TE Vwgh Erkenntnis 1992/12/15 88/08/0192

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Veröffentlicht am 15.12.1992
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
60/02 Arbeitnehmerschutz;
60/04 Arbeitsrecht allgemein;

Norm

AAV §100;
AAV §67 Abs1;
ArbIG 1974 §8 Abs4;
ASchG 1972 §31 Abs2 litf;
AVG §45 Abs3;
AZG §24;
AZG §28;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Liska und die Hofräte Dr. Knell und Dr. Puck als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schwächter, über die Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 15. April 1988, Zl. Ge-33570/7-1988/Pan/Lb, betreffend Übertretungen des Arbeitszeitgesetzes und des Arbeitnehmerschutzgesetzes (mitbeteiligte Partei: F in D), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1.1. Mit Straferkenntnis vom 13. April 1987 legte die Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land dem Mitbeteiligten zur Last, er habe, wie bei einer am 6. November 1986 durchgeführten Überprüfung durch das Arbeitsinspektorat Linz festgestellt worden sei, der Aufforderung des Arbeitsinspektorates vom 28. Mai 1986 keine Folge geleistet und 1. die aushangpflichtigen Gesetze nach dem Arbeitszeitgesetz im Betrieb nicht an geeigneter, für die Arbeitnehmer leicht zugänglicher Stelle aufgelegt und 2. den lärmexponierten Arbeitnehmern keine Gehörschutzmittel zur Verfügung gestellt. Er habe im ersten Fall § 28 in Verbindung mit § 24 des Arbeitszeitgesetzes, BGBl. Nr. 461/1969 (im folgenden: AZG), im zweiten Fall § 31 Abs. 2 lit. f des Arbeitnehmerschutzgesetzes in Verbindung mit § 67 Abs. 1 und § 100 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung - AAV, BGBl. Nr. 218/1983, verletzt. Über den Mitbeteiligten wurde eine Geldstrafe von S 500,-- (30 Stunden Ersatzarrest) bzw. von S 2.000,-- (120 Stunden Ersatzarrest) verhängt. Nach der Begründung dieses Bescheides sei der Mitbeteiligte mit Schreiben des Arbeitsinspektorates vom 28. Mai 1986 aufgefordert worden, den dem Betriebslärm ausgesetzten Arbeitnehmern Gehörschutzmittel zur Verfügung zu stellen und die Benützung zu kontrollieren sowie aushangpflichtige Gesetze im Betrieb an für die Arbeitnehmer leicht zugänglicher Stelle aufzulegen, wobei dafür der Aufenthaltsraum als geeigneter Platz vorgeschlagen worden sei. Im Zuge einer neuerlichen Überprüfung am 6. November 1986 hätten vom kontrollierenden Organ weder die aushangpflichtigen Gesetze noch Gehörschutz im Betrieb vorgefunden werden können. Der den Arbeitsinspektor begleitende Angestellte S habe darüber keine Auskunft geben können, wo sich die Gesetze bzw. die Gehörschutzmittel befänden. Auch ein anderer Arbeitnehmer habe über das Vorhandensein von Gehörschutzmitteln keine Auskünfte geben können, sodaß feststehe, daß der Mitbeteiligte den Aufforderungen des Arbeitsinspektorates vom 28. Mai 1986 nicht nachgekommen sei, keine Gehörschutzmittel für die Arbeitnehmer vorhanden seien und die aushangpflichtigen Gesetze nicht an leicht zugänglicher Stelle auflägen. Der Mitbeteiligte habe dagegen lediglich eingewendet, daß der Arbeitsinspektor während der Mittagspause den Betrieb besichtigt habe, der ihn begleitende Angestellte mit den Aufgaben des Betriebes nicht betraut sei und die übrigen anwesenden ausländischen Arbeitskräfte kaum der deutschen Sprache mächtig seien. Diese Rechtfertigung sei jedoch nicht ausreichend.

Der Mitbeteiligte erhob Berufung und machte geltend, daß am 6. November 1986 die aushangpflichtigen Gesetze im Betrieb, und zwar im Arbeiteraufenthaltsraum, aufgelegt und der geforderte Gehörschutz im Magazin 1 in unmittelbarer Nähe des Arbeiteraufenthaltsraumes vorhanden gewesen seien.

1.2. Mit Bescheid vom 15. April 1988 gab der Landeshauptmann von Oberösterreich dieser Berufung Folge, behob das angefochtene Straferkenntnis und stellte die diesbezüglichen Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 lit. a VStG 1950 ein.

