TE Vfgh Erkenntnis 1990/6/21 G326/89

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Veröffentlicht am 21.06.1990
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Index

L1 Gemeinderecht
L1030 Gemeindestruktur

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Allg B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsmaßstab B-VG Art140 Abs3 erster Satz Bgld GemeindeO §8 Bgld GemeindestrukturverbesserungsG §6 Z8 Bgld L-VG 1981 Art36 Abs1

Leitsatz

Aufhebung der Zusammenlegung nicht aneinandergrenzender burgenländischer Gemeinden wegen Verstoßes gegen die Landesverfassung

Spruch

§6 Z8 des Landesgesetzes vom 1. September 1970, LGBl. für das Burgenland Nr. 44, über Gebietsänderungen von Gemeinden (Gemeindestrukturverbesserungsgesetz), wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Mai 1991 in Kraft.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Landeshauptmann von Burgenland ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Landesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.a) §6 des (Burgenländischen) Gemeindestrukturverbesserungsgesetzes, LGBl. 44/1970 (Bgld. GemStrVG) lautet auszugsweise:

"§6. Im politischen Bezirk Güssing werden folgende Gemeinden zu einer neuen Gemeinde vereinigt:

    1. . . .

    8. die Gemeinden Großmürbisch, Kleinmürbisch, Inzenhof,

Neustift bei Güssing und Tschanigraben zur Gemeinde Neustift bei

Güssing,

    9. . . .".

Dem §8 Bgld. GemStrVG zufolge hörten die Gemeinden, die gemäß den Bestimmungen der §§1 bis 7 zu neuen Gemeinden vereinigt werden, mit dem Tag des Inkrafttretens dieses Gesetzes (1. Jänner 1971) zu bestehen auf.

b) §8 der - als Landes-Verfassungsgesetz erlassenen - Burgenländischen Gemeindeordnung, LGBl. 37/1965, (Bgld. GemO) lautet:

"Vereinigung

(1) Zwei oder mehrere aneinandergrenzende Gemeinden des gleichen politischen Bezirkes können sich auf Grund übereinstimmender, mit Zweidrittelmehrheit gefaßter Gemeinderatsbeschlüsse zu einer Gemeinde vereinigen. Die Vereinigung ist durch Verordnung der Landesregierung vorzunehmen.

(2) Zur Vereinigung zweier oder mehrerer aneinandergrenzender Gemeinden gegen den Willen einer beteiligten Gemeinde ist ein Landesgesetz erforderlich."

2. Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 B-VG gestützten Antrag begehren 16 Mitglieder des Burgenländischen Landtages, §6 Z8 des Bgld. GemStrVG als verfassungswidrig aufzuheben.

Sie begründen ihren Antrag - zusammengefaßt - wie folgt:

Dem auf Landesverfassungsstufe stehenden §8 Abs2 Bgld. GemO zufolge müßten zwei oder mehrere Gemeinden, die durch Landesgesetz vereinigt werden, aneinandergrenzen, also eine gemeinsame Grenze haben. Diesem landesverfassungsgesetzlichen Gebot widerspreche nun §6 Z8 Bgld. GemStrVG; die Grenzen der ehemaligen Gemeinden Neustift bei Güssing (alt) und jene der ehemaligen Gemeinden Inzenhof, Großmürbisch, Kleinmürbisch und Tschanigraben grenzten nämlich nicht unmittelbar aneinander; es gebe zwischen der ehemaligen Gemeinde Neustift bei Güssing und den übrigen ehemaligen Gemeinden keine gemeinsamen Grenzen; vielmehr befänden sich dazwischen Grundstücke, die zu den Katastralgemeinden (= Ortsgemeinden) Güssing und Heiligenkreuz im Lafnitztal gehörten.

