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32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
BAO §119 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schubert und die Hofräte Dr. Pokorny, Dr. Fellner, Dr. Hargassner und Mag. Heinzl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Büsser, über die Beschwerde des O in W, vertreten durch Dr. A, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid (Berufungsentscheidung) der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 18. März 1991, GZ. GA 7 - 1678/1/90, betreffend Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 3.035,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Im Zuge einer im Jahre 1988 durchgeführten abgabenbehördlichen Prüfung wurde festgestellt, daß der 1897 geborene Beschwerdeführer mit einem Abtretungsvertrag vom 15. Dezember 1969 seine Geschäftsanteile im Ausmaß von 50 Prozent an der L.S. GmbH gegen eine wertgesicherte Leibrente von jährlich S 180.000,-- veräußert hatte. Die von 1983 bis 1987 zugeflossenen Leibrentenbeträge wurden hierauf vom Finanzamt im Sinne des § 31 Abs. 3 EStG 1972 als sonstige Einkünfte besteuert.
Mit einer Eingabe vom 8. September 1988 beantragte der Beschwerdeführer die Nachsicht der nach der Prüfung vorgeschriebenen Abgabenschuldigkeit an Einkommensteuer 1983 bis 1987 im Gesamtbetrag von S 594.295,--. In diesem Antrag wurde insbesondere darauf verwiesen, daß der Beschwerdeführer, der 58 Jahre lang berufstätig gewesen sei, die Steuerbarkeit der ihm zugeflossenen Leibrente nicht gekannt habe, obgleich er im übrigen als Kaufmann mit den Steuervorschriften im üblichen Umfang vertraut gewesen sei. Der Beschwerdeführer habe in den Jahren 1983 bis 1987 über ein monatliches Durchschnittseinkommen von ca. S 31.000,-- verfügt. Dieser relativ hohe Betrag würde zwar ein Ansparen ermöglichen, er habe jedoch in Unkenntnis der Steuerbarkeit dieser Einkommensbestandteile die Beträge gutgläubig verbraucht, sodaß keine nennenswerten Ersparnisse vorhanden seien. Der Beschwerdeführer habe sich auf Grund seines hohen Alters zunehmend in Spitalsbehandlung begeben und vermehrt ärztliche und Pflegehilfe in Anspruch nehmen müssen. Auch Kur- und Erholungsaufenthalte seien nötig gewesen. Auf Grund des Einkommens sei nicht erforderlich erschienen, bei Ausgaben für die Gesundheit zu sparen. Da der Beschwerdeführer nur eine selbsterhaltungsfähige Tochter habe, habe auch kein Grund bestanden, für Nachkommen Beträge anzusparen. Auch die Ehegattin des Beschwerdeführers verfüge über ein eigenes Einkommen, welches sie bei allfälligen Schwierigkeiten des Beschwerdeführers zumindest zu einem Unterhalt im notdürftigen Maße heranziehen könnte.
Der Beschwerdeführer sei nunmehr altersbedingt und auf Grund von Abnützungserscheinungen gesundheitlich in einer schlechten Verfassung. Es würden daher auch in Zukunft namhafte Beträge nötig sein, um die medizinische Betreuung zu gewährleisten und die Verfassung des Beschwerdeführers durch Kuraufenthalte zu verbessern. Durch die vorgeschriebenen Vorauszahlungen von S 130.000,-- (jährlich) werde sich das verbleibende Nettoeinkommen auf (monatlich) ca. S 22.000,-- verringern, was für den Beschwerdeführer bereits eine erhebliche Minderung seiner Lebensqualität bedeute.
Das Nachsichtsansuchen wurde vom Finanzamt abgewiesen. In der Berufung gegen diesen Abweisungsbescheid wurde unter anderem vorgebracht, hohes Alter des Steuerschuldners sei insbesondere dann zu berücksichtigen, wenn damit wesentliche "Existenzerschwerungen" verbunden sind.
Im Jahre 1990 stellte das Finanzamt fest, daß die Leibrente monatlich S 24.000,-- ausmacht. Von der Pensionsversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft erhielt der Beschwerdeführer eine monatliche Pension in Höhe von S 8.673,--.
Nach Abweisung der Berufung durch eine Berufungsvorentscheidung des Finanzamtes beantragte der Beschwerdeführer die Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz. In der letztgenannten Eingabe wies der Beschwerdeführer darauf hin, daß das Finanzamt mittlerweile die Leibrentenforderung gepfändet und das Pfandrecht verwertet habe. Dem Beschwerdeführer stehe daher nur mehr die Pension der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft zur Verfügung.