Nach der Begründung dieses Bescheides sei der Arbeitsinspektor zu einem Zeitpunkt in den Betrieb gekommen, zu dem weder der Arbeitgeber noch ein Bevollmächtigter des Arbeitgebers anwesend gewesen seien. Deshalb sei der Arbeitsinspektor von einem jungen Büroangestellten im Betrieb begleitet worden. Dieser habe nach Angaben des Arbeitsinspektors weder die aushangpflichtigen Gesetze noch den Gehörschutz vorweisen können. Aus dieser Tatsache habe der Arbeitsinspektor auf die Nichterfüllung der entsprechenden Vorschriften geschlossen und die Anzeige erstattet.

Es sei jedoch ausschließlich die Tatsache, daß der Büroangestellte die aushangpflichtigen Gesetze und den Gehörschutz nicht habe vorweisen können, als erwiesen anzusehen. Nachdem der Mitbeteiligte behaupte, diese Gesetze im Arbeiteraufenthaltsraum aufgelegt zu haben, und diese Behauptung auch vom Zeugen S bestätigt werde, sei daraus zu schließen, daß das Gesetz aufgelegt gewesen sei. Da diese Gesetze im Sinne des § 24 AZG im Arbeiteraufenthaltsraum an einem Haken an der Wand ausgehängt gewesen seien, wie der Mitbeteiligte im Schreiben vom 8. Februar 1988 mitgeteilt habe, sei dem § 24 AZG entsprochen worden. Allein aus der Tatsache, daß ein Angestellter nicht auf Anhieb angeben könne, wo diese Gesetze ausgehängt seien, könne keine Übertretung des § 24 AZG gefolgert werden, denn es bestehe keine Verpflichtung, daß alle Arbeitnehmer wissen müßten, wo diese Gesetze ausgehängt seien. Die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Tat sei nicht erwiesen.

Was die Übertretung des § 67 Abs. 1 AAV anlange, lasse auch hier die Tatsache, daß ein Büroangestellter bzw. ein weiterer Arbeitnehmer den Gehörschutz nicht hätten vorweisen können, keinen Schluß auf eine Übertretung des § 67 Abs. 1 AAV zu, da ein Büroangestellter einen derartigen Gehörschutz nicht benötige. Auch wenn ein weiterer Arbeiter den Aufbewahrungsort des Gehörschutzes nicht angeben könne, bedeute das noch nicht, daß der Mitbeteiligte den Gehörschutz tatsächlich nicht zur Verfügung gestellt habe. Diese mangelnde Kenntnis des Arbeitnehmers könne auf verschiedene Ursachen zurückzuführen sein, sodaß sie nicht als geeigneter Beweis für eine Übertretung nach § 67 Abs. 1 AAV angesehen werden könne. Auch der Zeuge führe das Nichtvorzeigen der Gesetze und des Gehörschutzes auf ein Mißverständnis zurück, da ihm sowohl der Platz der aushangpflichtigen Gesetze als auch der Aufbewahrungsort des Gehörschutzes bekannt gewesen seien. Die objektive Tatseite lasse sich nicht eindeutig nachweisen, sodaß das Verwaltungsstrafverfahren mangels Beweises einzustellen gewesen sei.

1.3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Nach der Beschwerdebegründung sei sowohl der Anzeige als auch den Stellungnahmen des Arbeitsinspektorates zu entnehmen, daß trotz intensiver Suche im Rahmen der gezielten Erhebung weder Gesetz noch Gehörschutzmittel vom Inspektionsorgan aufgefunden hätten werden können. Die Behörde dürfe sich nicht über erhebliche Behauptungen ohne Ermittlungen und Begründungen hinwegsetzen. So seien die Belastungs- und Entlastungszeugen in gleicher Weise zu hören, soweit dies für die Klarstellung des Sachverhaltes erforderlich sei. Dazu wäre die belangte Behörde auf Grund des Prinzips der Amtswegigkeit des Verfahrens verpflichtet gewesen. Sie hätte alle Möglichkeiten zur Klarstellung des Sachverhaltes und zur Aufklärung der Widersprüche ausschöpfen müssen. Das Ermittlungsverfahren wäre durch zeugenschaftliche Einvernahme des die Erhebung im Betrieb durchführenden Arbeitsinspektors zu ergänzen gewesen, um Aufschluß darüber zu erlangen, ob der Arbeitsinspektor tatsächlich das aushangpflichtige Gesetz im Aufenthaltsraum übersehen haben konnte, desgleichen die Gehörschutzmittel im Magazin 1, wenn auch diese tatsächlich dort vorhanden gewesen wären. Dabei sei zu bedenken, daß ein Spenderautomat eine Größe von etwa 50 cm x 40 cm aufweise.