3. Die Burgenländische Landesregierung erstattete im Gesetzesprüfungsverfahren (aufgrund ihres Beschlusses vom 28. März 1990) eine Äußerung.

a) Darin wird zwar zugestanden, daß die Sachverhaltsdarstellung der Antragsteller insofern richtig sei, als die ehemalige Gemeinde Neustift bei Güssing, deren Gebiet mit dem der Katastralgemeinde Neustift bei Güssing identisch sei, weder mit dem Gebiet der ehemaligen Gemeinde Großmürbisch noch mit dem der ehemaligen Gemeinden Kleinmürbisch, Inzenhof oder Tschanigraben, deren Gebiete ebenfalls mit den der jeweiligen Katastralgemeinden identisch seien, eine gemeinsame Grenze gehabt habe. Zwischen den Katastralgemeinden Neustift bei Güssing und Inzenhof und damit zwischen der Katastralgemeinde Neustift bei Güssing und allen übrigen angesprochenen, ehemals selbständigen Gemeinden, befänden sich unbestreitbar Grundstücke, die teilweise der Katastralgemeinde und politischen Gemeinde Güssing und teilweise der Katastralgemeinde und politischen Gemeinde Heiligenkreuz i.L. zugehörten. Die ehemaligen Gemeinden Großmürbisch, Kleinmürbisch, Inzenhof und Tschanigraben untereinander hätten eine gemeinsame Grenze aufgewiesen. Zwischen der Gemeinde Neustift b.G. (alt) und den anderen vereinigten Gemeinden lägen aber nur öffentliche Straßen; sie seien im Grundbuch der Katastralgemeinden Güssing und Heiligenkreuz i.L. als öffentliches Gut eingetragen und gehörten damit zu den Gemeinden Güssing und Heiligenkreuz i.L.

Unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 7. Oktober 1983, G31/83 (= VfSlg. 9814/1983) meint die Landesregierung, daß die Bundesverfassung kein absolutes Verbot vorsehe, auch Gemeinden mit nicht geschlossenem Territorium neu zu schaffen. In diesem Erkenntnis habe der Verfassungsgerichtshof allerdings dargetan, daß nur das Vorliegen besonderer Umstände das ausnahmsweise Abweichen vom Grundsatz des geschlossenen Gemeindegebietes zu rechtfertigen vermöge. Solche Umstände seien hier gegeben gewesen. Die zusammengelegten Gemeinden seien sehr einwohnerschwach gewesen (so habe Tschanigraben im Jahre 1971 nur 86 Einwohner gehabt), sodaß eine Zusammenlegung unbedingt geboten gewesen sei.

Zur Vereinbarkeit des §6 Z8 Bgld. GemStrVG mit der Landes-Verfassungsbestimmung des §8 der Bgld. GemO führt die Burgenländische Landesregierung aus:

"Durch den Abs2" (des §8 der Bgld. GemO) "wird somit nach dem eindeutigen Wortlaut nicht erst die Möglichkeit für die Vereinigung von aneinandergrenzenden Gemeinden gegen ihren Willen geschaffen, sondern es wird in diesem Absatz lediglich festgelegt, daß für die Vereinigung von aneinandergrenzenden Gemeinden gegen deren Willen jedenfalls ein Landesgesetz erforderlich ist.

Der gesamte §8 der Bgld. Gemeindeordnung enthält keine Regelung, in welcher Weise Gemeinden, die nicht aneinandergrenzen oder die keinen nach außen erkennbaren Willen gegen die Vereinigung gebildet haben, vereinigt werden können.

Die Vereinigung von Gemeinden, die nicht aneinandergrenzen und die sich auch nicht ausdrücklich gegen eine Vereinigung ausgesprochen haben, obliegt somit mangels einer Verordnungsermächtigung in der Bgld. Gemeindeordnung allein dem einfachen Landesgesetzgeber im Rahmen der durch die Bundesverfassung gezogenen Grenzen.

Entgegen der Ansicht der Antragsteller ist das Gemeindestrukturverbesserungsgesetz nicht an §8 Abs2 der Gemeindeordnung zu messen, weil darinnen keine Aussage über die Vereinigung von nicht aneinandergrenzenden Gemeinden - die nach der Bundesverfassung zulässig ist - getroffen wird.

Im vorliegenden Fall konnten daher die ehemaligen politischen Gemeinden Großmürbisch, Kleinmürbisch, Inzenhof, Tschanigraben und Neustift bei Güssing, die nicht aneinandergrenzen und die sich auch nicht gegen eine Vereinigung ausgesprochen haben, mit einfachem Landesgesetz vereinigt werden, ohne daß dabei gegen eine Bestimmung der Bgld. Gemeindeordnung verstoßen wurde.