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde die Berufung von der belangten Behörde als unbegründet abgewiesen. Die belangte Behörde verneinte dabei das Vorliegen einer Unbilligkeit der Einhebung der gegenständlichen Abgabenschuld. In der Begründung des angefochtenen Bescheides vertrat die belangte Behörde die Ansicht, dem Beschwerdeführer sei es auf Grund seiner langjährigen Tätigkeit als Kaufmann zuzumuten gewesen, bei Abschluß des Leibrentenvertrages eine Auskunft über die steuerlichen Folgen einzuholen. Die Ursache der Schwierigkeiten bei der Entrichtung der Abgabenschuldigkeiten läge darin, daß sich diese "infolge der Nichterklärung der steuerpflichtigen sonstigen Einkünfte über viele Jahre hin angehäuft" hätten. Dem Beschwerdeführer sei es im Hinblick auf sein monatliches Nettoeinkommen von rund S 25.000,-- zuzumuten, die Abgabenschuldigkeiten in Raten zu entrichten. Dem Hinweis auf das hohe Alter des Beschwerdeführers hielt die belangte Behörde entgegen, dem Steuerrecht sei eine unterschiedliche Behandlung der Abgabepflichtigen nach Altersstufen fremd. Die Angaben des Beschwerdeführers über Kosten für Spitalsbehandlung, ärztliche Hilfe, Pflegedienste sowie Kur- und Erholungsaufenthalte seien derart unbestimmt, daß sie den Erfordernissen, die an die Mitwirkung des Nachsichtswerbers bei der Feststellung der Voraussetzungen für den steuerlichen Vorteil gestellt werden müssen, nicht genügen.
In der Beschwerde gegen diesen Bescheid werden dessen inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.
Der Tatbestand der "Unbilligkeit der Einhebung nach der Lage des Falles" setzt das Vorliegen eines in den subjektiven Verhältnissen des Steuerpflichtigen oder des Steuergegenstandes gelegenen Sachverhaltselementes voraus, aus dem sich ein wirtschaftliches Mißverhältnis zwischen der Einhebung der Abgabe und den in jenem subjektiven Bereich entstehenden Nachteilen ergibt. Dies wird insbesondere immer dann der Fall sein, wenn die Einhebung die Existenz des Steuerschuldners gefährden würde. Allerdings bedarf es zur Bewilligung einer Nachsicht nicht unbedingt der Gefährdung des Nahrungsstandes, der Existenzgefährdung, besonderer finanzieller Schwierigkeiten und Notlagen, sondern es genügt, daß die Abstattung der Abgabenschuld mit wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, die außergewöhnlich sind (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. Mai 1992, 88/17/0218).
Unter dem Gesichtspunkt einer allenfalls eine Unbilligkeit im Sinne des § 236 Abs. 1 BAO nach sich ziehenden Existenzgefährdung ist die belangte Behörde davon ausgegangen, daß dem Beschwerdeführer bei einem - nach Abzug der Einkommensteuervorauszahlungen - verbleibenden monatlichen Netto-Einkommen von S 25.000,-- die Entrichtung der Abgabenschuldigkeit in entsprechenden monatlichen Raten zumutbar erscheint. Dabei hat die belangte Behörde zu Recht - und daher auch ohne die in diesem Zusammenhang gerügte Aktenwidrigkeit im Sinne des § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. a VwGG - ein solches Netto-Einkommen und nicht die - nach Pfändung und Überweisung der Leibrentenleistungen - verbleibende Alterspension herangezogen, da bei der Beurteilung, welche Abgabenleistung erbracht werden kann, von dem um die Abgabenleistung noch nicht verminderten Einkommen auszugehen ist. Davon, daß die Beschränkung der dem Beschwerdeführer durch die vollstreckungsweise Entrichtung der Abgabenschuld verbleibenden Mittel auf die Höhe der Alterspension eine Existenzgefährdung oder außergewöhnliche wirtschaftliche Schwierigkeiten nach sich zieht, kann zudem keine Rede sein, zumal dem Beschwerdeführer keine Sorgepflichten zur Last liegen.
Auch die Unkenntnis des Umstandes, daß die gegenständlichen Leibrentenzahlungen der Einkommensteuer unterliegen, bewirkt, wie die belangte Behörde zutreffend ausgeführt hat, keine Unbilligkeit der Einhebung der Abgabenschuld, zumal die Unkenntnis einer Verwaltungsvorschrift nur dann als unverschuldet angesehen werden kann, wenn jemand die Verwaltungsvorschrift trotz Anwendung der nach seinen Verhältnissen erforderlichen Sorgfalt unbekannt geblieben ist.
Unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit (richtig: Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften) macht der Beschwerdeführer der belangten Behörde zum Vorwurf, daß sie es entgegen der Verpflichtung zur amtswegigen Ermittlung des Sachverhaltes im Sinne des § 115 BAO unterlassen habe, den Beschwerdeführer zur Konkretisierung seiner - nach Auffassung der Behörde zu unbestimmten - Erklärungen über seine erheblichen Aufwendungen für die Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe und von Pflegediensten sowie für Kur- und Erholungsaufenthalte aufzufordern. Dem ist entgegenzuhalten, daß es im Nachsichtsverfahren Sache des Nachsichtswerbers ist, einwandfrei und unter Ausschluß jeglicher Zweifel das Vorliegen jener Umstände darzutun, auf die die begehrte Nachsicht gestützt werden kann (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. November 1991, 90/15/0089, und vom 24. Februar 1992, 91/15/0105). Da im vorliegenden Nachsichtsverfahren entscheidungswesentlich war, welches Einkommen dem Beschwerdeführer ohne Gefährdung seiner Existenz verbleiben kann, wäre eine konkrete ziffernmäßige Darlegung der Aufwendungen für medizinische Erfordernisse im weiteren Bereich erforderlich und dem Beschwerdeführer auch zumutbar gewesen.
Aus den dargestellten Gründen erwies sich die Beschwerde daher als unbegründet, sodaß sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war. Von der beantragten Verhandlung konnte dabei aus den Gründen des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 104/1991.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1992:1991130118.X00Im RIS seit
09.12.1992Zuletzt aktualisiert am
19.04.2009