1.4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

2.1. § 3 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1974 - ArbIG 1974, BGBl. Nr. 143, lautet auszugsweise:

"(1) Die Arbeitsinspektoren sind zur Durchführung ihrer Aufgaben berechtigt, die Betriebsstätten, Betriebsräume und auswärtigen Arbeitsstellen, die Aufenthaltsräume der Arbeitnehmer sowie ... jederzeit zu betreten und zu besichtigen. ...

(2) Der Arbeitsinspektor hat von seiner Anwesenheit im Betrieb dem Arbeitgeber oder dessen Bevollmächtigten Kenntnis zu geben; hiedurch darf der Beginn der Besichtigung nicht unnötig verzögert werden. Eine Verständigung hat jedoch zu unterbleiben, wenn dadurch nach Ansicht des Arbeitsinspektors die Wirksamkeit der Amtshandlung beeinträchtigt werden könnte. ... Dem Arbeitgeber oder dessen Bevollmächtigten steht es frei, den Arbeitsinspektor bei der Amtshandlung im Betrieb zu begleiten; auf Verlangen des Arbeitsinspektors sind sie hiezu verpflichtet.

(3) Der Arbeitgeber hat dafür zu sorgen, daß bei seiner Abwesenheit vom Betrieb oder von der auswärtigen Arbeitsstelle ein dort anwesender Arbeitnehmer dem Arbeitsinspektor die Besichtigung ermöglicht und ihn auf dessen Verlangen begleitet. Ferner hat der Arbeitgeber dafür zu sorgen, daß dem Arbeitsinspektor alle Räumlichkeiten im Sinne des Abs. 1, Betriebsstätten und auswärtigen Arbeitsstellen sowie die Betriebseinrichtungen und Betriebsmittel in einer Weise zugänglich sind, durch die eine wirksame Überwachung möglich ist.

(4) ..."

§ 24 AZG bestimmt, daß jeder Arbeitgeber einen Abdruck dieses Bundesgesetzes im Betrieb an geeigneter, für die Arbeitnehmer leicht zugänglicher Stelle aufzulegen hat.

§ 67 Abs. 1 AAV lautet:

"Jedem Arbeitnehmer, für den bei der beruflichen Tätigkeit trotz entsprechender anderer Schutzmaßnahmen oder infolge Undurchführbarkeit solcher Schutzmaßnahmen die Gefahr einer gesundheitlichen Schädigung durch andauernden starken Lärm besteht, bei dem ein Schalldruckpegelwert von 85 dB oder bei nicht andauerndem Lärm der energieäquivalente Pegelwert überschritten wird, ist ein geeignetes Gehörschutzmittel zur Verfügung zu stellen. Leichter Gehörschutz, wie Gehörschutzwatte, Dehnschaumstöpsel oder leichte Ausführungen von Kapselgehörschützern, darf nur bei Schalldruckpegelwerten bis 100 dB, mittelschwerer Gehörschutz, wie Gehörschutzstöpsel oder mittelschwere Ausführungen von Kapselgehörschützern, nur bei Schalldruckpegelwerten bis 130 dB getragen werden. Bei Schalldruckpegelwerten von über 130 dB sind Schallschutzhelme oder andere gleichwertige Gehörschutzmittel zu verwenden. ..."

2.2. Die belangte Behörde hat - anders als die erstinstanzliche Behörde - ihrer Entscheidung als Ergebnis des Beweisverfahrens zugrunde gelegt, daß die dem Mitbeteiligten zur Last gelegte Tat, er habe entgegen § 24 AZG die dort genannte Rechtsvorschrift nicht aufgelegt, nicht habe erwiesen werden können. Der Mitbeteiligte und der Zeuge hätten vielmehr überzeugend ausgesagt, daß diese Gesetze zur Tatzeit aufgelegt gewesen seien. Auch die Unterlassung des Mitbeteiligten, den Arbeitnehmern Gehörschutz zur Verfügung zu stellen, sei nicht erwiesen.