Darüber hinaus kann nach Ansicht der Bgld. Landesregierung dem Wort 'aneinandergrenzen' im §8 Abs2 der Bgld. Gemeindeordnung nicht zwingend der Begriffsinhalt beigemessen werden, daß die jeweiligen Gemeinden eine millimetergenaue gemeinsame Grenze - und sei es nur auf einer Länge von einigen Metern - zu bilden haben (vgl. u.a. VwGH vom 6.7.1982, Zl. 81/07/0046). Vielmehr wäre auch in Anbetracht der Tatsache, daß die Bundesverfassung ein geschlossenes Gemeindegebiet nicht zwingend verlangt, das Wort 'aneinandergrenzen' insoweit entsprechend der Bundesverfassung auszulegen, als damit ein qualifiziertes räumliches Naheverhältnis der jeweiligen Gemeinden zu verstehen ist.

Dieses qualifizierte Naheverhältnis wird dadurch geschaffen, daß zwischen den ehemaligen Gemeinden Inzenhof und Neustift bei Güssing öffentliche Wege - teilweise sogar in Form einer Bundesstraße - liegen und diese die beiden ehemaligen Gemeinden verbinden, was de facto einem 'aneinandergrenzen' im Sinne der Bgld. Gemeindeordnung gleichzuhalten ist."

b) Die Burgenländische Landesregierung beantragt primär, den vorliegenden Antrag zur Gänze abzuweisen, in eventu, ihn insofern abzuweisen, als er die Aufhebung der gesamten Z8 im §6 Bgld. GemStrVG und nicht bloß die Aufhebung der Wortfolge "Neustift bei Güssing" begehrt. Für den Fall der Aufhebung ersucht sie, eine angemessene Frist für das Außerkrafttreten zu bestimmen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Antrag ist zulässig:

a) Der (aufgrund des Art140 Abs1 dritter Satz B-VG erlassene) Art36 Abs1 des Burgenländischen Landes-Verfassungsgesetzes, LGBl. 42/1981, Bgld. L-VG) bestimmt:

"Mindestens ein Drittel der Mitglieder des Landtages kann beantragen, daß ein Landesgesetz zur Gänze oder daß bestimmte Stellen eines Landesgesetzes vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig aufgehoben werden. Der Antrag hat die gegen die Verfassungsmäßigkeit des Landesgesetzes sprechenden Bedenken im einzelnen darzulegen."

Gemäß Art10 des Bgld. L-VG besteht der Burgenländische Landtag aus 36 Mitgliedern.

Da der vorliegende Antrag von 16 Landtagsabgeordneten eingebracht wurde, ist die Voraussetzung des ersten Satzes des Art36 Abs1 leg.cit. erfüllt.

b) Der Antrag legt die gegen die Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen landesgesetzlichen Vorschrift sprechenden Bedenken im einzelnen dar (s.o. I.2.).

c) Die Burgenländische Landesregierung stellt das Eventualbegehren, den Antrag insofern abzuweisen, als er sich nicht auf die Aufhebung der Wortfolge "Neustift bei Güssing" beschränkt.

Offenbar meint die Landesregierung, der darüber hinausgehende Antrag sei unzulässig, weil die behauptete Verfassungswidrigkeit ihren Sitz allein in der erwähnten Wortfolge habe, hätten doch die anderen vereinigten Gemeinden ohnehin eine gemeinsame Grenze gehabt.

Mit diesem Vorbringen ist die Landesregierung nicht im Recht; der Antrag ist nicht zu weit gefaßt. Die Z8 des §6 Bgld. GemStrVG bildet nämlich eine untrennbare Einheit. Würde dem Eventualbegehren des Landes gefolgt, so bliebe - falls die von den Antragstellern geltend gemachten Bedenken zutreffen - folgender Satz übrig: "Im politischen Bezirk Güssing werden folgende Gemeinden zu einer neuen Gemeinde vereinigt: ... die Gemeinden Großmürbisch, Kleinmürbisch, Inzenhof und Tschanigraben zur Gemeinde Neustift bei Güssing". Neben der neuen Gemeinde Neustift bei Güssing würde dann eine andere Gemeinde mit demselben Namen bestehen. Allein schon deshalb würde eine Gesetzesaufhebung, die eine solche - unsinnige - Neuregelung der Gemeindestruktur bewirkte, eine bedeutendere Änderung der Rechtsordnung bewirken als die Aufhebung der gesamten Z8 des §6 Bgld. GemStrVG. Der Umfang der zu prüfenden und - für den Fall des Zutreffens der geltend gemachten Bedenken - aufzuhebenden Gesetzesstellen wird sohin im Antrag richtig umschrieben (vgl. hiezu etwa VfSlg. 11190/1986, 11466/1987; VfGH 21.6.1989 G198,234/88).

d) Der Antrag ist, da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, zulässig.

