes des § 3 Abs. 2 Z. 6 FrPolG und damit das Vorliegen einer bestimmten Tatsache i.S. des § 3 Abs. 1 leg. cit. angenommen, womit für sie auch die in der zuletzt genannten Gesetzesstelle umschriebene Annahme gerechtfertigt war.
Das in der Beschwerde erhobene Postulat gleichheitskonformer Interpretation des § 3 Abs. 2 Z. 6 FrPolG vermag dieses Ergebnis nicht zu erschüttern, gilt doch auch insoweit das zuvor Gesagte: Diese Bestimmung erfaßt dort näher umschriebene unrichtige Angaben, die gemacht wurden, "um sich die Einreise oder die Aufenthaltsberechtigung gemäß § 2 Abs. 1 zu verschaffen". Sie enthält keine Aussage über eine allfällige fremdenpolizeiliche Relevanz eines nach erfolgter Einreise gestellten Asylantrages des betreffenden Fremden. Der Vergleich zweier Fremder, die jeweils nach ihrer Einreise nach Österreich einen Asylantrag stellen, aber auf unterschiedliche Weise (der eine legal, der andere illegal) in das Bundesgebiet gelangt sind, aus dem Blickwinkel gleichheitsgemäßer Auslegung des § 3 Abs. 2 Z. 6 FrPolG ist demnach nicht zielführend.
2. Der Beschwerdeeinwand, es sei - was sich aus der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides ergebe - das Aufenthaltsverbot "offensichtlich bloß präventiv" erlassen worden, versagt schon deshalb, weil Gegenstand der Anfechtung und der Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht der Bescheid der Erstbehörde ist, sondern ausschließlich der Bescheid der belangten Behörde vom 23. September 1992, in dessen Begründung sich aber kein Anhaltspunkt für das Zutreffen der besagten Behauptung des Beschwerdeführers findet.
3.1. Nach Meinung der Beschwerde sprechen auch die Kriterien des § 3 Abs. 3 FrPolG gegen die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes. Der Beschwerdeführer verweist diesbezüglich auf seine "geordneten Lebensverhältnisse in Österreich"; er verfüge über einen ordentlichen Wohnsitz und übe eine Beschäftigung aus. Weiters sei zu bedenken, daß er im Fall seiner "Rückschiebung" in seine Heimat "ernsthaften Nachteilen" ausgesetzt wäre.
3.2. Dieses Vorbringen läßt die von der belangten Behörde vorgenommene Interessenabwägung nicht als rechtswidrig erkennen. Im angefochtenen Bescheid wurde auf den erst ca. einjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers hingewiesen; weiters darauf, daß die Gattin und die zwei Kinder des Beschwerdeführers nach wie vor in der Türkei lebten, und sich in Österreich lediglich ein Bruder des Beschwerdeführers aufhalte. Daß angesichts dieser Umstände von einer Integration des Beschwerdeführers nicht gesprochen werden kann, liegt auf der Hand. Geordnete Lebensverhältnisse und das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses erlauben keine andere Beurteilung. Das Fehlen einer beruflichen Beeinträchtigung des Beschwerdeführers wurde von der belangten Behörde dargetan; Gegenteiliges wurde vom Beschwerdeführer nicht behauptet. Da somit den privaten (familiären) Interessen des Beschwerdeführers nur äußerst geringes Gewicht beizumessen war, hat die belangte Behörde den hier maßgeblichen öffentlichen Interessen an der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes zu Recht unverhältnismäßig größeres Gewicht zuerkannt.
Dem Beschwerdehinweis, der Beschwerdeführer sei im Fall seiner "Rückschiebung" in die Türkei "ernsthaften Nachteilen" ausgesetzt, geht - abgesehen davon, daß er jeglicher Konkretisierung entbehrt - deshalb fehl, weil über die Frage, wohin der Beschwerdeführer allenfalls abgeschoben wird (vgl. §§ 13, 13a Abs. 2 FrPolG), im bekämpften Bescheid nicht abzusprechen, folglich dieser Aspekt auch nicht in die Interessenabwägung einzubeziehen war.
4.1. Schließlich vertritt der Beschwerdeführer die Ansicht, es sei die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in unbefristeter Dauer angesichts der besonderen Konstellation seines Falles nicht gerechtfertigt.
4.2. Nach der Rechtsprechung ist ein Aufenthaltsverbot für jenen Zeitraum zu erlassen, nach dessen Ablauf vorhersehbarerweise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein wird. Es ist auf unbestimmte Zeit zu erlassen, wenn ein Wegfall des Grundes für seine Erlassung nicht vorhergesehen werden kann (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 28. Oktober 1991, Zl. 90/19/0320, und vom 29. Juni 1992, Zl. 92/18/0248).
Die belangte Behörde hat die Verhängung des Aufenthaltsverbotes über den Beschwerdeführer auf unbestimmte Zeit damit begründet, daß bei der "gegebenen Sachlage" nichts anderes in Betracht komme. Wenngleich äußerst knapp, so doch erkennbar, hat sie damit auf die Eigenart des Tatbestandes des § 3 Abs. 2 Z. 6 FrPolG Bezug genommen und zum Ausdruck gebracht, daß für sie ein bestimmter Zeitpunkt für den Wegfall des Grundes der Verhängung des Aufenthaltsverbotes nicht vorhersehbar sei. Diese Auffassung ist nicht als rechtswidrig zu erkennen.
5. Der Verfahrensrüge dahingehend, daß die belangte Behörde in Ansehung der Dauer des erlassenen Aufenthaltsverbotes wie auch der vom Beschwerdeführer behaupteten Anwendbarkeit des Art. 31 der Genfer Flüchtlingskonvention und des § 6 des Asylgesetzes 1991 ihrer Begründungspflicht nicht nachgekommen sei, ist nach dem Gesagten (oben II.1.2., 4.2.) der Boden entzogen.
6. Da somit die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt - was bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen läßt -, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren, mithin auch ohne Mängelbehebungsauftrag hinsichtlich einer weiteren Beschwerdeausfertigung, als unbegründet abzuweisen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1992180452.X00Im RIS seit
29.01.2002