Inhalt des Straftatbestandes nach § 24 in Verbindung mit § 28 AZG ist das Nichtauflegen eines Abdruckes dieses Gesetzes (des AZG) an geeigneter, für die Arbeitnehmer leicht zugänglicher Stelle. Maßgebend ist nach diesem Tatbestand lediglich das Auflegen (dem wird auch durch ein Aushängen Rechnung getragen) an einer geeigneten Stelle; ein bloßes Vorhandensein der Rechtsvorschrift im Betrieb, etwa im Schreibtisch des Arbeitgebers (oder eines Organs des Arbeitgebers) genügt nicht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Mai 1986, Zl. 86/08/0026 = ZfVB 1987/2/432). Darauf, ob die Arbeitnehmer etwa noch in besonderer Weise auf diese Stelle hingewiesen werden müßten, kommt es nicht an.

Ähnliches gilt für den Tatbestand des § 67 Abs. 1 erster Satz AAV. Danach ist jedem in seiner Gesundheit lärmgefährdeten Arbeitnehmer ein geeignetes Gehörschutzmittel zur Verfügung zu stellen. Das Zurverfügungstellen bedeutet die Ermöglichung der freien Entnahme der Gehörschutzmittel durch die in Betracht kommenden Arbeitnehmer, was miteinschließt, daß sich die freie Entnahmemöglichkeit an geeigneter, frei zugänglicher Stelle befinden muß; nähere Vorschriften über die Verwahrung trifft noch § 67 Abs. 3 AAV. Darin erschöpft sich der Tatbestand des Zurverfügungstellens - welcher ausschließlich Gegenstand der ersten Verfolgungshandlung (Strafverfügung der Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land vom 24. November 1986) und des erstinstanzlichen Tatvorwurfes war.

2.3. Was das Auflegen des AZG im Betrieb an geeigneter, für die Arbeitnehmer leicht zugänglicher Stelle anlangt, ist von der dem Mitbeteiligten laut Anzeige des Arbeitsinspektorates vom 20. November 1986 angelasteten Straftat auszugehen. Darin heißt es, bei der am 6. November 1986 durchgeführten Überprüfung des Betriebes sei festgestellt worden, daß der Arbeitgeber den Aufforderungen des Arbeitsinspektorates vom 28. Mai 1986 nur zum Teil nachgekommen sei. Es werde daher die Übertretung nach § 24 AZG zur Anzeige gebracht. Der hier in Rede stehende Punkt der Beanstandung vom 28. Mai 1986 besagt nun, die aushangpflichtigen Gesetze (eventuell Broschüre "aushangpflichtige Gesetze") seien im Betrieb an geeigneter, für die Arbeitnehmer leicht zugänglicher Stelle (im Aufenthaltsraum) aufzulegen.

Entsprechendes gilt hinsichtlich der Nichtzurverfügungstellung von Gehörschutzmitteln. Die Beanstandung des Arbeitsinspektors vom 28. Mai 1986 lautete diesbezüglich, den lärmexponierten Arbeitern seien Gehörschutzmittel (abgepackte Gehörschutzwatte aus Spenderautomaten, Antiphone) zur Verfügung zu stellen; das ständige Tragen dieser Gehörschutzmittel beim Arbeiten in Lärmbereichen sei zu kontrollieren; Arbeitnehmer, die sich weigerten, Gehörschutzmittel zu benützen, hätten mit der Einleitung des Strafverfahrens zu rechnen (). Die dem Mitbeteiligten in der eben genannten Strafverfügung vom 24. November 1986 und dem erstinstanzlichen Straferkenntnis zur Last gelegte Straftat erfaßte daraus den Tatbestand der unterlassenen Zurverfügungstellung.

Im Berufungsverfahren hat nun der Mitbeteiligte bei der niederschriftlichen Beschuldigtenvernehmung vom 18. Dezember 1987 angegeben, daß sich die aushangpflichtigen Gesetze gut sichtbar im Aufenthaltsraum befunden hätten, wobei er in einem weiteren Schriftsatz vom 8. Februar 1988 die Stelle genau präzisierte. Die Gehörschutzpfropfen befänden sich im daneben befindlichen Magazin, das unverschlossen sei und in dem, für alle erreichbar, auch die Hausapotheke untergebracht sei. Der Zeuge S. gab an, er könne mit Sicherheit sagen, daß die aushangpflichtigen Gesetze und die Gehörschutzmittel im Betrieb vorhanden gewesen seien, und er habe auch gewußt, wo sich diese befänden.