2. Der Antrag ist auch berechtigt:

a) Die Landesregierung schildert zutreffend, der Verfassungsgerichtshof habe im Erkenntnis VfSlg. 9814/1983 dargetan, daß die Bundesverfassung kein absolutes Verbot enthalte, auch Gemeinden mit nicht geschlossenem Territorium zu schaffen (s.o. I.3.).

Die Antragsteller machen denn auch nicht geltend, daß §6 Z8 Bgld. GemStrVG (unmittelbar) in einem Gegensatz zur Bundesverfassung stehe, sondern behaupten einen Widerspruch zu §8 der Bgld. GemO, einer landesverfassungsgesetzlichen Vorschrift.

Der Verfassungsgerichtshof ist im Zuge eines Verfahrens nach Art140 B-VG auch berufen, die Übereinstimmung einer einfachen landesgesetzlichen Bestimmung mit einem Landes-Verfassungsgesetz zu überprüfen und die erstere im Falle eines Widerspruches aufzuheben (vgl. zB VfSlg. 5996/1969).

b) Ein solcher Widerspruch liegt hier vor:

Entgegen der Ansicht der Landesregierung (s.o. I.3.) ergibt sich aus dem Wortlaut und dem Sinngehalt des §8 Bgld. GemO, daß damit die Vereinigung zweier oder mehrerer Gemeinden abschließend geregelt wird. Diese landesverfassungsgesetzliche Bestimmung normiert zunächst, daß eine derartige Vereinigung entweder (nach Vorliegen übereinstimmender Gemeinderatsbeschlüsse) durch Verordnung der Landesregierung oder (falls solche Beschlüsse nicht zustandekommen) durch Landesgesetz zu erfolgen hat; ein anderer Weg zur Gemeindevereinigung ist unzulässig.

Weiters besteht der normative Inhalt des §8 Bgld. GemO darin, für beide Fälle vorzuschreiben, daß die zu vereinigenden Gemeinden "aneinandergrenzen" müssen. Welche Bedeutung in anderen Gesetzen das Wort "aneinandergrenzen" auch haben mag, kann es im gegebenen Zusammenhang doch nur den von den Antragstellern angenommenen Inhalt haben, nämlich daß die Gemeinden eine gemeinsame Grenze haben müssen. Das geht schon aus dem üblichen Sprachgebrauch hervor. Die Landesregierung meint, mit der zitierten Landesverfassungsvorschrift werde nur ein "qualifiziertes räumliches Naheverhältnis der jeweiligen Gemeinden" zwingend vorgeschrieben; diese Annahme verbietet sich deshalb, weil damit etwas völlig Selbstverständliches angeordnet würde, und dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden kann, er habe etwas Überflüssiges angeordnet (vgl. zB VfSlg. 9185/1981).

Fest steht, daß die ehemalige Gemeinde Neustift b.G. mit den mit ihr zusammengelegten Gemeinden keine gemeinsame Grenze hatte. Wenngleich dazwischen nur eine (zum Gebiet anderer Gemeinden gehörende) Straße lag, verstößt die dennoch mit der angefochtenen landesgesetzlichen Vorschrift verfügte Vereinigung gegen das - wie dargetan - zwingende Verbot eines Landes-Verfassungsgesetzes, nämlich des §8 Abs2 Bgld. GemO, über dessen Zweckmäßigkeit der Verfassungsgerichtshof nicht zu befinden hat.

§6 Z8 Bgld. GemStrVG war sohin als (landes-)verfassungswidrig aufzuheben.

3. Die übrigen Aussprüche gründen sich auf Art140 Abs5 und 6 B-VG.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

VfGH / Legitimation, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Prüfungsmaßstab, Gemeinderecht Zusammenlegung, Kommunalstrukturverbesserung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1990:G326.1989

Dokumentnummer

JFT_10099379_89G00326_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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