2.3.1. Diese Ermittlungsergebnisse wurden von der belangten Behörde nicht dem nach § 8 Abs. 4 ArbIG 1974 als Amtspartei zu beteiligenden "anderen" Arbeitsinspektorat, nämlich jenem für den 18. Aufsichtsbezirk (das im Berufungsverfahren zunächst zutreffend beteiligt worden war), zur Kenntnisnahme und Stellungnahme im Sinne des § 45 Abs. 3 AVG übermittelt, sondern dem im Berufungsverfahren keine Parteistellung genießenden, nach dem Betriebsstandort zuständigen Arbeitsinspektorat für den 9. Aufsichtsbezirk. Die belangte Behörde hat damit Verfahrensrechte der gesetzlich vorgesehenen Amtspartei (nämlich das Recht auf Parteiengehör im Sinne des § 45 Abs. 3 AVG) verletzt, bei deren Wahrnehmung nicht ausgeschlossen werden kann, daß die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid gekommen wäre.

2.3.2. Ungeachtet dieses (von der beschwerdeführenden Partei im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht aufgegriffenen) Verfahrensmangels erweist sich die vom (nicht Parteistellung genießenden) Arbeitsinspektorat für den

9. Aufsichtsbezirk im Berufungsverfahren abgegebene Stellungnahme vom 1. März 1988 dennoch von besonderer verfahrensrechtlicher Bedeutung. Dort wird nämlich behauptet, "trotz intensiven Suchens" seien weder Gehörschutzmittel noch aushangpflichtige Gesetze (AZG) aufgefunden worden. Mit dieser Sachverhaltsdarstellung des am erstinstanzlichen Verwaltungsstrafverfahren beteiligten Arbeitsinspektorates hat dieses nicht in erster Linie auf das Wissen und Verhalten des Zeugen S. Bezug genommen (welches im bisherigen Verfahren im Vordergrund gestanden war), sondern eine intensive, aber erfolglose Suche durch das am 6. November 1986 eingeschrittene Kontrollorgan der Arbeitsinspektion behauptet.

Angesichts dieser Stellungnahme des ursprünglich eingeschrittenen, zuständigen Arbeitsinspektorates wäre es Aufgabe der belangten Behörde gewesen, das eingeschrittene Organ, von dem sich nicht einmal eine persönlich gefertigte Sachverhaltsdarstellung im Verwaltungsstrafakt befindet, über die Kontrolle des Betriebes am 6. November 1986 und insbesondere darüber einzuvernehmen, auf welche Räumlichkeiten sich seine Nachschau erstreckt und wie es dort die Nachschau durchgeführt hat (etwa ob es die Räume betreten hat, in denen sich nach Darstellung des Mitbeteiligten die gesuchten Gegenstände befunden haben sollen). Zu Recht weist der beschwerdeführende Bundesminister für Arbeit und Soziales darauf hin, daß die unterlassene Aufnahme eines Personalbeweises in Form der Einvernahme des Kontrollorgans unter Erinnerung an seinen Diensteid im Beschwerdefall eine dem § 25 Abs. 2 VStG, wonach die der Entlastung des Beschuldigten dienlichen Umstände in gleicher Weise zu berücksichtigen sind wie die belastenden, widerstreitende einseitige Abstandnahme von einem objektiv geeigneten Beweismittel darstellt.

Wenn die belangte Behörde in der Gegenschrift bemerkt, bei der Beweiswürdigung würden die zeugenschaftliche Stellungnahme des Arbeitsinspektors ihrem Wahrheitsgehalt nach gleich der Zeugenaussage des Zeugen S. gewertet, da jedoch aus den Stellungnahmen die Tat nur durch unzureichende Indizien beschrieben sei, könne daraus für die Wahrheitsfindung nichts gewonnen werden, so ist dazu noch zu bemerken, daß sich in dieser Auffassung eine unzulässige vorwegnehmende Beweiswürdigung widerspiegelt.

Die belangte Behörde hat somit das Beweisverfahren in einem entscheidenden Punkt ergänzungsbedürftig gelassen.

2.4. Aus diesen Erwägungen folgt, daß die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet hat, bei deren Vermeidung es nicht ausgeschlossen werden kann, daß sie zu einem anderen Bescheid gekommen wäre.

Der angefochtene Bescheid war infolgedessen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

2.5. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Schlagworte

Parteiengehör Erhebungen Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1992:1988080192.X00

Im RIS seit

01.06.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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